Bürgermeister der polnischen Stadt Danzig, spricht am 04.05.2016 im St.-Petri-Dom in Bremen während der Gedenkfeier für den ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick
Der Bürgermeister der polnischen Stadt Danzig Paweł Adamowicz sprach 2016 bei einer Gedenkfeier in Bremen / picture alliance

Getöteter Danziger Bürgermeister - Fruchtbarer Nährboden

Polen trauert um Paweł Adamowicz, den Bürgermeister von Danzig, der am Sonntag erstochen wurde. Es gibt keine Indizien für ein rechtsextremes Motiv. Aber das Hassverbrechen geschah nicht im luftleeren Raum

Autoreninfo

Jan Karon, 25, ist als Sohn polnischer Eltern in Südwestdeutschland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaft in Heidelberg und Oregon (USA). Heute arbeitet als freier Journalist in Berlin und schreibt unter anderem für VICE.

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Am Montagabend wird es totenstill vor dem Neptunbrunnen in der Innenstadt von Danzig. Vor dem Wahrzeichen der Hansestadt versammeln sich Zehntausende, darunter Politprominenz wie Lech Wałęsa oder EU-Ratspräsident Donald Tusk, aber auch Familien, Rentner, Studenten. Als eine Acapella-Version von Simon & Garfunkels „Sound of Silence“ ertönt, halten sie alle inne und gedenken Paweł Adamowicz.

Gerade mal 24 Stunden zuvor wurde Adamowicz, seit 1998 amtierender Bürgermeister der Stadt, bei einer Benefizgala niedergestochen. Ein 27-jähriger Angreifer stürmte vor laufenden Kameras die Bühne und stach mit einer 14 Zentimeter langen Klinge fünf Mal zu. Adamowicz wurde über Nacht notoperiert und bekam mehr als 40 Blutkonserven verabreicht. Am Montagnachmittag dann die traurige Gewissheit: Der 53-jährige Adamowicz ist an seinen Verletzungen erlegen.

Seitdem trauert Polen, und zwar kollektiv und über Parteigrenzen hinweg. Und doch wurden sofort erste Fragen laut: Wie konnte es so weit kommen? War der Täter ein Psychopath? Oder handelte er politisch, womöglich begünstigt durch ein Klima, das Hass auf Oppositionelle nicht nur gutheißt, sondern regelrecht fördert?

Das Tötungsdelikt nicht für politische Agenda nutzen

Dazu muss man wissen, dass der inzwischen parteilose Adamowicz sich in Vergangenheit für die Aufnahme von Flüchtlingen aussprach, sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzte und immer wieder gegen die Justizreformen der regierenden Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS) demonstrierte. Für die liberalen, pro-europäischen und progressiven Teile der Bevölkerung war er eine Identifikationsfigur, für Rechtspopulisten, Klerikale und Nationalisten hingegen ein Feindbild.

Bislang gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tat ideologisch motiviert war oder der Täter aus rechtsextremer Gesinnung handelte. Mit Versuchen, ein tragisches Tötungsdelikt für seine politische Agenda auszuschlachten, sollte man sich deshalb zurückhalten.

Was ist über das Tatmotiv bekannt? Kurz, nachdem er Adamowicz niederstach, schnappte sich der Angreifer das Mikrofon und verkündete: „Ich heiße Stefan und saß unschuldig im Gefängnis.“ Die liberale Bürgerplattform, der Adamowicz bis 2015 angehörte, hätte ihn dort gefoltert. „Und deshalb ist Adamowicz gestorben.“ Der Täter war also eine Krimineller, der Ermordung Adamowiczs lagen offenbar persönliche Motive zu Grunde.

Zudem litt er an psychischen Problemen. In Vergangenheit wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Im Gefängnis stand er unter psychologischer Betreuung. Die Polizei selbst warnte vor einer Freilassung.

Adamowicz war Zielscheibe rechter Attacken

In Polen glauben jedoch nicht wenige, dass Motive wie persönliche Rachsucht oder mentale Probleme zu kurz greifen. Schließlich wurde nicht irgendein Politiker ermordet, sondern ein Bürgermeister, der sich immer wieder gegen Homophobie, Rechtsextremismus und Antisemitismus aussprach. Und nicht bei irgendeinem Event, sondern der Wohltätigkeitsveranstaltung WOŚP, die in den vergangenen Jahren zu einem Event des Anti-PiS-Lagers avanciert war.

In der Tat ist Adamowicz in der Vergangenheit immer wieder zur Zielscheibe rechter Attacken geworden. 2014, nachdem er sich bereit erklärte, Flüchtlinge in Danzig aufzunehmen, veröffentlichte die rechtsextreme Jugendorganisation Młodzież Wszechpolska (zu deutsch: Allpolnische Jugend) eine fiktive Todesurkunde Adamowiczs. Die Todesursachen: Liberalismus, Multikulturalismus und Dummheit.

Attacken von der Regierung und den staatlichen Medien

Schwerer wogen noch die Angriffe der rechtspopulistischen Regierungspartei. Deren Parteichef Jarosław Kaczyński beschuldigte Adamowicz, bewusst gegen polnische Interessen zu verstoßen. Andere rechte Kommentatoren warfen ihm vor, mit sexuellem Aufklärungsunterricht Kinder zu verderben, durch Teilnahme an LGTBQ-Märschen Homopropaganda zu verbreiten oder insgeheim als „Deutscher“ zu handeln.

Auch von Seiten des staatlichen Rundfunks, der sich seit der Machtübernahme der PiS 2015 auf Regierungslinie befindet, wurde Adamowicz immer wieder attackiert. Weil er womöglich Vermögenserklärungen falsch ausgefüllt hatte und Justizbehörden gegen ihn ermittelten, nannten ihn staatliche Sender einen „Kriminellen“ und einen „Dieb“. Im September 2017 verfolgte der TVP-Reporter Łukasza Sitko Adamowicz mehrere Minuten lang und forderte ihn aggressiv dazu dazu auf, sich nun zu besagten Vorwürfen zu äußern. Der rechte Publizist Jerzy Jachowicz kam vergangenen Juni noch zum Schluss, Adamowicz sei ein „Krebs für die polnischen Demokratie“.

Ein Krebs, der jetzt womöglich beseitigt wurde? Bartosz Wieliński, der Chef des Auslandsressorts der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, glaubt, dass die Tat nicht als persönlicher Racheakt abgetan werden darf, sondern im politischen Gesamtkontext bewertet werden muss. „Adamowicz war Gegenstand einer beispiellosen Hetzjagd der PiS und regierungstreuer Medien“, sagte Wieliński gegenüber Cicero. Gerade weil der Hass auf ihn immer weiter befeuert wurde, so Wieliński, könne es sein, dass der Täter ihn als Sündenbock bewusst ausgewählt habe. Die Gazeta Wyborcza schrieb am Montag in einem Leitartikel: „Vor dem Messer waren tausende Worte“.

Debatte über Deutungshoheit

Auch wenn Adamowiczs Stellvertreterin Aleksandra Dulkiewicz noch am Montag appellierte, dass sie „im Namen der Freunde und Familie sehr darum bitte, das Drama und die schwierige Situation auf keine Art und Weise politisch und ideologisch auszunutzen“, tobt in Polen inzwischen eine Debatte über die Deutungshoheit. Linke und liberale Kräfte wittern in der Tötung einen Beweis für rechte Gewalt. PiS-Politiker und staatliche Medien hingegen relativieren das Verbrechen und verschweigen die Verbalattacken, die dazu beigetragen haben könnten, dass sich der Täter ermutigt fühlte.

Exemplarisch dafür stehen die gestrigen Abendnachrichten des staatlichen Rundfunks TVP. In einem 2:20 Minuten langem Beitrag, der eigentlich zur Besinnung aufrufen sollte, wurden als Beispiele für ein „Klima des Hasses“ die neun Jahre zurückliegende Ermordung des PiS-Politikers Marek Rosiak, Brandanschläge auf das Büro der PiS-Abgeordneten Beata Kempa und die Wahlkampfrhetorik von PO-Abgeordneten angeführt. Also lediglich Attacken gegen die Regierungspartei PiS – obwohl das Opfer im Falle Adamowiczs nun mal ein Oppositioneller war. Wer unter dem Vorwand, sich Hass entgegenzustellen, nur die eine Seite der Medaille zeigt und keinerlei Selbstkritik übt, der macht deutlich, dass er genau das im Sinne hat, was Dulkiewicz verhindern wollte: die Tat zu instrumentalisieren.

Es scheint wahrscheinlich, dass sich die gespaltene polnische Bevölkerung nach dem Mord an Adamowicz noch weiter teilt. Nachdem der polnische Präsident Andrzej Duda angekündigt hatte, einen „Marsch gegen Hass und Gewalt“ durchzuführen,  sagten die linke SLD sowie die Bürgerplattform (PO) die Teilnahme ab. Sie argumentieren: Auch der Versuch einer Entpolitisierung der Tat sei schon Politisierung an sich.

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Gregor P. Pawlak | Di., 15. Januar 2019 - 09:32

Lieder schnell zusammengeschustert, mit Fehrlern befrachtet, des Anlasses nicht wirklich würdig... Schade.

Detlev Bargatzky | Di., 15. Januar 2019 - 10:10

"Es gibt keine Indizien für ein rechtsextremes Motiv. Aber das Hassverbrechen geschah nicht im luftleeren Raum."

Warum entwertet der Autor den ersten Satz durch den Zweiten?

Er hätte er den ersten Satz auch mit "Leider gibt
es keine ..." beginnen können. Das hätte m.E. seine Haltung nur etwas deutlicher werden lassen.

Sorry, aber diese Einleitung macht den Autor so unglaubwürdig, dass ich diesen Artikel nicht weiter gelesen habe.

Joachim Wittenbecher | Di., 15. Januar 2019 - 10:16

Dies ist ein schlimmes Verbrechen. Ich habe Danzig im Sommer 2018 als aufstrebende Großstadt erlebt, die sich sehr bemüht, alle Facetten ihrer Geschichte - auch die deutsche - zu präsentieren. Das offene geistige Klima ist bestimmt zum nicht unwesentlichen Teil von Pawel Adamowicz geprägt. Oberbürgermeister prägen ihre Städte. Es bleibt zu hoffen, dass sein Werk weiter besteht und fort entwickelt werden kann. Dies wäre das beste Andenken an Pawel Adamowicz, dessen Familie und Angehörigen man nur alles Gute wünschen kann.

Ich schließe mich Ihren Worten an.

In Polen wie in Deutschland gibt es leider keine sachliche, offene
politische Diskussion mehr.
Dort sind es die Rechten, die ihre Sicht auf die Welt mit aller Macht durchdrücken wollen, bei uns bestimmen die Grüne und Linke seit Jahren das politisch korrekte Denken und Handeln.
Die dadurch hervorgerufene Verhetzung, ja Verleumdung, der jeweiligen
Minderheit schafft das gefährliche Klima des Mißtrauens und Hasses, in dem sich
dann Anschläge ereignen wie dieser in Danzig oder der auf den BT-Abgeordneten der AfD, Magnitz.

wenn "wir" für die politische Kultur zusammenstehen, dann bleibt Politik mit guten Ergebnissen möglich, je nach Zusammensetzung der Parlamente, denn es reicht nicht, dass Entscheidungen gefällt werden, sie müssen gesellschaftlich getragen werden wollen und können.
in Polen hat man den Täter, anders als in Deutschland.
Ich bin gespannt, ob man ihn "herleiten kann".
Die Messerangriffe auf Oskar Lafontaine oder Wolfgang Schäuble fand ich damals für die politische Kultur in Deutschland völlig untypisch.
in Polen kann ich es nicht einschätzen.
Aber gleich wie, es darf sich nicht wiederholen.
Und dazu muss man es begreifen und vor allem schauen, was man selbst ändern kann.
Polen steht ohnehin am europäischen Pranger.
Aber wenn die Politik in Zukunft geprägt werden sollte von "ausufernden Gelbwesten" oder messerstechenden Rechts- oder Linksradikalen, dann stehe ich zu einer Kultur der parlamentarischen Demokratie in Europa.
Mein Beileid, meine Besorgnis und ALLES GUTE für POLEN.

Susanne antalic | Di., 15. Januar 2019 - 10:32

Nichts genaues weiss man nicht, aber wie gehabt gleiche MSM Argumentation. Mein Beileid an die Familie.

Ernst-Günther Konrad | Di., 15. Januar 2019 - 10:34

Das Klima der Diffamierung, der Ausgrenzung und der sprachlichen Rohheit im Umgang miteinander ist weltweit zu beobachten. Jeder beansprucht für sich, die allein seelig machende Wahrheit. Die deutsche Politik braucht nur nach Polen zu schauen, wenn sie schon nicht in den eigenen Spiegel schauen will. Der beste Beweis ist der letzte Fall Magnitz. Niemand hat das Recht, einen anderen zu verletzen oder gar zu töten, egal wo jemand politisch steht. Das gilt auch für uns in Deutschland. Gerade aber die halbherzigen Bekundungen zum Fall Magnitz , pro forma mal öffentlich Gewalt ablehnen, kein emphatisches Wort zum Opfer zu verlieren, einen Menschen nur auf seine politischen Ansichten zu reduzieren, ihn wegen seiner politischen Überzeugungen anzugreifen und wie jetzt aktuell geschehen zu töten, müsste die Politk endlich zur sprachlichen Abrüstung bringen. Inhaltliche Argumentation ist gefragt und Respekt vor der Meinung anderer, nicht das Einteilen in "gut" und "bose". Mein Beileid Polen.

gabriele bondzio | Di., 15. Januar 2019 - 11:08

was durchaus keinen Anlaß ist, eine Instrumentalisierung auszulassen. Siehe Fall in Bottrop wo man einen Schizophrenen auch auf eine rechte Linie hebt.

Werner Terhaag | Di., 15. Januar 2019 - 11:25

Wenn jemand als Jugendlicher schon in Behandlung wegen psychischer Probleme ist, nach mehreren merkwürdigen Banküberfällen im Knast landet, und dann für seine Verurteilung den Bürgermeister verantwortlich macht: dann stimmt in Kopf etwas nicht. Punkt.
Es ist völlig falsch, wenn in solchem Fall alles als politisch motiviert eingestuft wird. Das Attentat hat mit Sicherheit nichts mit den Streitigkeiten zwischen Regierung und Opposition oder "Verleumdungen" in der polnischen Presse zu tun, eher mit einem sensationsgeilen Psychopathen.
Im Übrigen arbeiten die PO-Treuen Medien und die PiS-Treuen Medien was Behauptungen über einzelne Personen angeht mit gleichen Mitteln.
An dieser Stelle auch noch ausgerechnet Bartosz Wieliński von Gazeta Wyborcza zu zitieren ist Niveau ZEITonline. Die lassen sogar von 4 Mitarbeitern der Gazeta Wyborcza Bloggen.
Desweiteren wird unterschlagen, daß mit TVN ein PO-freundliches Medium als Gegengewicht zum PiS-treuen TVP besteht.

Karla Vetter | Di., 15. Januar 2019 - 18:40

Genau diejenigen ,die bei islamisch motivierten Angriffen reflexartig vor Instrumentalisierung warnen ,tun genau das jetzt in einem gänzlich ungeeigneten Fall .Weder hat der Täter sich entsprechend geäußert,noch ist klar ob er nicht psychisch krank ist,aber schon beginnt man zu schauen wem kann es nützen und wem kann man mit Schuldzuweisungen schaden.Es ist dieses Klima, das buchstäblich über Leichen geht,das mich schockiert.Zählen Menschen nicht mehr,geht es nur noch um Vermarktung für die "richtige" Seite?

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 16. Januar 2019 - 07:34

Antwort auf von Karla Vetter

Es könnte aber EINZELNE Menschen/Gruppen überfordern, in einem Gesamtkomplex des Lebens die sogenannte "richtige Seite" auszumachen?
Das ficht (selbst-)ernannte Gött*innen eventuell nicht an, selten auch die, die glauben, auf der richtigen Seite zu stehen
Wir haben eine wunderbare Bundesrepublik Deutschland gehabt, auch der Osten jetzt schon eine ganze Weile, wiewohl für diesen verknüpft mit gewaltigen Umbrüchen, die genauso Menschen betrafen.
Behalten Sie dieses Klima im Großen und Ganzen in Erinnerung, ich weiss nicht wie lange es sich noch halten kann.
Schauen Sie sich einmal die Mitgliederzahlen der Parteien an. Wer sie gezielt prägen möchte, dürfte bei ausreichendem Background keine Probleme haben.
Wer sie umgehen möchte auch nicht.
Alle diese Prozesse können aber auch solche der Erneuerung sein, das weiss man oft erst hinterher.
Ich würde mich freuen, wenn den Menschen Orientierungssuche noch gestattet ist.
Auch das politische Klima sollte uns wichtig sein.

Mathias Trostdorf | Di., 15. Januar 2019 - 23:22

Mal nachgefragt (denn darauf stützt sich ja die These): War denn "das politische Klima in Deutschland auch so vergiftet" als damals das auf Schäuble stattfand?
Daß es heute vielfach rauher zugeht als einst in Friedenszeiten, ist doch bekannt. Politiker sind generell viel mehr Kritik und Verbalattacken ausgesetzt, aber natürlich nicht nur die "guten" sondern, wie man hört, in gleicher Weise die der "Gegenseite". Ich finde es schlimm, daß solche Attentaten passieren und verurteile sie zutiefst, aber wenn jetzt bereits bekannt ist, daß der Täter persönliche Motive hatte, muß man dann schon wieder die rechte Keule rausholen?
Hätte, könnte, würde, wäre...
Wenn die EU- und Schwulenfreundlichkeit des Mannes keine Rolle für das Attentat auf ihn spielte, warum wird denn hier getan, als könnte es so gewesen sein?
Hätte ein Linksextremer oder ein Migrant diesen Mann, oder auch einen politischen Konservativen, getötet- wäre dann so ein Artikel in dieser Form erschienen? Ich denke, nein.