19.10.2019, Libanon, Beirut: Frauen rufen Slogans und schwenken die libanesische Fahnen bei einer Demonstration in der Innenstadt.
Frauen könnten die idealen Verbündeten für einen demokratischeren Nahen Osten sein / picture alliance

Arabischer Frühling - „ Die Revolution ist eine Frau “

Die arabische Welt ist wieder in Aufruhr, und Frauen spielen dabei eine zentrale Rolle. Doch der Westen weigert sich beharrlich, diese Tatsache überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das ist nicht nur schändlich, sondern auch eine echte Gefahr

Autoreninfo

Hamed Abdel-Samad ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.

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Vor acht Jahren wurde der arabische Frühling in fast allen westlichen Medien live übertragen. Hoffnung und Euphorie brachen aus, als junge Menschen von Tunesien bis Bahrain die Straßen stürmten, um gegen die Diktaturen zu demonstrieren. Man sprach von einer Zeitenwende und einer neuen Weltordnung. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, nachdem viele dieser Proteste in Bürgerkriege und Massenauswanderung Richtung Europa mündeten. Und der Westen ist gerade allzu sehr mit sich selbst beschäftigt: Brexit, Trump, Rechtsradikalismus, erodierende Demokratie und eine Migrationskrise machen den Leuten Angst. Doch die Menschen im Nahen Osten scheinen noch nicht müde zu sein. Erneut gehen junge Menschen im Libanon, im Irak und in Algerien auf die Barrikaden und rufen: „Freiheit, Freiheit!“ Diesmal allerdings werden ihre Schreie von westlichen Medien und Politikern überhört. Die Begeisterung für ihre Sache hält sich in Grenzen, dabei sind die Aufstände anders als früher: Die Beteiligung von Frauen ist viel höher als vor acht Jahren. Und die Demonstranten haben den Mut, nicht nur gegen Despotie und Korruption, sondern deutlich für einen säkularen Staat aufzustehen.

Manche dieser Proteste verlaufen friedlich, wie im Libanon; andere werden von schiitischen Milizen im Irak brutal niedergeschlagen. Wird der deutsche Bundespräsident, der den Iran zum Jahrestag der Islamischen Revolution beglückwünschte, auch seine Grüße an die 300 Opfer und ihre Familien im Irak senden, die von irantreuen Milizen erschossen wurden? Ist Europa nahostmüde? Oder hat der alte Kontinent es verlernt, sich für die Freiheit einzusetzen?

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Michaela Diederichs | Fr., 29. November 2019 - 20:58

"Der Glaube an Demokratie wächst im Osten, während sie im Westen schwindet." Das ist ja irgendwie auch eine Form der Annäherung. DE unterstützt mit Geld und Panzern, wo es nur geht und möglich ist. Das sind unsere Werte und unsere Art, Menschen die Hand zu reichen. Schmalz-Jacobsen erzählte bei Lanz?, dass auch Russland einst auf die liebevolle Umarmung des Westens hoffte - vergebens. Nun haben wir quasi Eiszeit. Träumen Sie weiter.

Roland Völkel | So., 1. Dezember 2019 - 17:39

Antwort auf von Michaela Diederichs

liebe Frau Diederichs.
Ich glaube aber nicht daran, dass sich in der arabischen Welt etwas ändert, vor allem nicht für die Frauen-leider! Die (Länder) waren schon mal weiter und Fortschrittlicher. Die haben aber den "Rückwärtsgang eingelegt.
Solange der Koran das Alltägliche vollumfassend "regelt" und die ("alten, Nicht weißen Männer")Betonköpfe die Regeln bestimmen wird sich Nichts aber auch gar Nicht ändern.
Wir im Westen haben ja auch Jahrhunderte gebraucht um uns zu Emanzipieren und der Aufklärung den Weg zu bereiten.
Es ist noch ein langer, steiniger Weg zu bestreiten.

Dieter Erkelenz | Sa., 30. November 2019 - 07:18

Ein ganz hervorragendes Essay. Ich kann nur hoffen, Herr Hamad Abdel-Samat, dass Ihre Prognose wirklich den Gegebenheiten entspricht. Bemerkenswert auch Ihre "rote Karte" in dieser arabischen Frauen'power' u.a. gegen westliche Femininistinen.

gabriele bondzio | Sa., 30. November 2019 - 09:53

Ein sehr bedauerlicher Rückwandel. Der vor allem auf Kosten der Frauen vollzogen wurde. Die alle meine Sympathien haben. Das es ihnen gelingen möge mit ihren Kampf, ihr Leben selbst bestimmender zu gestalten und nicht nur Anhängsel eines Mannes zu sein.
Das Mindeste, was die westl. Staaten hierbei tun könnten ist, nicht noch die Herrschaftsformen (welche die Freiheit von Frauen massiv unterdrücken) mit Waffen zu rüsten. Und im eignen Land ohne Wenn-und-Aber gegen Kinderehen, Ehrenmorde usw. unnachgiebig vorzugehen.

Brigitte Miller | Sa., 30. November 2019 - 09:55

über todesmutige Frauen, die unerschrocken sich für die Freiheit einsetzen gegen die alten Funktionäre des Islam.
Beschämend einmal mehr, dass sie keine Unterstützung von hiesigen "Feministinnen " bekommen ( ausser der von ihnen als obsolet bezeichneten unermüdlichen Alice Schwarzer ) die halt mit Wichtigerem beschäftigt sind: Texte gendern, Toiletten bauen für alle Geschlechter und den Kindern klar zu machen, dass sie ihr Geschlecht selber wählen sollen.
Wie sagt die Philosophin und Gender-Forscherin Judith Butler:
"„Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist.“

Karla Vetter | Sa., 30. November 2019 - 20:02

Leider haben die Europäer m.E. den" Arabischen Frühling "nie so recht verstanden. Er war kein homogenes Ereignis, sondern eine Lawine die verschiedene Reaktionen auslöste. Unsere ägyptischen Bekannten, der Mann besuchte uns gerade zu dieser Zeit , waren Mursianhänger. Die Frau mit ihrem Vater auf dem Tahirplatz . Wir befürchteten , dass dies wohl im Ergbnis zum Hardcore -Islam führen würde, wie dann auch geschehen. Die Unruhen in Bahrein(der schiitischen Minderheit)hatten dann wieder ganz andere Gründe ,als der syrische Bürgerkrieg. So waren sowohl der Wunsch nach" mehr Islam", als auch der Wunsch nach mehr Freiheit Ursache der Aufstände. Jetzt merken die Menschen ,dass sie in 8 Jahren nichts erreicht haben. Ich wünsche der neuen Bewegung mehr Gelingen. Es sollte nur ganz weinig Islam und ganz viel Demokratie dabei rauskommen. Leider musss ich aus Erfahrung skeptisch bleiben.

Albert Schultheis | So., 1. Dezember 2019 - 10:12

"Das ist nicht nur schändlich, sondern auch eine echte Gefahr."
Ja, wenn der Westen, wenn wir nicht mit unseren dreckigen Fingern mitmischen, dann muss das ja mit dem neuen Frühling der Frauen schief gehen. So wie beim letzten mal. Nur da waren wir alle mittendrin.
Warum lassen wir nicht einfach mal unsere dreckigen, ja blutigen Finger weg? Lassen wir die doch bitte endlich einmal für sich selber sorgen, da wir es ja nicht einmal schaffen, uns um uns zu kümmern. Wir wollen permanent deren Interessen besser kennen als die selber, dabei kennen wir nicht einmal mehr unsere eigenen Interessen.

Wolfgang Henning | So., 1. Dezember 2019 - 14:01

Sehr geehrter Herr Hamed Abdel-Samad,
seit Jahren lese ich Ihre Bücher mit großem Interesse und bedanke mich für die historischen Abrisse und fundierten Erläuterungen zum Islam in all seinen Ausprägungen. In der Tat scheint es so, als wenn der Islamismus in den europäischen Parallelgesellschaften besonders gut gedeiht und von unseren Medien, Politikern, sowie den "Neofeministinnen", wohlwollend begleitet und gefördert wird. Sie selbst haben einmal geschrieben, dass Islam und freiheitliche Revolution sich eigentlich ausschließen. Der Islam ist nicht reformfähig, solange sich die maßgeblichen Richtungen auf den Koran als "Wort Gottes" berufen. Diese Distanzierung ist aus keinem der islamisch geprägten Länder zu hören. Die Frauenbewegung um Huda Scharawi ist gescheitert und auch in Ägypten zählt die "Familienehre" wieder mehr als die Freiheit. Der Glaube an einen säkularem Islam ist von daher stark eingeschränkt. Europa hat darauf keinen Einfluss.

dieter schimanek | Mo., 2. Dezember 2019 - 13:12

....zurückdenken kann, schon immer in Aufruhr, das ist nichts neues. Natürlich reicht mein Rückblick nicht bis zu Napoleon aber rund 70 J. reichen auch. Ich bin sicher, das geht auch noch lange, lange so weiter, zumindest so lange, bis uns das Klima dahinrafft.