Ein Kind schaut aus einem verregneten Fenster nach draußen, daneben Weihnachtsdekoration
An Weihnachten lassen wir Kindheit zu: Wir zelebrieren sie dann als die Zeit, in der das Leben noch unbeschwert war / picture alliance

Gesellschaft - Wer die Kindheit retten will, muss das Erwachsensein verteidigen

Die Weihnachtszeit ist vorbei, das Fest der Kinder. Doch unser Verhältnis zu ihnen ist aus der Balance geraten. Eine kinderfreundliche Gesellschaft braucht vor allem eine positive Einstellung zu dem, was es heißt, erwachsen zu sein

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Und wieder ist es vollbracht: Weihnachten, das Fest der Liebe und der Familie, ist überstanden. Wenn es gut gelaufen ist, haben die Kinderaugen wieder geglänzt, und wenn es wirklich gut gelaufen ist, hat man auch selbst wieder etwas von der inneren Wärme verspürt, wegen der man als Kind selbst fast platzte vor vorweihnachtlicher Ungeduld.

Weihnachten ist die Zeit im Jahr, in der wir allem Stress zum Trotz versuchen, ein bisschen mehr so zu sein, wie wir eigentlich sein wollen. Allein schon der Kinder wegen, aber nicht nur: Wir wollen auch selbst Emotionen zeigen und mehr Bedeutung auf das Schöne legen. An Weihnachten lassen wir Kindheit zu, auch die eigene: Wir zelebrieren sie dann als die Zeit, in der das Leben noch schön und unbeschwert war: Es wird an Peter Pan oder an Momo gedacht, an Bullerbü und Lönneberga, an Harry Potter, Narnia oder an zahlreiche weitere Märchenwelten – oder eben an Weihnachten im elterlichen Wohnzimmer. Wir wissen, dass bis zum nächsten Weihnachtsfest auch wieder Zeiten kommen werden, in denen Kinder und die eigene Kindheit keine so wichtige Rolle spielen.

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Klaus Dittrich | So., 30. Dezember 2018 - 10:36

„Es wird an Peter Pan oder an Momo gedacht, an Bullerbü und Lönneberga, an Harry Potter, Narnia oder an zahlreiche weitere Märchenwelten – . . . „
Schaut man sich das Berliner Straßenbild an – sicher nicht in Dahlem oder Westend -, dann wird wohl seitens der Eltern eher an das nächste Instagram-Foto gedacht. Egal, ob Kinder „mitgeführt“ werden.
Es gibt sicher noch die „heile“ Eltern-Kind-Beziehung. Aber schaut man sich im öffentlichen Raum um, dann sind Eltern soo beschäftigt (mit ihrem Smartphone), dass Kleinkinder beim Überqueren von Straßen nicht mehr an die Hand genommen werden. Dafür bekommen sie dann selbst im Vorschulalter ein Smartphone.

Harald Hotz | So., 30. Dezember 2018 - 11:06

Ich kann dem Autor voll zustimmen, möchte jedoch betonen, daß das Phänomen der Überbehütung inzwischen auch die Erwachsenen betrifft. Es gibt kaum noch einen Bereich in dieser Gesellschaft ohne Betreuung. In einer Zivilisation, in der nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung nötig ist, um Güter zu erzeugen, hat der Beruf des Betreuers (Coach, Experte, Manager) eine große Zukunft, schließlich ist das unbetreute Individuum - zumal wenn es viel freie Zeit hat - das potentiell gefährliche, nicht berechenbare und deshalb unerwünscht. Wir fallen immer mehr zurück in die Zeit vor der Aufklärung: Autoritäten überall, letzte Wahrheiten verkündet von Experten, irrationale Ängste als Machtmittel, die offene Gesellschaft ist längst wieder in eine Gesellschaft der geschlossenen Machtzirkel regradiert. Wir brauchen ein neue Aufklärung! Im Sinne des Systems ist die überbehütete Kindheit nur die konsequente Vorbereitung auf ein Leben als unmündiger Bürger, dessen lebenslanger Vormund der Staat ist.

Christa Wallau | So., 30. Dezember 2018 - 11:28

I n d i v i d u a l i t ä t beraubt.
Statt der natürlichen Entwicklung ihrer Kinder Raum zu geben, greifen viele verunsicherte Eltern, angeheizt von (angeblich)professionellen Erziehern, unsensibel u. nicht selten schädigend in diesen Vorgang ein.
Aus meiner Erfahrung als Lehrerin weiß ich, wie unterschiedlich die Entwicklungsphasen bei Kindern (selbst bei Geschwistern) verlaufen u. wie äußerst verschieden Kinder ohnehin s i n d.
Was aber geschieht? Kinder werden permanent miteinander verglichen u. über einen Kamm geschoren. Außerdem mutet man ihnen viel zu früh Inhalte zu, die sie überfordern, z. B. die sog.
Aufklärung über sexuelle Vorgänge.
Kinder brauchen l i e b e v o l l e , verläßliche und
starke Eltern - das sieht der Autor richtig!
Selbstverständlich sollte man ihnen auch Anregungen u. Unterstützung bei ihren Entwicklungsfortschritten gewähren, aber immer in individuell angemessenem Maße.
Ein Riesen-Irrtum ist der Glaube, e i n päd. Konzept
eigne sich für alle!

Stine Bading | So., 30. Dezember 2018 - 11:33

Ich empfehle vorab das Buch "Geschichte der Kindheit" von Aries. In dem Buch wird sehr deutlich herausgearbeitet, dass Kindheit einem Wertewandel unterliegt, vom, teilweise lästigen, (weiteren)"Mitesser" über den "kleinen Erwachsenen," der gemäß seiner zunehmenden körperlichen und geistigen Fähigkeiten in Haus und Hof, also für die unmittelbare Familie, nutzbringend eingesetzt wurde, bis zur Emotionalisierung des Kindes/ von Kindheit. Sehr rudimentär ausgedrückt hat die Trennung von Arbeit und Wohnen, der damit verbundenen Auflösung von Familienverbünden dazu geführt, dass sich die Kinder als emotionale Projektionsfläche für die Erwachsenen zunehmend anboten, zumal sie ja zukünftig die alten Eltern absichern sollten. Mit Einführung der Rentenversicherung, die ausschließlich auf Beitragszahlern, ergo Nachwuchs gründet, wurde die wirtschaftliche Verwertung von Kindern normiert, und Kinder als etwas wertvolles für die Gesellschaft definiert.

Ernst-Günther Konrad | So., 30. Dezember 2018 - 11:43

Obgleich ich ihrer Sichtweise folgenden kann und ihnen auch in vielem Recht geben muss, fehlt aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Aspekt. Wieviel Eltern erziehen ihre Kinder faktisch denn noch selbst. Beide sind arbeiten, Kinder in Ganztageseinrichtung Kita oder Schule und danch noch Betreuung, weil beide arbeiten gehen "müssen" oder "wollen". Kinder brauchen im Regelfall ein Elternteil zu Hause, wenn sie aus der Kita oder Schule kommen, wenn sie krank sind oder Probleme haben. Sie brauchen Eltern die ihnen Werte vorleben und nicht die Verantwortung an "andere" gewollt abschieben oder abschieben müssen. Kinder brauchen Grenzen und müssen lernen Konflikte auszuhalten und lernen Streit fair auszutragen.

Kinder müssen auch Streiten lernen, was verlieren heisst und was gewinnen. Sie brauchen schlichtweg Erziehung durch das Elternhaus und nicht durch Erzieher der Kitas oder die Lehrer. Die können nur ergänzen, niemals ersetzen. Kinderliebe heisst auch Konsequenz im Handeln.

Stine Bading | So., 30. Dezember 2018 - 12:05

Die Aufgabe der Eltern ist es nun, die Kinder für die wirtschaftliche Verwertung bestmöglich vorzubereiten, wofür Strukturen geschaffen wurden, die nicht unbedingt den Bedarfen der Kinder entsprichen, z.B. Einschulungsalter, Unterrichtslänge etc. Die zunehmende Emotionalisierung von "Kind," bei zunehmender Definition von Kindeswohlförderung und Schaffung von entsprechenden Angeboten, bei gleichzeitiger Forderung an die Eltern, die Kinder wirtschaftskonform zu erziehen, ist ein Widerspruch, der den Eltern oft bewusst ist, und dem sie mit noch mehr Behüten begegnen. Die Eltern wollen ihre Kinder bestmöglich schützen und fördern, aber produzieren unfreie, angepasste Rentenzahler. Aber das entspricht dann den Vorstellungen des Sozialversicherungssystems. Ich frage mich schon lange, wie es Kindern/ Jugendlichen geht, wenn sie hören, als Beitragszahler benötigt zu werden.
Anm.: Dies ist für mich nur ein Aspekt, der zu zunehmender Unsicherheit bei Eltern und Kindern führt!

gabriele bondzio | So., 30. Dezember 2018 - 12:25

In der der Kindererziehung beobachtet man 2 Parallelen. Die Erziehung zu rohen Eiern, in der diesen jegliches Konfliktpotential abgenommen wird. Und der leiseste Wind, im Erwachsenenstadium, zum Um-pusten taugt. Andererseits steigen auch Vernachlässigung, Demütigung, Misshandlung, gegen Kinder an.Beide Kontroversen, die ein normales Erwachsenenleben behindern. Zeit für fehlende Zuwendung der Eltern (Berufsleben) auf der einen Seite. Aus schlechtem Gewissen daraus Überhäufung mit übertriebener Sorge und kleinen und größeren „materiellen“ Geschenken. Auf der anderen Seite haben wir, elterliche Unsicherheit und Alltagsüberforderung (finanziellen Sorgen, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, ungeklärte Zukunft, soziale Isolation) welche nicht mehr vom Familienverband, Nachbarn, Freunden usw. aufgefangen werden.Die Großfamilie wurde zerschlagen,der Staat tritt immer stärker ein. Und legt hier auch Erziehungsziele fest. Die natürlich in erster Linie vom Bedarf an Arbeitskraft bestimmt werden.

herbert binder | Di., 1. Januar 2019 - 00:26

"Kinder, ich habe so viele von ihnen aufwachsen
sehen, glauben Sie mir. Sehr viele Menschen
schauen auf die Kinder. Und sie alle malen
sich eine neue Welt aus. Aber ich, wissen Sie,
wenn ich ihnen zuschaue, ich sehe nur die
immer gleiche alte Tragödie, die wieder von
vorne beginnt. Aber sie kommen nicht los
von uns. Es ist langweilig"
[aus: "Professione: reporter", dt. "Beruf:
Reporter", Michelangelo Antonioni]