Die DDR kriegt man aus dem ehemaligen Leutnanten Harald Jäger nicht heraus / Foto: Verena Brandt

Harald Jäger - „Leckt mich am Arsch!“

Vor 30 Jahren fiel die Mauer in Berlin. Oberstleutnant Harald Jäger war der Erste, der DDR-Bürger an der Grenze in den Westen ließ. Begegnung mit einem Helden, der keiner war

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Der Tag, an dem die Mauer fällt, beginnt ohne besondere Vorkommnisse. Harald Jäger, 46 Jahre alt, ist stellvertretender Leiter der Passkontrolle am Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin. Es ist schon 19 Uhr, als er beim Abendessen in der Kantine hört, wie Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz des Politbüros im Fernsehen jener Satz herausrutscht, der den Anfang vom Ende der DDR bedeutete. Jeder Bürger könne über Grenzübergangspunkte der DDR ausreisen. „Das tritt … nach meiner Kenntnis … ist das sofort.“

Ein Versprecher? Nur eine Stunde später stehen 150 DDR-Bürger vor der Schranke. Um 22 Uhr – das ZDF hat die Meldung verbreitet, das Regime habe die Mauer geöffnet – strömen die Menschen in Scharen vom Prenzlauer Berg zum Grenzübergang. Es ist so voll, dass sich der Zaun bedrohlich biegt. Die Menschen sind wütend. Sie brüllen: „Tooor auf!

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Thomas Teichmüller | Sa., 9. November 2019 - 16:14

Im Lebenslauf von Harald Jäger ist nichts ungewöhnliches, aber eben auch nichts besonders verwerfliches. Als Uniformträger der DDR war für jeden erkennbar für wen er arbeitete. Das ist nicht vergleichbar mit den vielen IM-Mitarbeitern, die ihre Freunde, Arbeitskollegen oder ihre Ehepartner bespitzelten. In dem Moment in dem er auf eigene Verantwortung den Schlagbaum öffnete, ist er zum Held geworden. Diese Menschen gehören in eine Talkshow, weil sie Zeitzeugen sind und Geschichte geschrieben haben.

Dass man die Lebensleistung der Menschen, die in der DDR gewirkt haben und an unterschiedlichen Stellen Zivilcourage gezeigt haben, würdigt, halte ich für Selbstverständlich. Aber wir sind als Gesellschaft (Ost wie West) zu sehr auf die Vergangenheit fixiert; manchmal wird sie sogar verherrlicht. Wir dürfen vor lauter Gedenken und Retrotopie die Zukunft nicht vergessen.
Themen von der Digitalisierung der Arbeitswelt bis hin zur Rolle Deutschlands und Europas im Kräfteparallelogramm mit USA, Russland und China, gibt es ja genug.
Wenn wir uns hier mit ganzer Kraft engagieren, erfüllen wir wirklich das Vermächtnis derer, die 1989 die friedliche Revolution in der DDR bewirkt haben.

Ernst-Günther Konrad | So., 10. November 2019 - 19:04

Für mich als Wessi ist es nicht angezeigt, das Leben des Herrn Jäger bis heute zu werten. Ich kann seine Aussagen auch nicht mit meiner eigenen Biografie abgleichen, um ggfls. Widersprüche und Fehlverhalten zu erkennen. Hier sollten sich im Forum diejenigen äußern, die als Bewohner der DDR eigenes Wissen und Erfahrungen haben. Vielleicht kennt ja jemand den Mann persönlich und hat ihn im DDR-Alltag erlebt?
Hat er nur seinen Job gemacht oder hat er ganz persönlich seine Sichtweise und die Ideologie seines Staates ausgelebt? Es gäbe etliche Fragen. Die sollten die Betroffenen stellen. Ein Wessi sollte schweigen und den Kommentatoren zuhören, die Herrn Jägers Aussagen einordnen können.

Werner Strunz | Mo., 11. November 2019 - 15:04

vorausgesetzt Herr Jäger würde es akzeptieren, hätte er das Bundesverdienstkreuz (oder mehr?) verdient.
Es spielt keine Rolle, was der ausschlaggebenede Grund für seine Entscheidung war, den Schlagbaum zu öffnen; es zählt allein, dass er es getan hat. Die Alternative wäre gewesen, den Gebrauch der Schusswaffe zu befehlen. Und das, so bin ich sicher, hat den Ausschlag zu seiner Entscheidung gegeben.

Wie die Geschichte gezeigt hat, war seine Tat der Beginn des Falls der Mauer und damit der Wiedervereinigung.

Meinen ganzen Respekt Herr Jäger
Werner Strunz