Eine Mitarbeiterin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, Meltem Köyeasi (l), überreicht am Dienstag (08.03.2011) auf dem Kottbusser Damm in Berlin rote Nelken an eine Frau. Insgesamt verteilte der Bund 1.000 Nelken auf der Einkaufsstraße im Stadtteil Kreuzberg. Der 8. März ist der Internationale Frauentag
Sag es mit einer Nelke: Braucht Berlin den Internationalen Frauentag als Feiertag ? / picture alliance

Frauentag als Feiertag in Berlin - Mensch, Müller!

Da verspricht der rot-rot-grüne Senat seinen Bürgern als Wahlgeschenk einen zusätzlichen Feiertag – und dann fällt ihm gar nichts ein, was es zu feiern gäbe. Deshalb ist am Weltfrauentag frei. Eine Posse? Nee, dit is Berlin.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Man muss Berlin nur mal mit den Augen eines Bayern sehen. Dann fällt einem auf, wie irrsinnig hier vieles ist – vor allem die jüngste Idee des rot-rot-grünen Senats, seinen Bürgern 30 Jahre nach dem Mauerfall einen zusätzlichen Feiertag zu spendieren. Am 8. März durften alle den Griffel fallen lassen, die ihn noch halten können. Auch die Bundesregierung und die Ministerien sind nicht besetzt – und das, obwohl im Rest der Republik gearbeitet wird. Notdienste in den Ministerien müssen her, damit die Regierungsarbeit an diesem Tag in Deutschland nicht komplett zum Stillstand kommt. Es ist nicht der einzige Makel, mit dem dieses Wahlgeschenk behaftet ist.

Moment mal, werden jetzt einige sagen. Der 8. März, das ist doch der Internationale Frauentag. Der Tag, der im Osten schon immer mit mehr Tam-Tam zelebriert wurde als im Westen. Der Real Existierende Sozialismus machte es erforderlich, dass Mutti fulltime malochen musste – ob sie wollte oder nicht. Einmal im Jahr wurde sie dafür belohnt/entschädigt/abgespeist. Es gab rote Nelken, wenn es denn welche gab. Und ein paar warme Worte vom Brigadeleiter. Um Gleichberechtigung ging es da eher weniger. Der Internationale Frauentag war ein sozialistischer Muttertag. Was aber hat dieser Tag mit Berlin zu tun?

Hauptstadt des BER-Desasters

Berlin ist bekanntlich die Hauptstadt des Verwaltungschaos, des Regierungsversagen und des BER-Desasters. Der Stadt, in der vermutlich schon lange die Lichter ausgegangen wären, wenn der Länderfinanzausgleich nicht zuverlässig jedes Jahr 4,4 Milliarden Euro in die Kasse spülen würde. 160 Millionen Euro, das hat die Industrie-und Handelskammer ausgerechnet, kostet die Wirtschaft so ein freier Tag. Können es sich die Berliner überhaupt leisten, das Sozialprodukt ohne Not noch weiter herunterzufahren?  

Es entbehrt nicht der Ironie, dass diese Frage nicht aus Berlin kommt, sondern aus Bayern. Dem Land, das mit 6,67 Milliarden Euro mehr als die Hälfte des Geldes bezahlt, das der Bund an die finanzschwächeren Länder verteilt. Florian Weber, Chef einer kleinen Partei, die sich Bayernpartei nennt, hat sie gestellt – und sie auch gleich selbst beantwortet. Es gehöre eine große Portion Chuzpe dazu, einfach zu beschließen, dass die Arbeitnehmer sich auf Kosten anderer Bundesländer einen lauen Lenz machen dürften, polterte Weber im fernen Bayern. Und schickte gleich noch eine  Spitze an den Berliner Senat und hinterher: Hätte er die Einführung des Feiertags nicht wenigstens mit einer Deadline für die Fertigstellung des neuen Hauptstadt-Flughafens BER verbinden können? „Dann wäre vielleicht der Anreiz da gewesen, schneller zu bauen.“

Sozialistischer Muttertag

Scherz beiseite. Natürlich wird in Berlin niemand dagegen protestieren, dass er/sie/es heute zu Hause bleiben kann. Nur neun gesetzliche Feiertage gab es hier bisher, vier weniger als in Bayern. Und einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Auch dann nicht, wenn es ein lahmer Klepper ist. Ein fauler Kompromiss, der auch im Berliner Abgeordnetenhaus nur mit Ach und Krach eine Mehrheit fand. Von 147 Abgeordneten hatten im Januar nur 87 für den zusätzlichen Feiertag gestimmt. 60 stimmten dagegen.  

Die Begründung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller für den Internationalen Frauentag klang ja auch irgendwie an den Haaren herbeigezogen. Hatte Müller noch vor einem Jahr verkündet: „Es muss ein Tag sein, der eine politische Relevanz in unserer Geschichte hat“, so hatte er jetzt plötzlich Schwierigkeiten, zu begründen, warum sich die Linke, pardon, der Senat ausgerechnet für den sozialistischen Muttertag entschieden hatte. Der, so erklärte der Regierende, mit Blick auf die Genossen und Genossinnen, stehe wie kein anderes Datum „für den langen Weg hin zur Gleichstellung der Geschlechter.“

Gleichstellung? Das ist in Berlin nicht nur ein Wort. Eine Trendvokabel, die man(n) gerne mal im Nebensatz einfließen lässt, um zu demonstrieren, wie frauenfreundlich man ist. Gleichstellung ist als Querschnittsthema im Koalitionsvertrag verankert. Berlin redet nicht nur. Berlin fördert Frauen. Ihr Anteil in Führungspositionen ist mit 35 Prozent höher als im Rest der Republik (29 Prozent). An den Hochschulen gibt es inzwischen fast so viele Professorinnen wie Professoren. Es ist ein Trend, der nicht allen Männern behagt. Öffentlich mag keiner etwas dagegen sagen. Aber hinter hervorgehaltener Hand jammern schon einige, dass das Geschlecht im Zweifelsfall wichtiger sei als die Qualifikation. Dabei verdienen Männer im Schnitt immer noch mehr als ihre Mitbewerberinnen. Allerdings liegt die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern – neudeutsch: Gender Pay Gap – in Berlin mit 13 Prozent schon unter dem Bundesdurchschnitt (21 Prozent).

Ein Denkmal für die Linke

Natürlich kann sich der Senat auf diesen Erfolgen nicht ausruhen. Solange Kinder zu bekommen immer noch ein Armutsrisiko für Frauen bedeutet, bleibt für die Politik noch viel zu tun. Aber wird für uns Frauen irgendetwas besser, wenn wir einen Tag frei haben, um Bügelberge abzutragen oder liegengebliebenen Papierkram zu erledigen? Oder wollten sich die Linken mit dem Tag nur ein Denkmal setzen?

Denkmäler aber gibt es in Berlin schon genug. Die Stadt ist ein Freiluft-Museum. Sie atmet Geschichte. Reichstag. Stasi-Knast Hohenschönhausen. Die Mauer – oder das, was von ihr übriggeblieben ist. An potenziellen Anlässen, um historischer Ereignisse zu gedenken, herrscht also kein Mangel. Vor einiger Zeit hat der rbb die Berliner gefragt, welchem historischen Einschnitt sie einen Feiertag widmen würden. Die Bürger konnten sich nicht entscheiden, ob sie  den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, den Mauerfall am 9. November 1989 oder den Reformationstag am 31. Oktober wählen sollten. Doch was zählt ihr Wille gegen den Koalitionsfrieden und das  Harmoniebedürfnis eines Regierenden Bürgermeisters, der vor den  Genossinnen im Senat eingeknickt ist?  Mensch, Müller. 

„Keine künstliche Überfrachtungen“

Die Geschichte des Feiertags ist eine Posse, die nicht nur in Bayern alle Klischees bestätigt, die sich um Berlin ranken. Sollte es daran noch irgendeinen Zweifel geben, hat ihn Müller selbst ausgeräumt. Vom Tagesspiegel gefragt, warum der Senat am 8. März gar nichts unternehme, um den Tag ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, erklärte er pikiert: „Das künstliche Überfrachten eines solchen Feiertags ist nicht im Sinne der Erfinderinnen.“

Was aber nützt so ein Tag, wenn nicht mal der Senat weiß, wie er ihn mit Leben füllen soll? Doch Moment mal, die Grünen haben da noch ein As im Ärmel. Der 8. März sei ein „Kampftag“, so heißt es. Man wolle an diesem Tag eine Straße benennen. Nicht nach Michael Müller, dem Frauenversteher. Nein, nach Margarete Poehlmann. Sie war die erste Frau, die 1919 im Berliner Abgeordnetenhaus reden durfte.

Dame sticht.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Christa Wallau | Fr., 8. März 2019 - 16:21

Ich habe immer schon festgestellt, daß diejenigen, die es sich eigentlich gar nicht leisten können, am tollsten feiern und am wenigsten arbeiten. In meiner Kindheit u. Jugend sparten die Familien, in denen das Geld zusammengehalten wurde, um es für Notzeiten zurückzuhalten bzw. sich etwas Größeres aufzubauen, selbst beim Feiern, während die als leichtlebig Eingestuften das wenige Geld, das sie hatten, fröhlich verpraßten. Allerdings galten diese Leute damals nicht als "arm, aber sexy", sondern als asozial. Die Gesellschaft belohnte ein solches Verhalten keineswegs mit höherem Ansehen, und es wäre niemand in den Sinn gekommen, ihnen auch noch mit einem "Finanzausgleich" unter die Arme zu greifen.

Uli Petschulat | Fr., 8. März 2019 - 16:38

Vielleicht sollten sie, statt zu feiern, besser mal am BER basteln. In China wird bei einer Bauzeit von 4 Jahren der größte Flughafen der Welt fertig. Aber in Berlin wurde immer schon gefeiert, auch 1945 kurz vor dem Untergang. Dieses Land ist mir unverständlich geworden.........

Klaus Dittrich | Fr., 8. März 2019 - 18:00

„Es ist nicht der einzige Makel, mit dem dieses Wahlgeschenk behaftet ist.“
Auf jeden Fall ist es ein Wahlgeschenk der SPD. Ob sich die Berliner bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl daran erinnern – vor allem, wenn sie nach Wohnungen suchen?

„Es gab rote Nelken, wenn es denn welche gab. Und ein paar warme Worte vom Brigadeleiter.“
Meine DDR-Biografie sagt mir, dass es – zur Jahreszeit passend – meist Tulpen gab. Und zumindest in größeren Institutionen gab es mehr – eine feucht-fröhliche Feier mit allen Frauen und der „Führungsebene“.

„Berlin ist bekanntlich die Hauptstadt des Verwaltungschaos, des Regierungsversagen und des BER-Desasters.“
Das sehen nur Außenstehende so. Unser R/R/G-Senat hat sich gerade mal wieder wegen seiner überragenden Leistungen gefeiert.

Romuald Veselic | Fr., 8. März 2019 - 18:07

Himmel schreiende Verlogenheit!
"Einmal im Jahr wurde sie dafür belohnt/entschädigt/abgespeist". Die Frau. Im real existierenden Sozismus.
Und wenn man in die glorreiche, elitär-progressive, kommunistische Vergangenheit zurückblickt, sieht man in den Politbüros von DDR, Polen, über CSSR u. Ungarn, bis nach Bulgarien keine einzige Frau...
Und das Beste: In der UdSSR gab es nur zwei Frauen im Politbüro/Zentralkomitee - Jekaterina Furzewa (sehr guter Name), sowie Galina Semjonowa. Soviel zum Feiertag der Linken, die sich heute von alten weißen Männern inspiriert fühlen. Da muss Klara Zetkin im Grab rotieren.

Jürgen Keil | Fr., 8. März 2019 - 19:29

Ich hatte neulich eine Traum, wie man diesen Feiertag ins "öffentliche Bewusstsein" rücken könnte. Für die Berliner Frauen wäre es doch sicher eine Freude, "freiwillig" in einem Demonstrationszug jubelnd an Frau Merkel, Frau Nahles, Frau Kipping und Frau Baerbock vorbei zu laufen. Zuvor aber sammeln sie sich vor ihrem jeweiligen Stadtbezirksrathaus (heißt das noch so?), tragen sich in eine Teilnehmerliste ein, wofür sie kostenlos eine vegane Bratwurst und wahlweise eine rote Nelke oder einen roten Luftballon erhalten. Am Rathaus müssen sie sich dann nach der Demonstration auch wieder austragen lassen, wofür sie einen Gutschein für die kostenlose Heimfahrt mit der S- oder U- Bahn erhalten. Am Abend müssen sich ausgewählte Männer im schwarzen Anzug, mit roter Fliege und einer Sonnenblume im Knopfloch, als Eintänzer zum großen Frauenball im Palast der Bundesrepublik einfinden. An dieser Stelle bin ich dann schweißgebadet aufgeweckt.

Wolfram Fischer | Sa., 9. März 2019 - 08:50

Ich finde es eine bodelose Frechheit, wenn die Kostgänger fremder Leute Geldbeutel immer noch dreister ausplündern indem sie solcherlei schwachsinnige "Wohltaten" verteilen!
Aber es ist ja durchaus traurige "Normalität", wenn man sich diesen Senat (r-r-g) anschaut: Das Problem der Linken ist IMMER, daß ihnen (... über kurz oder nur geringfügig länger) das Geld fremder Leute ausgeht.
Ich kann gar nicht so viel zu mir nehmen wie ich gleich wieder von mir geben möchte, wenn ich jeden Tag "den Buckel krumm mache", um immer weiter ausuferndes Kostgängertum (mit)finanzieren zu müssen!
Als (noch dazu intensiv) arbeitender Mensch fühle ich mich hier von einem immer weiter ausufernden Heer vorwiegend linker Nichtleister (schlimmer: nichtleistenwollender Oberschlauschwätzer) in Geiselhaft genommen!

Ernst-Günther Konrad | Sa., 9. März 2019 - 09:14

Guter Artikel Frau Hildebrandt. Ich würde Herr Müller durchaus fragen, ob ich als Mann beleidigt werden soll. Immerhin gibt es für das Gedenken der Frauen bereits den Muttertag und jetzt auch noch den Frauentag. :) Es wäre den Frauen bei weitem mehr gedient, so höre ich von diesen immer wieder, wenn sie nicht auf ihr Geschlecht reduziert Vorteile haben sollen, sondern nach ihrer Leistung und Eignung gleichgestellt den Männern bezahlt und geachtet werden würden.Interessant idt dann doch, dass Herr Müller zwar den Feiertag will, aber eigentlich nicht weis, wie und was er da feiert. Respekt und Anerkennung vor der Lebensleistung einer Frau wird durch einen Feiertag nicht wirklich Gerechtigkeit erfahren. Gleiche Bezahlung, unvoreingenommenen Zugang in Führungsfunktionen, aber auch Anerkennung als Mutter und/oder "nur" Hausfrau, Respekt im persönlichen Umgang, damit wäre den Frauen sicher mehr gedient. Berlin hat scheinbar keine anderen Probleme. Warum auch, andere bezahlen es ja.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 9. März 2019 - 14:04

Die gibt es sicher viele, gerade in Berlin, aber der Frauentag ist keine "Erfindung" der DDR, als sozialistischer Muttertag auch eher randständig.
Es sticht also weder Historie noch Sozialismus im Übermass, wenn auch berechtigt.
Ihr Musen, Denkerinnen und Heilige, erzählt von den Frauen.
Den Tag möchte ich für die ganze Welt, gerne das Universum.
Ich habe da einfach mal auch über mich nachgedacht.
Für mich steht der 8. März neben unseren Kirchenfeiertagen.
Ich denke, das halten Männer aus!

Eberhard Rademeier | So., 10. März 2019 - 16:10

dass Sie auch das Märchen vom 21 %-Gender pay gap bewusst oder unbewusst verbreiten. Dass das Unsinn ist, wurde nach meiner Erinnerung auch schon hier im Cicero thematisiert, aber auch hier: https://www.insm.de/insm/themen/arbeit/argueliner-9-fakten-zum-gender-p…
Ansonsten aber ein guter Beitrag, der meine Einschätzung unterstützt, dass die meisten Mitglieder der Berliner r-r-g-Koalition nur beschränkt geschäftsfähig sind. Als Ex-Berliner schmerzt diese Erkenntnis besonders stark