
- Ein Land der Schlichter und Schenker
Ein Nanny-Staat nimmt den Bürgern zunehmend das Denken ab. Selbst die gelbe Ampelphase wird den Leuten noch erklärt. Man ist derart gefühlig geworden, dass man von Deutschland den Eindruck einer sozialpädagogischen Förderrepublik bekommt
Zwischen 2004 und 2011 strahlte der Sender RTL in 145 Folgen die Serie „Die Super-Nanny“ aus. Die auch im realen Leben als Sozialpädagogin tätige Katharina Saalfrank stand Eltern mit schwierigen Kindern mit Rat und Tat zur Seite. Als schwierig galt ein unangepasstes Verhalten jeglicher Couleur, vorlaut, aggressiv, lethargisch, ständig quengelnd, egoistisch, lärmend, hyperaktiv – die Bandbreite war groß.
Die Kritik an der Sendung war ebenfalls nicht gering, so wurde beispielsweise als problematisch gesehen, dass unangepasstes Verhalten per se als behandlungsbedürftig galt. Für die spätere Wortschöpfung „Nanny-Staat“ war jedoch nicht entscheidend, welches Verhalten von Kindern, aber auch von ihren Eltern, gezeigt wurde, oder ob das Eingreifen der Sozialpädagogin angemessen oder nicht angemessen war. Der entscheidende Punkt war, dass ab einem bestimmten Ausmaß von Lebensschwierigkeit Hilfe von außen unverzichtbar ist. Wobei „ab einem bestimmten Ausmaß“ im Auge des Betrachters liegt. Jedenfalls gibt es bei den meisten Lebensschwierigkeiten kein objektives Kriterium, wann Hilfe von außen erforderlich sein soll.
Die Super-Nanny im Großen
So wie bei der Super-Nanny im Kleinen, in der Familie, so auch bei der Super-Nanny im Großen, im Staat. Durch die Vagheit der Definition Lebensschwierigkeit ist der Staat nun in der Lage, Hilfe bei allen möglichen Problemen anzubieten. So beispielsweise beim Überqueren einer Straße. Das kann eine knifflige Angelegenheit werden, besonders in Düsseldorf, wo die Fußgängerampel nicht nur eine Rot- und Grün- sondern auch eine Gelbphase hat. Dies ist zwar schon seit über 50 Jahren so, aber auch an die jüngeren Einwohner oder Besucher der Stadt muss gedacht werden. So intensiv, dass die Stadtverwaltung auf acht Seiten mit Schautafeln erklärt, wie man´s richtig macht: „Die Ampel springt auf Grün, der ideale Zeitpunkt für alle Fußgänger, jetzt loszugehen“. Fast könnte man meinen, das sei eine Realsatire. Irgendwie ist es das ja auch, aber andererseits auch bitterer Ernst, von dem nicht nur die Einwohner Düsseldorfs betroffen sind.
Überall versucht der Staat, den Bürgern das selbständige Denken und die Eigenverantwortlichkeit abzunehmen. Der ehemalige Verkehrsminister Peter Ramsauer spielte schon mit dem Gedanken, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen, ein Expertengremium empfahl eine Steuer auf gesättigte Fettsäuren, damit die Bürger statt Fleisch Gemüse essen, auf bayerischen Ausflugsdampfern ist das Rauchen unter freiem Himmel verboten, vom Veggi-Day der Grünen Ethikweltmeister ganz zu schweigen.
Sind Sie nicht förderungswürdig?
Die Maxime des Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant (1724-1804) „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist transformiert worden zu „sich leiten und einlullen lassen ist der Königsweg zur Merkelokratie“. Der Bürger als betreuungsbedürftiger Volltrottel. Packt der Staat ihn gar in Watte ein? Zumindest wird der Teil der Bürger, den der Staat zumeist finanziell oder durch Steuervergünstigungen fördert, stetig größer. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Je nach sozialpolitischer Stimmung, Eigenart des Daseins, tatsächlicher oder gefühlter Behandlungsbedürftigkeit werden derzeit folgende Bürger für förderungswürdig gehalten beziehungsweise stehen kurz davor es zu werden: Alkoholkonsumenten, Alleinerziehende, Allergiker, zu Dicke, zu Dünne, Erschöpfte, Sex- und Glücksspielsüchtige, zu Große, zu Kleine, nicht erkannte Hochbegabte, zu gut Hörende, zu schlecht Hörende, Impulskontrollgestörte, unerwünscht Kinderlose, Laktoseintolerante, Lernbehinderte, Väter mit abgesprochenem Sorgerecht, Medizingeschädigte, Gemobbte, tatsächlich oder geglaubt, ganz egal, Hauptsache authentisch, Opfer, Persönlichkeitsgestörte, Angehörige psychisch Kranker, Naturschützer, Denkmalschützer, Bienenzüchter, Hausbauer, Migranten, Filmschaffende, Besitzer von herausragenden Sportstätten, Auszubildende, Studenten, Verwitwete, Arbeitslose, Dumme. Wer nicht zu einem förderungswürdigen Personenkreis gehört, muss irgendetwas falsch gemacht haben.
Angefangen hatte der Sozialstaat mit der Bekämpfung existenzieller Notlagen, nun scheint die Generalkompensation auch der merkwürdigsten Lebensformen und jeglicher Schicksale das irre Ziel zu sein. Doch es geht nicht nur um finanzielle und materielle Entschädigung oder Gesundheitsfürsorge. Seit geraumer Zeit versucht der Staat seine Bürger von der Wahrheit abzuschirmen, im Umkehrschluss natürlich auch, sich selbst vor dem informierten Bürger zu schützen. Schon Bismarck formulierte, dass der Bürger nicht wissen dürfe, wie Würste und Gesetze gemacht werden. Churchill meinte, dass die Wahrheit ein so kostbares Gut sei, dass sie durch einen Wall von Lügen geschützt werden müsse.
Deutschland, Land der Schlichter und Schenker
Zwei der heutigen Wälle heißen Inklusion und Quotenregelung. Inklusion, das gleichzeitige Unterrichten von Behinderten, insbesondere geistig Behinderten und nicht Behinderten, ist zunächst einmal gut gemeint, stößt in der Praxis jedoch auf mannigfaltige Hindernisse (zum Beispiel zu wenige und zu wenig ausgebildete Lehrer), auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Entscheidend ist die Utopie, dass es Behinderung als solche nicht mehr geben soll. Das geht schon klar aus der Wortschöpfung „Menschen mit besonderen Eigenschaften“ hervor. Viele betroffene Eltern möchten dies gerne glauben, der Staat serviert es ihnen. Genauso die Quotenregelungen, die idealen Weichmacher des Leistungsprinzips. Anstelle der Qualifikation über Wissen und Erfahrung, gibt es nun die frech grinsenden Quotenregelungen, durch die Karriere durch Leistung zur Lüge wird.
Quote und Inklusion sind beliebte Lügenprinzessinnen des Staates, um seine Bürger vor der Wahrheit zu schützen. Gleichzeitig gibt es die Gesamtabfederung durch staatliche Fördermittel. Deutschland – früher das Land der Dichter und Denker, zwischen 33 und 45 der Richter und Henker, so soll es heute das der Schlichter und Schenker sein. Könnte zutreffen. Ganz sicher ist es das Land der Betreuer und Betreuten, der Therapeuten und Therapierten sowie der Trauernden und Trauerkümmerer. In der sozialpädagogischen Förderrepublik Deutschland wollen Helden einfach nicht mehr nachwachsen. Mimosen sprießen aus allen Ecken hervor, ebenso wie Achtsamkeits- und Empfindlichkeitsartisten.
Burkhard Voß hat kürzlich ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt „Wenn der Kapitän als Erster von Bord geht: Wie Postheroismus unsere Gesellschaft schwächt“ und erschien im Verlag Solibro.