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Ein Land ohne Mauer / picture alliance

30 Jahre Mauerfall - Bananen gibt’s überall

Vincent Koch ist bald volljährig und lebt in Dresden. Den Mauerfall hat er nicht miterlebt. Trotzdem begegnet der Schüler der Ost-West-Thematik andauernd. Wie nimmt er das Land und die Diskussion um Ost und West 30 Jahre nach der friedlichen Revolution wahr?

Vincent Koch

Autoreninfo

Vincent Koch, geboren 2001, lebt in Dresden. Dort absolviert er derzeit sein Abitur. Nebenbei spielt er Theater an der Bürger:Bühne und ist Teil der Statisterie des Staatsschauspiel Dresden. Gelegentlich publiziert Vincent Koch auch für das Jugendmagazin SPIESSER.de.

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„Mich nervt die ganze Scheiße hier. Immer das Gleiche, und alles geht vor die Hunde. Immer schon, als wäre das nie anders gewesen.“ Das sind einige der Sätze von Tobias, einem unzufriedenen Teenager. Unzufrieden, weil das sächsische Dorf, in dem er aufwächst, seit dem Ende der DDR verfällt: Arbeitsplätze verschwinden, weil Fabriken schließen, die Grundschule wird zum Asylheim umfunktioniert, die Eltern bleiben sprachlos. Tobias kompensiert seine Wut mit rechtem Extremismus. Er, ein Protagonist in Lukas Rietzschels großem Roman Mit der Faust in die Welt schlagen, dessen Adaption seit September am Staatsschauspiel Dresden läuft.

Die „Faust“ ist ein Theaterabend, der mich alarmiert. Das Bild, dass gezeichnet wird, ist nicht das eines vereinten Landes. Wenngleich Rietzschel die Situation konzentriert, nehme ich täglich wahr, dass die Wunde, die in der Mitte Deutschlands klafft, tief sein muss. Ich gehe oft ins Theater, glaube an die politische Kraft desselben. Die Ost-West-Thematik begegnet mir gerade auf der Bühne immer wieder. Kein Zufall. 30 Jahre Mauerfall, ja. Aber vereintes Deutschland?

Gerade, weil ich die DDR nicht erlebt habe, ist das eine Frage, die mich tangiert. Sie ist aber so kompliziert zu beantworten, dass ich ohnehin glaube, später am Theater arbeiten zu müssen. Sonst drehe ich durch.

„Wessi“ ist noch immer negativ konnotiert

Alle meiner Familienmitglieder stammen aus dem Osten. Manchmal sprechen wir über die DDR. Einmal haben wir im Garten meiner Großeltern ein Fest gefeiert. Ich war 14. Während die Erwachsenen Kaffee tranken, entdeckte ich im Schuppen eine Fahne aus dickem Stoff – eine vermeintliche Deutschlandfahne. Als Opa sah, wie ich diese schwenkte, rief er: „Leg‘ die sofort weg. Die darf man nicht mehr benutzen, die stammt aus der DDR.“ Ich dachte damals lange darüber nach, warum Opa das verstaubte Teil bunkerte. In meiner Familie habe ich dann auch erstmals das Wort „Wessi“ gehört, negativ konnotiert. Ich halte nichts von dieser Kategorisierung. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, die Begriffe „Wessi“ oder „Ossi“ je positiv zu verwenden. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das aber langsam peinlich wird.

Was ich auch spüre: dass die Menschen, die die DDR erlebt haben, vorgefertigte Meinungen über den Westen haben. Die sind auch nicht zu revidieren, weil sie vor vielen Jahren entstanden sind. Die damaligen Umstände mussten begründet werden. „Was für ein arroganter Wessi“, höre ich Papa manchmal sagen. Wahrscheinlich ist er sich nicht bewusst, welches schreckliche Klischee er beschreibt.

Eine Statistik der Konrad-Adenauer-Stiftung, die dieser Tage veröffentlicht wurde, bestätigt meine Wahrnehmung: 44 Prozent der Ostdeutschen finden die Westbevölkerung arrogant. Oder Opa (der mit der DDR-Fahne) schimpft: „Wir hatten damals nicht so viel wie die im Westen und waren trotzdem glücklich.“ Ein Stück weit kann ich auch nachvollziehen, dass diese Denke existiert. Mir würde nie einfallen, meine Familie zu verurteilen. Ich kann ihre Erfahrungen nicht nachvollziehen. Sie können ihre Rückschlüsse gut begründen. Das Ende der DDR war für viele auch ein Verlust von Identität.

Überdramatisierung ist kein Weg

In der Schule ist Ost und West gelegentlich Thema. Mein neuer Geschichtslehrer, Herr Heine*, ist ein Glücksfall. Die Diskussionsrunden, die er initiiert, sind irre lebhaft. Herr Heines Unterricht ist per se differenziert, was ich von den bisherigen Geschichtslehrern nicht behaupten kann. Vorurteile gegenüber dem Westen kommen natürlich auch zustande, wenn eine Thematik, die „beide Gebiete“ betrifft, einseitig behandelt wird.

Natürlich weiß ich viel über die DDR, weil meine Familie davon erzählt. Trotzdem würde es mir schwerfallen, etwas über die BRD zu erzählen. „Du neigst dazu, die Welt in Schwarz und Weiß zu teilen“, schrieb eine Lehrerin mal unter die Analyse eines Zeitzeugeninterviews, das ich mit Opa (nicht der mit der Fahne) geführt hatte. So richtig geht mir dieser Kommentar nicht aus dem Kopf. Ich denk oft darüber nach, wie wichtig es ist, mehr Grautöne zuzulassen, keine Schubladen zu verwenden.

Ich bin kein Politikwissenschaftler. Ich will auch keiner werden. Nach siebzehn Jahren auf dieser Erde habe ich dennoch eine Menge über die Ost- und Westgeschichte gelernt. Ost und West trennt heute keine Mauer, sondern höchstens ein paar Vorurteile. Bananen gibt’s überall. Wir sollten uns öfter mal an die eigene Nase fassen, Klischees vermeiden, nicht verklären. Überdramatisierung ist kein Weg, Glorifizierung auch nicht. Vor allem aber sollten wir miteinander sprechen – zum Austauschen, Differenzieren und Annähern. Was gibt es denn schließlich Schöneres als ein Land ohne Mauer?

*Name aus Anonymitätsgründen geändert.

Junge Menschen interessieren sich nicht für Politik, sagen die einen. Die Politik interessiert sich nicht für die jungen Menschen und ihre Anliegen, sagen die anderen. Tatsache ist: Politik wird mehrheitlich von älteren Leuten gemacht und zunehmend auch für ältere Leute, denn die bilden den größten Anteil der Wähler. Mit unserer Serie „Junge Stimmen“ wollen wir darum auch jenen Gehör verschaffen, die schließlich auch unsere Zukunft sind.

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Werner Fritsch | So., 10. November 2019 - 02:50

Sehr gut beobachtet. Guter Beitrag

Vincent Koch | So., 10. November 2019 - 14:00

Antwort auf von Werner Fritsch

Lieben Dank, das freut mich!

Tomas Poth | So., 10. November 2019 - 16:30

Seit 1871 gab es erst das Deutsche Reich/Deutschland als Nation der Deutschen.
Seit 1945 haben wir bis 1990 fast 45 Jahre getrennte Geschichte hinter uns, jeweils in verfeindeten Lagern (Warschauer Pakt vs. Nato). Und das nach einer Geschichte mit 12 Jahren NS-Zeit. Welches Volk hat diese extreme je erlebt und gelebt?
Die vielen Wunden werden nur langsam heilen. Die Massenmigration ist Salz in dieser Wunde. Unsere politische Führung zeigt sich leider unfähig mit dieser Geschichte umzugehen. Sie weicht feige dem nötigen Patriotismus aus falschem Verständnis aus und will sich in ein "vereintes Europa" als eine neue Nation flüchten. Sich unserer Geschichte entledigen.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 11. November 2019 - 11:16

Wow. Geschichtsunterricht echt jetzt? Ein richtiger Geschichtslehrer zum Anfassen, der noch neutral Geschichte lehrt? Hier bei uns in Deutschland? Ein Lehrer der weder DDR-gefärbt noch grün-links verstrahlt oder ewig gestrig einfach nur Geschichte aus allen möglichen Gesichtspunkten heraus in den Raum seines Klassenzimmers bringt? Der Diskussion und Inhalte fördert?
Uiiii. Was hätten einige nicht nur junge Menschen mal Geschichtsunterricht nötig und vor allem die Erkenntnis unseres jungen Artikelschreibers wäre für die Politik notwendig.
" Vor allem aber sollten wir miteinander sprechen – zum Austauschen, Differenzieren und Annähern." Eigentlich eine Binsenweisheit. Eigentlich.
Aber das sagt nicht nur der überwiegende Teil der über 60jährigen hier im Forum, das sagt auch ein 17jähriger hier im Cicero.
Keine utopischen Forderungen grüner Ideologie, sondern respektvoller Gedankenaustausch fordert dieser 17jährige und sucht ihn im Elternhaus. Hört ihn aber die Politik?