iran-proteste-krise-naher-osten-oel
Hassan Ruhani, Präsident von Iran / picture alliance

Iran - Am Kippen

Im Iran sind die Menschen gegen eine Erhöhung des Benzinpreises auf die Straße gegangen. Aber der eigentliche Grund für die Tumulte ist komplizierter. Es geht um die Macht des Regimes

Portrait von Wilfried Buchta

Autoreninfo

Wilfried Buchta ist promovierter Islamwissenschaftler. Von 2005 bis 2011 arbeitete er in Bagdad als politischer Analyst (Senior Political Affairs Officer) für die UNO-Mission im Irak. Als Zeitzeuge hat der ausgewiesene Kenner der Region und ihrer Geschichte die politischen Ereignisse, die zum Erstarken des »Islamischen Staates« geführt haben, täglich hautnah miterlebt. Sein neuestes Buch heißt „Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt“ (Hanser Berlin).

So erreichen Sie Wilfried Buchta:

Binnen weniger Stunden war es überall im Land zu zunächst friedlichen Protesten gekommen, die jedoch schnell in gewaltsame Unruhen umschlugen. Der Anlass: Am 15. November hatte Irans Hoher Wirtschaftskoordinationsrat (bestehend aus Präsident Hassan Rohani, Judikativchef Ebrahim Raisi und Parlamentspräsident Ali Laridschani) eine Erhöhung der Benzinpreise verkündet. Als sich sieben Tage später die Lawine landesweiter Unruhen ihrem Ende neigte, sollen sich nach Angaben des Innenministeriums insgesamt mehr als 200 000 Iranerinnen und Iraner daran beteiligt haben, und zwar in mehr als 150 Städten fast aller Provinzen des Landes. Diese Zahl dürfte allerdings stark untertrieben gewesen sein.

Dass sich die iranische Regierung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt an das heiße Eisen einer Benzinpreis­erhöhung gewagte hatte, da die Wirtschaft des Landes durch die US-Sanktionen und eigenes Missmanagement massiv geschrumpft war, ist erstaunlich. Denn um das Kernversprechen der Iranischen Revolution von 1979, nämlich soziale Gerechtigkeit, einzuhalten und das Wohlverhalten von Millionen mit dem Regime hadernder Iraner sicherzustellen, verwendet Teherans Regierung seit den achtziger Jahren bis zu 40 Prozent des Staatshaushalts für Subventionen. Diese fließen in Grundnahrungsmittel, Dienstleistungen, Heizöl – und eben Benzin. Wegen des durch die Subventionen niedrig gehaltenen Benzinpreises waren große Mengen Kraftstoff in die Nachbarländer geschmuggelt worden, und der Benzinverbrauch im Inland hatte permanent zugenommen. Aus Angst vor Sozialunruhen waren deshalb alle iranischen Regierungen bisher davor zurückgeschreckt, den Benzinpreis drastisch und dauerhaft zu erhöhen.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Tonicek Schwamberger | Do., 2. Januar 2020 - 08:52

... der mir die Situation im Iran wesentlich näher und erklärbar machte. Haben Sie vielen Dank dafür.- Da dieses land für mich noch weitestgehend ein unbeschriebenes Land darstellt, habe ich jetzt ein großes Interesse bekommen, den Iran baldigst zu besuchen, um die Situation näher kennenzulernen.
Nochmals vielen dank!

Christa Wallau | Do., 2. Januar 2020 - 10:45

und zwar in einem Ausmaß, von dem wir uns kaum eine Vorstellung machen können.
Im Iran dürfte sich nach mehr als 40 Jahren wieder einmal entscheiden, wie die Karten in der Region neu gemischt werden.
In dieser Lage ist es beruhigend zu wissen, daß Trump kein Freund von militärischen Interventionen ist. Er hat seinen Wählern versprochen, daß die USA sich stärker auf ihr eigenes Wohl konzentrieren als auf alle anderen Vorgänge in der Welt, und er muß sein Wort halten, wenn er wiedergewählt werden will. Gerade jetzt, da er angeschlagen ist, kommt es auf ihn (bzw. seine nächsten Berater) an, sich den Amerikanern als ein starker, aber bedächtiger Präsident zu verkaufen.
Die Sanktionen gegen den Iran zu lockern, wäre das Mittel der Wahl, um Druck aus dem Kessel zu nehmen.
Es sei denn, man setzt in Washington alle Hoffnung auf das iranische Volk, das eine neue Revolution beginnt und sie - u. a. mit amerik. Hilfe - erfolgreich durchführt.

Es ist ein düsterer Start ins neue Jahrzehnt.

"...beruhigend zu wissen, daß Trump kein Freund von militärischen Interventionen ist."

Wenn die Situation am Golf gestern nicht endültig eskaliert und nicht so ernst wäre, könnte man über Ihre Einschätzung lachen.
FOX News et al arbeiten bereits an einer neuen Erzählung, derzufolge Trump nun das macht, was Obama sich nicht getraut hat. Ich sehe schon die Bilder vor mir: Trump in Fliegerjacke und roter MAGA-Cap auf einem Flugzeugträger. Seine Fans, die ihn dafür feierten, die Truppen aus Syrien, Irak und Afghanistan heimgeholt zu haben, was er natürlich NICHT getan hat, werden ihn nun feiern als den größten Strategen seit Patton.
Eine durch und durch desaströse Präsidentschaft!

Andre Berger | Sa., 4. Januar 2020 - 23:41

Nun ja, zumindest geht Trump stringent gegen den Hegemonieanspruch der iranischen Hardliner vor, die die Macht der iranischen islamistischen Revolution überall im Nahen Osten mit Krieg und Gewalt projezieren möchten. Dabei nimmt das Regime in Teheran selbst den gleichzeitigen Konflikt mit Saudi Arabien, Israel und den USA in Kauf. Mehr Nachweis für den Größenwahn dieser Junta benötige ich nicht.

Das Atomabkommen war das Papier nicht wert, auf dem es stand. Zum Glück hat Trump es annuliert.

Zum anderen freue ich mich, dass sie Herrn Buchta für Beiträge zum Cicero gewinnen konnten. Ich schätze sein überaus fundiertes Wissen schon seit vielen Jahren.