Thorsten Schaefer-Guembel
Thorsten Schäfer-Gümbel zieht Parallelen zwischen den Grünen und der AfD / picture alliance

Thorsten Schäfer-Gümbel - Gut gebrüllt, aber wirkungslos

Thorsten Schäfer-Gümbel, der Interims-Vorsitzende der SPD, hat die Grünen in einem Interview scharf kritisiert. Härter als die dürfte der Angriff so manchen ökoliberal orientierten Sozialdemokraten treffen

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Man möchte derzeit wirklich nicht in der Haut der SPD stecken. Ihre Umfragewerte befinden sich weiterhin im Sturzflug, vor allem weil kaum noch ein Bürger weiß, wofür diese Partei eigentlich steht. Nach dem abrupten Rückzug der gründlich gescheiterten Parteivorsitzenden Andrea Nahles musste man mit Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel eine Art letztes Aufgebot als Interims-Vorstand einsetzen, wobei alle drei im Stundentakt betonen, dass sie keinesfalls den regulären Vorsitz der Partei übernehmen werden.

Guter Rat ist also teuer. Doch für einen schnellen Ausstieg aus der desaströsen großen Koalition fehlt den Genossen offensichtlich der Mut – wohl auch, weil man in der Frage der künftigen Ausrichtung gründlich zerstritten ist. Nahezu paralysiert starrt die Partei auf den scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug der Grünen, und nicht wenige Sozialdemokraten sehen eine Hinwendung zum ökoliberalen Mainstream als mögliche Strategie. Auch eine arithmetisch allerdings in weite Ferne gerückte „rot-rot-grüne Machtoption“ wird wieder verstärkt diskutiert.

Parallelen zur AfD

Das ruft jetzt nochmal Schäfer-Gümbel auf den Plan. Der vom Stigma des ewigen Wahlverlierers gebeutelte langjährige hessische Landesvorsitzende hatte im März seinen Rückzug aus der Politik angekündigt, doch diese Schlacht will er wohl noch schlagen. In beeindruckender Schärfe rechnet  der künftige Arbeitsdirektor der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in einem am heutigen Freitag veröffentlichten Interview des Tagesspiegel mit den Grünen ab.

Diese seien „in eine programmatische Beliebigkeit abgeglitten“ und stilisierten sich „zum Objekt politischer Heilserwartungen“ indem sie „alles Elend dieser Welt auf die Frage des Klimawandels“ reduzieren. Dadurch werde Politik „in grotesker Weise“ verkürzt. Zudem sei den Grünen „die soziale Frage schnurzegal“. Und Schäfer-Gümbel scheut sich auch nicht, Parallelen zur AfD zu ziehen. Diese würde in ähnlicher Weise die Migrationsfrage instrumentalisieren.

Gut gebrüllt, Löwe

Seiner Partei rät der Interims-Vorsitzende, identitätsstiftende soziale Kernthemen wie Vermögensbesteuerung, Bürgerversicherung und einen bundesweiten Mietendeckel  in den Vordergrund zu stellen. Und das nicht nur kurzfristig. „Wir brauchen ein neues Grundsatzprogramm, das sage ich schon lange. Wir werden auf dem Bundesparteitag darüber entscheiden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder erkennen, was die große Idee der SPD ist. Wir brauchen Klarheit.“

Gut gebrüllt, Löwe, möchte man sagen. Schäfer-Gümbels Tirade wird so manchen Genossen heftig in den Ohren klingeln. Und auch bei der ebenfalls in den letzten Wochen wieder verstärkt auf rot-rot-grünen Schmusekurs gepolten Linkspartei dürfte dieses Interview für eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen sorgen. Wird ihr doch gnadenlos der Spiegel vorgehalten, in dem zu sehen ist, wie die ebenfalls von Existenzängsten geplagte Partei verzweifelt versucht, sich an den ökoliberalen Mainstream heranzuschleimen.

Auf Abschiedstournee

Dennoch spricht einiges dafür, dass diese wortgewaltige Intervention einigermaßen wirkungslos verpuffen wird. Schäfer-Gümbel ist auf Abschiedstournee und somit auch innerhalb seiner Partei kein politisches Schwergewicht mehr. Schicksalsergeben wird vorerst in der großen Koalition weiter gewurstelt, fatalistisch schaut man den zu erwartenden historischen Wahlschlappen bei den drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst entgegen.

Und dass es der CDU derzeit nicht wesentlich besser geht, ist wohl auch nur ein schwacher Trost. Freuen können sich dagegen die Grünen, denen sozusagen aus berufenem Munde das „Linkssein“ abgesprochen wird, was ganz in ihrem Sinne ist. So richtig neu gemischt werden die Karten dann wohl ab Oktober.       

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Christa Wallau | Fr., 14. Juni 2019 - 18:56

...geben Antworten auf die w a h r e n Probleme Deutschlands.
Voraussetzung dafür wäre: Sie müßten u n s e r e REALITÄT sehen u. sich vordringlich darum kümmern! Weder das Klima noch andere Weltprobleme brennen den meisten Menschen auf den Nägeln. Im Vordergrund der Politik müssen stets die berechtigten Erwartungen der Bürger stehen, daß der Staat (die Regierung) ihnen innere u. äußere Sicherheit garantiert, ihre wirtschaftliche Lage möglichst stabil hält u. die Infrastruktur aufrecht erhält bzw. verbessert. Weder Moralismus noch Wunschdenken sind angesagt, sondern die n ü c h t e r n e Analyse der Situation unseres Landes u. der Bürgersorgen: Das Asyl-Chaos ist nicht bewältigt, die Schere zwischen Arm u. Reich geht immer weiter auseinander (Mieten!), das Bildungssystem ist an die Wand gefahren, die Bundeswehr Schrott,
die Steuer-Einnahmen gehen zurück ...
Für alle dies erwarten die Bürger - zu recht - realistische u. effiziente Verbesserungsvorschläge.
Es gibt sie bisher nicht!

Romuald Veselic | Fr., 14. Juni 2019 - 20:58

ein Unikat in der EU-Politik, wobei im Rest der Welt, sie keine Rolle spielen. Das sieht man daran, dass sie nur zuhause (in Deutschland)sitzen, weil rund um Deutschland werden die D-Grünen nur als ein Haufen von Spinnern betrachtet. Und wenn es gut für Image ist, dann fahren sie Fahrrad.
Fremdgrüne, sind nur Promille-Grüppchen ohne Bedeutung. Es gibt in umliegenden Ländern keine Mahnwachen vor Kern-KWs.
Da hat T. Schäfer-Gümbel recht, wenn er behauptet, dass die D-Grüns sich „zum Objekt politischer Heilserwartungen“ stilisieren indem sie „alles Elend dieser Welt auf die Frage des Klimawandels“ reduzieren. Sie erinnern mich (die Grüns) an eine Sekte, die immer voraussagt, wann die Welt untergeht u. weshalb. Das Datum wir immer neu aufgelegt.
Analog dazu, verw. die D-Grüns, statt "Gott", die "Klimakatastrophe" wobei sie beflissentlich verschweigen, dass nichts fixx ist, und die Welt im steten Wandeln sei.

Joachim Brunner | Fr., 14. Juni 2019 - 22:35

Endlich ein Schritt in die Erkenntnis durch Herrn TSG. Es gibt derartig viele unsoziale, irrationale und arbeitnehmerfeindliche Themen der Grünen die man dringendst thematisieren müsste. Die SPD hat da gewaltigen Nachholbedarf, das ist nun hoffentlich der Anfang. Auch zu den gestiegenen Miet(-Nebenkosten) lässt sich eine ganze Latte sinnloser Verteuerungsvorschriften aufzählen welche effektiv für die Umwelt nahezu nutzlos aber für den Mieter hochgradig belastend sind.
Diese aufzuklären ist sinnvoller als eine irgendwie geartete Mietpreisdeckelung. Da kann man sofort anfangen!

Norbert Heyer | Sa., 15. Juni 2019 - 06:14

Vor einigen Tagen vollzog Herr Gabriel eine Kehrtwende zum „Pack“-Versteher. Jetzt folgt der eigentlich schon aussortierte Herr Schäfer-Gümbel mit harter Kritik an den Grünen. Die Existenzkrise der SPD zeigt ihre Wirkung. Eine Partei in scheinbar völliger Harmonie mit der Union vollzieht eine Kehrtwende, die ihr aber nichts an Nutzen bringen wird. Dazu hat diese einstmals große Partei viel zu viele ihrer Ideale über Bord geworfen. Sie hat ihre Anhängerschaft nicht nur verloren, sondern geradezu verraten und verkauft. Wenn das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit einer Partei einmal zerstört ist, wird ihr von den Wählern nichts, aber auch garnichts, als neue Leitlinie abgenommen. Wie oft hat die SPD denn „verstanden“ und dann im gleichen Trott weitergemacht? Wer sein Fell retten will, indem er die Parteien kritisiert, dessen Kurs sie jahrelang mitgetragen, geduldet oder sogar noch verschärft haben, kann vom Wähler kaum erwarten, dass sie mit fliegenden Fahnen zu dieser SPD zurückfinden.

Karsten Paulsen | Sa., 15. Juni 2019 - 10:16

Danke für den Bericht und die Analyse. Auch wenn ich manchmal mit Häme reagiere, es schmerzt mich auch, das einstmal so wichtige Parteien (nicht nur die SPD) völlig ihre Orientierung verloren haben. Offenbar sind die Parteien für kluge Leute schon lang nicht mehr attraktiv ... ein Problem der Personalqualität.

Hannes Köppl | Sa., 15. Juni 2019 - 15:23

Jetzt läuft die SPD den Grünen hinterher. Kann aber nicht mal mit Sicherheit sagen, ob K. Barley Justizministerin bleibt, oder ob sie nach Brüssel geht.
Die Gedanken der GroKo-Partei kreisen nur um Personen, Posten und die jeweils eigene Partei. Die Bürger kommen bei deren Politik nicht vor.