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Soll wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht: Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini / picture alliance

Salvini auf der Anklagebank - Der Capitano als Märtyrer

Weil er als Innenminister einem Flüchtlingsschiff die Einfahrt in einen Hafen untersagte, droht Matteo Salvini ein Gerichtsverfahren. Der Chef der rechtsnationalen Lega schreckt vor keiner Geschmacklosigkeit zurück, um sich als Märtyrer zu stilisieren. Für ihn eine willkommene PR im Wahlkampf

Andrea Affaticati

Autoreninfo

Andrea Affaticati ist gebürtige Wienerin, lebt in Mailand und arbeitet als freie Journalistin für italienische und deutsche Medien. Sie berichtet über Italiens Politik, Gesellschaft und Kultur.

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Das Rollenspiel beherrscht Matteo Salvini meisterhaft. In seiner Zeit als Innenminister tourte der Chef der rechtsnationalen Lega abwechselnd in Jeans und Sweatshirt durchs Land, auf dem „Polizei“, „Feuerwehr„, oder „italienisches Heer“ stand – je nachdem wie es die Situation erforderte, Die unmissverständliche Botschaft für alle sollte sein: „Keine Angst, ich wache über eure Sicherheit“. Das Amt des Innenministers musste er im vergangenen Sommer abgeben, als er die Regierungskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung aufkündigte. Das Rollenspiel treibt er aber weiter. Gerade ist er in eine neue Rolle geschlüpft: Die des nationalen Märtyrers. 

Salvini droht ein Gerichtsverfahren wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit dem Schiff der italienischen Küstenwache „Gregoretti“. Dieses hatte im vergangenen Sommer 131 Migranten an Bord, durfte aber 5 Tage lang nicht in den sizilianischen Hafen von Augusta einlaufen, weil Salvini zuerst die Übernahme der Geretteten seitens der EU-Staaten erzwingen wollte. Die Immunitätskommission des Senats hat gestern für die Aufhebung seiner Immunität gestimmt. Sollte am 17. Februar auch die Mehrheit der Senatoren dafür stimmen, muss Salvini vor Gericht. 

Gleich nachdem die Migranten das Schiff verlassen hatten, hatte die Staatsanwaltschaft in Catania Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung eingeleitet, diese jedoch dann eingestellt und die Akte vor ein paar Monaten an das Ministergericht weitergeleitet. Bis zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um ein rein juristisches Vorgehen. Dagegen ist das Votum der Kommission, der Vertreter aller Parteien angehören, politisch motiviert – auch wenn die Zuständigen das bestreiten. 

Populistischer Opportunismus

Bis vor kurzem wehrte sich der Capitano gegen die Vorladung vor Gericht. Immer wieder wies er darauf hin, dass er zu jener Zeit die volle Unterstützung seiner Koalitionspartner gehabt hätte, allen voran die von Regierungschef Giuseppe Conte. Er habe also nicht im Alleingang gehandelt. 

Doch vor ein paar Tagen änderte Salvini plötzlich seine Meinung. Ohne auf die Entscheidung des Ausschusses zu warten, verkündete er am Sonntag bei einer Kundgebung, er wolle sich nun doch dem Verfahren stellen. Die Richter sollten sich aber schon jetzt nach einem „sehr großen Gerichtsaal umsehen, denn es wird ein Verfahren gegen das ganze italienische Volk sein“, und die Menschen würden diesem in Massen beiwohnen. Er habe nämlich „nur die Grenzen und die Ehre dieses Landes verteidigt“, und das würde er jederzeit wieder tun. Angst gehört nicht zu Salvinis Eigenschaften, die schürt er lieber. 

Die Ankündigung erwischte sowohl Freund wie Gegner kalt, der Grund des plötzlichen Sinneswandels war aber trotzdem schnell durchschaut. Am kommenden Sonntag finden in der oberitalienischen Region Emilia-Romagna und im süditalienischen Kalabrien Wahlen statt. Salvini will beide gewinnen, besonders wichtig ist ihm aber der Sieg in der Emilia-Romagna, wo sich die zwei Kandidaten, der scheidende und wieder zur Wahl antretende linksdemokratische Gouverneur Stefano Bonaccini und die von der Lega unterstützte Kandidatin Lucia Borgonzoni gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Den Sozialdemokraten ihre historische Hochburg wegzuschnappen, wäre für Salvini eine unbeschreibliche Genugtuung. Außerdem würde ein Sieg des Rechtsnationalen Bündnisses in der Region Emilia-Romagna die Regierungskoalition in Rom unter starken Druck setzen. 

Ein Heiliger San Sebastian in Fleisch und Blut

Deswegen scheut er auch vor keiner Geschmacklosigkeit zurück. Wobei der Wolf im Schafsfeld zum typischen Repertoire dieser Politik gehöre, schreibt die Tageszeitung la Repubblica. Einen Tag hetzt er gegen die Migranten, Tag darauf stellt er sich als gläubiger und friedfertiger Katholik da, und wieder einen Tag später beschuldigt er seine politischen Gegner, ihn mundtot machen zu wollen. Und stellt es auch bildlich da: Auf der Tribüne hebt er die Arme und überkreuzt die Handgelenke, als hätte man ihm schon Handschellen angelegt. Ein Heiliger Sebastian aus Fleisch und Blut. „Aber keine Angst Freunde“ beruhigt er seine Gefolgschaft, „auch hinter Gittern werde ich weiter kämpfen.“ Die Inszenierung ist tadellos. 

Dass es gar nicht zum Prozess kommen muss und wenn doch, eine Gefängnisstrafe mehr als unwahrscheinlich ist, verschweigt Salvini natürlich und zaubert lieber die nächste Wunderwaffe hervor. Man wartete gestern Nachmittag noch gespannt auf den Beschluss des Immunitätsausschusses, da war schon die Website „Hungerstreik für Salvini“ ins Leben gerufen. Auf dieser steht neben dem Konterfei des Capitano in betender Pose: „Nur weil er das Vaterland verteidigt hat, riskiert Matteo Salvini eine Gefängnisstrafe“. Dagegen solle jeder, der kann, mit einem eintägigen Hungerstreik protestieren. Ob Salvini die Märtyrerrolle wirklich zum ersehnten Sieg verhelfen wird, wird sich erst Sonntag zeigen. Er hat einen starken Gegner, von dem er aber nie spricht. Die Sardinenbewegung. Am vergangenen Sonntag strömten wieder 40.000 von ihnen zu einem Flashmob auf einem Platz in Bologna zusammen.

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Ernst-Günther Konrad | Di., 21. Januar 2020 - 17:37

das habe ich nicht erst seit diesem Artikel über ihn verstanden Frau AFFATICATI.
Sollte er in seiner Amtszeit gegen Gesetze verstoßen haben, mag dies ein italienisches Gericht beurteilen. Bis dahin gilt doch auch in Italien die Unschuldsvermutung. Denn auch dort gilt der Art. 6 EMRK.
Erst machen Sie einen rießigen Afriss, erzeugen den Eindruck, was S. mit seiner Entscheidung angeblich unrechtmäßig getan hat und am Ende ihres Artikels rudern Sie kräftig zurück und schätzen selbst es so ein, dass ihn wohl kein Gefängnia droht. Wofür sollte er auch ins Gefängnis? Ein ehem. Innenmnister wendet Recht und Gesetz an, beraten von eigenen Juristen und im Einklang mit seinen politischen Partnern. Anderen gefällt das nicht und nun soll er ins Gefängnis?
Uih, da müsste in Deutschland aber ein besonders großes Gefängnis gebaut werden für den ein- oder anderen deutschen Politiker, der im Amt so manche falsche Entscheidung getroffen hat, ja sie sogar wiederholt hat, nur um sein Amt zu retten.

Nein Frau Affaticati, dies ist eine persönliche Abneigung ihrerseits gegenüber M. Salvini. Dies hat auch Herr Konrad direkt im 1. Satz seines Kommentars erkannt. Was soll denn der Hinweis auf seine T-Shirts? Soll er welche tragen mit der Aufschrift: "Fuck the Cops" oder "Fanculo i poliziotti"?
Wer hat denn Italien (vor Herbst 2015) jegliche Hilfe in Bezug auf "Flüchtlinge" verwehrt? Es war Frau Merkel! Ich finde es Legitim von M. Salvini zu klären, welche Staaten der EU die "Flüchtlinge" denn gerne aufnehmen möchten!
Wie kann man Klage erheben wegen Freiheitsberaubung? Ist die "Flucht" nicht der Grund für Freiheit in der EU?
Darf ein "gläubiger und friedfertiger Katholik" nicht Vorbehalte gegen Migranten haben?
Und zu Flashmob: Ist ja wohl keine Kunst, im Zeitalter der (A-) Sozialen Netzwerke einen (Mob) zusammenzurufen! Thema zweitrangig. Hauptsache dabei und dann auch noch gegen Rechts-"da simmer dabei viva Colonia".
Vorschlag: "Der Capitano, mein liebster Feind"
Salute

Klaus Funke | Di., 21. Januar 2020 - 18:01

Für mich ist Salvini ein genialer Politiker. Und die Italiener lieben ihn. Das wird von unserer Presse nicht real widergespiegelt. Er wird die Wahlen gewinnen und er wird italienischer Premier. Das scheint mir sonnenklar. Natürlich schäumen die Eu-Bürokraten und die Merkel-Clique. Auch der Verräter Conte und die Spaßvögel von der 5-Sterne-Bewegung werden sich Sorgen machen müssen. Salvini ist eine Art altrömischer Volkstribun. Wenn ich könnte, würde ich ihn wählen. Trotz allem ist er über Italiens Grenzen hinaus ein Hoffnungsträger für diejenigen, die vom Merkel - und vdL-Europa die Nase voll haben. Er könnte den Anfang vom Ende des derzeitigen EU-Europas einläuten... buona furtuna, Matteo!

Eckart Härter | Di., 21. Januar 2020 - 18:53

Bei einem Italiener sollte man theatralische Auftritte nicht so streng bewerten, es ist ihre Natur. Es geht vielmehr darum, was er getan hat. Er hat die unglaubliche Farce, die sich seit langem auf dem Mittelmeer abspielt, als solche entlarvt: Menschen werden in seeuntüchtigen Gummibooten aufs Meer hinaus geschickt, wo sie von Schiffen der sog. NGOs erwartet werden, um unter Hinweis auf den Notstand die Aufnahme in Europa zu erzwingen. Ob man Herrn Salvini sympathisch findet oder nicht, spielt keine Rolle. Aber er war wenigstens ehrlich, während die Mitarbeiter einer schwerreichen Schlepper-Industrie auf der Schmierenbühne der Medien die Rolle der Retter spielen, um kalkulierte Ströme von Tränen zu erzeugen. Will man die "Seenot" der Migranten verhindern, muss man das Aussetzen der Boote verbieten und die Ursachen der Migration beseitigen. Die Chinesen zeigen schon lange wie das geht, und das schafft Arbeitsplätz in Afrika. Die Schlepper allerdings müssen sich neue Jobs suchen.

... nämlich einen Innenminister von ähnlichem Schrott & Korn ... und nicht gestern so und heute ganz anders!
Man sollte das Framing endlich beenden und nicht von Flüchtlingen in Seenot sprechen, sondern von dem, was es wirklich ist: Asylsuchende (...aus welchen Gründen auch immer), die von Schleppern auf Boote gesetzt werden, die den Namen nicht verdienen, sich selbst aber eine goldene Nase, von der ein Durchschnittsverdiener in Deutschland nur träumen kann - nicht zuletzt aufgrund der immensen Ausgaben durch die Aufnahme von sog. "Flüchtlingen" (s.o.)

Karsten Paulsen | Mi., 22. Januar 2020 - 09:08

Man kann es dem Mann doch nicht verdenken, daß er strategisch auf die Winkelzüge seiner politischen Gegner reagiert.

Armin Latell | Mi., 22. Januar 2020 - 09:15

wie er von deutschen Meinungs- und Haltungsjournalisten der MSM nicht „besser“ und eindeutiger hätte geschrieben werden können. Man muss nur Salvini durch Gauland, Meuthen, Weidel, im internationalen Bereich durch Orban, Bolsonaro oder Trump ersetzen. Die Frage ist doch, wer hat warum mit dieser Farce angefangen? Es geht ausschließlich um die Beschädigung eines starken politischen Gegners. Die Nerven liegen blank, und das ist auch gut so. Jede populistische Reaktion auf hanebüchene politische Agitation ist natürlich geschmackloses Märtyrertum. Typische Argumentation derer, die selbstredend auf der richtigen Seite stehen. Warten wir ab, welchen Einfluss die Sardinenbewegung wirklich hat. Ich vermute, sie wird in ihrer Büchse bleiben.

Gerhard Lenz | Mi., 22. Januar 2020 - 11:56

Antwort auf von Armin Latell

...um sich beim Gemeinen Wutbürger beliebt zu machen. Ein wenig martialisches Auftreten gegen die, die sich am wenigsten wehren können (Flüchtlinge), ein wenig Geschwätz von Vaterland und Tradition, dazu, wie Salvini, sich in der Badehose unter's Volk mischen und den Bürgernahen mimen - und fertig ist der Held des Volkes. Salvini ist vermutlich kein Deut besser als ein Strache - deswegen sollte er dahin gehen, wo der Pfeffer wächst - nur will man ihn dort vermutlich gar nicht haben.
Immerhin scheinen die Italiener aufzuwachen, und gehen vermehrt gegen Blender wie ihn auf die Strasse.

es sind zu wenige Beiträge an denen sich der Gemeine R2G-Mitläufer erfreuen kann. Aber dafür gibt es ja den Mainstream!

...Herr Lenz, da irren Sie sich aber gewaltig.

man kann einige der AfD Politiker wirklich als ziemliche Blender u. Pfeifen bezeichnen, aber auf den Ex-IM Salvini trifft das nicht zu, denn der HAT in der Tat viele illegale Migranten daran gehindert in sein Land einzureisen.

Und er HAT es den NGO-Shuttelschiffen erschwert sein Land mit weiteren "Goldstücken" zu beschenken.
Für uns ist das auch gut gewesen, da die meisten Migranten Italien nur durchreist haben u. fast alle bei uns in D gelandet sind.

gabriele bondzio | Mi., 22. Januar 2020 - 11:04

sehr schnelllebig im Auf -und- Absteigen. Das kann man auch an der Fünf-Sterne-Bewegung festmachen. Der mehr als sechs Millionen Wähler binnen 14 Monaten davongelaufen sind. Und den der Koalitionswechsel (mit den Sozialdemokraten) noch beschleunigt hat. Mal schauen, wie lange die Sardinenbewegung Menschen auf die Straße zieht.
Populistischer Opportunismus ist in jetziger Zeit das Geschäft fast aller Politiker und Partein, auch hier zu Lande. Anpassung an die jeweilige Lage aus Nützlichkeitserwägungen bzw. Machterhaltung sind nicht auf Herrn Salvini zugeschnitten und allein zutreffend. Da brauchen Sie (Frau Affaticati) derzeit nur nach Thüringen zu schauen. Da werden viele Schauspieler blass vor Neid, auf die Bandbreite der Wandlungsfähigkeit.

Walter Ranft | Mi., 22. Januar 2020 - 12:26

Bei diesem Artikel hätte ich gerne einmal einen Button "Daumen runter - gefällt mir n i c h t" gedrückt. Aber es gibt ihn nicht. Warum eigentlich nicht?

Dieter Würfel | Mi., 22. Januar 2020 - 18:08

von der Sorte Salvini's! Jemand, der Rückgrat und Durchhaltevermögen an den Tag legt und sich nicht von den Gutmenschen, die offenbar nicht wahrhaben wollen, wie die Realität aussieht und wie "Seerettung" eigentlich wirklich aussieht, weichklopfen lassen. Das hat nichts mit H.C. Strache oder anderen Zeitgenossen zu tun, sondern mit nüchternem und sachlichem Realitätssinn. Wer Schiffe Richtung libysche Küste sendet, um dort Menschen aufzulesen, die sich auf einen Weg gemacht haben, dessen Risiken ihnen bekannt sein müssen, der praktiziert keine echte "Rettung"; schon gar nicht, wenn er diese Menschen nicht dahin zurückbringt, wo sie her kommen, sondern sie den weitaus weiteren Weg Richtung Europa transportiert. Das hat mit einer eigentlichen Rettung nichts mehr zu tun. Würde so etwas vor der italienischen Grenze geschen, wäre klar, dass man die Menschen nach Italien bringt. Aber so ist der Sachverhalt eben nicht. Ich hoffe, dass es Salvini gelingt, wieder maßgeblich Politik zu machen!

Rob Schuberth | Mi., 22. Januar 2020 - 20:11

NEIN Frau AFFaticati,

so wie Sie Herrn Salvini darstellen, so war u. ist er nicht!

Es ist nur so, und das ist ja auch schon anderen Kommentatoren aufgefallen, Sie diesen Politiker (sicher ob seiner restriktiven Haltung i. S. illegaler Migration) nicht mögen.

Mit Ihrem subjektiven Artikel bestätigen Sie übrigens all Jene die den Medien (Ausnahme Cicero) genau diesen Vorwurf (der einseitigen Berichterstattung) machen...daher dankeschön für diese Blöße u. danke auch an den Cicero.