Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, spricht beim SPD-Bundesparteitag. Bis zum 08. Dezember 2019 will die SPD bei dem Parteitag eine neue Führungsmannschaft wählen
Neue Zeit? SPD-Bundesumweltministerin Svenja Schulze auf dem Parteitag / picture alliance

Krise der Volksparteien - Keine frohe Botschaft

2019 war für CDU und SPD gleichermaßen ein furchtbares Jahr. Die Ursachen dafür sind offensichtlich, aber die beiden Volksparteien setzen unverdrossen auf ein „Weiter so“. Ein Jahresrückblick

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Falls CDU und SPD eine ehrliche Jahresbilanz ziehen sollten, können sie beide nur zum gleichen Schluss kommen: Es ging mit uns weiter bergab. Wer die Parteitage der beiden einst dominierenden Volksparteien beobachtete, ohne die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen zu kennen, hätte den Eindruck gewinnen können, hier gehe alles seinen gewohnten Gang: The Show went on. Doch das Gegenteil ist richtig: Die SPD kämpft gegen das Abrutschen in die 5- bis 10-Prozent-Zone.

Die CDU wiederum atmet schon erleichtert durch, wenn die Demoskopen sie bei 25 Prozent plus einem kleinen X sehen. Da wirken Unionsparolen, man müsse wieder in die Nähe der 40 Prozent kommen, ebenso absurd wie das Ziel der neuen SPD-Spitze, binnen eines Jahres 30 Prozent der Wähler hinter sich zu versammeln.

Union ohne CSU noch schlechter

Die Union stünde im Bund noch schlechter da, wenn sich die CSU nicht stabilisiert hätte. Auch die einstige bayerische Staatspartei müsste sich ziemlich alte Nachrichtensendungen anschauen, um von „50 Prozent plus X“ schwelgen zu können. Aber die Christsozialen können eben unverändert mit dem Pfund wuchern, dass Bayern auf nahezu allen Gebieten das erfolgreichste Bundesland ist. Dass das mehr mit der Regierungskunst von Stoiber, Seehofer und Söder zu tun hat als mit irgendeiner anderen Partei, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten. Auf dieser Basis versucht Söder nicht ohne Erfolg, Weiß-Blau mit Grün zu versöhnen. Die CDU dagegen tut sich schwer, mit ihrer aus der Merkel-Ära stammenden programmatischen Beliebigkeit wieder Profil zu gewinnen.

Nicht wenige – dazu gehört auch der Autor selbst – hätten noch vor wenigen Jahren ausgeschlossen, dass die SPD im Bund jemals auf 13 bis 16 Prozent schrumpfen könnte. Auch für ein Abrutschen der CDU unter die 30-Prozent-Marke reichte die Phantasie nicht aus. Dass die Union im Vergleich zu den Sozialdemokraten noch deutlich besser dasteht, verdankt sie freilich nicht ihrem Modernisierungskurs, sondern der relativen Treue der Wähler im Alter von über 60 Jahren. Diese machen ihr Kreuz häufiger bei der CDU als anderswo und gehen überdies fleißiger zur Wahl als die jüngeren Jahrgänge; sie liften die CDU noch halbwegs verlässlich über die Grenze von 20 Prozent.

SPD hat in keiner Wählergruppe noch Rückhalt

Die SPD hat dagegen in keiner einzigen Wählergruppe noch einen vergleichbaren Rückhalt. Wenn inzwischen sogar mehr Gewerkschaftsmitglieder die AfD wählen als die SPD, ist das Elend der deutschen Sozialdemokratie offensichtlich.

Die SPD ist in den vergangenen Jahren deutlich nach links gerückt – und bei der Bundestagswahl 2017 damit gescheitert. Jetzt wollen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans den Linkskurs verschärfen. Gut möglich, dass sie damit einige zur Linken abgewanderte Wähler zurückholen. Das würde, falls es für Grün-Rot-Rot reichen sollte, ihre Position als Juniorpartner von Habeck/Baerbock stärken, sie aber nicht auf 30 Prozent bringen. Ohnehin scheinen die neuen SPD-Vorsitzenden zu übersehen, dass sie in einem Überbietungswettbewerb um noch mehr Umverteilung und noch mehr soziale Wohltaten gegen Die Linke keine Chance haben.

Unklar, wohin es bei der CDU geht

Bei der CDU ist ein Jahr nach dem Wechsel von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteivorsitzende nicht zu erkennen, wohin die Reise gehen soll. Die neue Chefin ist zunächst in der Flüchtlingsfrage denen entgegengekommen, die dagegen waren und sind, rechtsstaatliche Prinzipien aus humanitären Gründen und mit Blick auf den medialen Mainstream außer Kraft zu setzen. Eine Reihe von kommunikativen Fehlern und das katastrophale Abschneiden bei der Europawahl haben AKKs Anfangserfolge jedoch bald zunichte gemacht. Nach dem Leipziger Parteitag ist die Vorsitzende zwar stabilisiert. Die eigentliche Führungsfrage – die Kanzlerkandidatur – bleibt aber offen.

2019 markiert eine Zäsur

Programmatisch hat die Union außerdem weiterhin an Schärfe verloren. Beim Kompromiss um die Grundrente hat die SPD, wieder einmal, das größere Stück vom Kuchen abbekommen. Zudem spricht viel dafür, dass die Kanzlerin der SPD zur Rettung der GroKo beim Nachbessern des Koalitionsvertrags entgegenkommen wird. Die CDU/CSU dürfte ihr nach bewährtem Muster folgen: laut grummelnd, aber brav.

So könnte das Jahr 2019 eine Zäsur markieren: den Abschied der alten Volksparteien von sich selbst. Die SPD hat ein klares Programm, das aber die Wähler in der Mitte nicht erreicht. Die CDU wiederum hat kein klares Profil mehr und keine Strategie, um die an AfD und an die Grünen verlorenen Wähler zurückzugewinnen. Weihnachten 2019 ist das Fest der frohen Botschaft. Das gilt für jedes einzelne Mitglied von CDU und SPD – aber nicht für diese Volksparteien.

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helmut armbruster | Mi., 18. Dezember 2019 - 09:43

kann die Führung einer Partei besser sein als ihre Basis?
Dazu ein paar Sätze:
"Ein Idiot ist ein Idiot; zwei Idioten gibt zwei Idioten. Zehntausend Idioten sind eine politische Partei." Franz Kafka
"Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." Otto von Bismarck
"Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas Seltenes - aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel." Friedrich Nietzsche
"Alle Macht geht vom Volke aus! Aber wo geht sie hin?" Bertold Brecht
"Ich liebe Politiker auf Wahlplakaten. Sie sind tragbar, geräuschlos und einfach zu entfernen." Loriot
"Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen." George Bernard Shaw
Kluge und weise Menschen haben die Dinge schon immer besser durchschaut als der Durchschnittsmensch. Leider blieb und bleibt es beim Durchschauen.

Bertold Brecht:
"Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"
Ich habe manchmal den Eindruck, einige verantwortliche Politiker nehmen diese Maxime wörtlich.

Herrlich treffend ihre Zitatensammlung. Könnte noch einige ergänzen, aber letztlich sagen die meisten irgendiwe das selbe aus oder? So sehr ich dem Artikel von Herr Dr. M.-V. zustimme desto weniger habe ich Hoffnung, es könnte bei einer der Parteien eine Wende geben. Die wollen einfach nur bis zur nächsten Wahl in ihren Ämtern überleben und die bleiernde Merkelzeit unaufgeregt zu Ende bringen.
Einen Draht zum Volk haben die alle nicht mehr. Blinder Aktionismus und tönernde Schweigsamkeit der Kanzlerin kennzeichnen die derzeitige Politik.
Ein recht schweigsamer deutscher Michel, der lieber die Hände in die Taschen steckt und sich wegduckt, anstatt lautstark zu protestieren macht es denen halt auch sehr leicht. Da helfen auch wir wenigen Kommentatoren nicht, die versuchen wach zu rütteln.
Und Herr Sonntag, kann es sein das sich die Politik gerade in anderes Wahlvok sucht? Es reisen ja seit Jahren jede Menge Bewerber für eine Anstellung als Volk ein oder?

Gerhard Schwedes | Mi., 18. Dezember 2019 - 09:49

Die Analyse der Parteiensituation wird hier unaufgeregt und treffend beschrieben. Wie bringt man aber die Schlafmützen wieder auf die Beine? Zur Heilung braucht es meist bittere Medizin. Und diese bittere heißt AfD. Als AfD-Wähler muss man nicht unbedingt willens sein, diese Partei an die Macht zu bringen. Eine solche Wahl kann auch als Folterwerkzeug dazu benutzt werden, die beiden Gesinnungsparteien, die aus unserer Gesellschaft einen großen Kirchentag gemacht haben, wieder auf die Schmalkost Realität zu setzen. In Dänemark hat das hervorragend geklappt und genauso würde es in Deutschland klappen. Aber dazu ist die große Mehrheit der lieben Deutschen einfach zu sehr in ihr altes Mentalitätsmuster verstrickt. Sie träumt lieber, katzbuckelt in den Tag hinein, pflegt ihr Biedermeieridyll, so lange es eben noch geht. Merkels Satz "Wir schaffen das" kommt tief aus der deutschen Seele. Da führt der rote deutsche Mentalitätsfaden von Stalingrad bis in unsere Tage. Mentalitäten sind zäh.

Stefan Jurisch | Mi., 18. Dezember 2019 - 10:35

wenn das Kind endgültig in den grünen und blauen Brunnen gefallen ist und sich die Bevölkerung in großen Teilen endgültig hart polarisiert hat. Und wie viel Grün am Ende wirklich übrig bleibt, wenn die Leute erst einmal bewusst merken, wie teuer ihr Leben werden wird, das wage ich momentan nicht zu prognostizieren.

gabriele bondzio | Mi., 18. Dezember 2019 - 10:40

Der Trend zum Mitgliederschwund und zur Überalterung hält an. Erheblich ins Kontor schlagen dürfte aber die Abkehr einer Meinungsbildung aus der Basis heraus. Aus den Ortsvereinen heraus wurden in regen Diskussionen Gedanken nach oben getragen. Statt wie heute nach unten Order zu erteilen.Es ist natürlich eine schwierige Zeit, wo junge Menschen sich zu Sätzen aufschwingen „wie könnt ihr es wagen“, wo Lebensstile und Traditionen wegbrechen. Wo dauernd neue Blasen mit neuen Forderungen entstehen, gegebenenfalls unter Einforderung der Demokratie. Wo Menschen in gesichert - materiellen Verhältnissen (die sie aus der alten Werteordnung bezogen) postmaterialistische Wertesysteme anpeilen. Sachbezogene Politiker und Politik dürfte/n, in diesem ständig erweiterten Zirkus, einen schweren Stand haben. Und ein "weiter so" auch weitere Wähler kosten.

Christa Wallau | Mi., 18. Dezember 2019 - 11:17

hat nun wirklich absolut nichts zu tun mit irgendeiner politischen Partei und mit Politik
überhaupt.
Die Botschaft des Weihnachtsfestes stellt vielmehr
sozusagen das GEGENPROGRAMM zu allen Parteiprogrammen dar. Während letztere aus dem mehr oder minder vernünftigen menschlichen Bemühen um das Herstellen geordneter Zustände hier auf Erden erwachsen sind, geht es bei der christlichen Botschaft um etwas ganz anderes,
nämlich um eine A b k e h r von der Welt, einer Umkehr und Hinwendung zu etwas viel Wesentlicherem:
Dies ist der GLAUBE an den einzigen, der die Menschen und ihre Welt letztlich retten kann, nämlich den Heiland Jesus Christus.

Politik und Religion haben prinzipiell nichts miteinander zu tun. Deshalb sollten sich m. E. auch die Verkünder der Religion möglichst aus der konkreten Politik heraushalten, vor allem keine
Parteienpräferenz erkennen lassen.

Gerade jetzt sollten sich dies wieder einmal alle Betroffenen klarmachen, aber ich fürchte:
Daraus wird nichts.

Wolfgang Tröbner | Mi., 18. Dezember 2019 - 11:50

SPD und CDU haben sich das Schicksal ihres Niederganges wahrlich verdient. Warum sollte man diese Parteien noch wählen? Parteien, die seit Jahr und Tag am Wähler vorbei regieren, teilweise sogar gegen dessen Willen. Parteien, denen das Schicksal des Landes am Allerwertesten vorbeigeht und die das Land immer schneller zugrunde richten. Man fahre (solange man noch darf) mit dem Auto die Autobahnen entlang, um zu erkennen, dass das Straßennetz zu den schlechtesten in Europa gehört. Man fahre mit der Bahn, um zu sehen, dass Regionalbahnen entweder zu spät kommen oder immer häufiger ganz ausfallen. Man nehme das Schulsystem, das nun schon seit Jahr und Tag nachgewiesenermaßen zu den Schlusslichtern in der Welt gehört. Und man gehe in die Apotheken, um festzustellen, dass nicht einmal die Versorgung mit Medikamenten mehr klappt. Wie sagte doch Herr Maas vor wenigen Jahren so schön"Es wird niemand etwas weggenommen". Meine Wahrnehmung ist eine ganz andere.

Tomas Poth | Mi., 18. Dezember 2019 - 12:02

Wohin geht die Reise? Nächstes Jahr stehen eine Bürgerschaftswahl (Hamburg) und zwei Kommunalwahlen (Bayern und NRW) an. Hier wird sich zeigen welcher Trend sich fortsetzt. Deutschland steckt in einem Umbruch, neue Gewissheiten, neuer Konsens wird sich erst noch entwickeln.

Günter Johannsen | Mi., 18. Dezember 2019 - 12:13

CDU und SPD werden noch weiter abrutschen, weil sie sich nicht zu einem ehrlichen Blick auf sich selbst entschließen können. Immer noch klammern sie sich an die Tagträumerei, man müsse nur die richtigen Figuren aufstellen, dann werde schon alles gut. Aber mit dem kommunistischen Duo Esken & Borjan wird dieser Verein weiter nach SED-Links abgleiten (Wiedervereinigung hat Oskar schon angekündigt!) und der Merkel-CDU wird es nicht besser ergehen. Diese linke Einheitssuppe wird durch demokratische Wahlen nie zur Macht kommen, deshalb "wählt" man andere Wege, um ans Ziele zu kommen: Klimahysterie; Angstmache vor Rechtsradikal, obwohl die tatsächliche Gefahr von Linksradikalen Antifa-Schlägertruppen kommt (siehe Hamburg und jetzt Leipzig). Die Polizei wird als der Haupt(klassen)feind ausgemacht und ohne Rücksicht auf Verluste bekämpft. Dabei nimmt man Polizistentötung billigend in Kauf? Zeigt man weiter nach rechts, um von den linksfaschistischen "Projekten" abzulenken??? Demokratie???

Günter Johannsen | Mi., 18. Dezember 2019 - 12:18

wir zeigen auf die böse Rechte, um davon abzulenken, dass wir nach streng SED-LINKS marschieren. Glaubt ihr wirklich, dass ihr den Souverän (das Volk) hinters rote Licht führen könnt?

Christoph Kuhlmann | Mi., 18. Dezember 2019 - 12:48

Wir werden sehen was die Bürger von CO2 Steuer und neuer Zuwanderung durch Arbeitnehmer aus dem außereuropäischem Ausland halten werden. Beim ersten Thema dürfte es Schwierigkeiten mit der Industrie geben, das zweite Thema wird viele Gewerkschafter davon überzeugen, dass die SPD ihre Interessen nicht vertritt. Statt saftiger Lohnerhöhungen in den Mangelberufen Zuwanderung. Wo soll der Aufwind für die Volksparteien also herkommen?

Ingo frank | Mi., 18. Dezember 2019 - 13:41

Aufwärts nimmer, abwärts immer (schneller).
Der Artikel beschreibt den Zustand von SPD und CDU punktgenau. Danke dafür.

Immer häufiger bedauere ich, daß Deutschland kein Land der Demonstranten im Gegensatz zum Beispiel Frankreich ist. Munition ist genügend vorhanden. Nur
wird vieles aus dem unerschöpflichen HutMerkels gezogen, unsichtbar für uns, um dagegen zu demonstrierten. Wir wurden und werden mit Äußerungsüber-prüfungen überschwemmt. Merkel ist in ihrem SED-System angekommen. Dieses
lauert überall. In den Familien, im Internet, der Verrat unserer Paßwörter (bis-
her nicht gesetzeskonform).
"Wir machen uns zu Würmern und dürfen nicht klagen, wenn wir getreten werden". Nietzsche lebt unter uns oder war er zur seiner Zeit bereits Visionär ?!

Das schlimmste was uns - auch Europa - passieren konnte, war Merkels alleinige
Grenzöffnung. Diese schwebt wie ein Damoklesschwert über uns. Macht uns er-pressbar, zerstörte unser Deutschland. In einer dunklen Suppe fällt Zyankali kaum auf. Umso fürchterlicher die Wirkung.