Vielerorts unbeliebt: Matteo Salvini / picture alliance

Neue Protestbewegung in Italien - Sardinenschwärme gegen Haifisch Salvini

In Italien formiert sich eine Protestbewegung gegen Matteo Salvini und seine Lega. Es sind überwiegend junge Leute, die der Rechtspopulist zu Flashmobs auf die Straßen lockt. Seiner aggressiven Rhetorik begegnen sie mit subversivem Humor

Andrea Affaticati

Autoreninfo

Andrea Affaticati ist gebürtige Wienerin, lebt in Mailand und arbeitet als freie Journalistin für italienische und deutsche Medien. Sie berichtet über Italiens Politik, Gesellschaft und Kultur.

So erreichen Sie Andrea Affaticati:

Wie heißt es im Mackie-Messer-Lied von Bertolt Brecht? „Und der Haifisch der hat Zähne und er trägt sie im Gesicht“. Haie sind gefährliche Meeresbewohner und Einzelgänger. Sardinen dagegen sind klein, harmlos, ernähren sich von Plankton und bewegen sich in großen Schwärmen. Gegenüber Haien sind sie machtlos. Ganz anders sieht es aus, wenn sich Menschen in Sardinenschwärmen zusammentun. Das kann man gerade in Italien beobachten. Seit Mitte November stellen sie sich dem italienischen Mackie Messer entgegen. Wo immer Matteo Salvini, der Vorsitzende der rechtsnationalen Lega, auftritt und seine Gefolgschaft mit aggressiven und hämischen Kampfparolen aufheizt, schwärmen die Sardinen zusammen.

Friedfertig und stumm wie Sardinen

Ins Leben gerufen wurde die Sardinen-Bewegung Mitte November von dem Sportlehrer Mattia Sartori und Giulia Trappoloni, Andrea Garreffa und Roberto Morotti, vier Freunden aus Bologna, alle um die 30 Jahre alt. Für jenen Tag hatte Salvini die Sporthalle PalaDozza in Bologna gemietet, um dort eine seiner unzähligen Kundgebungen abzuhalten. Ende Januar finden in der norditalienischen Region Emilia Romagna Wahlen statt. Hier zu gewinnen, die Region zu „befreien“ wäre für Salvini eine besondere Genugtuung. Die Emilia Romagna, wo auch Don Camillo und Peppone zu Hause waren, wird nämlich seit 1945 ununterbrochen von den „Roten“ regiert – zuerst waren es die Kommunisten, jetzt sind es die Sozialdemokraten. Laut Umfragen stehen seine Chancen nicht schlecht. Das von ihm angeführte Mitte-Rechts-Bündnis liegt im Moment nach Umfragen vorne. 

Doch die vier Freunde wollen nicht von Salvini „befreit“ werden, von einer Politik, die ausgrenzt, die alles auf verbale Aggression setzt. Deswegen hatten sie die Idee, ihre Mitbürger über Facebook zu einem Flashmob aufzurufen. Der Titel lautete „6.000 Sardinen“, das Motto „Bologna beißt nicht an“. Jeder sollte eine bunte Sardine aus Pappkarton basteln und sie mitbringen, denn „wir stellen uns denen, die am lautesten brüllen, stumm wie Fische, Schulter an Schulter, in einem riesigen Schwarm entgegen“, lautete die Botschaft.

Flashmobs in den Großstädten 

Die Zahl 6.000 war nicht irgendeine. Die PalaDozza-Halle zählt 5.570 Plätze. Der Schwarm sollte also mindestens aus 6.000 Sardinen bestehen, dann würde man die Zahl der Salvini-Anhänger übertrumpfen. Was aber dann an jenem Tag im November geschah, übertraf die kühnsten Vorstellungen der vier Freunde: Es wurden 12.000 Sardinen, die in die Piazza Maggiore schwärmten, während ein wütender Salvini auf viele leer gebliebene Plätze im PalaDozza blicken musste. Bologna war aber nur der Anfang. Drei Tage später formte sich ein Flashmob in der nahe gelegenen Stadt Modena. Wieder ein paar Tage später dann in der sizilianischen Hauptstadt Palermo. Anschließend in der Emilia Romagna, in Rimini und tags darauf in Parma. Dieses Wochenende ist für Samstag ein Flashmob in Florenz und am Sonntag einer in Mailand angekündigt. Mitte Dezember trifft man sich in der Hauptstadt Rom.

Der Schwarm hat mittlerweile in ganz Italien Ableger gefunden. Wo immer Salvini erscheint, gleich ob unter wolkenlosem Himmel oder strömendem Regen, formt sich ein friedlicher Sardinenschwarm, der das weltweit bekannte Partisanenlied „Bella Ciao“ anstimmt und Transparente mit der Aufschrift: Bologna, Modena, Palermo, oder Sorrento und dem Spruch „Non si Lega“ schwingt. Ein Wortspiel, das einerseits „wir binden uns nicht“ bedeutet, und andererseits eine klare Absage an eine Lega-Regierung ist.

Sie kämpfen für das Klima, aber das politische

Die italienische Gesellschaft scheint endlich aus ihrem langen Schlaf zu erwachen, ein Schlaf, der bis in die Ära Berlusconi zurückreicht. Zwar nehmen an den Flash Mobs Leute aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten teil, doch die besonders gute Nachricht ist, dass ein Großteil von ihnen Jugendliche sind, die man schon lange nicht mehr so zahlreich auf Demos gesehen hat. Mag sein, dass Greta Thunberg und ihre Friday for Future Bewegung sie geweckt hat. Wobei es den italienischen Sardinen auch ums Klima geht, aber in erster Linie um das politische Klima im Land. Sie sind keine „antipolitische“ Bewegung, sondern plädieren für eine Politik des Dialogs, der Auseinandersetzung – und nicht für eine des Hasses und der Anfeindung.

Deswegen auch die Bedingungen, die von Anfang an die Teilnehmer der Flash-Mobs gestellt wurden: Keine Parteiflaggen, keine Parteisymbole, keine beleidigenden Sprechchöre, keine gewaltsamen Ausschreitungen. Und das hat bis jetzt tadellos geklappt. Wie es mit den Sardinen weitergeht, ob sie sich irgendwann wieder in die Meerestiefen verschanzen oder ob sie wirklich ein Weckruf in der italienischen Gesellschaft und in der Politik sind, ist noch zu früh zu sagenImmerhin haben sie es geschafft, Salvini aus der Fassung zu bringen. In einem Facebook Beitrag schreibt er, er ziehe kleine Kätzchen vor, die sich an Sardinen laben. Für jemanden, der sich als Vertreter des Volkes versteht, dessen Kampfparole „Italiener zuerst“ ist, eigentlich eine ziemlich patzige Antwort. Mit dieser von der Zivilgesellschaft ausgehenden Bewegung hatte er offenbar nicht gerechnet.  
 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Karl Kuhn | Do., 28. November 2019 - 14:37

"Keine Parteiflaggen, keine Parteisymbole, keine beleidigenden Sprechchöre, keine gewaltsamen Ausschreitungen. Und das hat bis jetzt tadellos geklappt."

Tadellos, jawollja! Wenn sie dann noch den unsäglichen Bella ciao - Kitsch weglassen, könnte es was werden. Wahrscheinlich aber eher nicht ...

Roland Völkel | Do., 28. November 2019 - 18:28

Antwort auf von Karl Kuhn

ist der Artikel von Frau A. Affaticati-eine einzige, einseitige Kampagne gegen M. Salvini! Das ist kein Journalismus, dass ist kühl kalkulierte "Hetze"-sorry!
Und ihre Lieblingsfloskel: Flashmop (habe aufgehört zu zählen)ist Inflationär im Artikel.
Liebe Frau Affaticati, ihr Artikel: "Alle gegen einen, aber Salvini gewinnt" von Ende Oktober war Wohltuend & Sachlich geschrieben. Habe ich in höchsten Tönen gelobt!
Und nun dieser Artikel-Bin doch enttäuscht.

Klaus Funke | Do., 28. November 2019 - 17:10

Ja, das ist irgendwie doch Reklame für Salvini. Ich denke, er wird es so auffassen. Und leider, Artikel wie dieser tragen dazu bei!

Tomas Poth | Do., 28. November 2019 - 17:43

Ist ja nun seit einigen Jahren in Mode Gegendemos zeit- und ortsgleich gegen den politischen Gegner zu führen.
Erstaunlicherweise immer die Linke gegen Rechts, nie umgekehrt.
Outet sich Links damit als pöbelhafter oder intoleranter oder hasserfüllter oder respektloser Gegenüber andersdenkenden als Rechts?

Gerhard Lenz | Fr., 29. November 2019 - 10:10

Antwort auf von Tomas Poth

...das war schon in der Weimarer Republik nicht anders, und zwar so lange, bis diese ewig Schuldigen in KZs verschwanden und die guten Deutschen ihrem Erlöser ekstatisch vom Straßenrand zujubelten.
Seltsam, dass noch keiner auf die Idee kam, die Morde in Kassel und Halle, die Hetzjagd in Chemnitz oder den Terror der NSU den Linken anzuhängen..halt, anderswo haben Sie ja schon bemerkt, was Ihnen bei den NSU-Verbrechen besonders bemerkenswert schien: die Rolle des Verfassungsschutzes.
Aber ganz davon abgesehen ist eins bemerkenswert: Da bemüht sich der Cicero (den ich jetzt mal in Schutz nehme) durchaus, unterschiedliche politische Standpunkte zu bedienen, aber die Reaktionen im Forum sind (fast) immer die gleichen, egal um was es geht: Rechtsaussen warten die Erlöser, links davon (und das umfasst mittlerweile alles links der AfD) sind die, die angeblich gegen das eigene Volk handeln (aber dummerweise klar von diesem gewählt werden...) Kontroverse? Findet kaum statt.

Michaela Diederichs | Fr., 29. November 2019 - 13:05

Antwort auf von Tomas Poth

Bei - ich glaube - Maischberger saß ein Mensch, der mich stark an Freisler vom Volksgerichtshof erinnert hat. Mit sich überschlagender Stimme schrie er auf Herrn Meuthen ein. Der hat mir echt Angst gemacht. So in etwa muss das im 3. Reich also gewesen sein.

Joachim Kopic | Fr., 29. November 2019 - 13:29

Antwort auf von Tomas Poth

Da zeigen sich gerade "grüngefärbte/linksgerichtete" als nicht demokratiefähig und zweifeln an bzw. machen alles schlecht, was nicht in ihre "Glaubensrichtung" passt! Selbst schon erlebt. Ich finde es schade ...

Petra Führmann | Do., 28. November 2019 - 18:01

und auffällig auch, dass es überwiegend junge Leute und bis ca. Mitte 30 sind. Vielleicht können mir diese Leute, gern auch aus dem eigenen Land, erklären, was sie eigentlich wirklich wollen und was gegen Salvini, hier die AfD, vorzubringen ist. Wollen sie das ganze Land voller Migranten? Man hört meist etwas von Überforderung. Ich gebe zu, ich begreife diese Leute nicht. Ich erkenne auch keinen Hass bei den Gegnern, sondern eher Angst, jedenfalls, was mich betrifft. Man wird nicht wenigstens befragt oder gebeten, ob man das "Bunte" alles mittragen wolle, weil... ja warum eigentlich? Nein, man wird dazu gezwungen, und wenn man es nicht will, beschimpft. Ich nehme diese Leute nicht für voll, nur weil sie viele sind. Was genau sie eigentlich wirklich wollen, und ob sie schon mal was von Ursache und Wirkung gehört haben.. Es scheint wirklich erst ab einem gewissen Alter weitreichendes Denken einzusetzen. Weshalb schaffen es nur die Älteren nicht, auch etwas auf die Beine zu stellen?

Helene Kaiser | Fr., 29. November 2019 - 08:55

Antwort auf von Petra Führmann

"..Ich nehme diese Leute nicht für voll, nur weil sie viele sind..."
Sind es denn wirklich so viele? Oder ist es so, dass viele Linke zu diesen Demos aus dem ganzen Land herbeigeschaft werden, wie es ja auch in Deutschland üblich ist (s. Gewerkschaften, wo MA einen freien Tag bekommen wenn sie auf die gewünschten Demos gehen).

Heidemarie Heim | Do., 28. November 2019 - 19:31

Ja, die Italiener waren schon immer etwas kreativer und graziöser als ihre Lieblings-Touristen mit Adiletten-Look. Mille grazie! Keine politischen Fahnen und keine Hass-Sprechchöre sondern der leise vorgebrachte Protest und Wunsch nach Dialog? Ich glaube solche netten Sardinen, gern auch im Schwarm würden die AfD und die geplagten Sicherheitskräfte bei deren nächsten Parteitag sicherlich mehr begrüßen als unser deutsches Schwarm-Äquivalent;).
Statt Katzenfutter-Werbung sollte es Herr Salvini mal mit einem Maori-Haka zur Erwiderung versuchen, gefolgt von einem Hongi nach Hai-Art?
Wie gesagt, uns fehlt dazu der unverwechselbare italienische Charme und Neuseeland ist noch weiter weg. Ciao Bella!

Bernd Muhlack | Do., 28. November 2019 - 20:11

Das lesenswerte Werk von John Steinbeck, verfilmt mit Nick Nolte/Debra Winger.
Nun ja, lasst sie eben demonstrieren.
Den Fischvergleich halte ich für unpassend.
Tiere sind vom Instinkt gesteuert, handeln nicht ob Vernunft, Überlegung. Eine gewisse "Erfahrung, Spezialisierung" erreichen jedoch sicherlich auch Tiere im Laufe ihres Lebens.
Bei Eintagsfliegen dürfte die Erweiterung dieses Horizonts eher marginal sein.
Ich habe etliche italienische Bekannte, jedweden Alters. Viele stammen ursprünglich aus Süditalien, vom Absatz bis zur Spitze des Stiefels; Reggio di Calabria bis Lecce.
Es ist sehr interessant, hilfreich, deren Meinungen zu hören; sie kennen sich ja bestens aus, si?
Ist es nicht oft so, das man nachbarlich bestens zu Potte kommt, sich auch mal erhitzt streitet und dann letztlich lacht und ein Bierchen, Rotwein trinkt?
Roberta F. u Simone M. in 90 geb. trennten 3 Tage; sie waren als Kinder "ein Kopp u ein Arsch" - bis heute!
Nachbarn sind meist harmlos … es gibt Ausnahmen!

Wolfgang Schneider | Do., 28. November 2019 - 20:38

Frau Affaticati macht ihrem Nachnamen alle Ehre. Angestrengt und bemüht versucht sie das italienische "Hüpfen" zu hypen. Jeder, der nicht auf dieser Seite steht, verbreitet Hass und Anfeindungen. Ein bißchen
wenig Auseinandersetzung mit den bedrängenden Themen in Italien und der EU.

Johan Odeson | Fr., 29. November 2019 - 04:24

Mir fehlt entschieden die journalistische Distanz. Frau Affaticati schwärmt kritiklos für den Schwarm an dem sie sich vermutlich selbst beteiligt hat. Es ist wieder das alte Muster, hier die einzig guten Linken und dort die bösen Rechten, die ausgrenzen. Dass man selber damit massiv ausgrenzt, kommt der Autorin dabei nicht in den Sinn. In der Realität dieser Welt und nicht im moralistischen TakkaTukkaLand muss man manchmal Grenzen setzen, das sollte seit der Kindererziehung bekannt sein. Wenn Menschen sich Salvini anhören möchten, um sich eine Meinung zu bilden, nennt man das bekanntlich Demokratie. Die Störung und Unterdrückung der Meinungsäusserung Andersdenkender ist demgegenüber wenig demokratisch. Das ich dabei darauf verzichte auf die Zuhörer einzuschlagen , sollte selbstverständlich sein, wird hier aber als Tugend der Bewegung noch hervorgehoben. Dieser völlig unkritischen Artikel einer Schwärmerin sollte deutlich als Meinung gekennzeichnet sein. Tutto daneben.

gabriele bondzio | Fr., 29. November 2019 - 10:21

die Pubertät wäre begrenzt. In der es zu Umbauarbeiten im Gehirn mit Folge, dass Emotionen sozusagen schneller am Start sind als die kognitive Kontrolle, erfolgt. >Eine alte Hirnstruktur, die Amygdala, die eine rasche emotionale Analyse erbringen und dann eigentlich mit frontalen Regionen zusammenarbeiten soll, agiert in der Jugendzeit sozusagen ohne voll funktionsfähige Kontrollinstanz. Dies erklärt, warum „erst denken, dann reden“ oder „erst denken, dann handeln“ keine natürliche Stärke von Jugendlichen darstellt< (Quelle tagelsspiegel.de/Das pubertäre Hirn hungert nach Erfahrung) Denn ich habe mir, wie Frau Führmann, ähnliche Gedanken gemacht. Natürlich muss man auch jahrelange Indoktrination einbeziehen.

Helmut Bachmann | Sa., 30. November 2019 - 09:31

Der Verfall der Demokratie mit Fischsymbolik. Ganz großes Kino.

Klaus Blume | So., 1. Dezember 2019 - 20:14

Salvinis Lega ist in allen Umfragen die mit Abstand stärkste Partei in Italien und Salvini selbst der populärste Politiker nach Conte. Dazu lese ich hier nichts. Man muss Salvini nicht verteidigen, aber das sind Fakten, die einfach dazu gehören. Aus der Fassung bringen lassen hat sich der Mann von den Sardinen gewiss nicht. Die Kätzchen waren doch ein coole Reaktion.