
- Eine Vorschulpflicht ist kein Grundschulverbot
Die Deutsche Presseagentur spitzte Aussagen von Carsten Linnemann (CDU) zu, und Medien übernahmen das Wording vom Grundschulverbot. Jetzt muss sich der Unionsfraktionsvize als „Dumpfbacke“ und „Rechtspopulist“ beschimpfen lassen, sogar aus der eigenen Partei
Schon gehört? Wenn ein Kind kein Deutsch spricht, soll es Grundschulverbot bekommen. Das soll der Vizechef der Unionsfraktion gefordert haben, Carsten Linnemann. Wie bitte, werden viele jetzt sagen und reflexartig die Buzzwords „Grundschulverbot“, „Linnemann“ und „Deutsch“ googeln. Und sie werden die Wörter bei der Deutschen Presseagentur dpa und auf Internetseiten von Zeitungen finden, die eigentlich nicht im Ruf stehen, sie würden Fake News verbreiten. „Linnemann für Schulverbot bei mangelnden Deutschkenntnissen“, titelte etwa Zeit Online, aber auch die Welt und viele andere Medien machten mit.
Dabei hat Carsten Linnemann nie ein Grundschulverbot für Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen gefordert. In einem Interview mit der Rheinischen Post hatte er zunächst gefordert, die CDU müsse sich mit Integrationspolitik profilieren. „Die Vorfälle in Freibädern, die Tat auf dem Frankfurt Bahnsteig, die Schwertattacke in Stuttgart – das alles wühlt die Menschen auf und befeuert die Sorge, dass neue Parallelgesellschaften entstehen.“ Als Beispiel hatte er die Stadt Duisburg genannt, wo nach einer Studie mehr als 16 Prozent der Erstklässler gar kein Deutsch sprechen könnten. Und er hatte daraus die Forderung abgeleitet: „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden.“
Heftige Kritik aus der eigenen Partei
Eine Vorschulpflicht ist kein Grundschulverbot. Es ist im Grunde sogar das Gegenteil. Aber noch bevor der Unionspolitiker die Chance hatte, klarzustellen, dass er falsch zitiert wurde, hatten viele Medien, die die dpa-Meldung offenbar ungeprüft übernommen hatten, schon einen Shitstorm ausgelöst. Er gipfelte darin, dass sich Carsten Linnemann als „Dumpfbacke“
In den 70‘ern gab es in der Politik noch Intellektuelle wie Dahrendorf, die das Recht auf Bildung als Grundrecht betrachteten. Jetzt haben wir Dumpfbacken wie Linnemann und das merkt man dann auch. https://t.co/Z428E7ObXD
— Thomas Stadler (@RAStadler) 5. August 2019
Ich fordere Baumschulverbot für Bäume, die ein Brett vorm Kopf haben. https://t.co/FR0j7Gewnq
— Lorenz Maroldt (@LorenzMaroldt) 5. August 2019
Keine falsch verstandene Toleranz gegenüber Sechsjährigen! Was für ein Held der neuen Härte! @TKuban96 https://t.co/E0FmEu0Afv
— Bernd Ulrich (@berndulrich) 5. August 2019
oder Populist oder rechter Brandstifter beschimpfen lassen musste von Journalisten – und zum Teil sogar von den eigenen Parteifreunden. Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen von der Schulpflicht auszunehmen, sei „populistischer Unfug“ und „der völlig falsche Weg“, sagte etwa Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien. Solche Kinder sollten die Rückschritte stattdessen in „Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen“ aufholen, bevor sie wieder regelbeschult werden könnten. Auch Ruprecht Polenz konnte sich einmal mehr nicht zurückhalten:
Ich dachte bisher immer, dass man in der Schule beigebracht bekäme, was man noch nicht kann.https://t.co/rUT3Cf62A8 https://t.co/rUT3Cf62A8
— Ruprecht Polenz (@polenz_r) 5. August 2019
Empörungs-Journalismus gegen Konservative
Man kann Carsten Linnemann vorwerfen, dass es kein geschickter Schachzug war, auf die sprachlichen Defizite im Zusammenhang mit spektakulären Gewalttaten hinzuweisen, die die Republik erschütterten. Und ja, Linnemann weiß um die Macht der Worte und wie man einen medialen Aufschlag macht. Er muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob die Union nicht auch ihren Teil dazu beigetragen hat, dass die Deutschkenntnisse der Kinder von Zuwanderern so katastrophal sind. Wie sollen die ihren Kindern denn Deutsch beibringen, wenn sie die Sprache selber nicht beherrschen? Mangelnden Integrationswillen kann man daraus nicht unbedingt ableiten. Die Große Koalition hat etwa die Mittel für Deutschkurse drastisch zusammengestrichen.
Aber wen interessieren Argumente noch, wenn es in erster Linie darum geht, sich zu empören? Bislang war es gerne die Bild, die sich den Vorwurf gefallen lassen musste, sie spitze zu, sie verkürze Sachverhalte oder verbreite gar Fake News, um Stimmung gegen Zugewanderte oder Muslime zu machen. Der Fall Linnemann zeigt, dass der Mechanismus auch umgekehrt funktioniert. Auch ein Medium wie Zeit Online kann seine Leser aufstacheln. indem es nur auf den Empörungsreflex setzt. Geht es gegen einen konservativen Politiker, dann erscheint das Mittel offenbar legitim. Ab in die rechte Ecke? Zeit Online hat die von der dpa übernommene Zeile übrigens inzwischen geändert: „Linnemann gegen Einschulung bei mangelnden Deutschkenntnissen“.
Update: Auch dpa und tagesschau.de haben den Titel inzwischen korrigiert und auf den Fehler hingewiesen.
Die @dpa hat gestern eine Meldung und einen Tweet zu dem @rponline-Interview mit Unionsfraktionsvize Linnemann so betitelt: „CDU-Politiker: Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können“. Wir haben die Überschrift heute berichtigt und werden den Tweet in Kürze löschen. 1/5
— Froben Homburger (@fhomburger) August 6, 2019