Drei Genies, ein Film: Brad Pitt, Quentin Tarantino, Leonardo Di Caprio / picture alliance

Once Upon A Time In Hollywood - Alle Brücken brennen

Once upon a time in Hollywood – der neue Film von Quentin Tarantino kommt am Donnerstag in die Kinos. Er ist ein Fest für Schauspieler, besonders für Leonardo di Caprio. Und ein doppelbödiges Plädoyer für die Kraft erfundener Geschichten

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nur weil etwas vorbei ist, muss es nicht gewesen sein. Diese paradoxe Einsicht hat Quentin Tarantino nun verfilmt. „Once Upon a Time In Hollywood“ spielt an wenigen Tagen im Februar des Jahres 1969 und dann „sechs Monate später“. Die Schwelle zu 1970 bleibt unerreicht. Leonardo di Caprio – seien wir ehrlich: der beste, der wandlungsstärkste Schauspieler, den das gegenwärtige Hollywood zu bieten hat – gibt einen Fernsehschauspieler, der in die Krise seines Genres gerät, des Westerns. „Vergiss das nicht“, sagt ihm der Freund stoisch vor, „du bist Rick Superstar Dalton.“ Di Caprio schaut verkniffen, weiß nicht so recht und ist hier sowieso nah am Wasser gebaut. War er das? Ein Superstar? Er ist es nicht mehr.

„Once Upon a Time In Hollywood“, mit 160 Minuten leider etwas lang geraten, ist eine episch erzählte Film-im-Film-Geschichte, eine Besinnung auf das Sehen und auf das Machen, das jenem vorausgeht. Eine Geschichte der Blicke und der Körper, aus denen Filme bestehen. Hier werden, in langsam abnehmender Bedeutungsfülle und Gagenhöhe, fiktive Haudrauf-Filme gedreht, gerne auch in der Form von Agentenkrimis oder Gaunerfehden. Simple Filme sind es, die das Leben des Rick Dalton in zwei Phasen unterteilen: Erst hat er sich geprügelt, stets siegreich am Ende, dann wurde er verprügelt. „Er ist nicht mehr der Beste“, liest Dalton während einer Drehpause in einem Schmöker. Er sieht darin seinen eigenen Abstieg verhandelt, obwohl ein Cowboy namens „Easy Breezy“ gemeint ist. Im Buch steht auch: „Er wurde nutzloser mit jedem Tag.“ Woraufhin Di Caprios Auge zuckt, die Lider sich berühren, der Oberkörper nach vorne kippt. Nah am Wasser, wie gesagt.

Brad Pitt agiert als Di Caprios Konterpart

Zur Seite stellt Tarantino dem schwermütigen Schlichten einen schlichten Coolen, Brad Pitt als Freund und Stuntdouble Cliff Booth. Die schauspielerische Leistung von Brad Pitt gerecht zu würdigen, ist fast unmöglich. Was immer er auf der Leinwand anbietet, droht überlagert zu werden, überschrieben, kontaminiert von den Bildern des gewesenen Ehemanns einer Angelina Jolie, der gemeinsam adoptierten Kinder und eines Jet-Set-Lebens im Zeichen von Charity und Glamour. Brangelina hieß die Marke. Wem es gelingt, sich Brad Pitt als Mann ohne Eigenschaften vorzustellen, der sieht hier einen wunderbar minimalistisch agierenden Schauspieler, dessen gestische wie mimische Sparsamkeit den Konterpart bildet zu di Caprios Emotionsspektakel, es ausbalanciert. Nur in der Balance, lernen wir, wäre Freiheit. Nur in der Unausgeglichenheit gedeiht Kunst.

Das Jahr 1969 hat Tarantino auch deshalb gewählt, weil der synchrone Abstieg von Rick und Cliff eingebettet ist in den mörderischen Aufstieg der „Manson Family“. Um den erst vor knapp zwei Jahren verstorbenen Sektenführer, Musiker und Gelegenheitspoeten Charles Manson hatte sich eine Kommune aus „Hippieärschen“ (Booth) gebildet. Eines von Mansons Liedern behauptet: „Your home is where you’re happy, it’s not where you’re not free. (…) So burn all your bridges, leave your old life behind.” Solche Aussteigermoral machen sich hier vor allem junge Frauen zu eigen, die Booth in ihrer schäbigen Wohnwagenkommune besucht. Er trifft dort nicht auf Flowerpower, sondern auf aggressive Asozialität. Glücklicherweise weiß Cliff, welche Schläge es braucht, um Menschen kampfunfähig zu machen. Er seinerseits soll, heißt es, seine nur einmal in Rückblende präsente Frau getötet haben.

Sogar Al Pacino liefert ab

„Once Upon a Time In Hollywood“ ist kein Film über die „Manson Family“. Wohl aber ist deren späteres Opfer, die im August 1969 ermordete Schauspielerin Sharon Tate, die dritte Hauptperson. Sie und ihren Freund Roman Polanski lässt Tarantino neben dem noch immer luxuriösen Anwesen Rick Daltons in den Hügeln von Hollywood wohnen. Ihre Wege kreuzen sich in wachsender Frequenz. Margot Robbie, der echten Tate verblüffend ähnlich, zeigt ein flirrend naives, offensiv gutherziges Luxusgeschöpf – Schönheit ohne Arg. Das muss man erst einmal hinbekommen, ohne ins Blondinenklischee abzurutschen oder geborgte Abgründe hineinzuschwindeln. Den Oscar für die beste Nebenrolle sollte sich der interessant gealterte Al Pacino gesichert haben. Sein Filmagent Marvin Schwarz: ein listiger Fahrensmann, der weiß, dass über diesen Acheron namens Hollywood nur gelangt, wer dem Witz die Treue hält. 

Am Ende, nach der natürlich unverzichtbaren Gewaltexplosion, beglaubigt Tarantino seinen Titel und entscheidet sich für ein ganz und gar unwahrscheinliches Ende. Die Totale siegt, der Adlerblick triumphiert, das Orchester geigt sich munter ins Crescendo, Hollywood gewinnt, weil genügend Menschen sich nicht unterkriegen lassen. Weil es Geschichten gibt, die zu erzählen sich lohnen. Ein Märchen, was sonst?

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Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 12. August 2019 - 16:34

brillant geschrieben, Herr Dr. Kissler.
Zudem noch "dickster" Mainstream.
Wer wird Ihnen widersprechen bei Leonardo Di Caprio und Brad Pitt, den ich mehr aus Filmen vor seiner Brangelina-Zeit kenne, ich nicht und wer würde es wagen bei Quentin Tarantino zu widersprechen?
Ich auch nicht, ich stimme aber nicht zu.
Gewalt scheint mir in Tarantinos Filmen zu sehr Selbstläufer, zu """akzeptiert""".
Ich bin einiges gewöhnt durch frühe US-amerikanische Krimis, Ed McBain, Rex Stout, Dashiell Hammett etc., durch viele US-amerikanische Filme, da fehlt ein bisschen die Distanz zu Gewalt bei Tarantino Filmen, wenn man mich fragt.
Bitte, ich bestehe nicht darauf und habe schon immer mal meine Ansichten geändert...

.. hätte ich nicht getippt, daß außer mir ausgerechnet Frau Seehrt Irrek "sowas" gelesen hat.
Was die Gewaltaffinität Tarantinos betrifft, so hat der sich schon früh mit "Natural Born Killers" als Drehbuchautor gewalttätig ausgelebt, zumindest versucht sich auszuleben. Filmisch umgesetzt von einem anderen Hard Core Freak - Oliver Stone . Zwar war damals Thema und Inhalt seiner Zeit voraus, mediale Vermarktung menschlicher Exzesse >> Siehe Deutsche Realität in Gestalt des Gladbeckdramas. Hat leider Beides mit Blut und vordergründigen Gewaltorgien ertränkt. Gewalt um des Genusses der Gewalt willen.
Eine Variante gewinnträchtiger Pornographie.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 13. August 2019 - 13:29

Antwort auf von Wolf-Dieter Hohe

alten Bundesrepublik gewissermassen der stilbildende Komplex.
Ich habe mich sehr dafür interessiert.
Gelandet bin ich aber bei den Engländern, Agatha Christie mit David Suchet und Barnaby mit John Nettles etc.
Wenn Sie mein Alter bedenken, dann war jedenfalls ein Gewaltexzess der Boden, auf dem man aufwuchs.
Ich glaube, dass anschliessend zumindest in der alten und neuen Bundesrepublik ein Wunder geschehen ist, ein politisches Wunder.
Ich bin von ganzem Herzen dankbar allen, die mir das als Leben in Frieden und Freiheit ermöglichten und Wohlstand.
Entsprechend versuche ich mich hier politisch zu äußern, es zu bewahren und weiterhin zu ermöglichen.
Das mag manchmal ein bisschen konservativ rüberkommen, aber ich bin breit aufgestellt mit dem Schwerpunkt Sozialdemokratie.
Pornographie hat eine lange, auch `Kulturgeschichte´, aber Töten als Lustgewinn ist für mich der Versuch, extreme Gewalt zu ästhetisieren, denn Lust ist positiv besetzt.
Gewalt bleibt ZERSTÖRUNG/HORROR

dass Sigmund Freud evtl. Gewalt versuchte zu denken, wohl in seinem Todestrieb, den es aber nicht gibt, sowenig wie die Dialektik von Sein und Nicht-Sein.
Es gibt nur den Lebenstrieb, Eros bei Freud? und die Vernetzungen/Bewegungen des Seins. Antimaterie halte ich für eine andere Zuordnung, die deshalb für uns nicht sichtbar und auch nicht relevant ist, weil wir gesetzt/zugeordnet, aber nach allen Seiten/oben und unten, funktionieren.
Wie kommt Gewalt in das Leben?
Ich überlege immer noch.
Halte aber Verständigung für das Alpha und Omega des Lebens.

Christa Wallau | Mo., 12. August 2019 - 17:42

...werde ich mir nach dieser Empfehlung anschauen, lieber Herr Kissler.
Da unser zweiter Sohn von Kindertagen an ein Filmkenner und -genießer ist, dürft es ein Leichtes sein, ihn zum Mitkommen zu bewegen.
Ich freue mich auf das Hollywood-Märchen,
obwohl ich sonst oft wenig Lust verspüre, ins Kino zu gehen.
Manche Filme lohnen den Besuch wirklich immer noch. Die sollte man nicht verpassen.

Dominik Roth | Mo., 12. August 2019 - 19:36

Ist natürlich Geschmackssache, aber imho war Jackie Brown Tarantinos letztes Meisterwerk.

In Reservoir Dogs und Pulp Fiction fügte sich die Gewaltdarstellung ins Gesamtkonzept ein, die Dialoge waren frisch und ungezwungen, die Ideen neu.

Alles was danach kam gehört zwar zu den besseren Filmen aus Hollywood, aber es war immer eine gewisse Schwere darin, die sich mit der übertriebenen Gewaltdarstellung und den letztlich doch belanglosen Dialogen nicht verträgt.

Bei jedem neuen Tarantino-Film hoffe ich auf die Leichtigkeit vergangener Tage - so auch diesmal. In diesem Sinne - Danke für die Filmempfehlung!

Für mich ist es immer wieder interessant, daß es zumeist
die sogenannten oder auch echten Intellektuellen sind, die
diesem äußerst "geschwätzigen" Tarantino auf den Leim
gehen. Sicher, dem Mann kann keiner (höchste Film-)
Intelligenz absprechen - ganz im Gegenteil. Eine Luftgitarre.
Daß meine cineastischen Vorlieben dem Tarantino-Kino(und
dem Hollywood-Kino ganz allgemein, es gibt großartige
Ausnahmen) diametral entgegengesetzt sind, spielt keine
Rolle. Ja, lieber Herr Roth, die Jackie Brown hatte es mir in
gewisser Weise auch angetan - genauer gesagt: die wunder-
bare Pam Grier. Schade, daß sich die beiden am Ende nicht
"gekriegt" haben...hahaha

ist auch so eine Ansichtssache oder Geschmackssache, Herr Roth.
Mein Favorit ist "Inglourious Basterds"! Erst skeptisch wegen der utopischen Handlung doch nachher einfach genial.
Christoph Waltz als Hans Landa-vorzüglich. Seine Dialoge bei der Familie LaPedite und (als er die Seite "wechselt") seine Forderungen an die Amerikaner-aller erste Sahne!
Die Szene in der franz. Kneipe, wo sich der engl. Lt. Archie Hicox (M.Fassbender) dadurch verrät (das er kein deut. Soldat ist), dass er die "drei Mittelfinger" beim Bestellen zeigt (in England üblich) anstatt Daumen,Zeige-u. Mittelfinger (wie in D. üblich) und die weiteren Dialoge dort-Spitze.
Diese zwei(u.a.) Scenen fangen ruhig & belanglos an und "Explodieren" dann förmlich!
Sehr schwach fand ich in diesem Film Brad Pitt. Finde seine schauspielerischen Leistungen werden sehr oft überhöht (Ausnahmen u.a. Twelve Monkeys, Spy Games).
Aber wie sie auch schon Anmerkten: Alles Ansichtssache.
Bin mal gespannt auf den neuen Film von QT!

schauspielerische Leistung sondern, "wagnerianisch"? um das Gesamttheater, die Effekte.
Der Effekt ist bei "Inglourious Basterds" sehr gut und "Django Unchained".
Am ehesten sehe ich jedoch Tarantino in John Travolta/"Pulp Fiction" und in Tarantinos Hilfe für "Sin City".
Ich war wochenlang danach seelisch "angegriffen" oder anders, ich brauche lange Zeit, solche Filme hinter mir zu lassen und meide dann so etwas.
Sah jetzt erst Harpr Kerkeling, wie er versuchte, eine Fleischereiangestellte in die Wagnerfestspiele zu lotsen.
Es gelang ihm durch Otto Schily.
Wagner ist nicht mein Ding und nach einem Tarantinofilm würde mir eher Harpe Kerkeling helfen.
Wanderte der nicht den Jakobsweg?

Wolf-Dieter Hohe | Mi., 14. August 2019 - 17:38

... Gewalt und Ästhetik.
Herzlichen Dank, Frau Seehrt Irrek, für Ihre in die Tiefe gehende Stellungnahme zu diesem, doch recht komplexen Thema. Eine Ausführung, der ich mich sehr anschließen kann.
Sicherheitshalber:
Anm.: Dass Sie Zitat: "sowas" lesen... war natürlich freundlich ironisch/satirisch gemeint. Hätte aber, auf Basis Ihrer Beiträge, den Tarantino tatsächlich nicht mit Ihnen verklickt. So ne Art Vorklick - wie das trotz allen Bemühens immer wieder "passiert
MfG