wahl-grossbritannien-jo-swinson-boris-johnson-jeremy-corbyn
Jo Swinson im Wahlkampf / picture alliance

Wahl in Großbritannien - „Ich werde Jeremy Corbyn sicher nicht in die Downing Street helfen“

Sollten die Wahlen zum britischen Unterhaus heute ein „Hung Parliament“ ergeben und keine Partei eine Mehrheit haben, dann könnte die Chefin der Liberaldemokraten zum Zünglein an der Waage werden. Aber Jo Swinsons Problem heißt Labour

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

So erreichen Sie Tessa Szyszkowitz:

Jo Swinson ist mit 39 Jahren die jüngste Parteichefin und die erste Frau, die 2019 den Topjob bei den britischen Liberaldemokraten übernommen hat. Die glühende Proeuropäerin will den Brexit absagen. Sollte Boris Johnson bei den britischen Unterhauswahlen heute eine absolute Mehrheit für seinen Brexitdeal bekommen, dann hat Swinson ausgespielt. Sollten die Wahlen aber ein „Hung Parliament“ ergeben und keine Partei eine Mehrheit haben, dann könnten die Liberaldemokraten zum Zünglein an der Waage werden.

Swinson war Staatssekretärin in der Koalition von Konservativen und Liberaldemokraten bis 2015. Bis heute wird ihr vorgeworfen, dass sie damals der Erhöhung von Studiengebühren zugestimmt hat, obwohl die Liberaldemokraten sich vorher strikt dagegen ausgesprochen hatten. Swinsons eigener Wahlkreis ist das schottische East Dunbartonshire, im Norden von Glasgow. Swinson, die aus Glasgow stammt, wurde dort 2017 mit satter Mehrheit gewählt. Die schottischen Nationalisten wollen ihr den Wahlkreis jetzt wieder abknöpfen. Sie fordern, dass Schottland ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum abhält und aus dem Vereinigten Königreich austritt. Jo Swinson lehnt auch das strikt ab.

Sie haben Ihre Kampagne darauf aufgebaut, sich als nächste Premierministerin zu vermarkten. Der Sprung von jetzt zwanzig Abgeordneten auf 326 ist aber ziemlich unrealistisch. Ihre Werte sind in jüngsten Umfragen eher gesunken. Haben Sie die falsche Strategie gewählt?
Ich fürchte, eine Zukunft unter Boris Johnson oder Jeremy Corbyn wäre eine düstere Angelegenheit für unser Land. Die Leute hören Johnson oder Corbyn zu und es wird immer klarer, dass es keinen Sinn ergibt, was sie sagen. Mit den beiden Herren haben wir entweder einen harten Brexit oder keine Position zum Brexit. Alle ihre Optionen machen Großbritannien ärmer. Wir brauchen wirklich eine bessere Vision für das Vereinigte Königreich. Als Liberaldemokratin habe ich eine klare Haltung: Lasst uns den Brexit stoppen und die 50 Milliarden Pfund, die wir dann bis 2025 sparen, in grüne Energie, in Schulen und in unser Gesundheitssystem investieren. Unsere europäischen Partner sind uns näher als alle anderen. Wenn wir in der EU bleiben, können wir auch das Vereinigte Königreich zusammenhalten.

Das britische Wahlrecht ist für Sie nachteilig, weil der stärkste Kandidat in einem Wahlkreis ein Mandat bekommt und der Rest der Stimmen einfach verloren geht.
Der Zustand der beiden großen Parteien ist schlimm. Wir müssen eine Alternative bieten. Ich bin bereit, mit jedem einzelnen Wähler zu diskutieren und zu erklären, wofür wir stehen. Manche mögen unsere klare Position, andere nicht. Das ist Demokratie. Aber ich werde meine Überzeugungen nicht ändern, nur weil es jemandem nicht gefällt. Ich lade im Gegenteil die Leute ein, sich mit mir auseinanderzusetzen.

Wer aber für die Labour-Party stimmt, bekommt zumindest ein Referendum über den Brexit. Könnte dies nicht für viele attraktiver sein als den EU-Austritt einfach abzusagen, wie Sie es vorgeschlagen haben?
Die Labour-Party ist keine Partei, die für den Verbleib in der EU eintritt. Das haben Sie doch selbst schon oft von Jeremy Corbyn gehört! Er hat uns mitgeteilt, dass er zwar einen neuen Deal aushandeln und dann darüber ein Referendum abhalten will, dass er sich aber aus der Entscheidung für oder gegen den eigenen Deal heraushalten will. Corbyn würde sich bei der Kampagne überhaupt nicht beteiligen.

Viele Briten finden, man müsse das Brexit-Votum vom Juni 2016 respektieren und den Brexit jetzt durchsetzen. Nach jüngsten Umfragen sind aber 55 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib in der EU. Das Land ist also gespalten. Hat die Labour-Party nicht Recht, dass sie noch ein zweites Referendum fordert, damit die Leute selbst entscheiden können?
Ich bin nicht gegen ein Referendum, verstehen Sie mich nicht falsch. Doch jetzt geht es erst einmal um die Wahlen am 12. Dezember. Dafür wollten wir eine Allianz der Proeuropäer bilden. Unserer Initiative „Unite To Remain“ haben sich die Grünen in England und die sozialdemkratische Plaid Cymru in Wales angeschlossen. Mit Labour geht das allerdings nicht, weil der Labour-Chef nicht dafür ist, in der EU zu bleiben.

Hätten Sie jemals mit Labour eine taktische Allianz gebildet, wenn deren Brexitposition klarer gewesen wäre? Oder ist Labour unter Jeremy Corbyn sowieso zu links für Sie?
Ich werde Jeremy Corbyn sicher nicht in die Downing Street helfen. Der Brexit ist die wichtigste Frage für Großbritannien auf Generationen hinaus und der Führer der Labour-Opposition hat dazu keine Meinung, die er uns mitteilen möchte. Dem fehlt es doch total an Führungsqualität. Corbyn ist kein Anführer, er ist ein Zuschauer.

Laufen Sie nicht Gefahr, mit Ihren Verbalattacken der Labour-Party Stimmen wegzunehmen und damit konservativen Kandidaten zum Durchbruch zu verhelfen?
Die Labour-Party hat vor allem in Nordengland Schwierigkeiten, ihre Sitze vor den Konservativen zu verteidigen. Dort wählen die Leute, die für Brexit sind, lieber gleich Boris Johnson. Die Umfragen in Städten wie Greater Grimsby haben diese Tendenz klar gezeigt. Grimsby war seit Jahrzehnten Labour. Wir Liberaldemokraten sind eher in London und im Süden stark und haben dort gute Chancen, Mandate von beiden Parteien zu erobern. Sehen Sie mal nach Kensington. (Seit 2017 gibt es im Londoner Bezirk Kensington eine Labour-Abgeordnete mit knapper Mehrheit von 20 Stimmen. In den Umfragen führen aber heute die Konservativen mit 36 Prozent vor den Liberaldemokraten mit 33 Prozent. Labour liegt bei 27 Prozent der Stimmen. Anmerk. d.Red.) Im Nordlondoner Bezirk Golders Green dagegen könnten wir den konservativen Kandidaten schlagen. In Wimbledon auch. Nach den Umfragen haben wir große Chancen, dort zu gewinnen. Nur so können wir verhindern, dass Boris Johnson eine Mehrheit bekommt.

Wenn aber Boris Johnson eine Mehrheit für seinen harten Brexit bekommt, wofür treten Sie dann ein? Ihre bisherige Botschaft ist dann obsolet.
Wir werden auch dann noch versuchen, den Brexit zu stoppen. Aber es stimmt natürlich, wenn Johnson eine Mehrheit bekommt, dann wird er sie dazu benutzen wollen, seinen schrecklichen Brexit-Deal auch durchzusetzen. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Boris Johnson die Wahlen nicht gewinnt.

Haben Sie Angst, dass Sie Ihr Mandat verlieren könnten? Nach britischem Recht kann man nur Premierministerin werden, wenn man auch einen Sitz im Parlament hat.
Ich bin nicht selbstgefällig genug, um anzunehmen, dass das nicht passieren könnte. Ich bin aber auch recht selbstbewusst und denke, dass meine Wähler mich behalten werden wollen. In Schottland geht es um zwei Dinge: Den Brexit – also ob wir in der EU bleiben sollen oder nicht. Und um Schottlands Zukunft selbst: Ob Schottland Teil des Vereinigten Königreichs bleiben möchte oder lieber ein unabhängiger Staat werden soll. Bei beiden Themen sind die Schotten sehr engagiert. In meinem Wahlkreis kommen viele Leute auf mich zu, die sich sorgen, dass es bald zu einem zweiten Referendum über die schottische Unabhängigkeit kommen könnte. Und dass Schottland dann tatsächlich einen eigenen Weg geht. Meine Wähler haben Angst davor. Denn für die schottische Gesellschaft und die schottische Wirtschaft wäre das eine große Umstellung. Wir Liberaldemokraten sind für den Verbleib im Vereinigten Königreich und wir wollen in der EU bleiben. Ich trete klar für beide Unionen ein. Wir sind die einzige Partei, die das tut.

Trotzdem bekommen eher die Konservativen in Schottland die Stimmen jener, die im Vereinigten Königreich bleiben wollen. Die Proeuropäer können auch für die schottischen Nationalisten votieren. Werden die LibDems dazwischen zerrieben?
Bei den Wahlen 2017 war diese Analyse wahrscheinlich richtig. Doch inzwischen hat sich viel getan. In den vergangenen Monaten haben die Wähler eines von den Konservativen lernen können: Premierminister Boris Johnson kümmert der Erhalt des Vereinigten Königreichs wenig. In den Verhandlungen über einen Brexit-Deal mit Brüssel hat er die Nordiren einfach verkauft. Er hatte zwar seinen Partnern von der nordirischen DUP versprochen, dass kein britischer Premierminister je einer Grenze zwischen Nordirland und Irland zustimmen wird, aber was hat er dann getan? Genau das. Er hat einen schlimmen Brexit-Deal ausgehandelt, in dem Nordirland in der EU-Zollunion bleibt und die neue Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien im irischen Meer verläuft. Man kann Boris Johnson einfach nicht vertrauen, wenn es um die Zukunft des Vereinigten Königreichs geht. Man kann sich nicht auf ihn verlassen, egal um welche Union es sich handelt.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Christoph Wirtz | Do., 12. Dezember 2019 - 23:47

.... sondern ein Erdrutsch-Sieg für Johnson und seine Strategie bzgl. "Brexit". Merkwürdig, wie passt das zusammen mit den hierzulande wiederholt verbreiteten Behauptungen, dass viele Briten ihr "Brexit"-Votum bereuen, und daher eine zweite Abstimmung sinnvoll und berechtigt sei?

Ganz einfach. Eine deutliche Mehrheit der Briten lehnt angeblich den Brexit mittlerweile ab. Eine ebenfalls deutliche Mehrheit findet jedoch, man müsse auf jeden Fall den Ausgang des Referendums akzeptieren - auch wenn im Vorfeld von den Brexiters massiv gelogen wurde und man Johnson für eine prinzipienlosen Opportunisten hält, der sich - who cares about Brexit - nur für seinen eigenen Erfolg interessiert.
Die Briten sind wohl ziemlich "fed up" mit Brexit, d.h. mit einem Thema, das für die meisten Menschen - von der Sache her - längst erledigt ist, auch wenn viele den Ausgang bedauern, aber eben akzeptieren.
Darin dürfte auch der Hauptgrund des Scheiterns der Liberaldemokraten liegen: Man wollte den Brexit einfach rückgängig machen, hat dieses Vorhaben nicht mal mit einem erneuten Referendum verbunden - wobei man fragen darf, ob das die Wahlchancen der Liberaldemokraten tatsächlich verbessert hätte.

Boris von der Linde | Fr., 13. Dezember 2019 - 10:16

...dann könnte die Chefin der Liberaldemokraten zum Zünglein an der Waage werden...

Das Wörtchen "könnte" ermöglicht eine Flut von Artikeln. Es wäre aber schön, wenn man, bevor man einen "Könnte"-Artikel schreibt, die reelle Chance einmal abklopft.

Hubert Sieweke | Fr., 13. Dezember 2019 - 12:58

und die Medien hierzulande gehen den Keller, um zu weinen, denn ihre immer und immer wieder geäußerten Nutging Wünsche, das Volk wolle die Abstimmung über Brexit revidieren, in einem 2. Ref., wurde ad absurdum geführt. Erneut haben sich die MSM total vergaloppiert...ab wie...