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Autos versperren in den Städten die Gesamtsicht auf Häsuer

Der Flaneur - Vom Untergang des Automobils und fast auch des Abendlands

Städte auf der ganzen Welt ähneln sich in einer Sache: Autoverkehr. Parkende und sich bewegende Fahrzeuge bevölkern die Straßen dieser Welt und nehmen die Sicht. Dabei dient das Auto längst nicht mehr der Bewegung

Stefan aus dem Siepen

Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

So erreichen Sie Stefan aus dem Siepen:

Die Universität Berkeley in Kalifornien ist stolz auf ihre zahlreichen Nobelpreisträger. Dem Besucher zeigt sich dies an einem markanten Detail: Vor den Institutsgebäuden gibt es reservierte Parkplätze für die Laureaten. Ein höheres Privileg hält die Autowelt nicht bereit, größere Anerkennung kann eine Forschungsstätte ihren Besten nicht erweisen. Ruhm und Ehre, schön und gut – doch nichts geht über einen Parkplatz. Wie mag man sich fühlen, wenn man seinen Wagen dort abstellt? Man wird ehrfürchtig bestaunt als Nobelpreisträger, aber mehr noch beneidet als Parkplatzinhaber.

Letztens wurde in Potsdam ein Film gedreht. Zu diesem Zweck räumte man die Hermann-Elflein-Straße, eine der schönsten der Altstadt, von sämtlichen parkenden Autos frei – und plötzlich sah sie aus wie im Film. Ohne die Mauer aus buntscheckigen Blechkisten war die Linie der Straße wieder zu erkennen, und die Häuser waren nicht mehr ihres Parterres beraubt. Dass ein Haus am Boden beginnt, die Fassade als Ganzes wirken soll, gehört zu den Selbstverständlichkeiten, die in der Moderne ihre Geltung verloren haben. Der parkende Mensch korrigiert die Architektur, greift in die Kunstgeschichte ein: Das Zeitalter des Individualverkehrs ist auch das der Eliminierung des Parterres. Wer hat das so verfügt?

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Christa Wallau | Di., 31. Dezember 2019 - 13:00

N O C H sind weder das Abendland noch das Automobil untergegangen.
Aber es wird sehr fleißig auf dieses Ziel hin gearbeitet, lieber Herr AUS DEM SIEPEN.
Ob Spengler nicht schließlich doch recht behält mit seinen Prognosen, das wird sich zeigen.
Warten wir's ab.

In zwanzig Jahren düften Deutschland und viele andere europäische Länder ganz anders aussehen als heute. Die Bevölkerungsstruktur wird sich auf jeden Fall komplett verändert haben.
Und die "Nicht-Bewegung" wird ebenfalls zugenommen haben; denn in der digitalen, virtuellen Welt "bewegt" man sich nur noch, indem man - auf dem Stuhl sitzend - Tastaturen bedient.
Das Automobil baucht man für die Berufswelt jedenfalls immer weniger.

dieter schimanek | Di., 31. Dezember 2019 - 14:08

Oder ich habe keinen Job mehr!
Es ist immer die selbe Leier von denen die ein Auto nicht brauchen.
Home Büro ist die Zukunft hört man immer wieder?
Ärzte u. Krankenschwestern nehmen ihre Patienten mit nach Hause und operieren dort. Der Maschinenbauer nimmt seinen 4 x 4 m Roboter mit ins traute Heim. Wenn er ihn anschaltet, gehen in der ganzen Strasse die Lichter aus.
Zig Millionen solcher Beispiele und dann so einen Blödsinn zu erzählen.

Ellen wolff | Di., 31. Dezember 2019 - 16:46

Und wir leben alle in der Stadt, und die Erde ist eine Scheibe ;) oder was? Mag ja sein, dass Stadtbewohner sehr gut ohne Auto leben können, ohne auf irgend welchen Luxus zu verzichten. Auf dem Land sieht das anders aus.
Aus der Ferne betrachtet könnte es fast amüsant sein, wie übersättigte Menschen sich gegenseitig das eine oder andere madig machen wollen, ohne selbst auf ihren eigenen Luxus verzichten zu wollen.

Jürgen Keil | Mi., 1. Januar 2020 - 10:24

Dieter Nuhr hat recht. Man muss es den Städtern doch immer mal wieder sagen: Es leben tatsächlich auch Menschen auf dem Lande, sogar ca. 2/3 des Volkes. Dies hat der flanierende Autor, vermutlich ein Städter, bei seiner Betrachtung nicht mit einbezogen. Deshalb eine kleine Ergänzung für Städter: Ladenzeilen sind im ländlichen Bereich eher selten anzutreffen, und die Sicht auf das Paterre der Einfamilienhäuser wird eher durch Hecken und Zäune beeinträchtigt. Der Städter, insbesondere der Grüne haben eher selten direkten Kontakt zum gemeinen Landbewohner. Gelegentlich nur dann, wenn er nach Standorten für Windkraftanlagen sucht, gegen Massentierhaltung vor Ort demonstriert, oder Urlaub macht. Auf dem Land sind Busverbindungen und Staus eher selten, U- Bahnen gibt es gar keine. Das Auto ist für den Weg zur Arbeit und den Einkauf im Supermarkt lebensnotwendig. Wenn Ihr nicht aufhört, am Auto herum zu sägen, bauen wir wieder Stadtmauern, die Tore nur von außen schließbar. :-)

Norbert Heyer | Do., 2. Januar 2020 - 09:19

Wer in Berlin, Hamburg oder München wohnt, braucht für einen Einkaufsbummel in der Innenstadt kein Auto. Geht es aber um den Einkauf von Lebensmittel, Getränke und Gartenbedarf sieht es schon ganz anders aus. Das Auto ermöglicht auch alten und kranken Menschen den leichteren Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen. Muss der Berliner aber mal nach Neubrandenburg oder Werder, wird er in jedem Fall das Auto bevorzugen. Wer nicht gerne auf zugigen Bahnsteigen auf seinen verspäteten Anschluss warten will, wer während Fahrten in der Dunkelheit keine kulturelle Bereicherung sucht und sich in alten, schmutzigen und
abgeschriebenen Zügen nicht wohlfühlt, benutzt dann doch liebend gerne sein eigenes Auto. Zur Beruhigung des schlechten Gewissens am besten ein E-Fahrzeug. Trotzdem wird weiterhin fleißig auf eine Verkehrsreduzierung hingearbeitet. Klimabepreisung, höhere Kfz.-Steuer, Maut, Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen werden den Deutschen schon das individuelle Autofahren verleiden