Emmanuel Macron und Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel, Oktober 2019
Zwei, die in herzlicher Abneigung verbunden sind: Viktor Orban und Emmanuel Macron / picture alliance

Emmanuel Macron und Viktor Orbán - Bestens befreundete Feinde

Europa ist dabei, sich neu zu sortieren. In diesem Zuge haben sich zwei Regierungschefs angenähert, die bislang völlig gegensätzliche Ziele verfolgten. Gelingt es Victor Orbán und Emmanuel Macron, die EU fit zu machen für die Zukunft?

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Was sind Frenemies? In einem interessanten Beitrag auf bloomberg.com greifen Zoltan Simon und Helene Fouquet diesen Begriff auf, um als künftige Achse der Europäischen Union eine ganz unwahrscheinliche politische Beziehung zu kennzeichnen – jene zwischen dem französischen Staatspräsidenten und dem ungarischen Ministerpräsidenten.

Ausgerechnet, mag man da ausrufen, ausgerechnet Macron und Orbán, mon Dieu! Für diesen Ausruf gibt es gute Gründe, zunächst. Orbán gefiel sich bisher in der Rolle eines inoffiziellen Chefkritikers der EU, besonders auf dem Feld der Migrationspolitik. Macron wiederum nannte sich ausdrücklich einen Gegner illiberaler Bewegungen, wie sie Salvini in Italien und Orbán in Ungarn vorantrieben. Simon/Fouquet weisen darauf hin.

Angela Merkel sitzt nur noch auf der Rückbank  

Heute jedoch trete das Verbindende in den Vordergrund, ihrer beider Wille etwa zur, wie es modisch heißt, Disruption. Die Politiker wüssten, dass die EU grundlegend reformiert werden müsse, wolle sich Europa gegenüber den Vereinigten Staaten, Russland und China behaupten. Indikator für die neue Nähe: Mehr als zwei Stunden statt der anberaumten einen Stunde redeten Macron und Orbán im Oktober im Élysée-Palast miteinander. Hinter den Kulissen hätten beide auch gemeinsam durchgesetzt, dass die Staats- und Regierungschefs und nicht das EU-Parlament über den Vorsitz der EU-Kommission entscheiden.

Macron sei von seiner harschen Rhetorik in Richtung der Visegrad-Staaten abgekehrt. Beide hätten in ihrer politischen Karriere gezeigt, dass sie über ein Gespür für die politische Situation verfügen. So könnten sie sich in Zukunft trotz unterschiedlicher Ansichten in Detailfragen verbünden, um Europa fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Generell, schreiben Simon/Fouqet, würden die Machtverhältnisse in der EU gerade neu geordnet. Die deutsche Bundeskanzlerin spiele dabei keine Rolle. Angela Merkel sitze nur noch auf dem „Rücksitz“.

Macron und Orbán könnten also – dieser Begriff fällt freilich nicht – die entscheidenden Game Changer der EU sein, die zwei Frenemies. Was vielleicht mit „bestens befreundeten Feinden“ zu übersetzen wäre.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Tomas Poth | Mi., 8. Januar 2020 - 15:51

Raus aus dem Kanzleramt mit ihr, damit wir wieder politisch handlungsfähig werden.
AKK muss sich trauen sonst ist sie nicht für das Amt geeignet! Mit dem Merkel-Kuschelkurs diskreditiert sie ihre Befähigung.

Außenpolitisch spielt DE immer weniger eine Rolle. Außer Empörung, Entrüstung, Ausgrenzung und dem üblichen moralischen Gedöns kommt da nichts mehr. Merkel dämmert wohl, dass sie womöglich noch nicht einmal mehr auf dem Rücksitz mitfahren darf, sondern nur noch als lästiger Anhänger, bremsender mitgeschleppt wird. Dann so empfinde ich es: Sie schleppt sich durch diese ihre hoffentlich letzte Kanzlerschaft.

Liebe Redaktion: heute ist mir zu viel AfD im Programm. So wichtig ist die Partei nun wieder nicht. Mal auf die FDP gucken vielleicht?

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 9. Januar 2020 - 09:42

Antwort auf von Michaela Diederichs

Frau Diederichs.
Irgendetwas Wichtiges fehlte seit geraumer Zeit.
Was war mit dem 3 Königstreffen?

Werner Peters | Mi., 8. Januar 2020 - 16:01

Nein, diese unglückliche Frau, ist de facto so was weg vom Fenster in der Europäischen Politik, dass man sich nur noch freuen kann. Insbesondere was die Rolle Macrons betrifft. Vive La France.

Christa Wallau | Mi., 8. Januar 2020 - 16:37

während Deutschland ja auch ganz o h n e Mitsprache die Melkkuh bleibt, welche für fast alle in der europäischen Familie die nötige tägliche Milchportion liefert.
Jetzt, da die Briten ihren Beitrag nicht mehr zahlen müssen, wird die Kuh eben noch ein bißchen
mehr ausgemolken.
So einfach ist das.
Deutschland wird es einst so gehen wie dem wackeren Pferd Boxer, das sich in seinem naiven
Glauben an die aufrüttelnden Worte der
raffinierten Schweine für eine bessere, gerechtere
Tierwelt zu Tode schuftet und zum Dank dafür
beim Abdecker landet.

Maja Schneider | Mi., 8. Januar 2020 - 16:50

Ein äußerst interessanter Beitrag, dessen Inhalt man nicht unbedingt vermuten, teilweise aber vielleicht erhoffen konnte,scheinen sich hier vielleicht zwei Pragmatiker zusammen zu finden - wenn die geneigten "Leitmedien" es denn zulassen - die möglicherweise den im Stillstand befindlichen EU-Karren wieder etwas flotter machen könnten. Orban wurde m. E. zu Unrecht eine EU-feindliche Haltung unterstellt, er hat nur immer wieder angemahnt, dass mit den so zentralistisch orientierten EU- Granden und ihrem Ziel die Nationalstaaten zu entmachten sowie ihren Entscheidungen in Hinterzimmern kein Staat zu machen ist. Eine Neuaufstellung wäre vonnöten. Sollten sich die beiden in politischer Sicht wirklich näher kommen, ist das sicher zu begrüßen.

Romuald Veselic | Mi., 8. Januar 2020 - 16:53

die alte, weiße Frau auf dem Rücksitz weilt.
Die Schnapsideen Made in GROKO werden auf die geschichtliche Öko-Müllhalde hingeworfen.
Bravo!

Bernd Muhlack | Mi., 8. Januar 2020 - 18:34

Au contraire Monsieur Kisslère!

Macron ist ein Verfechter eines europäischen Bundesstaates, welcher von Deutschland finanziert wird.
Orban wird dem niemals zustimmen! Und die anderen Visegrad-Staaten ebenfalls nicht!

Die beiden haben sich wohl eher darüber unterhalten, wie man der anstehenden deutschen Ratspräsidentschaft konstruktiv ein Bein stellen kann!
Okay, wir stimmen zu und hier sind unsere Kontonummern!

Gutes neues Jahr Herr Kissler!

Susanne Dorn | Do., 9. Januar 2020 - 01:34

…aus der „Politik“, wurde sehr bewußt gewählt! Die verbleibenden knapp 2 Jahre reichen ihr, um dieses Land vollends zu ruinieren. Dazu ist keine Innenpolitik und schon gar keine EU notwendig! Und, ohne Gegenwehr des noch immer „schlafenden" Michel, wird es Merkel auch gelingen…

Wolfgang Tröbner | Do., 9. Januar 2020 - 09:22

Wer hätte gedacht, dass sich Orban, der in den Augen einiger hiesiger Medien immer nur als der personifizierte Anti-Europäer galt, mit Macron zusammenspannt, um die EU zu retten? Und zwar ohne Merkel, die selbsternannte Europäerin, vorher um Rat zu fragen. Es scheint sich langsam in der EU herumgesprochen zu haben, dass die Politik Merkels zu den gravierenden Problemen innerhalb der EU beigetragen hat, möglicherweise sogar verursacht hat. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Merkel auf den Platz verwiesen wird, der ihr in Wahrheit zusteht - ganz weit hinten. Und man darf bei allem nicht vergessen: Mit ihrer fehlgeleiteten Politik hat sie nicht nur erheblich zur Schwächung der EU beigetragen, sondern auch Deutschland an den Abgrund geführt. Es wird Zeit, dass sie verschwindet. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass Orban nun in einem ganz anderen Licht gesehen wird. Aus meiner Sicht war seine Politik immer auf die Stärkung der EU gerichtet.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 9. Januar 2020 - 10:02

die sogenannten "Alleingänge" Merkels in der EU vielleicht verständlich, aber nicht begrüßenswert.
Ich bin gegen mehr Zentralismus in der EU.
Wenn nun aber parlamentarische Gepflogenheiten nicht funktionieren?
Dann erst recht nicht noch mehr Zentralismus.
Aber vielleicht ist es ganz etwas anderes, fast Gegenteiliges?
Etwas anderes und so würden es ja auch die meisten in Bezug auf Deutschland sehen, etwas anderes ist die Möglichkeit Initiativen zu ergreifen.
Dann aber nur mit Duldung des Parlamentes und der Kommission.
Ich halte fast bilaterale Annäherung in diesem Fall für wahrscheinlicher.
Man rüstet sich für die Ratspräsidentschaft Deutschlands?
Herr Knaus meldet sich zu Wort, der Sommer steht vor der Tür, Frau Merkel hält sich bedeckt?
Da sollten aber vielleicht ein paar Länder mehr zusammentreffen?
Selbst als 5. Rad am Wagen darf man Frau Merkel/Deutschland nicht unterschätzen.
Mit wem traf denn die Bundeskanzlerin sich, welche Treffen sind noch geplant?

gabriele bondzio | Do., 9. Januar 2020 - 11:14

Diese neue Wortschöpfung ist eine Ausdruck wie es um die EU realistisch steht.
Macron hätte allerdings erst mal im eigenen Land voll auf zu tun. Zumal Macrons Worte in vieler Hinsicht eine kurze Lebenserwartung haben. Und er bei mir oft den Eindruck hinterlässt, dass er mit seinen Vorschlägen eher Frankreich sanieren möchte.

Ernst-Günther Konrad | Do., 9. Januar 2020 - 11:48

Mir würde es gefallen, wenn die beiden die EU reformieren würden und wenn nicht gleich in allen, aber doch inwesentlichen Bereichen neue Weichen stellen könnten. Gegensätze ziehen sich an sagt der Volksmund. Verbales Säbelrasseln in der Vergangenheit, schließt einen solchen Weg, wie die beiden ihn jetzt gehen wollen nicht aus.
Sie sind ja nicht blöd und erkennen sehr wohl Merkels Schwächen.
Nur sollte niemand Merkel unterschätzen. Sie hat einen guten Zahnarzt und ihr Gebiss scheint noch ordentlich zubeißen zu können. Sie hat bald die Ratpäsidentschaft und ist Meisterin der bunten Illuminationen. Vor allem hat sie aber Geld, unser Geld und nicht wenige in der Eu wollen und brauchen es. Da gibt es schnell einige Quertreiber, die nur des Geldes wegen gute Ansätze der beiden "Frenemies" torpedieren werden oder anderer stelle ihre nationalen Interessen druchgesetzt sehen wollen. Also, nicht zu früh freuen, sondern abwarten und Tee trinken. Man kann auch von der Rückbank dirigieren.