Knapp drei Jahre nach dem Interview, das eine ganze Debatte auslösen sollte, verteidigt Sloterdijk seine Aussagen / © picture alliance

Peter Sloterdijk - „Lügenäther? - Ja, unbedingt!“

Knapp drei Jahre nach seinem aufsehenerregenden Interview im Cicero in der Hochphase der Flüchtlingskrise nimmt Peter Sloterdijk ausführlich dazu Stellung. Ein Fundstück

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Mitte Januar 2016 sind mein Kollege Alexander Kissler und ich zu einem ausführlichen Interview mit Peter Sloterdijk nach Karlsruhe gereist. Es war die aufgewühlte Zeit der akuten Flüchtlingskrise, Köln war unmittelbar vorher passiert, und der wortgewaltigste und streitfreudigste Philosoph Deutschlands nahm sich zwei Stunden Zeit für ein Gespräch, an dessen Ende, wie er formulierte, „tausende Flüchtlinge mehr die Grenze überschritten haben“. 

Münkler vs. Sloterdijk

Das Interview erschien in der Februar-Ausgabe des Cicero und sollte die kommenden Monate für eine heftige Debatte sorgen, in der vor allem der Politologe Herfried Münkler Sloterdijk scharf anging und eine an persönliche Fehde grenzende Schmähschrift in der Zeit veröffentlichte, gegen die Sloterdijk wiederum Stellung bezog.

„Mit dem Islam lässt sich keine authentische Zivilgesellschaft führen“, sagte Sloterdijk seinerzeit. Die Regierung habe sich „in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.“ Diese Abdankung gehe „Tag für Tag weiter“.

Auch die Rolle und das Selbstverständnis von Journalisten beurteilte Sloterdijk in diesem Zusammenhang kritisch. Die „Verwahrlosung im Journalismus, die zügellose Parteinahme“ trete „allzu deutlich hervor.“ 

Schließlich der Satz, in dem alles Gesagte gipfelte: „Der Lügenäther ist so dicht wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr.“ 

„Die schwarze Pest“

Nun hat Peter Sloterdijk zu diesem Begriff, der seither mit ihm verbunden bleiben sollte, erneut Stellung genommen. Im Interview mit dem Bayrischen Rundfunk verteidigt er ihn ausführlich: 

„Wissen Sie, das ist eine medienkritische Konstante, seit der Buchdruck aufgekommen ist, seit in der Reformation die Ein-Blatt-Drucke so etwas wie eine moderne Öffentlichkeit vorweggenommen haben, seit es im 18. Jahrhundert die Zeitungen gab und die im 19. Jahrhundert entstehende Massenpresse. Seitdem war von vornherein immer klar, dass mit dem Publizieren auch eine Zunahme des desinformierenden Faktors einhergegangen ist. Eigentlich ist die Presse aus der Professionalisierung der Propaganda entstanden. Vor allem die Presse des 20. Jahrhunderts, die ja ihre Feuertaufe in der nationalen Berichterstattung während des Ersten Weltkrieges erlebt hatte. Da wurden eigentlich Leser-Öffentlichkeiten geformt, die die tägliche Sensation verlangt haben, und während der Kriegszeiten waren die nationalen Pressen in ganz Europa Waffengattungen der Kriegsführung. Die Rekonversion dieser Systeme in den zivilen Gebrauch war immer ein schwieriger und mühsamer Vorgang, weil außer der Schweizer Presse, die strukturelle Neutralität durch ihre Position erlangt hat, alle anderen National-Pressen zu tendenziöser Berichterstattung verurteilt waren. Es ist kein Zufall, dass der große Medienkritiker Karl Kraus über das gesamte Presse-System der Neuzeit eine dunkle Metapher geprägt hat, die lautet: ‚die schwarze Pest'.“

„Parodie eines Einparteiensystems“

Darüber hinaus urteilt er über Bundeskanzlerin Angela Merkel, die unter dem Druck der schlechten Wahlergebnisse der vergangenen Jahre nun den CDU-Parteivorsitz aufgibt: 

„Frau Merkel hat es in einer jetzt knapp dreizehnjährigen Regierungszeit fertig gebracht, eine Stimmung der Alternativlosigkeit über das Land zu verhängen. Ich deute das als ein Mitbringsel aus ihrer DDR-Jugend, diese real existierende Parodie eines Einparteiensystems. Ich glaube, dass sie diese Aura der Ein-Partei-Wirtschaft um sich herum verbreitet und das Land mit einem Grundgefühl der Unmöglichkeit eines Wechsels infiziert hat.“ 
 

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Birgit Fischer | Mi., 7. November 2018 - 11:30

Es ist schon eine klare Bestandsaufnahme. Schwarze Pest und Lügenpresse sind ein- und dasselbe. Beiden gemeinsam ist die freche Lüge, die Leugnung von Tatsachen, die Weglassung von nicht ins eigene Bild passenden Tatsachen, die Falschbewertung von Tatsachen sowie das freche in den Vordergrund der journalistischen Meinung. Der Leser bildet sich seine Meinung auf der Grundlage wahrer Informationen. In der BRD 4.0 ist das immer seltener der Fall. Was S. über Merkel sagt, ist selbsterklärend. Merkel parodiert das DDR-Einparteisystem und gibt auch selbst den Clown. Da hilft nur ein tiefer Fall.

Klaus Funke | Mi., 7. November 2018 - 11:50

ES freut einen, dass die kritischen Geister noch nicht verstummt und abgestumpft sind, auch dank CICERO. Sloterdijk findet die richtigen Worte. Dem ist nichts hinzuzufügen. Treffender kann man es nicht sagen. Münkler hingegen hat sich als Systemling geoutet. Dass sich aber die CDU aus Gründen des puren Machterhalts ihrer (noch) Vorsitzenden derart unterworfen hat und diesen ganzen fürchterlichen Politikstil unkritisch mitgetragen hat, wird ihr - Merz hin oder her - Stimmen und die Macht kosten. Dessen bin ich gewiss. Beide "ehemaligen" Volksparteien (SPD und CDU)gehören in die Mottenkiste. Mit ihrem im Grunde überalterten und verknöcherten Personal können sie die Zukunft nicht gestalten. Dies wird sich bald offenbaren.

sind in allen Bereichen noch in der Überzahl. Es wird noch Zeit und Stehvermögen brauchen bis die ganze Murkelei sich auswächst. Viele Themen wie Überbevölkerung und damit verbundene Risiken wie Ressourcen- und Energieverbrauch, Wachstumsphilosophie, Klimawandel, Zukunft für Menschen auch in 500 oder 1000 Jahren werden sukzessive den Druck im Kessel erhöhen. Die menschliche Überpopulation unseres Planeten wird zum entscheidenden Risikofaktor.

lieber einen 120-jährigen Willi Brandt wünschen als einen jungen unerfahrenen Kevin Künert, der die Geschicke der Partei und auch Deutschlands lenkt.

Holger Stockinger | Mi., 7. November 2018 - 12:22

"Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein ..."

Was Sloterdijk, der in Karlsruhe kein Demokratie-gefährdendes "Denkgebäude" lange leitete, an Häme (bspw. von Habermas) einstecken musste, ist weniger orginal und nicht mal originell.

Wer geistig weder "irr"noch "wirr" ist, läuft leider Gefahr, beim Lesen von Sloterdijks Büchern zwischen lachendem Stirnrunzeln und quietschenden Augenbrauen schwer herauszufinden ...

Marcel d'Hondte | Mi., 7. November 2018 - 12:27

Die Frage ist nun vielmehr, wie sich die "bürgerliche Mitte" orientieren wird, wenn die CDU den Richtungswechsel von der kopflosen Beliebigkeitspartei hin zu dieser Wählerklientel nicht schafft ...

Hans-Jürgen Salza | Mi., 7. November 2018 - 12:35

... Auch Dank Ihnen, Herr Schwennicke. Jetzt bekommen wir endlich zu lesen, was wir als normal tickende Bundesbürger schon immer gedacht hatten. Aber in den Medien klang das immer anders. Endlich getrauen sich immet mehr zur Wahrheit. Und sie haben den Mut, es laut zu machen. Jetzt muss sich nur noch die gesammte Politik aus dem Schatten von Frau Dr. Merkel bewegen. Viel zu lange hat sie das Parlament "sediert", wie es der grossartige Journalist nannte, nachdem er das Parlament und Frau AM. Beobachtet hatte.

Paul Liesner | Mi., 7. November 2018 - 12:42

Dieses aktuelle Interview mit Herrn Sloterdijk und die Erinnerung an die Aufgeregtheiten der Beteiligten im ersten Quartal 2016 in der Zeit ist wahrlich ein Fundstück, welches man sich aufheben sollte. Mich wundert es nicht, dass es Seinerzeit zu so einer Empörung innerhalb der Medienlandschaft gekommen ist.
Herr Sloterdijk hat doch in vielen Dingen recht mit dem was er über den Einfluss der Presse sagt.

Bernhard K. Kopp | Mi., 7. November 2018 - 14:58

Wenn man die Ereignisse und die Berichterstattung, die Kommentierung, und sonstige öffentliche Reaktionen von Bundesregierung/Bundespräsident usw. von Hamburg-G-20/2017 und Chemnitz/2018 nebeneinander stellt, dann ergibt sich eine eindeutige Antwort. Der Wirbel um Chemnitz war verkehrt proportional zum Geschehen. Einen 'schwarzen Kanal' gibt es nur in einer Zeitschriftenkolumne, und Karl Kraus meinte natürlich die Druckerschwärze im allgemeinen. Da die elektronischen Medien immer schneller und breitenwirksamer sind als die gedruckten, bleibt uns nichts anderes übrig, als die 'Ausgewogenheit' von öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder vehement in Frage zu stellen und einzufordern.

@ B. K. Kopp
Sie sprechen mir mit ihrem Vergleich aus dem Herzen. Er zeigt wunderschön was in unserem Lande „nicht mehr richtig tickt.“ Und das Ergebnis ist zu einem guten Teil ein Produkt der Presse.

Jacqueline Gafner | Mi., 7. November 2018 - 15:15

(Print, Radio, TV) hat zur Erosion der eigenen Deutungsmacht entscheidend mit beigetragen, indem er die - auf dem Papier bis heute hochgehaltene - Trennung zwischen Information (Was ist wo und wann geschehen?) und Kommentar (Wie kam es dazu und wie ist das Geschehene zu bewerten?) über Bord geworfen und durch eine - nicht deklarierte - "Meinungsschreibe" im Stil von parteigebundenen Blättern ersetzt hat, die für jedermann erkennbar als solche auftraten. Dass das in den sogenannt sozialen Medien anders wäre, behauptet niemand, der seine Sinne halbwegs beeinander hat, nur ändert das nichts daran, dass es um die Glaubwürdigkeit der sogenannt vierten Gewalt im Staate jedenfalls nicht speziell gut bestellt ist, und das nicht nur in Deutschland. Da kommt erschwerend hinzu, dass mehr als nur verhalten geäusserter Kritik an der alternativlos-ewigen Kanzlerin bis heute der Geruch eines Sakrilegs anhaftet, was in einer Demokratie westlichen Zuschnitts doch einigermassen befremdlich anmutet.

gerhard hellriegel | Mi., 7. November 2018 - 16:55

Schwache Argumentation von Sloterdijk. Parteiische Argumentationen gab es schon immer, siehe Römerzeit (Gallia est divisa ...). Der geschichtliche Exkurs also, geschenkt. Die Frage lautet aber nicht: Gibt es heute parteiische, tendenziöse Argumentation? Aber klar, und ja, auch moralisch aufgeladene. Sondern die Frage ist: Gibt es nur die Argumente einer Seite und kommt die andere nicht zu Wort? Das war und ist aber nicht der Fall. Neben ZEIT, SZ und SPIEGEL gibt es auch CICERO, FAZ und WELT. Wer aber nur die eigene, nicht tendenziöse und alleinseligmachende Wahrheit kennt, der kann niemals zufriedengestellt werden.

Na, dass dürfte kein Vergnügen sein, die Unterschiede herauszuarbeiten.

Cicero dürfte noch relativ einfach sein, bei der Welt wird es schon schwieriger (unser täglich Grün gib uns heute), die FAZ abzugrenzen dürfte dagegen eine echte Herausforderung sein.

ARD und ZDF (der Vollständigkeit halber) sind ja recht eindeutig.

Spielstand: 6,5: 1,5 für die Merkelistas.

Nur leider haben viele Wählberechtigte nicht die rethorische Schulung und/oder die Zeit bzw. Lust sich intensiv mit der Presse zu beschäftigen. So bekommen viele nicht mit, wenn sich in einem Pressemedium die Richtung ändert, schönes Beispiel währe hier der von ihnen erwähnte (Augstein-)Spiegel. Viel schlimmer ist aber der öffentlichrechtliche Rundfunk, der meiner Meinung nach offen betrügt (Lüge/Täuschung mit finanzieller Vorteilnahme im Nachteil des Kunden).

gibt es auch CICERO, FAZ und WELT. "...Cicero laß ich gelten. Welt -manchmal ganz gute Artikel, aber eine extrem zensierte Kommentarfunktion (Demokratie läßt grüßen, aus eignem Erleben).Was die Reichweite ihrer genannten Informationsportale betrifft sind die mit parteiische, tendenziöse Argumentation klar viel, viel größer unterwegs. Die Argumentation von Sloterdijk ist daher voll berechtigt.

Romuald Veselic | Mi., 7. November 2018 - 17:35

die z.Z. in eine mediale Endlosschleife übergegangen ist. Zur Spaltung, braucht man zwei Elemente. Nachschlagen bitte bei Urankernspaltung.
Auch der Spaltet, der andere Ansichten nicht duldet und den Andersdenkenden als "Nazi" betitelt. Die dt. Medien sich fast pathologisch an der Trumpmania im 24/7-Modus beteiligen u. hiesige Probleme, die vital gefährlich geworden sind, außer Acht lassen.
Es erinnert mich an Radio Jerewan, wo man ständig diese Floskel vorbrachte: Im Prinzip, können Sie die Wahrheit immer erzählen aber wir haben die Macht, eine bessere Wahrheit anzubieten.
Der jerewanische Wandel der dt. Medien ist vollgezogen worden.
Vermerk: die bessere Wahrheit ist das Gegenteil der Wahrheit. Anglizismen/Amerikanismen wie -Fake News, kannte man damals nicht.

Birgit Fischer | Do., 8. November 2018 - 09:10

Überbevölkerung und Bevölkerungswachstum bekämpft man nicht durch Massen-Migration sondern durch Abgrenzung. Die Festung Europa muss es sein. Mit vielen Grenzwächtern. Damit draußen bleibt, was nicht hierher gehört.

gabriele bondzio | Do., 8. November 2018 - 09:20

wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr.“ volle Zustimmung. Aber betrifft nicht nur den Journalismus. Auch vordem gut beleumdeten Organisationen kann man nicht mehr trauen. Schaut man sich z.B. die UN-Völkermordkonvention von 1951 an. "...verbietet Handlungen, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe im Ganzen oder teilweise zu vernichten."Und unter den Bestimmungen: "Den Mitgliedern der Gruppe solche Lebensbedingungen aufzuzwingen, die sie zerstören". Was anders plant man mit dem Migrationspakt, auf den Frau Merkel 19 Jahre hingearbeitet hat? Ich sehe hier ein Mittel, die Homogenität der deutschen Bevölkerung Schritt für Schritt aufzulösen, gegen ihren Willen.

Peter Wagner | Do., 8. November 2018 - 12:10

Die beiden größten Probleme in D sind, Merkel und ihre Wähler, die sich völlig von ihrer links-grünen deutschlandfeindlichen Politik und dem Lügenäther, haben einlullen lassen!
Es ist immer wieder eine Wohltat, den einen oder anderen unverblümten Artikel, im CICERO zu lesen!

Ronald Lehmann | Do., 8. November 2018 - 21:43

Ja, weil man glaubt, man ist mit seiner eigenen Meinung in der Minderheit bzw. man stellst sich immer mehr Fragen, weil man zuerst seine eigene Meinung hinter fragt. Aber um so mehr man sich Gedanken macht und sich mit den Themen auseinander setzt, um so radikaler werden die Antworten.
Wahrheit tut immer weh und deshalb wird diese meistens nicht argumentiert, weil es einfacher ist.
Deshalb wenden sich die Gutbürger gegen alle die, die mit Argumenten die Wahrheiten verbreiten. Bei Pegidagründer der Herr Bachmann, bei der AFD Gauland oder Höcker.
Ihre Arroganz von den etablierten Parteien ist so groß, dass sie nicht einmal zuhören, geschweige den Argumenten der AFD zu folgen bzw. sich mit diesen auseinander zu setzen.
Hier ist schon für mich persönlich die Demokratie abhanden gekommen.
Ehe das die Masse erkennt, wird es wie 1933 zu Spät sein bzw. ist es schon 10 Minuten nach um Zwölf.
Meines Erachtens hat deshalb Frau Merkel ihr Ziel erreicht. Die Geschichte wird es zeigen.

Ronald Lehmann | Do., 8. November 2018 - 21:50

Ohne Kommentar, einfach Punkt für Punkt Wahrheitsgemäß das Thema aufgearbeitet.
Ich verneige mich vor Ihnen allen vom Cicero & Herrn Sloterdijk.
Gott schütze Sie.

Joachim Dewenter | Fr., 9. November 2018 - 01:09

Sehr guter Kommentator, wo bleiben Heinsohn, Sinn etc.?