05.11.2018, Berlin: Alexander Gauland, Sprecher der Partei Alternative für Deutschland (AfD), ist während seiner Rede bei einer Pressekonferenz zum Thema "Die AfD, der Verfassungsschutz und die Meinungsfreiheit in Deutschland" im Okular einer TV-Kamera zu sehen
Im Fokus der Kritik: Sind rechte Positionen wie von der AfD noch zitiertfähig? / picture alliance

Internetportal „Buzzard“ - Wie weit geht die Meinungsfreiheit?

Meinungsvielfalt statt Echokammer: Das Startup „Buzzard“ präsentiert zu aktuellen Themen widerstreitende Meinungen, darunter auch radikale Positionen. Was mit dem Erfolg eines Crowdfunding startetet, endete in einem Shitstorm. Protest kam ausgerechnet von linken Journalisten

Michael Haller

Autoreninfo

Michael Haller, Jahrgang 1945, war bis 2010 Professor für Journalistik an der Universität Leipzig. Zuvor hat er viele Jahre Erfahrungen als Redakteur bei Printmedien gesammelt, darunter beim Spiegel und bei der Zeit. Unter Hallers Leitung entstand unlängst die viel beachtete Studie „Die ,Flüchtlingskrise‘ in den Medien“ im Auftrag der Otto-­Brenner-Stiftung

Foto: Kreuzkam/HMS

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Dieser Text von Michael Haller erschien zuerst auf der Webseite des „netzwerk medienethik“

Lieber mit Gleichgesinnten kommunizieren und Andersdenkende möglichst ignorieren: Dieser in verschiedenen Studien nachgewiesene Trend schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, verhärtet die Meinungsfronten und stärkt extremistisch eingestellten Gruppen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums.

Was kann man dagegen tun?

Zwei Studenten kamen vor drei Jahren auf die Idee, eine Plattform einzurichten, die zu kontrovers bewerteten Ereignisthemen unterschiedliche Positionen und Meinungen präsentiert. Ihr Motto: „Informiere dich breit und divers zu aktuellen Themen“. Die beiden nannten ihre Initiative „the buzzard“ – auf deutsch: Bussard; es arbeitete mit Betriebsmitteln, die man Selbstausbeutung nennt. Immer wieder griffen sie aktuelle Kontroversen auf und scheuten sich auch nicht, globale Konfliktthemen anzureißen.

Aufklärung im Fortgang meinungsbildender Diskurse

Beispiel vom Juli 2018: „Sklaverei ist zwar überall auf der Welt verboten, aber nach wie vor weit verbreitet. Die UN schätzen, dass rund 40 Millionen Menschen weltweit als moderne Sklaven leben: Menschen, die für einen Hungerlohn zehn bis zwölf Stunden am Tag schuften müssen, kaum Rechte genießen und nicht fliehen können. Viele von ihnen schaffen Produkte und Lebensmittel, die wir in Deutschland zu Billigpreisen kaufen.“  Aufschlussreiche Beiträge zum Pro und Kontra dieser These wurden kuratiert, dazu Fakten und Hintergrund sowie Beiträge, die Auswege aufzeigen. Einige der benutzten Quellen: B5 (Bayerischer Rundfunk, Guardian, Die Welt, Deutschlandfunk, der Blog von Jamie Oliver, World Economic Forum, der linksgrüne Aktivist Steffen Vogel und der Brite Daniel Nowland, der Tipps gibt, wie man „ethisch korrekter einkaufen“ könne.

Dieses Beispiel steht für viele andere, die belegen, dass es der Buzzard-Gruppe nicht allein um Meinungsvielfalt, sondern auch um Bedingungen geht, unter denen ein menschenwürdiges Leben möglich wäre: ein Stück Aufklärung im Fortgang meinungsbildender Diskurse.

Wie verlässlich ist der Verfassungsschutz? 

Doch solche Unternehmen, wie sie Buzzard versucht, sind hoch riskant in einer Gesellschaft, in der linksliberale Universalisten und rechtskonservative Nationalisten um die Deutungshoheit kämpfen. In der Medienöffentlichkeit findet sich derzeit praktisch kein meinungsoffenes Diskursfeld, eher eine mit ideologischem Sprengstoff verminte Arena. Und da kann Leichtsinn plötzlich existenzgefährdend sein.

Für unsere Diskurs-Veranstalter sind Antworten auf folgende Fragen brenzlig: Kann man sich auf den Verfassungsschutz verlassen und Meinungen als „demokratieverträglich“ einstufen, solange sie nicht verboten sind? Darf man zum Beispiel eine linksextremistische Kapitalismuskritik präsentieren, die sich gegen die parlamentarische Demokratie richtet? Und auch eine rechtsradikale, deren Populismus rassistisch eingefärbt ist? Konkret: Was ist etwa mit dem „antifaschistischen Info-Portal“ indymedia.linksunten, auf dem zu Gewalt gegen Rechtsextreme ermuntert wird? Darf man auf der Gegenseite rassistische Fake-Produzenten wie journalismuswatch.com oder die hetzerischen PI-News einbeziehen? Sind alle Beiträge dieser Quellen tabu oder nur solche, deren Position gegen die Basiswerte des Grundgesetzes, insbesondere gegen Artikel 1 verstoßen?

Meinungsvielfalt um ihrer selbst willen

Es war, so mein Eindruck, ein hoffnungsfroher Diskursglaube der Buzzard-Macher, die anfangs ein möglichst breites Spektrum auffächern und auch extremistische Sichtweisen vorstellen wollten. So brachten sie unter vielen anderen auch Beiträge aus dem rechtsextremen Lager, die in der Tat zur Meinungsbildung nichts beitragen; es war eher Meinungsvielfalt um ihrer selbst willen.

Diese Experimente stammen aus der Probezeit von Buzzard. Man kann sie auch Lernphase nennen, soweit man am Aufbau einer diskursiven, das Meinungsspektrum erweiternden Plattform interessiert ist. Um nun nach Abschluss der Erprobungsphase genau diese aufzubauen, zogen die Buzzard-Macher eine Crowdfunding-Kampagne durch, die auch von unserem Netzwerk unterstützt wurde. Bald soll das neue Buzzard starten. Dabei wird es beraten von journalistischen Profis, die den Umgang mit prekären Quellen zeigen. Klingt ermutigend.

Regelrechter Schimpfrausch  

Es klang ermutigend. Denn am 11. Dezember twitterte Jasmin Schreiber alias LaVieVaganonde alias mc seeräuberbatman (Selbstbeschreibung: „Eigentlich bin ich Biologin, arbeite jedoch als Illustratorin, Texterin und Social Media Managerin. Oh – und Journalismus mache ich auch“) diesen Aufschrei:  „Waaah, hier sieht man übrigens gut, wieso ich @TheBuzzardOrg nicht nur für unglücklich konzipiert, sondern für unsere Demokratie gefährlich finde, auch wenn sie nach eigener Aussage die Demokratie stützen und ‚retten‘ wollen.“ Als Screenshot zeigte sie den seit dem 29. April 2017 zugänglichen Buzzard-Post über Marine LePen im Wahlkampf sowie der Textquelle „Politically Incorrect“ (also PI-News).

Hunderte Follower folgten der Empörten und steigerten sich mit Falschbehauptungen in einen regelechten Schimpfrausch. Die zuvor für Buzzard werbende Journalistin Annett Selle twitterte: „Ich ziehe meine Unterstützung von Buzzard zurück. Mir sehr wichtig: Ich habe kollegialen Vertrauensvorschuss gegeben & dachte, ich teile ein tolles Projekt mit euch – und euch nicht gut informiert. Sondern schlecht. Das tut mir am meisten leid. Verspreche, habe draus gelernt.“ Die Medienkritiker des Blogs Übermedien fassten wirksam nach: „Den Blick auf die Welt weiten – mit rechtsradikalen Blogs?“ Das war keine rhetorische, sondern eine polemische Frage.

Die Grenzen setzt das Grundgesetz

Jeder Diskurs setzt die Einsicht voraus, dass es Positionen gibt, die sich auf andere Sinnzusammenhänge stützen und vielleicht ähnlich gut begründet sind – und darum zur Überprüfung der eigenen Gründe zwingen. Von daher deute ich die Anti-Buzzard-Kampagne so, dass die Community der linksliberalen Universalisten die von Buzzard intendierte Pluralisierung abwehren, um die eigene Meinungshoheit abzusichern. Jene frühen Irrungen der Buzzard-Anfänger dienen als Rechtfertigung.

Was kann man dagegen tun?

Wenn es zutrifft, dass ein meinungsoffener Diskurs über Politik für die Akteure allzu riskant ist, dann sollte man den Buzzard-Machern raten, die Spielregeln ihres Diskursprojekts glasklar zu definieren und das Terrain so eng abzustecken, dass sich die Neugierigen dort unbeschadet bewegen können. Die von allen Beteiligten zu akzeptierenden Grenzen fallen zusammen mit dem Grundgesetz, dessen Alltag die Rechtsprechung prägt. Wer mehr wagt, dies zeigt dieser Fall, wird mit Diskriminierung rechnen müssen.

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Karsten Paulsen | Fr., 20. Dezember 2019 - 09:34

Danke für diesen Bericht, kanne ich bislang noch nicht. Zu den beschriebenen Vorgängen: Ich hätte aber auch anderes erwartet, Als ich noch linksradikal war (KBW) haben wir die Kommilitonen vom RCDS gegrüßt und nicht angepöbelt.

Dr. Stockinger | Fr., 20. Dezember 2019 - 21:20

Antwort auf von Karsten Paulsen

Sehr geehrter Herr Paulsen, als sogenannter 68iger "MAO"- orientiert konnte ich auf deutsch die "Pekinger Volkszeitung" lesen.

Mit "Studenten-Nebenjob" leistete ich mir ein gebrauchtes Klavier und einen echten Gipskopf drauf. Nachdem ich dann in der "Volks

zeitung" aus Peking las, dass der Bonner Ludwig van B. ein reaktionärer Kleinbürger sei, war bei mir Schluss mit Lustig!

Und wie ich wenige Jahre später erfuhr, hatten zwei angehende Ärztinnen aus dieser Verbindung namens "Rote Zelle Medizin" sich suizidiert.

Eine frühere "Gesundheitsministerin" (nicht als einzige) war ja auch mal Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) ...

... GRÜN-Links scheint jetzt, statt die "Weltrettung" via PROLETARIAT zu schaffen, das rassistische "Kauft nicht bei Juden!" umzuwandeln in "Steinigt Klima-Leugner!", weil eine Art "heilige Zopfbewegung" dabei ist, Petrus und Eisheilige für verkappte Meteologen zu nehmen ...

Dr. Stockinger | Fr., 20. Dezember 2019 - 21:42

Antwort auf von Karsten Paulsen

Sehr geehrter Herr Paulsen,

auf den "Posten" des Gesundheitsministeriums ist mittlerweile ein Herr Jens Spahn angekommen, (CDU), der fast pro Monat in diesem Jahr ein neues Gesetz durch den Bundestag bringen konnte. Mir als immer noch praktizierender ARZT werden jetzt 2,5 % aus meiner Tätigkeit zur Strafe dafür "abgezogen", dass es ein "Arzt/Patient-Geheimnis" geben sollte. Als "digitaler" DOKTOR bin ich erwünscht, nicht aber als menschlicher Arzt ...

gabriele bondzio | Fr., 20. Dezember 2019 - 10:25

plötzlich existenzgefährdend sein kann und hier kommt meist noch eine körperliche Bedrohung und Ausübung hinzu. Kann es ja nicht mit den universell,propagierten Menschenrechten in Einklang sein. Die jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins gleichermaßen zustehen Egal ob ich das von Links oder Rechts betrachte.
Der ganze Moralisierungs-und Individualisierungskomplex in unserer Gesellschaft zeigt doch eher glasklar auf, dass Menschenrechte gegen Menschenrechte stehen.

Brigitte Simon | Fr., 20. Dezember 2019 - 14:34

Antwort auf von gabriele bondzio

Auf keinem Fall in der Politik.
In einer Diskussion benannte ich provozierend die AfD. Sogar die räumliche
Distanz vergrößerte sich. Erneut wünsche ich mir eine neue Art von Streitkultur.
Wir müssen dringend wieder streiten. Denn ohne Konflikte gehen unsere Bezieh-ungen kaputt, unsere Identität und am Ende unsere Demokratie. Wir bemerken anscheinend garnicht, wie gerade eine unserer wichtigsten Kulturtechniken ver-loren geht.
Ich meine, wo nach außen, aber dadurch bereits auch nach innen z.B. nur Harmonie erlaubt ist, kommt das freie Spiel der Gedanken um die beste Entscheidung, kommt auch das profesionelle Rückgrat der Akteure zu kurz bzw. verkümmert.
Allerdings würde ich für Streit(Kultur) noch mehr auf ihren Kern hinzuspitzen.
Streitkultur an sich ist nicht der Punkt. Z.B. nach außen, gegenüber dem Gegner, haben wir ja genau das Gegenteil: Ein gleichsam, zwanghaftes Dagegensein, Heruntermachen und Bekämpfen, teils unabhängig vom Inhalt.

Brigitte Simon | Fr., 20. Dezember 2019 - 14:50

Antwort auf von gabriele bondzio

D.h. , warum es m.E. im Kern geht und das bedeutet weder künstliche Harmonie, noch Streit. Meinungsfreiheit und Äußerung der tatsächlichen eigenen Meinung,
auch mal gegen den Mainstream, auch mal mit den Gegnern, die nicht dumm sind, es geht also um Rückgrat und Selbstsicherheit beim Vertreten der eigenen Meinung. Es geht auch um die Kraft der Persönlichkeit, auch Außenseiterrollen auszuhalten, mit Risiken, teils aber Chancen.
Es geht um die Bekämpfung der viel zu stark gewordenen Mitläuferkultur, wie sie bei bestimmten, auch medienbeeinflußten Themen z.T. kaum Abweichung zeigt.

Günter Johannsen | Fr., 20. Dezember 2019 - 11:27

... kennzeichnen ein vormundschaftliches Gesellschafts-System:"In der Medienöffentlichkeit findet sich derzeit praktisch kein meinungsoffenes Diskursfeld, eher eine mit ideologischem Sprengstoff verminte Arena. Und da kann Leichtsinn plötzlich existenzgefährdend sein." (Zitat M. Haller) Dass ist erst der Anfang einer bösen Entwicklung mit schlimmen Ausgang. Das endet in einer Diktatur … und eine linke oder rechte Diktatur endet bald in der Endstufe des Kommunismus, dem Nordkorea-System! Leichtsinn und Naivität gepaart mit politischer Blindheit der Jungen heute lassen mich befürchten, dass für sie die Zukunft bitter aussehen wird. Nicht, weil der (menschengemachte???) Klimawandel ihre Welt bedroht, sondern weil sie in ihrer grenzenlosen Unbedarftheit und Selbstüberschätzung den menschengemachten "Propheten", Spezialisten und Politikwissenschaftler rein gar nichts entgegen zu setzen imstande sind!
Das Gegenmittel: Aufwachen, wachsam bleiben, mehr direkte und ehrliche Demokratie wagen!

Markus Michaelis | Fr., 20. Dezember 2019 - 11:28

Zitat "Von daher deute ich die Anti-Buzzard-Kampagne so, dass die Community der linksliberalen Universalisten die von Buzzard intendierte Pluralisierung abwehren, um die eigene Meinungshoheit abzusichern.
Was kann man dagegen tun?"

Ich denke das Beste und am Ende das Einzige, was wirkt, ist "machen lassen". Der Mensch ist (relativ zur Komplexität der Welt) nicht so verstandesstark, dass große Standpunktanpassungen durch theoretische Diskussionen entstehen.

Einer meiner Hauptpunkte wäre, dass die "Universalisten" von einem Menschen- und Weltbild ausgehen, dass es in der Welt so vorherrschend nicht gibt. Kurz formuliert lehnt man einen Gauland ab, um sich den Menschen zu öffnen, von denen wahrscheinlich deutlich mehr eher wie Gauland als "universalistisch" denken.

Aber wer weiß, was wirklich daraus wird - alles ist so vielfältig. Am Ende denke ich, wenn genügend Leute das wollen, muss man sie machen lassen - nur ehrlich, zusammen mit all den Menschen, für die man es vorgibt zu tun.

Andreas Zimmermann | Fr., 20. Dezember 2019 - 14:30

… ausgerechnet von linken Journalisten kommt? Gibt es denn noch groß andere? Womit sich die zweite Frage nach rechten Journalisten fast erübrigt hat. Neutrale Journalisten im Mainstream gibt es zweifellos, aber sie sind wohl eher selten zu finden

Das ganze Dilemma in unserer Gesellschaft ist doch das rechte Positionen als falsch deklariert werden Stichwort "K(r)ampf gegen Rechts!". Dies lässt jedoch außer Acht das in einer Demokratie wenn sie denn Meinungspluralismus ernst nimmt und es Links und Mitte gibt, es dann auch Rechts geben muss. Jegliche Argumentation jenseits dieser Existenzberechtigung ist verlogen, jeder der an diesem sogenannten Kampf(!!!) teilnimmt begibt sich automatisch außerhalb eines demokratischen geführten Wettstreits von Meinungen und verfolgt eine ideologische Agenda mit totalitären Ansatz welche allen vollmundigen Demokratiebekundungen zum Trotz letztlich zum Scheitern verurteilt ist oder in einer nationalen Tragödie enden wird.

Ein ehemaliger Linker

Thomas Meyer | Sa., 21. Dezember 2019 - 06:10

"I disapprove of what you say but I defend to the death your right to say it", Beatrice Hall in "Friends of Voltaire". Soweit wie "to the death" will ich nicht gehen, aber diese banale denklogische Differenzierung entlarvt wunderbar das dumme Klima mit schwarz-weiß Etikettierungen etc pp

Peter Silie | Mo., 23. Dezember 2019 - 17:45

Gerade mal die Seite aufgemacht. Keine Inhalte entdeckt. Außer ellenlange Spendenaufrufe. Ich habe mir auf der webseite nen Wolf gescrollt. Allein dieses Design schreckt mich ab !