Theresa May
Für Theresa May wird es immer ungemütlicher / picture alliance

Chaos um Brexit - Kommt das Ende für May schon im März?

Für Theresa May wird es im Chaos um den Brexit immer enger. Der Druck von der Straße wächst, in ihrer eigenen Partei geht es vielen Abgeordneten nur noch darum, die Premierministerin abzusägen, nicht mehr um einen geordneten EU-Austritt. Doch ein Befreiungsschlag wäre das kaum

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Ihre Stunden sind gezählt“, sagtTheresa Mays Parteikollege Tom Tugendhat. Der Vorsitzende des Außenausschusses im britischen Parlament  gehört zu jenen konservativen Abgeordneten, die loyal mit der Premierministerin für ihr EU-Austrittsabkommen im britischen Parlament gestimmt haben. Doch der Scheidungsvertrag wurde in Bausch und Bogen abgelehnt. Dass der Brexit-Deal beim dritten Mal angenommen werden könnte, scheint stündlich unwahrscheinlicher zu werden. Theresa May überlegt zur Zeit, ob sie ihn überhaupt noch einmal zur Abstimmung vorlegt.

Tom Tugendhat sagt im Gespräch mit Cicero, er fürchte, dass der Unmut in den eigenen Reihen sich längst gegen die Architektin des Scheidungsabkommens selbst richtet: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Premierministerin in wenigen Tagen nicht mehr im Amt sein wird. Was dann passiert, kann keiner sagen.“ Die Iden der May könnten noch im März kommen.

Eine Million Menschen protestieren gegen Brexit

Es sind dramatische Tage in Großbritannien. Am 29. März sollte das Vereinigte Königreich aus der EU austreten. Das Austrittsdatum wurde auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 22. März auf den 12. April verschoben. Doch die Briten können sich bisher nicht darauf einigen, was dann passieren soll. Sie wollen nicht ohne Abkommen austreten; sie wollen kein zweites Referendum; sie wollen vielleicht einen sanfteren Brexit. Den aber müsste man noch aushandeln. Dazu aber benötigt man Zeit, und die gibt es nicht. Die EU hat klar gesagt: Am 22. Mai müssen die Briten austreten – außer sie geben einen guten Grund an, warum sie noch bleiben wollen. Das letzte, was Großbritannien jetzt noch braucht, ist ein Wechsel in 10 Downing Street. Oder braucht es gerade den, um den Brexitprozess zu retten? Oder gar zu stoppen?

„Brexit ist komplettes Chaos“, rief Londons Bürgermeister und Labour-Politiker Sadiq Khan am Samstag Nachmittag auf dem Parlamentsplatz vor dem Westminster-Palast: „Es ist höchste Zeit, das Volk entscheiden zu lassen!“. Mindestens eine Million Menschen waren auf die Straße gegangen, um ein zweites Referendum über die Brexitfrage einzufordern. Die größte Demonstration in der modernen britischen Geschichte war ein massives Zeichen dafür, dass der Unmut über den mehr als holprigen Verhandlungs-Prozess in der Bevölkerung steigt.

Was macht eigentlich Labour-Chef Corbyn?

Fünf Millionen Menschen haben außerdem schon eine Online-Petition unterschrieben, in der die Regierung aufgefordert wird, den Artikel 50 überhaupt zurückzunehmen. Das hieße, dass Großbritannien der EU mitteilt, dass das Vereinigte Königreich doch nicht austreten will und in der EU bleiben möchte. Theresa May hat dies und auch ein zweites Referendum schon oft und nachdrücklich abgelehnt. Auch deshalb hoffen viele, dass die Tory-Chefin von ihren eigenen Leuten weggeputscht wird. Dann käme neue Bewegung in die festgefahrene Austrittsdebatte.

„Wenn das Parlament von der Regierung aufgefordert wird, mehrfach über den gleichen Scheidungsvertrag abzustimmen, wieso kann dann nicht das Volk noch einmal befragt werden, ob es diesen Brexit überhaupt noch will?“, fragt Mary Kaldor, Politologie-Professorin an der „London School of Economics“. Die Proeuropäerin lehrt Globale Staatsführung. Für sie war es selbstverständlich, an der Demonstration für ein weiteres Referendum teilzunehmen: „Wir sollten in der EU bleiben. Und mithelfen, die EU-Institutionen zu reformieren.“

Offiziell will davon aber weder Premierministerin May noch Oppositionschef Jeremy Corbyn etwas wissen. Statt gegen die Regierung und ihr Brexitchaos auf die Straße zu gehen, zog der Labour-Führer es vor, in der verschlafenen englischen Hafenstadt Morecambe mit einigen der 30.000 Einwohner über ihre Wünsche und Beschwerden zu diskutieren. Es ist an sich ein strategisch wohl überlegtes Unterfangen, sich mit den Menschen – und potentiellen Wählern – direkt auszutauschen und nicht nur in der Westminster-Blase politische Intrigen zu basteln. Hätte Corbyn sich aber am Samstag an die Spitze des Protestmarsches gestellt und seine Stimme für ein zweites Referendum erhoben, dann wäre ein solches in den nächsten Wochen eine echte Option geworden. Ohne Unterstützung einer der beiden großen Parteien hat ein Plebiszit aber kaum Chancen auf Realisierung.

Geht es auf die ganz lange Bank?

Das weitere Vorgehen ist allen Beteiligten unklar. Im Parlament bereitet man sich erst einmal darauf vor, in Absichts-Abstimmungen festzustellen, wofür es im House of Commons, dem Unterhaus, eine Mehrheit gibt. Das mit der EU ausgehandelte Scheidungsabkommen selbst kann zwar nicht neu verhandelt werden. Doch könnte sich eine Mehrheit der Abgeordneten mit Hilfe der Labour-Partei auf eine neuformulierte politische Erklärung einigen, in der etwa ein Verbleib in der Zollunion für die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU festgeschrieben wird. Die politische Erklärung ist zwar anders als der Austrittsvertrag nicht rechtlich bindend. Sie könnte trotzdem als parteiübergreifende Notlösung herhalten.

Gibt es keine Einigung auf einen sanften Brexit, dann drohen die Briten am 12. April, am 22. Mai oder spätestens am 30. Juni ohne Abkommen aus der EU zu kippen. Oder sie müssen den EU-Austritt überhaupt auf die lange Bank schieben, was weder in der EU noch in Großbritannien für politisch sinnvoll gehalten wird. Denn dann müssten die Briten noch bei den EU-Wahlen am 23. Mai mitstimmen – eine Idee, die bei vielen britischen EU-Skeptikern zur akuten Magenverstimmung führen dürfte. Auch die EU ist nicht darauf erpicht, noch einmal britische Abgeordnete ins EU-Parlament gewählt zu bekommen, die eigentlich lieber aus der EU austreten als mitgestalten wollen.

Boris Johnson und Michael Gove bringen sich in Stellung

Bedrängt von allen Seiten versammelte Theresa May am Sonntag Minister und Brexitiere aus der Tory-Partei auf ihrem Landsitz Chequers, um sie noch einmal auf gemeinsames Durchhalten einzuschwören. Das Treffen blieb ohne Ergebnis.

In den sozialen Medien geht es allerdings längst nicht mehr um Mays Pläne. Der Hashtag #Resign war der Trend des Tages. Die partei- und regierungsinternen Konkurrenten Michael Gove, derzeit Umweltminister und Brexiteer, und Kanzleramtsminister David Lidington, ein Proeuropäer, werden am häufigsten genannt, wenn es um einen Ersatz für die glücklose Regierungschefin geht. Die beiden dementierten zwar eilig, dass sie gegen May putschen könnten. Doch der Montag begann mit der Titelzeile der Sun: „Deine Zeit ist vorbei, Theresa“. Die Regierungschefin solle ihren Rücktritt versprechen, im Gegenzug könnten ihre Feinde ihrem Abkommen mit der EU doch noch zustimmen.

Auf ihren Rücktritt wartet unter anderen auch Boris Johnson. Seit der ehemalige Außenminister wegen Mays Brexitplan im vorigen Juli ihr Kabinett verlassen hat, schießt er von den Hinterbänken des Parlaments rhetorisch oft unterhaltende, inhaltlich radikale Kommentare in Richtung der Premierministerin. Selbst einen Austritt ohne Abkommen kann er sich inzwischen vorstellen. In der Partei ist er deshalb recht unbeliebt, Tory-Wähler dagegen wollen ihn als  Nachfolger von Theresa May sehen. In seiner Daily Telegraph-Kolumne für diesen Montag fordert er einen sofortigen EU-Austritt: „Es ist Zeit für die Premierministerin, im Sinne von Moses im „Exodus“ zum Pharao in Brüssel zu sagen: „Lass mein Volk endlich ziehen!“

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Dieter Zorn | Mo., 25. März 2019 - 09:20

Der Brexit ist kein Ruhmesblatt, weder für die EU, noch für GB. Die EU-nahen Kreise und Journalisten wollen nur eins: Den Austritt verhindern, oder ihn zu einem Menetekel für andere schwankende EU Mitglieder machen. Die Britische Ruling Class zeigt mit ihrem Gemetzel gegeneinander, dass es ihnen längst nicht mehr um das Land geht, sondern nur noch um kleinliche Vorteile von Personen und Parteien. Die Journalisten kommentieren wie immer ihre Sicht der Dinge, die sie mit Haltung verwechseln. Ein einziges Chaos, das zeigt, wie Nahe die gesamte EU an der Klippe steht.

Karla Vetter | Mo., 25. März 2019 - 19:49

Antwort auf von Dieter Zorn

ein Menetekel für weitere Fluchtversuche aus der EU -Zwangsehe ,genau das ist der Sinn dieses Rosenkrieges . Frau May balanciert zwischen zwei Haifischbecken ,in einem ihr unsägliches Parlament im Anderen lauern die Eurokraten.

Holger Stockinger | Di., 26. März 2019 - 01:39

Antwort auf von Dieter Zorn

Ein Herr Schulz aus Würselen bewürstelte die SPD, worauf sofort von der CSU ein EURO-Retter folgte.

Die "Verdumm-Machung" der Medien zur EU-Wahl ist feinste Sahne: Als populistisch wird jeder disqualifiziert, der sich das Recht raus nimmt, selbst denken zu können.

Man oder frau im GEZ-Betrieb ist nolens-volens ein "Europa-Feind"! -

Das dunkeldeutsche Sachsenland wird jetzt als "NAZI-Brutstätte" anerkannt: HEIL dir, GEZ-Staat, Heinrich Heine tags ist für Grün-Links-Schwärmer nach wie vor wenig bekömmlich.

Den "KLIMA-Rettern" werden freitags immer weiter süße Gretas wachsen wie bei Jakob Augsteins Sponsoren zum Retten der Ansichten einer Stokowski im SPIEGEL zur Männerfrage ...

Gerhard Lenz | Di., 26. März 2019 - 18:59

Antwort auf von Holger Stockinger

Sie haben doch noch Ihre Pegida, Ihren Elsässer, Ihren Kubitschek, Ihren Hoecke...

Denen hört zwar kaum einer zu, aber die dürfen in diesem unseren Land, das Sie für das schlechteste überhaupt zu halten scheinen, ungehindert Ihre Weisheiten loslassen, und damit Leute wie Sie erfreuen...

Iris Pugatschov | Di., 26. März 2019 - 11:49

Antwort auf von Dieter Zorn

Es wird immer so gerne der "Wille des Souverains - des Volkes" angepriesen. Es wird immer offensichtlicher, wie "ausgeleiert", wie inflationär diese Redewendung gehandhabt wird. Hier an diesem Beispiel - das Geziehe und Gezerre um den Brexit wird einfach nur deutlich, es geht der großen Mehrheit der Abgeordneten einfach nur um sich selber, etwas "durchzusetzen" - nicht um das Wohl des Volkes.
Das gilt natürlich nicht nur für Britannien, es gilt in weiten Bereichen, meiner Ansicht nach.
Gerade in Fragen von Krieg und Frieden, Aufrüstung, Kalter Krieg - welcher Mensch will das schon? Zu behaupten, daß die Menschen oder Nationen früherer Generationen "aufeinander losgegangen sind" - vor EU-Zeiten, oder UN-Zeiten, ist schlichtweg falsch, es waren immr und ausschließlich die "Entscheidungsträger", die, aus welchen Gründen auch immer, Kriege initiiert haben. Man sollte einfach auch als Bürger mehr infrage stellen .. mfG

Tomas Poth | Mo., 25. März 2019 - 14:25

nichts mehr zu Verhandeln, der Brexit wurde gewählt, beantragt und nun kommt er halt ohne Vertragsvereinbarung... und es wird sich zurecht ruckeln.
Die Volte rückwärts wäre auch ein Schaden für dringende EU-Reformen.

herbert binder | Mo., 25. März 2019 - 20:48

Antwort auf von Tomas Poth

Lieber Tomas, ich ticke wie Sie. 2016 hatten alle Wähler ihre
Chance. Mich würde interessieren, welche Altersklasse bei
den aktuellen Streetwalkers und Onlinenutzern besonders
stark vertreten ist. Vor knapp drei Jahren waren es besonders
die Jüngeren,die es in großem Maße (Masse) vorzogen, ihren
"Freitag" zu nehmen: Wählen schwänzen. Aber auch der, der
sein Kreuzchen verweigert, hat das Kreuz mitzutragen. Er hat
ja quasi sein Stimmrecht delegiert, und dadurch eben doch
gewählt. Nun zeigt Charakter, liebe Briten, und zieht das
durch. Auch wenn ich als Nicht.Brite gut reden habe, OK.
Aber es geht doch nicht um Corbyn, Johnson oder welche
Pappnasen auch immer - sondern GB, und das first.

Gerhard Lenz | Di., 26. März 2019 - 11:34

Antwort auf von Tomas Poth

..die Entwicklung der EU konterkariert. Und sinnvolle Ansätze oft genug ausgebremst. Es ist den Briten zuzuschreiben, dass die EU in den letzten Jahren statt einer Vertiefung der EU eine Ausbreitung mit der Aufnahme immer neuer Mitglieder betrieben hat - wohl wissend, dass mehr Mitglieder auch mehr Streit bedeuten.
Es ist den Briten zu verdanken, dass das Parlament (fast) nur dem Namen nach ein Parlament ist, schliesslich wollten die Briten wohl nie mehr als einer Wirtschaftsgemeinschaft angehören.
Wenn die Briten weg sind, funktioniert die EU dann besser? Vielleicht. Ungarn oder Polen oder Italien sind nicht Schwergewichte, sondern Empfängerstaaten, zudem kann sich die eher EU-kritische Haltung in diesen Ländern durch Wahlen schnell wieder ändern. Trotzdem scheint lediglich die Option der "verstärkten Zusammenarbeit" Einzelner im Augenblick eine erfolgsversprechende Strategie für die Weiterenwicklung und verstärkte Integration der EU zu sein.

Herr Lenz , Sie beachten nicht das Deutschland durch die Haltung Englands einen Verbündeten hatte, der jetzt von Bord geht. Unsere Politiker haben ja schon zugesagt weitere Milliarden an Brüssel zu Zahlen. Armes -Reiches- Deutschland ? Was macht Brüssel wenn die Wirtschaft in Deutschland am Boden liegt ?

Ernst-Günther Konrad | Di., 26. März 2019 - 17:24

Antwort auf von Tomas Poth

kurz, knapp und richtig. Ich habe keine Lust mehr zu diesem Thema mehr zu schreiben. Sie haben es auf den Punkt gebracht. Danke.