Notre Dame nach dem Brand
Notre Dame nach dem Brand: Mensch zu sein bedeutet letztlich, das Unnütze zu tun / picture alliance

Spenden für Notre Dame - Kann man das Schöne gegen das Gute verrechnen?

Der Brand von Notre Dame hat eine Lawine der Spendenbereitschaft ausgelöst, gerade bei den Superreichen. Das ist zweifelsohne ein Ausdruck von maßlosem Narzissmus. Doch das Argument, statt Kulturgüter sollte man lieber Menschen retten, verfehlt eine wichtige Dimension des Menschseins

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Am schnellsten war die Familie Pinault. Die Flammen in Notre Damen loderten noch, da teilte Unternehmersohn François-Henri Pinault mit, dass die Familie 100 Millionen Euro für den Wideraufbau der Kathedrale spenden würde. Die rührende Begründung für so viel zivilgesellschaftliches Engagement: Er, François-Henri, habe seine Tochter beim Anblick der Fernsehbilder weinen sehen. Merke: Wo Dramatisches geschieht, da ist der Kitsch nie fern.

Lawine der Spendenbereitschaft

Es dauerte nur wenige Stunden, da meldete sich eine andere, nicht weniger bedeutende Familie zu Wort, die den Pinaults seit Jahren in leidenschaftlicher Abneigung verbunden ist: die Arnaults. Ganze 200 Millionen Euro wolle man für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen, so ließ man verlauten. Um das Ganze einzuordnen, muss man wissen: Die Pinaults und die Arnaults, das ist wie die Medici und die Strozzi im Florenz der Renaissance oder wie die Buddenbrooks und die Hagenströms in der Welt der Literatur: man mag sich nicht und versucht sich zu übertrumpfen. Etwa beim Besitz von Luxusmarken, dem Erwerb von Kunstwerken oder den besten Weinlagen. Oder eben bei Spenden. Schneller sind fast immer die Pinaults, so auch am vergangenen Montag. Dafür sind die Arnaults reicher. Auf knapp 70 Milliarden Euro wird das Vermögen von Bernard Arnault geschätzt.

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Frank Domnick | Sa., 20. April 2019 - 12:24

Ist bekannt, wieviel Prozent ihres Privatvermögens bzw monatlichen Einkommens Natascha Ochsenknecht und die übrigen Moralfundamentalisten regelmäßig spenden?

Elisabeth Ellermann | Sa., 20. April 2019 - 13:30

" Mensch sein bedeutet das Unnütze zu tun"?? - Was sind denn das für krude Erkenntnisse? Und wer schwingt sich auf zu beurteilen, was nützlich und was unnütz ist? Oder ist der Autor bereits selber den Moralisten erlegen, weil er allein die Alimentierung anderer Menschen für nützlich hält? Seit 2015 werden all diese Debatten derart absurd geführt - nein, was nützlich ist und was nicht liegt ganz im Auge des Betrachters, und Geld konnte schon immer ausgegeben werden, wofür der Geldgeber es ausgeben wollte.

Dominik Roth | Sa., 20. April 2019 - 15:04

Diesmal stimme ich nicht mit Ihnen überein. Mit Ihrer Argumentation könnte man den tödlichen Einsatz von Sklaven für den Pyramidenbau rechtfertigen. Das Verhältnis von für Unnützes eingesetzten Mitteln zu nicht gelindertem Leid muss gewahrt sein. Das ist es bei einer halben Milliarde für einen religiösen Prunkbau m.E. nicht. Aber da kann man unterschiedlicher Meinung sein...

gabriele bondzio | Sa., 20. April 2019 - 15:12

an erster Stelle stehen“. ...wobei ich annehme, sie wollte auch an erster Stelle der Gesinnungspuritaner stehen.
Immerhin sollte es in ihren Kreisen auch um die „größtmögliche Aufmerksamkeit erregen“ gehen. Also nicht so weitab, vom Schuss der Pinaults und die Arnaults.
„Manche Vergleiche hinken auf allen vier Beinen derart gleichmäßig, dass es fast elagant wirkt (H.H.Hitzler), wäre doch ein passender Spruch für Natascha Ochsenknecht.
Man könnte ihr ja mal die Frage stellen, warum Feuerwehrleute u.a. ihr Leben riskieren. Um die Reliquien und Kunstschätze Notre-Dames vor der Zerstörung zu bewahren.
Jean-Marc Fournier, Geistlicher der Pariser Feuerwehr, war sich der Gefahr durchaus bewußt. Das jederzeit brennende Teile des Daches sowie des Vierungsturmes ins Innere der Kathedrale stürzen konnten. Als er mit seinen Kameraden in die Kirche ging.

Martin Hällriegl | Sa., 20. April 2019 - 22:40

Ich wage nicht das Bauwerk vor den Menschen zu stellen.
Warum? Teil meiner christlichen Erziehung war natürlich dass der Mensch Mittelpunkt der Schöpfung zu sein hat. Auch ich. Wahrscheinlich auch andere Menschen; die die dem inneren Kreis dessen was wir als Mensch bezeichnen angehören sowieso, andere nach Einschätzung. Es ist sowieso notwendig subjektiv zu analysieren wenn wir definierte Ebenen verlassen. Also was hindert uns alles was wir besitzen für Notre Dame zu spenden, oder was hindert die Familien Arnault und Pinault mit Geld die gelben Westen zu sanieren?
Nichts. Alles.
Aber was wird wenn die Wurzeln, die Wächter, die Symbolik einer gemeinsamen Welt für alle verschwinden! Wer wird sich an gemeinsames erinnern wollen und können?
Wer die Welt bestimmt und seine Brüder und Schwestern verrecken lässt hat mit Notre Dame nichts zu tun, und wer von den Brüdern und Schwestern meint sich auf der Leistung Erfolgreicher aushalten lassen zu müssen dem wünsche ich einträgliche Arbeit!

Ernst-Günther Konrad | So., 21. April 2019 - 09:47

Bis auf einige Ausnahmen, gehören dem franz. Staat alle historischen Gebäude, so auch die Kirchen. Dieser Staat gab fast nichts aus zur Erhaltung des Kulturgutes, das aller nötigste wurde gemacht. Wo waren die edlen Spender da? Ich bin auch dafür, das der Notre Dame wieder aufgebaut wird und sehe es an dieser Stelle, wie Sie Herr Grau. Nur, mit welchen Geld?
Das die Menschen in Frankreich soziale Probleme haben und der Staat sie teilweise vergessen hat, dürfte doch unstreitig sein. Diese Menschen haben das Recht, menschenwürdig zu leben. Das scheint nach Angaben der Gelbwesten nicht mehr der Fall zu sein. Sie selbst bezeichnen es als Narzismus. Ich sage, Macron hat das Fingerspitzengefühl gefehlt, den Menschen nicht nur zu versprechen, sondern zu handeln und deren Staatsvermögen für eben dieses Volk einzusetzen. Der Aufbau des Notre Dame und die Verbesserung der sozialen Verhältnisse steht nicht auf gleicher Stufe für mich. Der Mensch steht an erster Stelle, der es erhalten muss.

Christa Wallau | So., 21. April 2019 - 11:59

Ja, lieber Herr Grau, das lehrt uns wahrhaftig die Geschichte.
Gott möge uns vor Moral-Fanatikern bewahren!
Leider sieht es so aus, als gingen junge Menschen gerade wieder in die Falle solcher Typen (siehe Greta!)
Kultur erwächst nur aus der Freude am Wertvollen, Schönen und der Bereitschaft, dafür auf Vieles andere zu verzichten. Große Meisterwerke der Kunst entstehen aus der Begeisterung, ja der Besessenheit von Künstlern, die alles andere ihrem Schaffen unterordnen. Da ist kein Platz für moralisierende Relativierung, etwa mit dem Gedanken: "Könnte ich nicht mit meiner Zeit und mit meinem Geld Besseres anfangen, etwa armen
Mitmenschen helfen?"
Die herrlichen Schätze der verschiedenen Kulturen auf der Welt befriedigen das große Bedürfnis nach Wunderbarem, Vollkommenen - und sie stillen damit einen Hunger, der in jedem Menschen genauso vorhanden ist wie der physische Hunger.
Beides läßt sich nicht gegeneinander ausspielen.