Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer (r) und der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz unterzeichnen im Paul-Löbe-Haus den Koalitionsvertrag.
Ein Koalitionsvertrag legt nur fest, was man gemeinsam tun will; er ersetzt nicht die jeweiligen Parteiprogramme / picture alliance

Große Koalition - Streit in der Groko? Ja, bitte!

CDU und SPD gehen die bösen Geister ihrer Vergangenheit an: die Christdemokraten mit den Ergebnissen ihres Werkstattgespräches, die SPD mit ihren Vorschlägen zum Sozialstaat. Das werden beide in der Großen Koalition nicht umsetzen können. Der Streit ist aber gut für die Demokratie

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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CDU und SPD versuchen sich zeitgleich an der Aufarbeitung ihrer Traumata. Die einen rücken von jener Flüchtlingspolitik ab, die die eigene Kanzlerin 2015 und danach praktiziert hatte. Die anderen wollen mit wesentlichen Teilen der „Agenda 2010“-Politik nichts mehr zu tun haben. CDU und SPD sind dabei im Unglück vereint: Beide haben mit ihrer Politik nicht nur Wähler verloren, sondern sogar das Aufkommen neuer Konkurrenten befördert. Die Westausdehnung der PDS wäre ohne „Hartz IV“ nicht so schnell und erfolgreich vonstattengegangen. Und die AfD hätte sich ohne „Willkommenspolitik“ und Kontrollverlust an den Grenzen nicht so rasch von der Abspaltung des Professoren-Flügels erholt.

Die Neupositionierung hat auf beiden Seiten zwei Ziele: Innerparteilich sollen Gräben zugeschüttet werden – zwischen Merkelianern und Konservativen bei der CDU, zwischen Pragmatikern und Linken bei der SPD. Viel wichtiger ist jedoch die angestrebte Außenwirkung. Indem die CDU sich wieder als Anwalt der inneren Sicherheit und Gegner von „Multikulti-Träumen“ positioniert, hofft sie, nach ganz rechts abgewanderte Wähler zurückzugewinnen. Die SPD wiederum versucht, mit dem Ruf nach „mehr Geld für alle“ und höheren Steuern für wenige bei den Protestwählern zu punkten, die entweder Die Linke oder die AfD wählen, um es „denen da oben“ zu zeigen.

Vorbereitungen für das Superwahljahr 2019

Natürlich wissen die führenden Köpfe auf beiden Seiten, dass sie von dem, was sie jetzt propagieren, kaum etwas umsetzen können. Asylverfahren in Transitzonen an EU-Außengrenzen, mehr Befugnisse für die Bundespolizei, nur noch eine Instanz bei Asylverfahren oder verringerte Sozialleistungen für Asylsuchende – das werden so weder die SPD im Bundestag mittragen noch die Grünen im Bundesrat passieren lassen. Ganz abgesehen davon, dass die Noch-Kanzlerin Angela Merkel für diese Ziele ihrer Partei nicht kämpfen wird. Die SPD-Forderungen nach einer Garantierente ohne Bedürftigkeitsprüfung, der Zahlung des Arbeitslosengelds I für die Dauer von bis zu drei Jahren, dem weitgehenden Verzicht auf Sanktionen bei den in „Bürgergeld“ umzutaufenden Hartz IV-Bezügen oder gar der Erhebung einer Vermögensteuer werden sich ebenfalls nicht im Bundesgesetzblatt wiederfinden – jedenfalls nicht in dieser Legislaturperiode.

Genau besehen haben CDU und SPD lediglich ihre Waffen geschmiedet für das Superwahljahr 2019 mit Europawahl, vier Landtagswahlen und Kommunalwahlen in zehn Bundesländern. Sie wollen ihren potenziellen Wählern zeigen, was sie alles umsetzen würden, wenn sie denn allein regierten. Dass keine Partei auch nur vage Aussichten auf eine absolute Mehrheit hat, ist dabei sekundär. Die beiden geschrumpften Volksparteien wollen ihr Profil zeigen, wollen sich voneinander absetzen, wollen zeigen, dass sie trotz gemeinsamer Regierungsarbeit doch unterschiedliche Parteien sind.  

Koalitionsvertrag ersetzt keine Parteiprogramme

Es wird also ruppiger zugehen in Berlin, nicht nur zwischen Regierungsparteien und der Opposition, sondern auch innerhalb der Großen Koalition. Das bedeutet aber nicht, dass deshalb das Ende der Groko bevorstünde. Man kann durchaus miteinander das umsetzen, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde – und gleichzeitig darauf hinweisen, dass man Kompromisse eingehen musste. Das Erstarken der populistischen Parteien ganz links und ganz rechts hat ja nicht zuletzt damit zu tun, dass CDU und SPD in den langen Groko-Jahren bisweilen den Eindruck einer Einheitspartei vermittelten. Demokratie bedeutet Wettstreit von Ideen und Konzepten um Mehrheiten. Dieser Wettstreit darf aber nicht zum Stillstand kommen, wenn Parteien miteinander koalieren. Im Gegenteil: Ein Koalitionsvertrag legt nur fest, was man gemeinsam tun will; er ersetzt nicht die jeweiligen Parteiprogramme.

Wenn CDU und SPD jetzt mit geschärftem Profil auftreten, werden viele die Hände ringen ob dieser Streitereien. Aber Streit gehört nun einmal zur Demokratie. Die CDU (zusammen mit der CSU) und die SPD können durchaus den Koalitionsvertrag abarbeiten und sich gleichzeitig auf verschiedenen Politikfeldern stärker voneinander absetzen. Da kann man im Interesse einer lebendigen Demokratie nur sagen: Dann streitet mal schön!

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Hans Jürgen Wienroth | Mi., 13. Februar 2019 - 12:49

Sie haben sehr viel Vertrauen in die beiden ehemaligen Volksparteien. Genau dieses Vertrauen aber haben viele Wähler verloren und werden es durch reine (populistische) „Ankündigungen“ (keine reelle Chance auf Umsetzung / Wirkung) nicht zurückgewinnen.
Was uns bevorsteht ist eine nächste Koalition von Parteien, die mehr einem Parteienbündnis als einem demokratischen Spektrum ähneln. Was soll da anders werden?
Die einzige (Parteien-) Alternative durch Verfassungsorgane ausschließen zu lassen ist auch keine vertrauensbildende Maßnahme, sondern eher ein Tiefpunkt unserer Demokratie.
Der österreichische Bundeskanzler zeigt, wie man den Willen der Wähler unter Einbindung des gesamten demokratischen gesellschaftlichen Spektrums gestaltet.

Michaela Diederichs | Mi., 13. Februar 2019 - 15:48

Antwort auf von Hans Jürgen Wienroth

Alberne Absichtserklärungen der CDU in Sachen Asyl sind wenig glaubwürdig, wenn Koalitionspartner (die SPD) oder mögliche Koalitionspartner (Grüne) diese nicht mittragen. Die Sozialkomponenten der SPD werden von der CDU nicht getragen. Daher alles - aus meiner Sicht - dummes Geschwätz um die Wähler in diesem Superwahljahr zu beruhigen. Beruhigungspillen werden allerdings nicht mehr helfen. Ach ja und lt. Bertelsmann-Stiftung brauchen wir jedes Jahr 260.000 Fachkräfte (egal woher). Auf die Idee, die eigene Bevölkerung in dieser Hinsicht anzusprechen (vielleicht noch mal eine neue Ausbildung machen), kommt man offensichtlich weder im Jobcenter noch in der Politik. Die regierungsnahe Bertelsmann-Stiftung hatte aber wohl auch nicht diesen Auftrag.

Roland Völkel | Mi., 13. Februar 2019 - 19:45

Antwort auf von Michaela Diederichs

Hallo Frau Diederichs,
dem ist kaum etwas hinzuzufügen, sehr trefflich analysiert!
Ach die Bertelsmann Stiftung. Die war doch Maßgeblich an den Hartz 4 "Reformen" beteiligt. Es heißt auch:Die Bertelsmann Stiftung sei die treibende Kraft bei Privatisierungen und beim Abbau sozialer Leistungen.Hat aber selber den Status der Gemeinnützigkeit. Wird oft als eine "heimliche Regierung" bezeichnet!
D. hat immer noch über 4 Millionen Arbeitslose. Aber jedes Jahr den Zuzug von min. 300.000 Menschen / Fachkräfte (Einwohnerzahl von Mannheim) zulassen! Fehlen denn diese "Fachkräfte" nicht in den Herkunftsländer?. Und wenn schon-Wir geben dann etwas mehr Entwicklungshilfe und schicken "Fachleute" runter.
Ist das alles ein gewollter Irrsinn?

gabriele bondzio | Do., 14. Februar 2019 - 10:17

Antwort auf von Michaela Diederichs

Jahr 260.000 Fachkräfte...die Bertelsmann-Stiftung lässt eben das digitale Zeitalter ausfallen und bevorzug weiter den Hand-Betrieb.
"1977 von Reinhard Mohn ins Leben gerufen.Dabei spielten sowohl gesellschafts- und unternehmenspolitische Motive als auch steuerliche Gründe eine Rolle. Der Bertelsmann-Chef fand neue legale Möglichkeiten, Gewinne im Unternehmen zu behalten. Die Bertelsmann Stiftung ist so eine Möglichkeit. Sie funktioniert wie eine Sparbüchse und erhält nur einen Teil der Gewinne." (Quellen:Wiki/taz)

Christa Wallau | Mi., 13. Februar 2019 - 14:39

Nein, Herr Müller-Vogg, diese Spiegelfechtereien bringen dem deutschen Bürger leider gar nichts.
Sie n ü t z e n nicht!
Denn: Keine der ehemaligen Volksparteien kann ja - Wie Sie richtig schreiben! - irgendetwas von dem
durchsetzen, was sie großmäulig verkündet.

Solange die SPD nicht mit den Linken u. Grünen eine klare "Linksfront" aufmacht, und solange die CDU/CSU nicht auf die AfD zugeht, um wieder ein konservatives Lager zu bilden, haben die Wähler in Deutschland keine Alternative, sondern stochern in einem trüben Parteienbrei herum. Das Gezicke der Altparteien im Blick auf ihre Abspaltungen nimmt den Wählern jegliche Möglichkeit, einen klaren Kurs zu bestimmen. Dadurch erhöht sich die Politikverdrossenheit u. keines der Probleme wird - so oder so - angepackt und gelöst.
Kein Wunder, daß die Grünen - sozusagen
als dritter Weg bzw. neue Religion - viele Deutsche
in ihren Bann ziehen.
Bloß: D i e werden uns ganz bestimmt nicht retten;
denn denen liegt "die Welt" näher als D!

Auch meine Meinung. Ich bin nur mal gespannt, wer, wem und wann zuerst "Populismus" und welcher SPDler zuerst einem CDUler AFD-Sprech vorwirft.
Könnte mir vorstellen, das Stegner schon das verbale Messer wetzt. Sachorientertes Streiten erfordert von beiden Seiten eine Streitkultur. Dazu gehört zuhören, nachdenken und antworten. Vielleicht auch mal inne halten und dem anderen Recht geben. Vor allem aber erfordert es "Ehrlichkeit". Alles Attribute, die fehlen den Parteienvertretern, die sich derzeit in der Regierung tummeln.

Pinocchio-Potenzial darf man diesen Politikerinnen getrost unterstellen. Fröhliches Geschwafel mit ernsthaften Mienen. Sind die eigentlich über Quote in die Politik gekommen oder wurden die ernsthaft gewählt, frage ich mich.
https://www.focus.de/politik/deutschland/werkstattgespraech-migration-d…
https://www.focus.de/politik/deutschland/kommentar-ohrfeige-fuer-waehle…

Tomas Poth | Mi., 13. Februar 2019 - 14:51

man sich anschließen.
Die beiden Therapiesitzungen sollen gegenüber der Wählerschaft verlorenen Boden gut machen.
Heftiges Streiten in der GroKo ohne Ergebnisse werden die Wähler in ihrer bisherigen Präferenz aber nicht umstimmen.
Der Wähler muss sich entscheiden welches Lager er stärken möchte, welche Versprechungen eher Aussicht auf Erfüllung haben. Linke Umverteilungsversprechungen oder Versprechungen bezüglich der Migration und die damit verbundenen Probleme. Letzteres ist wohl eher zu erreichen sieht man das konsequente Handeln in Italien.

Nach meiner Ansicht sollten die Regierungsparteien weiterhin abgestraft werden,weil beide mit populistischen Massnahmen nicht an das wirkliche Problem heranzugehen. Empfehle dringend das Buch von Dr, Daniel Stellten "Das Märchen von reichen Land" zu lesen um zu verstehen,dass weder Heil mit seinen Plänen noch diese nicht erfolgreiche Migrationspolitik (im Gegensatz zur Schweiz oder USA) der beiden Parteien unserem Land in der Zukunft helfen kann
gerhard trautmann

Ulrich Jarzina | Mi., 13. Februar 2019 - 19:57

Man diskutiert darüber, den Brunnen abzudecken nachdem das Kind hineingefallen ist. Wieder einmal.

Henriette Schmitt | Mi., 13. Februar 2019 - 20:16

Weder von Westen nach Osten, noch umgekehrt.
Westdeutschland hat seit 2015 die systematisierte geistige Zentralverriegelung so weit verinnerlicht, dass sie aus diesem Dilemma nur noch mit Hilfe der AfD herauskommt.
Also nie!

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 13. Februar 2019 - 20:16

So kann man sich Geschichte aus der Sicht eines wackeren Konservativen auch schön schreiben.
Die SPD existierte nicht in der DDR und weiter links als die SPD gab es im Westen schon länger als Hartz 4, selbst durch die Grünen.
Sozialdemokratie ist schon auch im linken Lager so etwas wie intellektuelle Herausforderung, das kann nicht jeder.
Negativ betroffen von Hartz 4 waren durchaus nicht unbedingt diejenigen, die Schröder schützen wollte und wahrscheinlich dennoch nicht SPD wählten.
Es war die bürgerliche Schicht, die sich von der SPD abwandte und die Facharbeiter.
Die haben dann nicht links gewählt.
Niemand zwang Merkel, SPD-Politik zu machen.
Jetzt ist auch noch die SPD schuld, dass die CDU ihren Weg nicht fand?
Ich sage, gut dass mit Gabriel wenigstens ein kompetenter Politiker an der Spitze der SPD stand, als die CDU schon mit einer m.E. völlig inkompetenten Merkel geschlagen war.
So wußte wenigstens die SPD, wo es lang gehen konnte, während die CDU ihr Gesicht wahrte.

Norbert Heyer | Do., 14. Februar 2019 - 05:33

Beide ehemaligen politikbestimmenden Volksparteien haben erkannt: Zusammen gehen wir gemeinsam unter. Jetzt will die CDU die abgewanderten Wähler mit Werkstattgesprächen und markigen Begriffen wie „notfalls die Grenze schließen“ zurückgewinnen. Geht schief, viel zu viel Porzellan wurde zerschlagen. Die SPD möchte ihr Trauma Hartz IV beenden und verspricht Wohltaten zur Reparatur eines Rentenproblems. Geht auch schief, kündigt der Finanzminister schon mal vorsorglich Finanzierungslücken im Haushalt an. Außerdem - in der großen Koalition - sind beide Reformvorschläge nicht durchsetzbar. Heiße Luft, um den hochverehrten Wähler wieder einzufangen. Tatsächlich scheint es in der Zukunft, wenn der Höhenflug der Grünen anhält, zu einer Koalition zu kommen, die man mit gesundem Menschenverstand nicht gutheißen kann. Denn dann würde die schon teilweise vergrünte Union ganz dem Lockruf der Habecks und Co. erliegen und unsere Heimat komplett dem Zeitgeist Multikulti mit allen Nebenwirkungen opfern

Michaela Diederichs | Do., 14. Februar 2019 - 21:58

Antwort auf von Norbert Heyer

Bei der Migration handelt es sich m. E. nicht um Zeitgeist, sondern um die Umsetzung des Migrationspaktes der Vereinten Nationen. Demnach ist kein Mensch mehr illegal. Deutschland geht auch hier mal wieder allen voran. Wenn wir schon sonst nichts mehr können, dann wenigstens Moralweltmeister.

https://www.bundestag.de/presse/hib/-/577644

Josef Dieckmann | Do., 14. Februar 2019 - 17:56

Das Versagen der Altparteien und Grünen wird in den nächsten Jahren immer offensichtlicher werden. Der Euro funktioniert nicht (Nullzins, Verschuldung); die EU versagt: Brexit, Schutz der Außengrenzen, Zentralismus, Bürokratie, Demokratiedefizite; die Energiewende ist gescheitert (s. erste Stromabschaltungen); die sog. "Verkehrswende" ruiniert unsere Automobilindustrie; die Bundeswehr ist nicht einsatzbereit; Zuwanderungspolitik und Integration scheitern gerade; Polizei und Justiz sind überlastet; Zweifel am menschengemachten Klimawandel nehmen zu und unser Bildungssystem wird zweitklassig. Hinzu kommt ein beginnender wirtschaftlicher Abschwung und ein schärferer Wettbewerb aus Fernost. Lösungen/Strategien der Regierenden für die vorgenannten Themen sind nicht erkennbar. Die CDU schafft keine Wende in der Zuwanderungspolitik und die SPD stellt mit mehr Sozialstaat die Weichen in die falsche Richtung. Bei den nächsten Wahlen und auf der Straße wird es dafür die Quittungen geben.