Überwachungskameras vor dem Interpol-Logo am Gebäude des Interpol Global Complex for Innovation (IGCI) in Singapur
Interpol – verlängerter Arm autoritärer Regime? / picture alliance

Interpol-Auslieferungen - Bundesregierung prüft autoritäre Staaten unzureichend

Russland und die Türkei versuchen über Interpol und BKA politische Gegner aufzuspüren. Wie „Cicero“ erfuhr, analysiert die Bundesregierung ausgerechnet Auslieferungen an EU-Mitgliedsstaaten detaillierter als an Nicht-EU-Staaten

Bastian Brauns

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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Deutsche Behörden prüfen nicht detailliert genug, inwieweit Auslieferungsanträge von autoritären Staaten missbraucht werden, um gegen unerwünschte Regimekritiker vorzugehen. Das geht aus der Antwort des Bundesinneministeriums (BMI) auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervor, die Cicero vorliegt.

Nach Angaben des BMIs überprüfen die Auslandsvertretungen des Auswärtigen Amtes zwar in „jedem Auslieferungsfall“ durch „Monitoringbesuche und andere Monitoringmaßnahmen“, ob die Überstellungen von Personen gerechtfertigt sind. Zugleich heißt es in der Antwort aber: „Die Bundesregierung führt keine Statistik über Monitoringbesuche und Prozessbeobachtungen in Auslieferungsfällen.“

Für den innenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, ist diese eigentümliche, mindestens widersprüchliche Aussage Grund zur Sorge. Er sagt Cicero: „Ich bezweifle, dass die Bundesregierung über eine hinreichende Übersicht verfügt, in welchen Fällen problematische Auslieferungsbegehren an sie gerichtet werden.“ Man beobachte immer mehr Fälle, in denen etwa Russland oder die Türkei die Auslieferung von oppositionellen Politikern oder Regimekritikern begehrten. „Diese Lücke im System hat gefährliche Folgen für die Betroffenen“, sagt Kuhle.

Interpol als verlängerter Arm gegen politische Verfolgte

Grund für die Anfrage der FDP-Fraktion sind zunehmende Versuche autoritär geführter Staaten, darunter auch Aserbaidschan, Weißrussland oder Kasachstan, die Ressourcen insbesondere der Internationalen kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) zu benutzen, um vermeintliche Regierungsgegner ausfindig zu machen. In Deutschland berichteten Medien etwa über den deutschen Schriftsteller Doğan Akhanlı, den Al-Jazeera-Journalisten Ahmed Mansour, den bahrainischen Menschenrechtsaktivisten Abdul Al-Mahouzi und den russischen Bankier Andrej Drobinin. Über Interpol war zuletzt außerdem berichtet worden, weil ausgerechnet dessen chinesischer Präsident Meng Hongwei in China festgesetzt worden war. Als Grund gab die chinesische Antikorruptionsbehörde an, sie ermittele gegen Hongwei. Darum stehe dieser unter „Aufsicht“.

Mittels sogenannter „Red Notices” oder „Diffusions” können die 194 Interpol-Mitgliedstaaten von Interpol Warnmeldungen oder Kooperationsersuchen an die Organisation richten. Nationale Verbindungsstellen in den Mitgliedsstaaten, die sogenannten Nationalen Zentralbüros (NZBs), veröffentlichen dann die Personalien und ein Foto der gesuchten Person sowie eine Beschreibung der erhobenen Vorwürfe. In Deutschland geschieht dies durch das Bundeskriminalamt (BKA).

EU-Auslieferungen werden detaillierter erfasst

Laut Artikel 3 der Interpol-Verfassung ist es der Organisation allerdings „streng verboten, Maßnahmen oder Aktivitäten mit politischem, militärischem, religiösem oder rassistischem Charakter durchzuführen“. Die deutschen Behörden können und müssen also Auslieferungsersuchen ablehnen, wenn sie herausfinden, dass der eigentliche Grund diesen Artikel verletzt. Laut BMI sind allein im Jahr 2016 „1690 Auslieferungsverfahren eingeleitet worden. In 257 Fallen ist die Bewilligung der Auslieferung abgelehnt worden.“

Laut vorliegendem Antwortschreiben erfasst die Bundesregierung solche Ablehnungsgründe von Auslieferungsersuchen aber ausgerechnet nur in Fällen, in denen eine Überstellung an andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union begehrt wird. Nicht aber die Ablehnungsgründe bei einer begehrten Überstellung in Staaten außerhalb der Europäischen Union.

FDP fordert Standards für Auslieferungsgesuchen

Kuhle sagt dazu: „Es ist geradezu absurd, dass bei solchen Staaten, deren rechtsstaatliche Standards den unseren ähneln, eine genaue statistische Erfassung erfolgt, während bei problematischen Staaten eine solche Erfassung nicht erfolgt.“ Die Bundesregierung müsse mit anderen Staaten, denen an einem rechtsstaatlichen Auslieferungsverfahren gelegen ist, gemeinsame Standards für eine nationale Prüfung von Auslieferungsgesuchen und Prozessbeobachtungen entwickeln und diese innerhalb von Interpol durchsetzen, sagt der FDP-Politiker. „Dazu müssen zunächst die involvierten Ressorts, Bundesinnenministerium, Bundesjustizministerium und Auswärtiges Amt, in Auslieferungsangelegenheiten mit einer Stimme sprechen.“

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Joachim Wittenbecher | Do., 3. Januar 2019 - 22:29

Es ist völlig indiskutabel, dass die deutsche Bundesregierung den erkennbaren Missbrauch von Interpol - Auslieferungsanträge gegen missliebige Regimekritiker z.B. durch die Türkei - nicht konsequent bekämpft; eigentlich müsste man es in Berlin besser wissen - war doch mit Dogan Akhanli ein Deutscher massiv betroffen. Man hat den Eindruck, dass Berlin es sich mit der Türkei nicht verscherzen möchte - erinnert sei an die Haltung Merkels im Fall Böhmermann und die zögerliche und halbherzige Unterbindung türkischer Wahlkampfauftritte hierzulande. Künftig sollte Berlin zusammen mit seinen EU-Partnern aktiv werden, um diese Machenschaften zu unterbinden und zwar wirksam durch Änderungen der Regularien.

haben sie recht. Einerseits wollen wir Einwanderungsland sein, bestehen darauf alles und jeden mit Asyl zu versehen und dann werden missliebige deutsche Bürger mit türkischen Wurzeln Erdogan zugespielt. Interpol hat den Zweck gegen Kriminelle gemeinsam vorzugehen, nicht gegen poltisch anders denkende. Die Türkei kann ja ihre belastenden Unterlagen der deutschen Justiz zur Prüfung übergeben.
Sollten die Beweise reichen, kann auch hier in den meisten Fällen angeklagt werden.

Bernhard K. Kopp | Fr., 4. Januar 2019 - 07:16

Abgesehen von vielleicht nicht ausreichenden operativen Kompetenzen der Aufklärer steht im Hintergrund eine naive Staatsgläubigkeit bei der jeder Staat irgendwie, ' eo ipso ' gut sei. Das findet sich in der Entwicklungspolitik, in der EU-Politik und eben auch in der internationalen Strafverfolgung.

Kostas Aslanidis | Fr., 4. Januar 2019 - 09:10

und Autoritär. "Eure" Hetze gegen dieses Land, nimmt pathologische Züge an. Arroganter geht es nicht. Mit welchem Recht? Ach ich vergaß. "Ihr" seit die Guten.

wie sie zu diesem Thema stehen, dürfte auch der letzte Leser ihres Kommentars begriffen haben. Sie dürfen auch gerne diese Meinung vertreten. Ich bin auch kein unbedingter Gegner von Putin, habe aber schon auch Kritik an ihm. Es muss aber jedem erlaubt sein, seine Meinung kund zu tun. Das gestehe ich auch ihnen zu. Ich denke mal, das sich niemand als der "gute" bezeichnet, treffender wäre hier der anders denkende. Es wäre schön, wenn sie inhaltlich argumentieren würden, das ist ein Diskussionsforum. Vielleicht überzeugen sie ja mit Argumenten und gewinnen einen weiteren Fürsprecher. Übrigens: In nicht jedem Forum wäre ihre Meinung veröffentlicht worden.

Bernhard Keim | Fr., 4. Januar 2019 - 11:21

Als sein Mitarbeiter Magnitsiky einen Millionenbetrug russischer Steuerbeamter aufdeckte und zur Anzeige brachte, wurden nicht die Betrüger, sondern Magnitsiky inhaftiert. In der Haft verstarb er. Als Browder daraufhin die Sache öffentlich machte, erließ Moskau eine Red Notice bei Interpol. Unsere Russlandhörigen hatten volles Verständnis für das Vorgehen Moskaus. Wie in der "guten, alten" Zeit, als jede Nachricht über Menschenrechtsverletzungen im Osten als üble Propaganda abgekanzelt wurde. Manche lernen es halt nie.

Die absolutistische Machtausübung eines Putin ist gelegentlich der Machtausübung eines MbS ähnlich. Ein Russlandfreund ist nicht notwendigerweise blind gegen absolutistische Brutalität. Trotzdem passt dieses Regime zu Russland, weil es seit 2000 tatsächlich keine positive Alternative gegeben hat. Eine liberale Rechtsstaatlichkeit, die sich bei uns mit erheblichen, zeitweisen Rückschlägen über mehr als 200 Jahre entwickelt hat, wird in Russland mehr als eine Generation brauchen, wobei völlig offen ist, was in 50 Jahren sein kann und sein wird.

Romuald Veselic | Fr., 4. Januar 2019 - 15:51

produziert fließbandmäßig Unrecht. Die Ausuferung der Kriminalität in diesem Land, ist beispiellos.
Deshalb, muss ich zugeben, dass mich eher weniger das interessiert, welches Land wo und warum, mehr oder weniger "sicher" ist.
Frage: Warum Tokio die sicherste Großstadt der Welt ist?