
- Neue deutsche Sonderwege
Bei den Europawahlen schnitten die Grünen besonders gut ab. Sie sind die deutscheste aller Parteien. Sie verbinden das gute Gewissen mit der großen Angst. Europa aber funktioniert anders
Glückstrunken sind sie, die deutschen Grünen, und sie haben allen Grund dazu. Herzlichen Glückwunsch! Ein Ergebnis oberhalb der 20 Prozent-Marke bei den Wahlen zum EU-Parlament ist eine stramme Ansage. Kein Spalt, sondern ein tiefer Graben klafft zur moribunden SPD, die sich mit weniger als 16 Prozent zufrieden geben musste. Bei ihr ist die Null, bei den Grünen der Himmel die Grenze. Der sozialdemokratische Gemischtwarenladen wird zur Bückware, um das grüne Ein-Thema-Angebot reißen sich die wählenden Konsumenten. Und doch bleibt ein grünes Europa auf absehbare Zeit ein Wunschbild. Im Höhenflug der deutschen Grünen drückt sich die alte deutsche Unfähigkeit zur Mitte aus.
Die Ernte, die hierzulande die Grünen für ihre thematische Fokussierung auf Umweltschutz und für ihre personelle Geschlossenheit einfuhren, blieb im Rest Europas auf den Feldern. Wenn es im Straßburger Parlament künftig rund 9 Prozent grüne Vertreter geben wird mit zirka 70 Sitzen – 17 mehr als bisher –, dann ist der Anstieg fast ausschließlich auf die Wähler der Bundesrepublik zurückzuführen. Da die christ- und sozialdemokratischen Parteien ihre gemeinsame absolute Mehrheit eingebüßt haben, werden die grünen Stimmen wichtiger. Große Sieger aber sind die Liberalen der ALDE einerseits und die noch unverbundenen rechten Parteien andererseits. 9 von 10 EU-Parlamentariern sind nicht grün – und selbst in Deutschland haben 4 von 5 Wählern nicht für die Grünen votiert.