Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sopron, Ungarn / picture alliance/Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa

Viktor Orbán - Merkels wichtigster Koalitionspartner

Angela Merkel traf zum 30. Jahrestages des Paneuropäischen Picknicks auf Viktor Orbán. Herzlich war das Treffen nicht. Dabei ist Ungarns Ministerpräsident als Koalitionspartner deutlich wichtiger für die Bundeskanzlerin als die SPD

Stephan-Götz Richter

Autoreninfo

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Bei allen Disputen über den Wert oder Unwert der Große Koalition in Deutschland wird eine wichtige Tatsache geflissentlich übersehen. Angela Merkel hat sich außerhalb der Grenzen Deutschlands in einer anderen großen Koalition engagiert, die für ihr politisches Überleben seit mehreren Jahren äußerst wichtig ist. Ihr Partner bei dieser Koalition ist Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident.

Um es klipp und klar zu sagen: Ohne Orbáns harte Linie in Sachen Schließung der europäischen Grenzen gegenüber Flüchtlingen, die er immer wieder entschlossen propagiert, würde Angela Merkel innenpolitisch – zumal innerparteilich – auf sehr dünnem Eis stehen.

Ungarische Schützenhilfe

Nur dank der Politik von Orbán, für die er nützlicherweise mehrere Untervertragsnehmer als Partner in anderen Balkanländern auf der Flüchtlingsroute gefunden hat, ist ein relativer Stillstand mit Blick auf den Flüchtlingsstrom in der deutschen Politik eingekehrt. Auch wenn die Kanzlerin dies nie laut sagen wird, so hat Orbán ihr doch politisch enorm ausgeholfen.

Insofern ist auch das ganze Gerede über ein zu starkes Interesse der CDU an der EVP und der Stützung von Orbáns Fidesz-Partei im Grunde eine reine Seitenshow. Und wenn Angela Merkel aktuell im Rahmen des Paneuropäischen Picknicks unter Bezugnahme auf Ungarn Rolle beim Mauerfall vor 30 Jahren davon spricht, dass „Deutschland dies Ungarn nicht vergessen wird", ist die Äußerung der Kanzlerin zumindest in einem doppelten Sinn zu verstehen.

Bei Orbán schweigen die Lämmer

Orbán ist sich seiner Wichtigkeit für Merkel bewusst, wenn er erklärt, er ziehe ritterlich den Hut vor ihr. Denn wer weiß, dass er und seine Kumpane einen erheblichen Tribut einstreichen können. Ganz Ungarn weiß um die vielen Korruptionsfälle und andere Formen des Missbrauchs von EU-Geldern, die Orbán & Co. einstreichen.

Mit anderen Worten: Während viel Aufhebens über Salvini und die Italiener mit ihrem „dirty deal“ mit den Machthabern Libyens in Sachen Flüchtlingsmanagement gemacht wird, schweigen bei Merkels Großkoalitionär Orbán alle Beteiligten vornehm.

Angela Merkel und Viktor Orbán bei ihrer Pressekonferenz am 19. August 2019

 

Und natürlich gibt es da auch noch den ziemlich undurchsichtigen Flüchtlingsdeal Merkels mit Recep Tayyib Erdogan, dem türkischen Autokraten. Aber der hat sich ja von deutscher Seite noch dafür bezahlen lassen, dass er die von ihm ansonsten immer so hoch und heilig beschworene Solidarität unter Sunniten im Falle Syriens auch wirklich praktiziert

Partnerschaft mit einem hochgradig illiberalen Führer

Verständlicherweise unternimmt Frau Merkel ihrerseits alles nur denkbare, um ihre besondere Große Koalition mit Viktor Orbán im europäischen Ausland zu verdecken. Denn Orbán ist nicht nur ein Mann mit einem gigantischen Appetit auf Macht, sondern auch ein Führer, der in vielen Bereichen der Politik, einschließlich der Pressefreiheit, höchst illiberalen Instinkten hingegeben ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt er zurecht in ganz Westeuropa als Paria.

Auch wenn diese politischen Umstände unheilvoll erscheinen, hat Angela Merkel noch einmal Glück gehabt. Nur wenige Deutsche sind sich der Tatsache bewusst (oder ziehen es vor, sich dessen bewusst zu sein), dass die Kanzlerin de facto eine große Koalition mit Ungarn betreibt. Und denen, denen dies bewusst ist, gefallen oftmals die Ergebnisse dieser besonderen GroKo.

Diese Feststellung gilt freilich auch – und nicht weniger frappant – für die SPD und sogar die Grünen. Diese gefallen sich im Unterschied zu Merkel allerdings in besonderem Maße darin, alle Schandtaten Orbáns, die ja in der Tat gravierend sind, laut zu beklagen. Das dient, so hat es den Anschein, in der Hauptsache der eigenen Gewissensberuhigung.

Klammheimliche Freude

In gewisser Weise entspricht diese Vorgehensweise der Idealposition der SPD: Den faktischen ungarischen Koalitionspartner publikumswirksam beklagen, aber klammheimlich darüber froh zu sein, dass er einem bei den eigenen Wählern, zumal den verbleibenden aus dem Arbeitermilieu, den Rücken freihält.

Das Problem mit dem großen Koalitionspartner Ungarn ist und bleibt, dass für Ungarn, einem EU-Mitglied seit 2007, bestimmte Rechtsnormen gelten. Die EU hat Regeln für die ordnungsgemäßen Standards des demokratischen Verhaltens, auch wenn es bisher keine echten Standards und/oder wirkliche Praxis gibt, wie man diese Regeln im Falle von krassen Verstößen durchsetzen könnte.

Aber das ist in den Niederungen der politischen Praxis nur ein weiterer Grund, um die GroKo mit Ungarn weiterhin möglichst verdeckt zu praktizieren.
 

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Petra Horn | Di., 20. August 2019 - 19:04

die mir die Freude an Cicero vergällt.
1. Hier wird Orban beschimpft, was das Zeug hält.
Das ist unterstes Niveau.
2. Er wird angeklagt. Doch greifbare Verfehlungen kann ich aus dem Text nicht herauslesen.
3. Orbans (er wird hier als das personifizierte Böse in Ungarn dargestellt) Verfehlungen müssen auch in einen ehrlichen und sinnvollen Vergleich zu denen Mißtaten von Politikern anderer EU-Länder gestellt werden. Und eigentlich auch zu den politischen Gepflogenheiten von "befreundeten" Staaten.
Stichwörter sind: Netzwerkdurchsetzungsg., Netzüberwachung durch Stasi-Mitarbeiterin, Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwälte, politisches Auswahlverfahren der Richter, schrittweises und heimliches Aufgeben der deutschen Souveränität und Aushöhlung des Grundgesetzes, unrechtmäßiger und steter geförderter Zustrom von Migranten ohne gesetzl. Grundlage,faktische Entmachtung der Parlaments, Tatenlosigkeit oder Mithilfe bei der Enteignung des deutschen Sparers, Bundeswehrkorruption usw.

Dominik Roth | Di., 20. August 2019 - 19:51

Ein Artikel, der mir mal wieder bewusst macht, warum ich den Cicero abonniert habe!

Kluge, ausgewogene Analyse anstatt plumper, moralisch aufgeladener Phrasen wie man sie zu dem Thema in anderen Presseerzeugnissen liest.

Und wieder was dazugelernt...

Danke!

Ernst-Günther Konrad | Mi., 21. August 2019 - 07:46

So ist die deutsche Politik eben geworden. Erst huldigt man Ungarn, ob der Grenzöffnungen und heute wagt man sich den Ungarn einreden zu wollen, das Orban diktatorische Züge hätte und seine Politik illiberal sei.
Wer sich über Ungarn ein Bild machen will, sollte die auch deutschsprachig erscheinende Budapester Zeitung hin- und wieder lesen. Ich erinnere auch an das Interview am 21.12.2018 hier im Cicero mit dem Chefredakteur dieser Zeitung - Mainka und Wißmann - der ein viel dezidierteres Bild orbanischer Politik beschreibt und vor allem dem Märchen einer eingeschränkten Pressefreiheit entgegen tritt. So isse halt unsere Angela. Sie läßt ihre Haltungsjournalisten öffentlich in den Staatsmedien zum Buhmann erklären, herzt und busselt ihn dann bei ihrem Besuch und sucht hinter den Kulissen den Schulterschluß mit ihm, weil sie in der EU braucht. Verlogenheit hat ein Gesicht. Das kennt auch Erdogan, ein wahrer Despot, der deutsches Geld von der Köterrasse gerne annimmt.
Grenzschutz ala AM.

helmut armbruster | Mi., 21. August 2019 - 08:38

offiziell und wie political correctness es verlangt, wird Orban kritisiert und geschmäht.
Sanktioniert wird er aber nicht, obwohl er angeblich gegen EU-Regeln und internationale humanitäre Abmachungen verstößt.
Denn sein Tun nützt allen!
Diese Scheinheiligkeit kann Zweifler und geradeaus denkende Menschen aber nicht überzeugen. Im Gegenteil.

Ernst-Günther Konrad | Do., 22. August 2019 - 18:00

Warum veröffentlicht ihr zu diesem Artikel keine Kommentare?
Ich hatte z.B. einen geschrieben.

Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 23. August 2019 - 18:41

Sowohl als SPD-Mitglied wie auch als politisch denkender Mensch: NICHTS