Bernhard Vogel und Jana Hensel bei Markus Lanz
Larmoyanz bei Lanz: Bernhard Vogel und Jana Hensel / picture alliance

Jana Hensel bei Markus Lanz - Da isser, der Jammer-Ossi

Meistgelesener Text im August: Mit Jana Hensel saß bei Markus Lanz eine der profiliertesten Autorinnen zum Thema Ostdeutschland. Doch was man von ihr erfuhr, war historische Verklärung. Zu Recht konnte Thüringens Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel darüber nur noch den Kopf schütteln

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Er war lange weg. So lange, dass man schon dachte, nanu, wo isser denn hin, der „Jammer-Ossi.“ Jenes Pendant zum nicht minder unbeliebten „Besser-Wessi“, das immer dann in den Medien auftauchte, wenn es knirschte im Getriebe der Wiedervereinigung. Ist ihm etwas passiert? Oder hat er den Ballast der Klischees endlich hinter sich gelassen? Ist er 30 Jahre nach dem Mauerfall angekommen?

Nein, er ist immer noch da. Am Mittwoch saß er im ZDF, in der Talkshow bei Markus Lanz. Es war eine merkwürdige Begegnung, denn auf den ersten Blick hätte man ihn nicht erkannt, im blauen Blazer und der Föhnfrisur. Er ist eine sie. Die Journalistin Jana Hensel war 13, als die Mauer fiel. Ihre Kindheit im Sozialismus hat sie 2002 in dem Buch „Zonenkinder“ so nostalgisch verklärt, dass man sich die DDR wie eine Art sozialistisches Disneyland vorstellte, bloß mit Trabis.

Das Morgen ist wichtiger als das Gestern

Seither ist Deutschland auf dem Weg der Wiedervereinigung ein gutes Stück weit vorangekommen. Noch immer „blüht“ der Osten nicht so, wie sich das viele 1989 vielleicht erträumt hatten. Doch die Städte sind top-saniert – dem „Soli“ sei Dank. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordtief gesunken. In diesem Jahr sind zum ersten Mal mehr Menschen in die neuen Bundesländer zurückgekehrt als fortgezogen. Ostdeutschland? Westdeutschland? Für die Kinder der Heimkehrer spielt das keine Rolle mehr. Das Morgen ist wichtiger als das Gestern.

Bei den Älteren ist es manchmal noch umgekehrt. Das spürt man, wenn man im ehemaligen Osttteil Berlins lebt. Dort trifft man ihn heute tatsächlich noch vereinzelt, den Jammer-Ossi. Im Jahr der Wende hat er mit den Füßen für die D-Mark und gegen einen Staat gestimmt, der Andersdenkende ins Gefängnis einsperrte. Heute aber macht er „den Staat“ für alles verantwortlich, was ihm das Leben schwer macht. Steigende Mieten. Eine Rente, die kaum zum Leben reicht. Der Verlust dessen, was man Nestwärme nennt.

Anwältin der Wende-Opfer

Es ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis, was sich da offenbart. Auf einer Bürgerversammlung  mit einem Stadtbaurat von Treptow-Köpenick beklagten sich einige Rentner neulich, in ihrem Stadtteil gäbe es kaum noch Orte zum Ausgehen. Der Staat solle ihnen, bitteschön, ein Ausflugslokal finanzieren. Sie reagierten wütend, als ihnen der Mann erklärte, dass das nicht Aufgabe der Verwaltung sei. Das Leben in der Marktwirtschaft sei doch kein Wunschkonzert.

Jetzt, kurz vor den Landtagswahlen, ist Jana Hensel wieder auf Talkshow-Tour, um ihr neues Buch zu promoten. Dabei tritt sie als Anwältin dieser Menschen auf, die sich selber als Opfer der Wende betrachten. Aber die werden immer weniger. Hensel pauschal-psychologisiert einen ganzen Landstrich. Sie, die 1989 jung genug war, um die Kurve ins wiedervereinigte Deutschland zu bekommen, aber vorgibt, sich bis heute deswegen zu schämen, tut das, was sie ihren Kritikern so gerne als Bild vom Osten ausreden will. Sie jammert. In einer Tour.

Kritik am „Eliten-Austausch“

Die Wiedervereinigung sei „gründlich schiefgegangen“, lamentierte sie bei Lanz. Die industrielle Struktur? Verschwunden. Die junge Intelligenzija? Abgehauen in den Westen. Und dann dieser Rechtsruck, nein, dieser Rechtsruck. Einen öffentlichen Brief an Angela Merkel habe sie geschrieben, nachdem die Kanzlerin im Osten niedergebrüllt worden war. So verstört sei sie gewesen. Mehr als eine Millionen Menschen hätten diesen ihren Brief inzwischen gelesen. Ihre Stimme zittert. Jana Hensel ist von sich selbst ergriffen. Hatte man sich verhört, oder hatte sie dann tatsächlich noch das Wort „Eliten-Austausch“ gesagt?

Neben ihr sitzt ein weißhaariger Herr, der ungläubig staunend den Kopf schüttelt: Bernhard Vogel. Von 1992 bis 2003 war er Ministerpräsident von Thüringen. Ein „Landesvater“ im wahrsten Sinne des Wortes. Er habe seine aus dem Westen importierten Minister so schnell wie möglich gegen fähige Leute aus dem Osten ausgetauscht, versichert er Hensel. Sie verwechsele Ursache und Wirkung. Dass 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch nicht alles rund laufe, sei doch eine Folge der jahrzehntelangen Zweiteilung, nicht der Wiedervereinigung. Vogel sagt: „Ich habe das Gefühl, dass es Leute gibt, die Vorurteile gegenüber dem Osten sehen, wo gar keine Vorurteile sind.“

Die DDR ist verschwunden, aber nicht das Land

Vier Tage, bevor die Menschen in Brandenburg und Sachsen einen neuen Landtag wählen, hat er ie Stimmung damit auf den Punkt gebracht. Es gibt Menschen, die stecken noch immer in der Erinnerungsfalle. Der Staat DDR ist von der Landkarte verschwunden, aber nicht ihr Land. In ihrer Erinnerung ist beides zu einer nostalgischen Einheit verschmolzen. Sie trennen nicht mehr zwischen der Diktatur und dem, was sie ihre Heimat nennen. Sie lassen sich nicht aus dem Paradies ihrer Erinnerung vertreiben.

Die AfD bestärkt sie darin. Mit Slogans wie „Vollende die Wende!“ beschwört sie die Erinnerung an diese Zeit, wo für einen Moment alles möglich erschien: Marktwirtschaft ohne Risiko. Demokratie ohne eigene Verantwortung – das Bällebad der DDR-Kindheit, reloaded. So isser, der Ossi, suggerieren Jana Hensel oder der Spiegel mit dem schwarz-rot-goldenen Anglerhut auf seinem Cover, welches ihr ja so gar nicht gefallen hat. Larmoyant, verängstigt, nicht bereit, sein Leben in die Hand zu nehmen, empfänglich für die Versprechungen rechter Parteien.

Optimismus als Erfolgsrezept

Aber isser wirklich so? Das Bild des Ossis, wie ihn Jana Hensel sieht, ist eher eine Karikatur. Es bestätigt viele der Klischees, die manche im Westen immer noch haben. Und ausgerechnet die „Ossi-Versteherin“ trägt damit nicht zum gegenseitigen Verständnis bei. Sie entlarvt sich selbst als ewig-gestrig. Die Zeit ist über die von ihr verbreiteten Klischees hinweggegangen. Nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen findet nur noch jeder dritte Westdeutsche, dass Ossis mehr jammerten als sie. Jeder vierte Ossi sagt das umgekehrt übrigens auch über sich selbst. Man sieht: Die Vorurteile sind noch nicht verschwunden, aber sie sind schwächer geworden.

Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet die Politiker aus dem Osten gut im ganzen Land ankommen, die dieses Klischee längst hinter sich gelassen haben. Wie hat es Franziska Giffey, die Hoffnungsträgerin der SPD, mit Karl Valentin formuliert? „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. Diese Jammer-Ossi-Tour find‘ ich furchtbar.“

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helmut armbruster | Fr., 30. August 2019 - 09:07

oder: Hilfe ist nur sinnvoll als Beihilfe zur Selbsthilfe.
Der Mensch kommt eigenverantwortlich auf die Welt. Er muss sich um sich selbst kümmern. Er kann diese Eigenverantwortung nicht an den Staat oder an die Gesellschaft delegieren. Er kann nicht erwarten, dass der Staat ihn alimentiert und mit Bequemlichkeiten versorgt.
Aufgabe des Staates kann nur sein die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder für sich selbst sorgen kann. Mehr nicht.
Nicht einmal in einem Sozialstaat wie in unserer BRD wäre es möglich, dass der Staat jedem die Sorge um sein Dasein abnimmt.
Wer das nicht begreifen will, tut mir leid, ob Jammer-Ossi oder nicht.

Die Menschen in Ost-Deutschland hofften, mit der Wende verständlicherweise das Beste beider Systeme zu bekommen: Einerseits die Sicherheiten der DDR, sprich lebenslange Arbeitsplatz-Garantie, soziale Einrichtungen, ordentliche Versorgung im Alter; andererseits hoffte man auf (den als größer vermuteten) Wohlstand wie im Westen, auf Reisefreiheit, auf ein Ende der Repressalien. Wer sich in der Wendezeit mit DDR-Bürgern unterhielt, hörte so gut wie nie die Befürchtung, dass die Arbeitslosigkeit ja auch in den Osten einziehen könnte - lediglich die angeblich hohe Zahl an Ausländern wurde hier und da damals schon kritisch beurteilt, lange vor der sog. Flüchtlingskrise. Viele im Osten fühlen sich heute enttäuscht, vielleicht auch betrogen - darüber, dass sich ihre Erwartungen nicht erfüllt haben. Die AfD versteht es geschickt, persönliche Entäuschung als Versagen der westlichen Demokratie umzudeuten. Da wird sie dann selbst ohne das Anbieten tragfähiger Alternativen gewählt - aus Frust.

Wilfried Düring | Fr., 30. August 2019 - 14:20

Antwort auf von Gerhard Lenz

'ordentliche Versorgung im Alter'
Die 'Mindestrente' in der DDR betrug wenig mehr als 300 Ost-Mark und wurde dann 1988 oder 1989 noch auf 330 Ost-Mark angehoben. Sogenannte 'mithelfende Ehefrauen' von kleinen Selbstständigen (Bäcker, Fleischer, Friseur ...) bekamen gar nichts, solange der verrentete Ex-Selbstständige (eigentlich ein 'Klassenfeind' - sonst wäre er in eine Genossenschaft PGH eingetreten) am Leben war. Nun zu den Preisen. Das Wohnen in den zum Verfall verurteilten Städten war billig. Dafür kosteten 250g Bohnenkaffee 8,75 Ostmark; ein Stück Butter 2,50 Ostmark. Extrem billig war Brot (0,78 - 0,93 Ostmark pro Laib). Das staatlich subventionierte Brot wurde auch gerne an das Vieh verfüttert. Skuril die Situation beim heimischen Obst und Gemüse. Der Staatliche Handel HO kaufte Obst/Gemüse von Kleingärtnern an und verkaufte es an die Menschen weiter. Dabei war der Ankaufpreis oft höher als der Verkaufspreise (weil offizielle 'Preise' in der DDR ja nicht steigen durften ... ).

Rob Schuberth | Sa., 31. August 2019 - 20:32

Antwort auf von Gerhard Lenz

Nein Herr Lenz, sie wollten das eine haben (das was ihnen an der DDR gefiel) und das Andere, die Sicherheit u. Freiheit des Westens, ZUSÄTZLICH auch noch haben.

Das ist verständlich, aber so läuft es nun einmal im Leben nie.
Jede Veränderung bringt auch immer Veränderungen mit sich die meist im Vorfeld außer Acht gelassen wurden, die aber unweigerlich (mit-)kommen.

Was ich als eine Art Entschuldigung für diese kindische Erwartung betrachte ist, dass die meisten DDR-Bürger keine wirkliche Vorstellung davon hatten wie es hier im Westen so war.
So sind bei vielen Menschen deren illusorische Träume u. viel zu hohe Erwartungen geplatzt.
da kann man dann zwar jammern, nur hilft es nichts u. niemandem.

Dachte ich spontan - als ich heute morgen las, dass Frau Klöckner Milliarden "locker" machen will, den anscheinend hilfsbedürftigen
Waldbesitzern zu helfen, die da z. T. von Adel sind oder Kirchen
genannt werden. Da können Obdachlose (in Ost und West)direkt froh
sein - da sie wohl keine Steuern zahlen, geht der Kelch an ihnen vermutlich vorbei.
Ich habe übrigens keine "Jammer-Ossis" getroffen, sondern sehr aktive,
fleißige Menschen! Darunter auch ein paar wütende, deren Betriebe von Westfirmen/-Konzernen "abgewickelt" wurden - gefördert von der sogenannten Treuhand!
Aber ein tolles Gegenbeispiel gab es auch: Die Abgesandten eines solchen West-
konzerns schlugen der Belegschaft damals vor, den Betrieb selbst weiterzuführen! Jedes Mal, wenn ich deren Produkte in West-Läden sehe, freue ich mich: Es gibt es auch real: "Wir sind ein Volk!"

Karsten Paulsen | Fr., 30. August 2019 - 09:16

Der Tenor dieses Artikels leistet leider auch keinen Beitrag zur Versöhnung, im Gegenteil. Ich fahre sehr gerne in die ehemalige DDR. Vor wenigen Wochen habe ich erst ängere Motorradtour durch Thüringen und Sachsen unternommen, letztes Jahr Hoyerswerda und Umgebung. Ich fand nur freundliche und hilfsbereite Menschen. Dafür dass denen quasi die ganze Industrie unterm Arsch weggezogen wurde finde ich sie ziemlich gelassen.

Jürgen Keil | Fr., 30. August 2019 - 09:24

Ich empfehle den Leitartikel der Neuen Züricher Zeitung (online) von heute zur gleichen Thematik. Es ist schon bemerkenswert, dass es Schweizer Journalisten gelingt, ein objektiveres Bild der Ost- West- Befindlichkeiten und ihrer Ursachen zu zeichnen. Der Artikel von Frau Hildebrandt bestätigt nurmehr die Analyse der NZZ: Deutungshoheit der Redaktionen in den alten Bundesländern. Ist das jetzt schon Gejammer?

die NZZ benennt auch eindeutig den "autoritären Populismus der AfD, die hier gezielt ihre Identitätspolitik betreibt mit Angstmache, Hetze, Rassismus".
Man sieht, nicht nur die so gern als "Lügenpresse" gescholtenen deutschen Medien, auch das Ausland zeichnet ein deutliches, wahrheitsgetreues Bild der AfD. Bedenkenswert auch die Meinung der NZZ zu einem sich ausbreitenden "erklärenden, ungesunden Patriotismus, der wenig zu tun hat mit der Realität in der DDR, (den sich die AfD) im derzeitigen Wahlkampf geschickt zunutze (macht).
Bleibt nur zu hoffen, dass derartige Erkenntnisse genug Ostdeutsche erreichen und bewegen, am Sonntag in Brandenburg und Sachsen für die Demokratie zu stimmen.

Welchen Artikel in der NZZ haben Sie gelesen, Herr Lenz? "Von autoritären Populismus, Angstmache, Hetze, Rassismus", steht da nichts drin. Haben Sie den Artikel nicht gelesen oder fälschen Sie bewusst die Aussage? Folgendes, die AFD betreffend, steht u.a. dort geschrieben:
"Da ist es nicht abwegig, dass einige Wähler ihre Stimme Protestparteien geben … .Den Part als Rächer der Ostdeutschen hat die AfD usurpiert. Mindestens ein Teil der Anhänger wählt die Partei nicht wegen der Inhalte und interessiert sich auch nicht für die internen Richtungskämpfe. Sie wollen nur eines: ihren Frust herausschreien." … Darüber hinaus findet die AfD wegen ihrer Migrationspolitik Zulauf. Wer sich für einen Bürger zweiter Klasse hält, wer das Gefälle zwischen Ost und West als Ungerechtigkeit empfindet, der wird kaum die Flüchtlingswelle von 2015 gutheissen. …"Die Stimme für die AfD ist ein Ventil für die Schizophrenie auch im neuen Deutschland." Bitte, bei der Wahrheit bleiben!

..wer wird denn so vorschnell anklagen? Erst nachfragen, dann urteilen...

Lesen Sie selbst:
"Dieser Streit ist überfällig: Die ostdeutsche Erfahrung braucht 30 Jahre nach dem Mauerfall einen Platz im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik".

Es gibt in der heutigen Ausgabe der NZZ zwei Artikel zum Thema: "Deutsche Einheit" Herr Keil.
Den Leitartikel oder auch Kommentar vom Chefredakteur E. Gujer und einen Artikel der Redakteurin C. Schwartz!
Der Kommentar von E. Gujer erfasst das ganze "Dilemma" ziemlich genau. Er beleuchtet beide Seite und nennt auch Aussagen wie in der Hamburger «Zeit» («Ignoriert den Osten!») als nicht gerade förderlich im Umgang miteiander.
Der andere Artikel ist leider nicht wertfrei sondern ziemlich Subjektiv einseitig geschrieben.
Die Sicht des Hern Lenz ist eh nicht Objektiv. Dazu habe ich gestern im Buch:"Das Joshua Profil" von S. Fitzek einen wunderbaren Satz gelesen der den Kern genau wiedergibt:
"Wußten Sie, dass es ein Kennzeichen des Wahnsinns ist, Dinge immer und immer zu wiederholen, in der Hoffnung, ein anders Ergebnis zu erhalten?"

Verständnis, Herr Lenz: Was versteht wohl die NZZ unter „ungesunden Patriotismus“?

In wievielen Ihrer Zuschriften, lieber Herr Lenz, kommt das Wort AfD nicht vor?
Es geht doch nicht um diese Partei, sondern um unsere ostdeutschen Landsleute und warum sie in großen Teilen so fühlen, wie es manchen nicht passt. In der Vorwendezeit lernten wir in Ungarn junge Leute kennen, mit denen uns eine große Freundschaft verbindet. Schon damals waren sie uns gegenüber, sogar in ihren Bruderländern, benachteiligt. Konnten sich für ihre tauschmäßig festgelegte Ost-Mark, kaum etwas kaufen. Auf einer Feier neulich fanden es 'Wessis' zu vorgerückter Stunde lustig, das Lied 'die Partei, die Partei, die hat immer recht' anzustimmen. Den versammelten Ossis, gefror die Laune und sie meinten mehrheitlich, dass dies niemals über ihre Lippen käme. Ein Gast, nach eigenem Bekunden früher stramm links, bekannte, heute AfD (muss ich leider erwähnen) zu wählen. Zu sehr erinnerten ihn heute viele Worthülsen und Totschlagargumente an damals. Diese Zeit wollte er endgültig hinter sich lassen.

Lese auch jeden Morgen NZZ und habe natürlich auch diesen Artikel gelesen. Ja, da werden andere Sichtweisen dargestellt. Frau Schwartz hat weder eine westdeutsche noch eine ostdeutsche Biografie. Also sind da schon mal eigene Emotionen eher ausgeschlossen. Ich muss an dieser Stelle Frau Hildebrandt in Schutz nehmen. Mag an der ein oder anderen Stelle sei, dass da auch ihre persönliche Mienung miteinfließt. Nur hat sie ja letztlich ihren Eindruck von der Sendung und den Aussagen der Teilnehmer wieder gegeben. Habe die Sendung nicht gesehen, will es auch nicht. Nur schrieb ich hier schon einmal, ich lese hier lieber die Kommentare der hier schreibenden "Ossis" und halte mich als nicht betroffener "WessI" zurück.
Sie schreiben völlig zurecht, das da jeder seine eigenen Befindlichkeiten hat.
Die Menschen gerade aus Sachsen die ich persönlich kenne, habe ich nie jammern gehört, aber kritische Kommentare, ga deren sind sie absolut fähig. Gut so.

Jürgen Keil | Fr., 30. August 2019 - 16:01

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Sorry, ich hätte den Artikel genauer benennen müssen! Ich habe diesen gemeint:
"Der Westen hat die Deutungshoheit über den Osten", kommentiert NZZ-Chefredaktor Eric Gujer. Die patriotische Aufgabe, der Entfremdung der beiden Landesteile entgegenzutreten, falle vor allem dem Westen als der stärkeren Seite zu. «Liest man jedoch, was Politik und Medien dazu zu sagen haben, muss man an der Bereitschaft zweifeln.» Zum Leitartikel:

gabriele bondzio | Fr., 30. August 2019 - 10:45

"Das Leben in der Marktwirtschaft sei doch kein Wunschkonzert."...nein, nicht alle Blütenträume reifen, dass musste auch ich feststellen.
Trotzdem würde ich, die Jahre nach der Wende nicht missen wollen. Gemäß dem Zitat von Rousseau: "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will."
Wenn ich die Möglichkeiten in Betracht ziehe, die meine Kinder wahrnehmen konnten, die damals auch 14 und 13Jahre alt waren. Im Gegensatz zu meinen Zukunftsaussichten in diesem Alter. Bejammere ich eher, zu früh geboren zu sein.
Und die Entwicklung der BR in den letzten 4Jahren, die nicht mehr mit dem letzten Teil des Zitates (aus meiner Sicht) übereinstimmen.

Als „Wessi“ konnte ich die Alltags-DDR vor 1989 bei Freunden wahrnehmen, beruflich nach der Wende die ostdeutschen Bundesländer und durch die Öffnung nach Osten ebenso die implodierte Sowjet-Union. Subjektive Betrachtungen sind immer an eigene Erfahrungen und Eindrücke gebunden, die ein anderer weder beziehen noch mieten kann, verarbeitete Erinnerungen, die ein anderer nicht haben kann. So haben Betrachtungen und Erinnerungen keinen Anspruch auf Verallgemeinerung, jedoch sollten Raum und Zeit („Kalter Krieg“) mit einbezogen werden.
Die Zeit der DDR, historisch reflektiert als Epoche des Zuendegehens des „real existierenden Sozialismus“ und der Überführung in ein kapitalistisches System. Es war auch das Ende einer geschichtlich und technisch zuende gekommenen Volkswirtschaft, diese massive Brutalität der Zweckmäßigkeit. Nicht nur materielle Alterung und Verbrauchtheit, sondern der Bankrott ihres sozialistisch/imperialen Anspruchs waren besonders fühlbar.

keinen Anspruch auf Verallgemeinerung,...was mir schon klar ist Herr Jasper!
Jedoch liegen vielen Kommentaren, persönliche Erfahrungen zugrunde.
Wenn Herr Lenz beispielsweise schreibt,Anspruch erhoben auf:"... lebenslange Arbeitsplatz-Garantie, soziale Einrichtungen, ordentliche Versorgung im Alter; ...usw,usw. trifft das sicher teilweise zu, aber eben nur teilweise!
Man kann doch nicht leugnen, dass sich viele Ostdeutsche (fernab jeglicher Melancholie) in die Aufgabe des Umbruchs geradezu freudig gestürzt haben. Sonst wären die Aufgaben, die vor ihnen standen, ja nicht lösbar gewesen.
Der Ort (bzw. die Menschen )in dem ich wohne, hat ein Gewerbegebiet errichtet. Von dem nicht nur der Ort, sondern der ganze-spätere Zweckverband finanziell bis heute profitiert.
Auch viele meiner Familienangehörigen, Freunde, Bekannte (einschl. meines Mannes und mir) haben nicht darauf gewartet, dass man uns das Essen serviert, sondern selbst gekocht.
Statt früher CDU, wählen jetzt viele AFD.

Und die Betrachtung setzt im Angesicht eines chemisch verseuchten gigantischen Loches aus. Der Betrachter erstarrt. Hier muss der Theologe auf den Plan treten.

Durch Zerfall und Zerstörung entstehen Trauerlandschaften, jedoch auch durch den unaufhaltsamen Rückzug der Zeit. Entleerung, Isolation, durch Verlassen, Vereinsamung und „Liebesentzug“. Die Härte dieser Vorgänge verleiht jedem „Ossi“ dieser Zeit einen kulturhistorischen Rang, denn die gesamte ehemalige „DDR“ war ein autoritärer Unrechtsstaat, eine Diktatur.

Ich spiele für meine ostdeutschen Freunde die
Scorpions - Wind Of Change (Official Music Video)

https://www.youtube.com/watch?v=n4RjJKxsamQ

Herr Jaspers, emphatische Worte. Menschengruppen sind hinsichtlich Denken, Fühlen, Erfahrungen und daraus resultierenden Ansichten immer heterogen. In Abhängigkeit von Intellekt, Bildung und Talent, können Menschen sich logisch, geschliffen oder aber spontan und eben auch etwas urwüchsiger artikulieren. Das gilt auch für meine Mitbürger im Osten, auch in meiner Heimat; ich bin in Sachsen geboren und aufgewachsen. Verallgemeinerungen, wie Jammer- Ossis sind einfach falsch! Menschen, die immer etwas zu "meckern" haben, wie man bei uns sagt, gibt es überall. Die Meisten haben nach 89 die neuen Möglichkeiten genutzt,ihre Chancen wahrgenommen. Viele hatten, aus verschiedensten Gründen dabei kein Glück. Insbesondere die Jahrgänge, die damals kurz vor der Rente standen, wurden vom Leben benachteiligt. Viele von diesen, meist einfache Menschen, beklagen dies, ja, und eben auch bei PEGIDA. Man kann sie verstehen oder man bezeichnet sie verleumderisch als Jammerer oder gar als Pack.

...dass es daran liegen könnte, W I E sich diese meist einfachen Menschen artikulieren, wenn sie bei Pegida mitlaufen?

Von dem wegen Drogenhandel und Volksverhetzung vorbestraften Bachmann ganz zu schweigen.

......oder der "kleine Mann. Wenn ich so ein arrogantes Gequatsche schon lese oder höre ! Kennen sie die Leute persönlich ? Wenn ich mir ihre Beiträge durchlese ist mir vollkommen klar, wie einfach sie gestrickt sind, oder besser gehäkelt. Große Maschen und ziemlich durchsichtig.

Ich empfinde es nicht als arrogant sondern als unverschämt, was Sie hier über Menschen schreiben bzw. äußern, deren Lebens- und Arbeitsweg Sie keinesfalls nachvollziehen können. Eigentlich wollte ich nicht darauf antworten, aber ich habe innerlich gekocht.
Dieses ewige Gerede von Ost und West nach dreißig Jahren Wende ist schon schlimm genug. Es gibt 16 Bundesländer und nicht nur Ost und West und man spürt, dass die Politiker panisch auf eventuelle Wahlergebnisse reagieren. Leider sehen sie ihre gemachten Fehler nicht ein und wollen uns nun vermitteln, dass der sogen. "Ossi" zu einfältig ist richtig zu wählen und den "Rattenfängern" hinterherläuft. Es ist einfach nur erbärmlich.

Herr Keil, ich glaube, daß die Veränderungen des Verhältnisses aus der Enttäuschung über die Ergebnisse des Aufbruchs (Wende) sich vollzieht- auch als Reaktion auf die Moderne (Globalisierung). Jetzt kommt die Frage danach, ob Deutschland wieder in lauter ökonomisch/kulturelle Teilgebiete zerfällt. Die Unterschiede und Konflikte treten wieder deutlich zutage.

Und wissen Sie was mich am meisten erschüttert, Ihr habt erst diese FREIHEIT erzwungen und viele laufen jetzt dieser AfD (mit ihren Weststrategen) nach.

Ich bin gerade auf Erinnerungs-Tour- auch through the USA.

Fragile - Sting & Stevie Wonder
https://www.youtube.com/watch?v=gnZgNYoZkeU

Es müsste eigentlich heißen, nicht jeder kann alles haben. Es gibt in der Neuzeit mehr als 2 Mio. Menschen, für die ist es sogar staatlich verordnet, dass sie alles bekommen. Geld ohne zu arbeiten, dazu kostenfrei medizinische Vollversorgung, ÖPNV, Rechtsbeistand, Rechtsberatung, Dolmetscher, Beistand für Antragstellung jeglicher Art, freies Wohnen (bezahlt sogar für mehrere Ehefrauen) und selbstverständlich Neubauwohnungen nur für Neubürger. Diese Großherzigkeit/Großzügigkeit schürt Neid und Hass und manche wünschen sich geradezu selbst fremd in diesem Land zu sein, um auch so bevorzugt zu werden. Laut Merkel sind wir ein reiches Land und wir schaffen das, aber dann ist für Belange der länger hier Lebenden eben doch kein Geld da.
Ich kenne einige sogenannte Besserwessis, die sagen, sie würden ihren Bausparvertrag liebend gern spenden, wenn die Mauer wieder errichtet würde. Ich finde, die Mauer wurde im Osten DE eingerissen, aber in den Köpfen der Westdeutschen neu errichtet.

Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 30. August 2019 - 13:32

Ob sie da wirklich die Erinnerung der DDR hochhalten und einbringen kann?
Immerhin kann ich aus meinen Ansichten aus der Zeit seit dem Mauerfall und teils zuvor sagen, dass evtl. eine Zeit komplett untergegangen ist.
Die ganz besonders davon Betroffenen wurden sicher nicht komplett entschädigt, wofür auch, etwa verlorene Macht, von der sie zuvor viel zuviel hatten? Aber sie wurden auch nicht belangt, sondern zu einem Teil der neuen Bundesrepublik Deutschland.
Deshalb beschränke ich mich auf meine Bitte, auf Kampfrhetorik zu verzichten.
Was aber heisst hier Jammern?
Ich denke, dass die Menschen ein Recht auf Trauerarbeit haben.
"Uns" geben sie damit Zeitdokumente mit auf den Weg.
Ich weiss noch, wie ich über die Strassennamen staunte.
Es wurden dann auch nicht Westnamen.

Josef Olbrich | Fr., 30. August 2019 - 14:20

Gewiss, die DDR als Staat ist Geschichte, doch wer in diesem Staat sozialisiert worden ist, lebt noch. Und seine Prägung: 'Für Sozialisten ist der Mensch ein Objekt, den man betreuen muss, damit er die Welt versteht.' kann er nicht einfach abschalten. Auch nach dreißig Jahren in der Wiedervereinigung von beiden Staaten. Die Unebenheiten in einer freiheitlichen Staatsform überfordern manche Menschen, die es nicht mit der Muttermilch erfahren haben. Deshalb sollten wir diese Eigenart akzeptieren und nicht belehrend darüber urteilen. Das schafft Verständnis.

Manfred Sonntag | Fr., 30. August 2019 - 15:03

Diese Menge an Artikeln über Ostdeutsche fängt an, mich zu amüsieren. Wir haben 89 die Freiheit gefordert und auch bekommen. Es waren teilweise schwierige Zeiten. Ich selbst kann mich überhaupt nicht beklagen. Meine Erwerbstätigkeit war durchgängig bis zur Rente mit 2 kleinen Unterbrechungen. Die Welt konnte ich mir mit meiner Familie vom West- bis zum Ostpazifik ansehen. Ich hatte Glück und bin dankbar dafür. Was mich aber auf jede Palme von Australien bis Peru bringt, ist der Vormarsch des betreuten Denkens in den letzten Jahren. Vieles in der Berichterstattung ähnelt immer mehr dem linken Einheitsbrei von ADN. Cicero und ein paar andere sind die löblichen Ausnahmen.

Ich kann dem nur zustimmen.
Erinnert vieles leider sehr an DDR-Verhältnisse! Zum Glück nicht (noch) in jeder Hinsicht.

Die Bezeichnung „ehemalige“ ist auch längst hinfällig geworden.

Urban Will | Fr., 30. August 2019 - 21:09

wie man nun wieder über Ost – West diskutiert, über den „Jammer – Ossi“, „Wendeopfer“, nicht gelungener Wiedervereinigung, was auch immer, ohne auch nur mit einem Wort das Jahr 2015 zu erwähnen.

Ich behaupte einfach mal, dass dieses Jahr, genauer gesagt die politischen Fehlentscheidungen dieses Jahres eine tiefe Kluft in das deutsche Volk gezogen haben. Nicht nur 2015, aber sinnbildlich steht dieses Jahr für politisches Versagen.

Keine Kluft zwischen Ost und West, sondern zwischen Befürwortern und Gegnern.

Und offensichtlich befinden sich in den neuen Ländern mehr Gegner als in den alten und das sehe ich persönlich sehr positiv.

Den Widerstand, der sich dort etabliert hat, jetzt mit dem selten dämlichen Ossi – Klischee abwatschen zu wollen wie es der SPIEGEL versucht, ist gewiss keine journalistische Großleistung.

Sie lassen sich dort – das habe ich "Wessi" schon oft gesagt - einfach nicht so leicht für dumm verkaufen.

Chapeau, ihr „Ossis“!!