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First Man aus der Lausitz

Wer ist eigentlich Joachim Sauer? Die Deutschen wissen kaum etwas über den Kanzlerinnen-Gatten und öffentlichkeitsscheuen Professor. Was verrät seine Herkunft über Deutschlands First Man? Ein Besuch in Hosena.

Lesen Sie auch: Hans-Joachim Maaz: Wie viel DDR steckt in Angela Merkel? Bei dieser Bullenhitze im Sommer sind die Straßen von Hosena meist leer. Mal radelt eine alte Frau über den brüchigen Asphalt, sonst herrscht Ruhe über den Alleewipfeln in der Niederlausitz. Nur einige Vorhänge öffnen sich, wenn Fremde im Ort sind – und gehen schnell wieder zu, wenn man hinschaut. Hinter einem dieser Vorhänge wuchs Joachim Sauer auf. Angela Merkels Prinzgemahl, die deutsche Antwort auf Carla Bruni, nur dass er sich beharrlich weigert, die gefällige Rolle eines „Trophy Husband“ zu spielen. Und auf die Presse pfeift. Womöglich ist sein Heimatort im Süden Brandenburgs schuld daran. Denn in Hosena mag man vieles, nur Rummel, den mag man nicht so. Nicht, dass es hier viel davon gäbe. Früher boomte noch die Kohleindustrie, doch mit der Wende ist es ruhig im Landkreis geworden. Ab und zu kommen Besucher, um durch die Wälder hinterm Dorf zu wandern, vorbei an den Teichen und Kornfeldern, über denen massive Hochsitze wie Grenztürme wachen. Wanderer gehen in Ordnung. Das Thema Sauer hingegen hat in Hosena scheinbar einen bedrohlichen, rummeligen Beigeschmack. „Hey, das geht Sie gar nichts an“, schimpft ein alter Mann auf eine harmlose Frage und fegt emsig die Straße weiter. Auch die beiden Damen in der Bäckerei Fechler bekommen beim Stichwort Sauer schmale Augen: „Nee, also, fragen Sie da lieber mal woanders“, wimmeln sie ab. Dabei liegt das Haus der Sauers direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Bahnschranke. Der Chemieprofessor, der heute mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Berliner Museumsinsel residiert, wurde 1949 hier geboren. Sein Vater Richard war ein gelernter Konditor, nach einer schweren Kriegsverletzung sattelte er um, verkaufte fortan Versicherungen. Mit achtzehn verließ Joachim das Dorf, studierte, wurde promoviert und zu einer Koryphäe der Quantenchemie. Seitdem hat er hier Besucherstatus, genau wie seine Zwillingsschwester, die jetzt in der Verwaltung einer sächsischen Großstadt arbeitet. Ihr älterer Bruder Manfred hingegen bewohnt bis heute das Elternhaus in Hosena. Auch deshalb will niemand plaudern: Der Manfred ist ein guter Kerl, den haben alle gern, und man weiß doch, was die Sauers von dem ganzen Pressezirkus halten, erklärt Bürgermeister Hagen Schuster: nämlich gar nichts. Da fragt man sie am besten selbst. Im Schatten einer Linde steht das alte Haus der Sauers: umwachsen von Tannen, limonengelb gestrichen, mit kleinen Fenstern. Man stellt sich vor, dass es drinnen duster ist, ruhig und aufgeräumt. Im Neubau dahinter hat Manfred Sauer eine Computerfirma, seine Frau betreibt außerdem eine Privatpension. „Suchen Sie mich?“, ruft es aus dem Busch, und Manfred Sauer tritt im schwarzen T-Shirt aus dem Garten: ein Mann wie ein Baum, mit Pranken wie ein Bär. Er ist gar nicht überrascht, dass man ihn nach seinem Bruder fragt, eher belustigt. Was Joachim hier so alles getrieben hat? „Fragen Sie ihn doch selbst“, grinst er, als wolle er den Spaß einer guten Schnitzeljagd nicht verderben. Für derartige Späße jedenfalls seien Kinder aus Sauers Generation früher immer zu haben gewesen, sagt Eberhardt Fechler. Der 65-jährige Bäckermeister von gegenüber ist sieben Jahre älter als Joachim. Er kennt die drei von klein auf. Genau wie sie ging er auf die alte Dorfgrundschule mit dem spitzen, geziegelten Glockentürmchen. Viel Unfug hätten die Kinder in Hosena damals getrieben, erzählt er, und Spielzeug habe man sich früher noch selbst gebastelt. Die „Eichelpuffer“ zum Beispiel: Holunderzweige, denen sie Eicheln ins weiche Mark klopften, um damit zu schleudern. Oder Tonmurmeln, mit denen sie auf Löcher zielten, die sie mit den Schuhabsätzen in die Wege bohrten. Oder die Pappklappen in den Fahrradspeichen: „Das hat beim Fahren so lustig geknattert“, freut sich Fechler heute noch. Nach der Grundschule war erst mal Schluss mit lustig: Die Kinder wechselten auf die Polytechnische Oberschule. Nur die Besten schafften nach der neunten Klasse den Absprung auf die Erweiterte Oberschule in der Kreisstadt Senftenberg. Joachim Sauer war einer von ihnen. Und das, „obwohl die Familie nicht in der Partei war“, erinnert sich sein ehemaliger Russischlehrer Karl Ruhla. „Der war ein Ass“, sagt Ruhla heute. Zu Lebzeiten hatte Joachims Vater dem Lehrer noch die Lebensversicherung verkauft. Der Verkäufer lebt nicht mehr, die Versicherung ist vor zwei Jahren ausgelaufen: Die Zeit vergeht auch in der Niederlausitz. Beeindruckt war auch Klaus Bönisch, Joachims damaliger Geschichtslehrer: „Der Sauer war ein wirklich aufgeweckter Schüler“, lobt er. Von 1963 bis 1967 büffelte Joachim sich Richtung Abitur. Er bestand es mit Auszeichnung, obwohl er gleichzeitig eine Berufsausbildung im sinister klingenden Braunkohlekombinat Lauchhammer absolvierte. Besonderen Spaß habe es Bönisch gemacht, dass Sauer an allen Bereichen interessiert gewesen sei: an Naturwissenschaften und Sprachen, an Algebra genau wie der Philosophie von Kant, Hegel oder Feuerbach. Geglänzt habe er überall. Erst abends haben sich Abiturienten wie Sauer wieder mit den Gleichaltrigen in Hosena vermischt, erzählt Bäckermeister Fechler. Dann traf man sich im Gasthaus „Lewalds“ und tanzte zur Musik einer Blaskapelle, die Schlager aus dem Westen spielte. „Steig in das Traumboot der Liebe“ von Caterina Valente zum Beispiel oder Hits von Freddy Quinn. „Aber die Kapelle hat immer zeitig gegen elf aufgehört zu spielen“, erinnert sich Fechler. Vielleicht erklärt das ja Gerüchte über Sauers Lärmempfindlichkeit. Die gehe so weit, dass er beim Bezirksamt Mitte einmal Beschwerde einlegte, weil ihm ein Berliner Freilufttheater zu spät zu laut war. Über all das spricht Sauer nicht öffentlich. Selbst die Toten sind hinsichtlich seiner Vergangenheit redseliger als er. Seine Eltern liegen auf dem kleinen Friedhof am Ortsrand begraben. Polierte Grabplatten und frischer Blumenschmuck zeugen von der Treue der Hinterbliebenen. Richard Sauer starb 1972. Seine Frau Elfriede lebte bis 1999. Zu ihrer Beerdigung, erzählt man im Dorf, wurde Joachim bereits von Angela Merkel begleitet. Das Grab ist ganz schlicht, aber eines der größten auf dem Friedhof. Unter den Namen der Eltern Sauer ist noch Platz für weitere Gravuren. Rechts daneben wurden Elfriedes Eltern bestattet. Sie kamen aus der Familie Dormann, die noch im vorletzten Jahrhundert zu den reichsten Bauernklans der Region zählten. Zu kleinen Stippvisiten kehrt Joachim Sauer immer wieder in die Heimat zurück. Oft hat er dabei die Kanzlerin im Schlepptau: zum Grabbesuch der Eltern oder, wie vor einigen Jahren, zu Manfreds Geburtstagsfest auf einem Schiff im Senftenberger See. Die meisten Hosenaer erfahren davon erst, wenn das Paar wieder abgereist ist. Keine Protokolle, keine Kameras, nur selten Leibwächter, erzählen die Leute. Ganz anders als früher die inszenierten Staatsbesuche der Parteigenossen. Aber Sauer ist kein Staatsmann. Er ist Hosenaer. Da will man keinen Rummel. Vielleicht versteht man Joachim Sauer, wenn man Hosena verstanden hat. Aber wer versteht schon so ein Dorf in der Niederlausitz? Foto: Picture Alliance

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Thomas Kjesa | Mo., 10. Oktober 2016 - 12:46

Ich bin selbst in Hosena aufgewachsen und verstehe die dortige Mentalität zu gut. Auch nach fast 24 Jahren nachdem meine Familie weg zog.
Allerdings hat die Welt viele Facetten. Hosenaer, öffnet die Augen! Verschlaft nicht das Leben, denn es ist zu kurz.