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Pro Salvini Demonstration in Rom / picture alliance

Italienische Verhältnisse - Alle gegen einen, aber Salvini gewinnt

In Deutschland heißt es, alle gegen die AfD. In Italien, alle gegen den „Capitano“ Matteo Salvini. Wie schnell das nach hinten losgehen kann, haben vergangenen Sonntag die Regionalwahlen in Umbrien gezeigt. Die Menschen wollen Inhalte und keine Feindbilder. Eine Lehre, nicht nur für Italien

Andrea Affaticati

Autoreninfo

Andrea Affaticati ist gebürtige Wienerin, lebt in Mailand und arbeitet als freie Journalistin für italienische und deutsche Medien. Sie berichtet über Italiens Politik, Gesellschaft und Kultur.

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Das gesellschaftliche Leben des Volkes spielt sich in Italien seit eh und je auf dem Platz ab. Und daran hat sich bis heute, trotz sozialer Medien, nichts oder nur wenig geändert. Piazza und Popolo, diese zwei Begriffe sollte man deshalb im Kopf behalten, wenn man auf die politischen Geschehnisse in Italien blickt. Einige Bilder, von vergangener Woche, sind hierfür paradigmatisch.

Auf den einen sieht man einen hemdsärmeligen, verschwitzten Matteo Salvini, Chef der rechtsnationalen Lega, unter dem Volk in einer Piazza einer umbrischen Kleinstadt, Salvini, der Selfies macht, der Hände schüttelt, sich umarmen lässt und lokale Produkte lobt. Das andere ist ein Gruppenbild. Es zeigt Luigi Di Maio, den Chef der 5-Sterne-Bewegung, mit Luca Zingaretti, dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Premier Giuseppe Conte und mit dem umbrischen Spitzenkandidaten Vincenzo Bianconi, alle in maßgeschneiderten Anzügen. Da ist ein Salvini, der die körperliche Nähe zum Popolo sucht, der sich als lebender „Ecce Homo“ darstellt, dort sind die anderen, die sich, vom Popolo abgeschottet, in der Rolle der „Vier für ein Ave Maria“ üben.

Die letzten roten Trutzburgen

Welches dieser Bilder überzeugender angekommen ist, hat am vergangenen Sonntag die Wahl in der mittelitalienischen Region Umbrien gezeigt. Die rechtsnationale Lega hat 36,9 Prozent der Stimmen erhalten, die Rechten von Fratelli d’Italia 10,9, und Berlusconis Forza Italia 5,5. Summa summarum haben 53,4 Prozent der Wähler einer Region, die 50 Jahre lang von der Kommunistischen Partei, beziehungsweise von den Sozialdemokraten regiert wurde, für einen deutlichen Rechtsruck gestimmt. Zwar hatte Salvini mit einem Sieg der Spitzenkandidatin des Rechtsbündnisses Donatella Tesei gerechnet. Dass dieser aber dann so eindeutig ausfiel, war doch überraschend. Er hatte sich aber schnell wieder im Griff, verkündete die „Befreiung“ der Region und läutete sofort die nächste Kampfrunde ein: Am 26. Januar finden Regionalwahlen in Emilia Romagna statt, einer der letzten roten Trutzburgen.

Seit dem Bruch mit dem ehemaligen Regierungspartner 5-Sterne Anfang August pocht Salvini auf Neuwahlen. Eigentlich hatte er mit einem sofortigen Urnengang gerechnet. Zu diesem kam es aber nicht, denn es fand sich zusammen, was eigentlich nie zusammen gehören wollte: Die 5-Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten. Eine „kalte Fusion“, wie die Medien schreiben, die nur deshalb entstanden war, weil beide Partner ein einziges Ziel verfolgen: Salvini, beziehungsweise einen rechtsnationalen Rutsch Italiens, mit allen Mitteln zu vermeiden. Wobei hinzugefügt werden muss, dass dieses Ziel den Sozialdemokraten mehr am Herzen liegt als den 5-Sternen, die mittlerweile gänzlich die Orientierung verloren zu haben scheinen.

Salvinis „Italiener zuerst“ als Hoffnungsschimmer

Dass aber allein ein Bündnis gegen Salvini nicht reicht, hat die Wahl in Umbrien gezeigt. Ohne Inhalte, die der Bürger nachvollziehen kann, gewinnt man keine Wahl. Und neue politische Zielsetzungen bräuchte das Land dringend. Seit fast 30 Jahren siecht Italiens Wirtschaft dahin, hunderttausende Jugendliche sind ausgewandert, die Löhne sind infolge der Wirtschaftskrise heute niedriger als vor 10 Jahren. Keine Frage, Salvinis „Italiener zuerst“ ist nicht mehr als eine Zauberformel, doch sie gibt den Menschen einen Hoffnungsschimmer.

Von Außen gesehen könnte man das alles als „italienische Verhältnisse “ abkanzeln. Das wäre aber ein Fehler. Italien mag eine Vorreiterrolle spielen, doch wie die Wahlen, zum Beispiel in Thüringen gezeigt haben, sind es immer mehr Menschen, die sich abgehängt und noch dazu verschmäht fühlen. Es sind deshalb nicht nur Italiens Politiker, die sich diesem Wählerlager endlich mit zeitgemäßen und umsetzbaren Vorschlägen zur Debatte stellen sollten. Denn Demokratie hält nicht nur Inhaltsdebatten aus, sie gründet darauf.

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Andreas Zimmermann | Do., 31. Oktober 2019 - 13:15

Na so was, ein Bericht über Italien und Salvini mal ohne Gift und Galle - wie erfrischend und interessant! Vielen Dank Frau Affaticati.

Artikel von Frau. A. Affaticati, Herr Zimmermann. Der beschreibt ungeschminkt die italienischen Verhältnisse so wie sie wirklich sind.
Sie beschreibt die Lage sachlich, neutral und ohne Anomosität. So muss guter Journalismus sein.
Danke Frau Affaticati!

So geht eben Journalismus auch. Neutral und aufgeregt, ohne Schaum vor dem Mund und mit Respekt vor den italinienischen Wählern. Einfach schreiben was ist. Nicht wir Deutsche haben zu entscheiden, wer politisch in Italien das Zepter in der Hand hält, sondern die Italienier selber. Es sieht danach aus, als ob die Zwangsheirat der fünf Sterne und der Sozialdemokraten das Gegenteil von dem bewirkt und nicht wie erwartet, Salvini politisch in Abseits gebracht hat. Vielmehr dürfte es dazu führen, dass Herr Salvini seine politische Macht basisorientiert immer mehr ausbaut ohne ständig an vorderster Front agieren zu müssen. Ich bin überzeugt er wird kommenund da weiter machen, wo er aufhören musste. Auch in Italien lassen sich nicht alle Wähler täuschen.

Es gibt woanders noch Journalisten und Journalistinnen, die sich berechtigt auch so nennen dürfen, weil sie sich nicht dem Mainstream beugen oder unterordnen, wie die Berufsparte bei uns. Wie wohltuend ist es so einen Artikel ohne Schimpftiraden und Verteufelung zu lesen. Beispielhaft! Solche Zeiten hatten wir vor nicht allzu langer Zeit auch noch, aber seit die Wahlprozente der SPD immer tiefer in den Keller rutschen, schlagen deren Abgeordneten wie Ertrinkende um sich. Die gesetzgebenden Beschlüsse der bisherigen 3 SPD-Justizminister schränken immer mehr unsere Meinungsfreiheit ein, wie jetzt die 9 Punkte Maßnahmen der Justizministerin Christine Lambrecht. So was hat Deutschland bereits 1934 mit dem Heimtückegesetz gehabt. Ist es im jetzigen Deutschland wieder so, oder täusche ich mich? Und ist Cicero das das einzige Magazin, wo man sowas noch schreiben darf?

Heidemarie Heim | Do., 31. Oktober 2019 - 14:37

Piazza und Popolo. Vielen Dank liebe Frau Affaticati und der Redaktion für eine stimmungsvolle und fern der üblichen "Stimmungsmache" erfolgten Berichterstattung! Sehr anschaulich wird hier aufgezeigt mit welcher Ignoranz und Abgehobenheit, für den Wähler jedoch durchsichtig was Motive anbelangt, die Politik und ihre Vertreter zuweilen agieren. Gibt es für so was keine Wahlkampfberater? Oder wie ein Mitkommentator gerne sagt, was von ratioph…?
Capo Salvini mag zwar nach den bei uns herrschenden politischen Maßstäben ein radikaler Populist und sonst was sein, aber er vermittelt seinen Anhängern ein Gefühl von Stärke,von Dazugehörigkeit, neuem Selbstbewusstsein und
auch seinen ehrgeizigen Willen zu führen bzw. sich auch gegen Einflüsse einer EU usw. entsprechend entgegenzustellen. Ob`s dem immerzu empörten restlichen Spektrum passt oder nicht, die Bürger haben frei gewählt! Und sie haben sich für die Hemdsärmel entschieden;-) MfG

Brigitte Simon | Do., 31. Oktober 2019 - 17:12

Antwort auf von Heidemarie Heim

Liebe Frau Heim,
liebe Frau Affaticati,
ein wohltuender Artikel und wohltuender Kommentar
von Ihnen.
Ich schließe mich Ihren Ausführungen voll an. Warum?
Dazu später.
L.G. Brigitte Simon

Brigitte Simon | Fr., 1. November 2019 - 08:52

Antwort auf von Heidemarie Heim

Liebe Frau Heim,
Ihr begeisterter Kommentar für Frau Affaticati begeisterte mich ebenso. Sie beide animierten mich zu einigen Zeilen an die Autorin:

"Sehr geehrte Frau Affaticati,
einen warmen Dank für Ihren wunderbaren Artikel im Cicero.
Ihr Artikel strahlt ausdrucksvolle Ruhe aus, gepaart mit einer seltenen Fairness, die für mich bereits verloren ging. Aus deutscher Sicht betrachte ich diesen mutig.
Für die Veröffentlichung danke ich Cicero, Gott sei Dank, daß es ihn gibt.
Der Inhalt demonstriert die Parallelität zur mittlerweile deutschen Politik. Diese vo-
tierte zur Einschränkung der nicht nur öffentlichen Meinung. Schläge in das Gesicht der Wähler.
Parteien gegenteiligster "Ideologie", vorsichtig formuliert, entdecken plötzlich viele Gemeinsamkeiten. Und Liebe füreinander, die sie uns vorenthalten.
Eine schöne Zeit für Sie in "unserem Italien". Ihre Artikel werde ich "verfolgen.

P.S. "Ja, liebe Frau Heim, an diesem Brief tragen Sie eine gewisse Schuld" Danke!.

Heidemarie Heim | Fr., 1. November 2019 - 18:53

Antwort auf von Brigitte Simon

Sie haben recht liebe Frau Simon! Man kann es nicht hoch genug schätzen, das wir Cicero-Leser teilhaben dürfen an einem vielfältigen Angebot guter journalistischer Arbeit oder wie hier Zugang und Einblick durch vor Ort lebende BerichterstatterInnen erlangen können. Solche Beiträge "dessen was ist" gibt dem Leser allen Raum für eigene Gedanken, Meinungen und späteren Austausch.
Alles Gute! Grüße an Alle!

Kurt Walther | Do., 31. Oktober 2019 - 17:48

Ein sehr sachlicher Bericht über die politische Situation in Italien. Solche nüchternen Einblicke in das Innere wichtiger Nachbarstaaten sind leider selten geworden.
Man hatte durchaus mitbekommen, dass Salvini in der Flüchtlingspolitik als Innenminister einen harten Kurs verfolgte und über Neuwahlen in Italien noch mehr erreichen wollte. Dann aber wurde er von den anderen Parteien ausgebootet, indem Parteien, die sich bislang bekämpften, plötzlich gegen Salvini vereinigten: Neuwahlen verhindern und Salvini blockieren.
Haben wir nicht ähnliche Verhaltensmuster auch in Deutschland? Wo notwendig: Bildung einer "Nationalen Front" oder "Volksfront" der Altparteien zwecks Besitzstandswahrung. Wenn aber eine Wählermehrheit es anders will, so wie in Umbrien jetzt geschehen, und in den Regionen sich rechtsgerichtete Kräfte durchsetzen, werden sie irgendwann auch die Regierung in Rom übernehmen. Schlechte Wirtschaftslage und hoher Migrantenanteil sind der Motor dieser Entwicklung.

Romuald Veselic | Do., 31. Oktober 2019 - 18:33

Individuums, sich unsinnigen Verboten/Anordnungen/Geboten zu widersetzen, die in Dt. schon monumentale Ausmaße angenommen hatten. Die ersten die das nicht mitmachten, waren Eva u. Adam. Im Gottes Paradies great again.

Albert Schultheis | Do., 31. Oktober 2019 - 20:54

Ihnen ist ein bahnbrechender Satz gelungen, den kein noch so renommierter deutscher Journalist hätte formulieren können - so einfach ist der:
"Denn Demokratie hält nicht nur Inhaltsdebatten aus, sie gründet darauf."
Was für eine tiefschürfende Erkenntnis - ich meine das ganz ohne Ironie.
Ich bin geradezu entzückt. Danke!

Susanne Dorn | Do., 31. Oktober 2019 - 21:42

…die Bürger Europas lassen sich nicht durch Hinterzimmergekungel der EU-Politiker - hauptsächlich Merkel und Macron - beeinflussen und manipulieren. Das ist einer Demokratie unwürdig.

Irgendwann werden sich Politiker aller Couleur mit dem Willen der Bürger auseinandersetzen müssen, ob sie wollen oder nicht.

Nicht der Souverän hat sich der Politik zu „beugen“ sondern die Politik dem Wählerwillen!

patricia mühl | Fr., 1. November 2019 - 07:01

Sinngemäß stand in dem Artikel: Ohne eigene politische Richtung kann man keine Wahlen gewinnen. Es ging doch um eine Wahl in Italien, nicht? Man könnte meinen, es wäre ein Kommentar zur SPD. Herzlichen Glückwunsch, Herr Salvini. Auch viele Deutsche haben die Luftblasensprecher der political correctness satt.

gabriele bondzio | Fr., 1. November 2019 - 12:38

was eigentlich nie zusammen gehören wollte"...Eine Art politische Torschlusspanik.Nach dem Motto »besser einen falschen Partner als gar keinen«. Macht ausüben, vorbei am Souverän(?) ist so lange es noch Wahlen gibt, wenig erfolgreich. Aber man darf gespannt sein, was bei einem erneuten Erfolg Salvinis aus dem Hut gezaubert wird. In DE ist man ja auch nach Wahlen sehr "kreativ" unterwegs.