Barbara Hendricks auf dem Fahrrad
Nach ihrer Karriere als Umweltministerin ist Barbara Hendricks auch gern mit dem Kreuzfahrtschiff unterwegs / picture alliance

Politiker und Haltung - Kreuzfahrt der Moralisten

Haltung zu zeigen ist das Gebot unserer Zeit. Peinlich wird es erst, wenn das eigene Handeln den eingeforderten Werten widerspricht. Der Fall der Ex-Umweltministerin Barbara Hendricks ist bei weitem nicht das einzige Beispiel

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Haltung zu zeigen, das ist der moralische Imperativ unserer Zeit. Wobei die Defintition von „Haltung“ praktischerweise immer gleich von jenen mitgeliefert wird, die diese von anderen einfordern. Im Wesentlichen erstreckt sich der aktuelle Haltungsraum auf Bereiche wie „Weltoffenheit“, „Vielfalt“ oder „Solidarität“, und zwar in einer Allgemeinverbindlichkeit, die ein kritisches Differenzieren und Hinterfragen möglichst verhindern soll. Denn wer etwa einen Begriff wie „Vielfalt“ in Bezug auf Bürgergesellschaften durchbuchstabieren würde, käme womöglich in die Verlegenheit, ernsthaft Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen zu müssen. Und genau darum geht es bei den zeitgeistigen Haltungswettbewerben nicht, die ja vor allem ein Lebensgefühl transportieren: Wer „Haltung“ zeigt, sich also öffentlich zur „guten Sache“ bekennt, steht auf der richtigen Seite. Der erweiterte Freundes- und Bekanntenkreis möge es bitte zur Kenntnis nehmen.

Fahrrad predigen, Flugzeug fliegen

Selbstverständlich zählt auch der Schutz der Umwelt zu den haltungsrelevanten Themen, wobei sich hier eine gewisse Problematik auftut, die etwa beim Vielfaltspostulat nicht so sehr besteht. Das verbale Sich-stark-machen für eine intakte Natur kann nämlich mit dem tatsächlichen eigenen Verhalten schneller und deutlicher in Abgleich gebracht werden als bei anderen Haltungsfragen: Wer sich für „Vielfalt“ ausspricht, der kann das problemlos auch von einem Münchener Villenviertel mit Null-Migrationsanteil aus tun, ohne ernsthaft um seine Glaubwürdigkeit fürchten zu müssen. Wer sich hingegen, um ein beliebtes Anschauungsbeispiel zu bringen, von den Eltern im SUV zur „Fridays for Future“-Demo chauffieren lässt, muss mit kritischen Nachfragen rechnen, die bei entsprechender Beweislage meist im Internet gestellt werden. Da ist also Vorsicht geboten!

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Karl Kuhn | Do., 28. März 2019 - 10:47

Ich kenne diese spezielle Haltung seit meiner Kindheit. Man war für die Weltrevolution (eine linke Haltung als soziokulturelles Distinktionsmerkmal), wusste aber insgeheim, dass die doch nie kommt, und war nach Soli-Besuchen in der DDR oder Nicaragua vielleicht auch ganz froh darüber. Und wenn die Revolution oder wahlweise Große Transformation dann doch kommen sollte, so hoffen diese Pharisäer, dass es dann nicht so weh tun wird, weil ja alle mitmachen müssen.

Das genau ist der Grund dafür, dass ich von westeuropäischen Linken, später auch den Grüninnen, nie etwas gehalten habe. Ich war, bin und bleibe Antikommunist und kann heute nicht nachvollziehen, warum sich immer mehr Leute nach DDR-Verhältnissen zurück- oder überhaupt sehnen, noch ist mir verständlich wieso ein verlogener Haufen wie die Grüninnen plötzlich so reussieren. Infantilität allenthalben und überall - siehe Freitagsdemos von Minderjährigen ohne Durchblick und deren kindischen volljährigen ("erwachsenen" wäre sicher nicht richtig) Unterstützern. "Die Welt gehört in Kinderhände" - alles klaro? Macht mal, aber bitte diese Sintflunt nach mir.

Maria Fischer | Do., 28. März 2019 - 11:34

"Deutschland ist nicht nur Weltmeister im Moralisieren, sondern auch im Heucheln."
NZZ

Heidemarie Heim | Do., 28. März 2019 - 11:47

In meiner Jugend forderte man die Leute mit einer überproportionalen "Haltung" dazu auf, sich doch bitte mal den Stock aus dem "Oberallerwertesten" zu ziehen;-). Und ja, man sieht sich immer zweimal im Leben, was zu gewissen Peinlichkeiten führt. Einen Haltungswettbewerb der ernsteren Art in Sachen Moral und postulierten Werten erleben wir gerade in dieser Woche. Wie ein Zeit-Journalist heute morgen sagte:" Bis zum Ende der Woche wird ein Partner der GroKo das Gesicht verlieren."
Denn die Frage der Waffenlieferungen nach Saudi Arabien lässt sich nicht ohne den Verlust von Haltung oder halbwegs Gesichts wahrend lösen. Jeglicher Kompromiss wäre stinkend faul und letztendlich ein Tanz auf dem Grab des ermordeten Journalisten Kashoggi und der
Abertausenden Kriegsopfer im Jemen. Bin sehr gespannt auf diese "Haltungs-Nummer"! Meine persönliche Haltungsnote steht in dieser Sache jedenfalls schon seit geraumer Zeit fest. Schönen Tag allen! MfG

Yvonne Pfeiffer | Do., 28. März 2019 - 12:00

........hat sie die Reedereien noch unter Druck gesetzt, wegen Abgase in den Häfen, Schutz der Meere und so weiter und so fort. Jetzt Dieselt sie selbst über die Meere unter Schirmherrschaft der SPD Umweltschützer.
An Verlogenheit sind Politiker wirklich kaum noch zu überbieten.

Gisela Fimiani | Do., 28. März 2019 - 12:13

Es fällt immer wieder Nietzsche ein: „Die Menschheit wird am besten genasführt mit der Moral.“ Haben wir es vergessen, oder womöglich nie wirklich erkannt, dass die Bürgergesellschaft auf Rede und Gegenrede angewiesen ist, wobei die Argumente stechen. Oder fühlen wir uns als Teil einer romantischen Hordenmoral wohler, welche das rationale Denken nicht benötigt? Vergessen wir jedoch nicht, dass die moralischen Horden-Lenker selbst nicht Teil der Horde sein werden.

... selbst nicht Teil der Horde - exakt Frau Fimiani - deren Zusammenführung dient als numerischer Beweis des "Richtigen"

Christa Wallau | Do., 28. März 2019 - 12:20

Ja, lieber Herr Marguier, genau das kommt dabei heraus, wenn M O R A L I S M U S statt Realismus und Vernunft in der Politik das Ruder übernimmt!
Man kennt das ja zur Genüge aus den Kirchen, deren Vertreter im Laufe der Geschichte auch so gerne Wasser gepredigt und selber Wein getrunken haben und dies bis heute tun.
Mich regt die Verlogenheit der Politiker fast weniger auf als die Dummheit oder Dreistigkeit, mit der ein großer Teil des Wahl-Volkes auf dieser Welle mitreitet. Es muß ein wahnsinnig gutes Gefühl vermitteln, sich auf Seiten der "Guten" und der "Klimaretter" zu dünken und ins Horn der Protagonisten der moralischen Welterneuerung zu stoßen, obwohl man sich ansonsten verhält wie immer: Flug- /Schiffsreisen unternimmt und selbstverständlich nicht auf's Auto verzichtet. Auch keinen einzigen Migranten nimmt man bei sich auf, obwohl man ununterbrochen das Lied von "Refugees welcome!" singt und kübelweise Unrat über jene ausschüttet, die partout nicht mitsingen wollen.

Ernst-Günther Konrad | Do., 28. März 2019 - 12:28

von gestern, wird gerne als Resümee der Wendehälse postuliert. Ideologischer Ablasshandel könnte man dazu sagen. Die Kirche erkauft sich Moral durch Beichte und Kollekte, der Poltiker erkauft sich seine Doppelmoral durch teurere Schiffsreisen, die sich dann "jeder" leisten kann. Hat Frau Hendriks als "Kreuzfahrt-Star" eigentlich bezahlen müssen? Hatte sie ihre Entourage dabei? Mussten die bezahlen? Ich bin mir sicher, wäre das ein AFFDler gewesen, die Presse wäre voll mit Vorwürfen und Verdächtigungen bis hin zur Frage, ob er sich hat mit der Fahrt kaufen lassen. Ach so, war ja nur eine von der SPD, etwas gestelzte Aufregung, dann aber Schwamm drüber. Moral ist, wenn man es trotzdem macht. Nun gut, der Wähler entscheiden kann, wo seine Grenzen der Moral sind, wenn er denn solch ein Verhalten überhaupt hinterfragt und kritisch betrachtet. Und diejenigen, die sich eine Kreuzfahrt nicht leisten können, denen ist es eh egal. Moral ist scheinbar eine Frage des Geldes. Bin ich jetzt böse?

Rein technisch sehr geehrter Herr Konrad: Bei Gruppenreisen sind in der Regel "Freipersonen" in den Reisepreis p.P. mit einkalkuliert. Z. B. 6 - 16 Tn = 1 FP; 17 - 33 Tn = 2 FP usw. Andere Festlegungen sind bedarfsorientiert natürlich auch möglich. Diese auf der Gesamtrechnung aufgeführten FP können von der Gruppenleitung individuell verwendet werden und kommen in der Regel den die Gruppe begleitenden Organisatoren bzw. der Reiseleitung zu Gute.

Eberhard Rademeier | Do., 28. März 2019 - 15:50

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass unser damaliger oberster Umweltschützer Joschka Fischer publikumswirksam mit der Bahn von Berlin nach München fuhr, seinen Fahrer aber klammheimlich seinen Dienstwagen parallel nach München fahren ließ. Habe mich damals gefragt, ob es in München keine Leihwagen der gehoben gibt oder ob Herrn Fischer ein BMW einfach nur zu popelig war und es unbedingt ein Auto mit Stern sein musste. Man sieht also: Nix Neues unter der Sonne: Verlogenheit und Heuchelei feiern fröhliche Urständ.

Politikerinnen und Politiker dieser Couleur schaden der Glaubwürdigkeit immens. Das gilt für Joschka Fischer ebenso wie Barbara Hendricks und viele andere. Insbesondere diejenigen, die aus weniger betuchten Elternhäusern stammen, haben scheinbar das dringende Bedürfnis, mit "denen da oben" in einer Liga spielen zu dürfen. Deshalb sollten die Parteien schon früh diejenigen "aussortieren", die sich durch einen übergroßen Geltungsdrang Gehör zu verschaffen versuchen.
Dann hätte möglicherweise sogar ein Gerhard Schröder als Bundeskanzler verhindert werden können, und natürlich auch ein Joschka Fischer.
Aber zugegeben: das ist nicht immer ganz einfach, weil sich Emporkömmlinge auch sehr gut zu tarnen verstehen und am Beginn ihrer politischen Laufbahn "kleine Brötchen backen".
Vor allem Die Linke sollte alles daransetzen, daß ihr bisher eher positiver Ruf nicht durch Aktivistinnen und Aktivisten beschädigt wird, die vor allem "ihr eigenes Süppchen kochen wollen".

Eberhard Rademeier | Do., 28. März 2019 - 16:05

Bei der Gelegenheit stellt sich mir die Frage, welchen Beitrag Frau Hendricks zur Unterhaltung der zahlenden Kreuzfahrt-Gäste leisten kann. Optisch ist sie nicht gerade der Bringer, übermäßig gut Tanzen und Singen kann sie meines Wissens nach auch nicht. Oder sollte Frau Hendricks am Ende ihren C-Promi-Status genutzt haben, um eine kostenlose Kreuzfahrt abzugreifen? Nur so eine Vermutung, man wird ja noch spekulieren dürfen.

Lisa Werle | Do., 28. März 2019 - 18:37

... diese verlogene Moral-Huberei ist nicht mehr zum Aushalten. Die Verlogenheit der Grünen ist in meinen Augen legendär, bei KGE kriege ich Krämpfe, und die SPD-Aktionen mag ich gar nicht mehr kommentieren. Und diese "Politiker", die nur noch an den Bürgern vorbei regieren, reden von 'Werten' - eine Frechheit.
Ich möchte ich die österreichische oder ungarische Staatsangehörigkeit beantragen, Polen kommt auch in Frage.

Norbert Heyer | Do., 28. März 2019 - 21:21

Haltung gilt nur dann als solche, wenn sie sich im Rahmen der vorgegebenen politischen Korrektheit bewegt. Hat man tatsächlich als politisch aktiver Bürger eine abweichende Meinung - sollte in einer Demokratie durchaus möglich sein - so behält man diese aus Vorsichtsgründen für sich oder begibt sich auf ein gefährliches Terrain. Das ist das Schlimmste, was man unserer Pseudodemokratie nachsagen kann (muss). Unsere Politiker leben uns anscheinend diese moralische Ausrichtung vor, haben aber keine Probleme damit, spritfressende Dienstwagen zu fahren, Flugmeilen zu sammeln, Kreuzfahrten zu genießen und sich im Grunde über das folgsame und obrigkeitshörige Fußvolk zu erheben. Da sind sich die Eliten aus Politik, Kapital und Religion dem Volk gegenüber seit Jahrhunderten einig: „Haltet sie dumm, wir halten sie arm.“ - Klappt wunderbar: Aktuell beliebtester Politiker ein Grüner, dann Frau Merkel und die übrigen Kandidaten - also die Mehrheit ist zufrieden, die wenigen Nörgler stören kaum ...

helmut armbruster | Fr., 29. März 2019 - 09:02

"Ich erkenne das Bessere, heiße es gut, aber trotzdem folge ich dem Schlechteren", so sagte schon der römische Dichter Ovid (Video meliora, proboque; deteriora sequor)
Der Mensch ist der Mensch. Deshalb tun wir immer gut daran gegenüber Weltverbesserern ein wenig misstrauisch zu sein.

Natürlich Herr Armbruster, das müssen wir. Der Philosoph Karl Popper hat immer wieder vor solchen falschen Propheten gewarnt. Also seien wir stets auf der Hut und wehren den Anfängen.