
- Mehr Eurozentrismus wagen
Wer die Menschenrechte verteidigen will, darf nicht Europa schmähen. Denn dort sind sie nicht zufällig entstanden. Plädoyer für eine selbstkritische Besinnung auf das Abendland
Vor zwei Jahren, im Januar 2017, zog eine Kontroverse an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Eine Gruppe von Studenten hatte verlangt, den Lehrplan in Philosophie radikal zu „dekolonisieren“. Statt sich überwiegend mit weißen Philosophen zu beschäftigen, sollte das Curriculum in Zukunft dominiert werden von Denkern, die den „globalen Süden“, also vor allem Asien und Afrika repräsentierten. Nun hat die SOAS eine sehr spezifische Klientel, und wer in erster Linie Philosophie studieren will, wird sich vermutlich nicht diesen Ort zum Studium aussuchen. Was an dem Anliegen dennoch irritierte, war der Vorwurf, jeder Lehrplan – wohlgemerkt an einer europäischen Universität –, der europäischen Traditionen eine größere Bedeutung beimesse als der Überlieferung anderer Kulturen, sei per definitionem rassistisch und spiegle den Wertehorizont des europäischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts wider.
Keineswegs nur Studenten erheben solche Vorwürfe. 2017 publizierte der amerikanische Gelehrte Bryan W. Van Norden ein „Multicultural Manifesto“ namens „Taking Back Philosophy“, in dem er dafür plädierte, den Kanon großer philosophischer Werke in der universitären Lehre radikal zu erweitern, da er viel zu eurozentrisch sei. Van Norden geht es in erster Linie um die asiatische, vor allem die chinesische Philosophie, sein Spezialgebiet. Das Argument, dass diese Tradition in Amerika und Europa zu Unrecht vernachlässigt werde, mag plausibel sein, aber auch er kommt nicht ohne den Vorwurf aus, dies sei auf eine Verengung des Kanons bedeutender Werke im Kontext von Kolonialismus und Imperialismus zurückzuführen. Es handle sich also um eine Form des Rassismus. Im Gegensatz könnte man freilich auch annehmen, dass die moderne Welt durch den Rationalismus und die Skepsis gegenüber allen Autoritäten geprägt sei, die für das westliche Denken seit dem 17. Jahrhundert charakteristisch wurden – weniger durch die älteren europäischen oder nichteuropäischen Weisheitslehren, mit ihrem zum Teil ganz anderen Wahrheitsbegriff.