Robin Williams in dem Film "Club der toten Dichter"
Eigentlich wurde in dem Film „Club der toten Dichter“ gefordert, dass man jeden Tag etwas Außergewöhnliches macht / picture alliance

Lebensmotto - Macht Schluss mit „Carpe diem“!

Robin Williams hauchte dem Lebensmotto „Carpe diem“ in dem Film „Club der toten Dichter“ neue Beliebtheit ein. Doch der morbide Zeitgeist unserer Tage deutet dieses lebensbejahende Credo als Aufruf zur jetzt- und ich-bezogenen Flucht aus der Welt. Von Matthias Heitmann

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Die moderne Gesellschaft hat ein seltsames Verhältnis zur Zeit und damit auch zu sich selbst: Sie sehnt sich einerseits nach der Vergangenheit, die sie rückblickend für die bessere Zeit hält. Und dabei verdrängt sie, dass man auch früher schon der „guten alten Zeit“ nachtrauerte. Andererseits hat sie nicht besonders hohe Erwartungen an die vor uns liegende Zeit. Denn sehr viel mehr als die Bewahrung der jetzigen Situation scheint in Zukunft nicht drin zu sein. Die Zeiten verschwimmen in einem Strom aus Missmut, Unzufriedenheit und Unsicherheit. Auf der Nussschale des eigenen Lebens versucht man, sich irgendwie durchzuschlagen, stößt aber doch immer wieder hart an die Ränder des Zeitenstroms oder aber verliert in der Strömung den Halt. 

Es ist daher kein Wunder, dass die Menschen sich stärker auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Da sich die Wirklichkeit der allgemeinen Einschätzung nach ohnehin kaum ändern, geschweige denn durch eigenes Zutun grundlegend zum Positiven verändern lässt, haben historische Vergleiche auch nur noch den Sinn, das eigene Denken mitsamt der eigenen Vorurteile zu untermauern. Ohne das Korrektiv der Erinnerung fällt es uns schwer, Ereignisse rational einzuordnen. Die Aufgeregtheit so vieler öffentlicher Debatten hat mit dieser „sozialen Amnesie“ zu tun. Wir spüren diese Problematik zwar, machen sie aber zumeist an der Fülle von Informationen fest, die auf uns einstürzt. Der Gedanke sei gestattet: Vielleicht ist es gar nicht die Menge an Informationen, die uns überfordert, sondern die zunehmende Schwierigkeit, diese sinnvoll zu filtern und zu verarbeiten.

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Karin Zeitz | So., 2. September 2018 - 10:57

hat m.E. nichts zu tun mit Nostalgie oder gar Weltflucht in eigene Befindlichkeiten. Es veranschaulicht lediglich die Begrenztheit unserer Erdentage. Es erinnert uns daran, die uns hier geschenkte Zeit zu nutzen. Wenn wir diese Welt verlassen müssen, sollte sie zum Nutzen unserer Nachkommen ein bisschen besser sein als wir sie zur Zeit unserer Geburt vorgefunden haben. Leider entbrennt gerade heute ein exorbitanter Streit darüber, was unter einer besseren Welt zu verstehen ist. Die Einen neigen zur Verteilung der von deutschen Bevölkerung erarbeiteten Werte in alle Welt und Aufnahme von Millionen Menschen aus den verschiedensten Kulturen. Die Anderen wollen die eigenen europäischen Kulturen, die eigene Bevölkerung und die Werte der Aufklärung in Europa schützen und bewahren. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung ist derzeit noch völlig offen. Ich frage mich, welche der beiden Auffassungen in den nächsten Jahren wohl die Deutungshoheit erlangen wird.

bitte erlauben Sie mir die Korrektur "die Aufnahme Millionen von Menschen aus den verschiedensten Kulturen"... ich erkenne, dass man nur die Kultur der Moslems haben möchte, die anderen Kulturen spielen keine Rolle und sind teils auch nicht erwünscht.

Willi Emrich | So., 2. September 2018 - 23:40

Kleine Korrektur:
Es muss heißen
credula postero (nicht potero)

Markus Michaelis | Mo., 3. September 2018 - 00:11

Ich habe auch noch viel vor im Leben. Aber die große Einbettung in die Geschichte und in eine daraus abgeleitete Zukunft, an die man mit anderen feste glaubt, ist doch nicht gerade das, was im Moment anliegt und Sinn ergibt. Geschichte und Zukunft sind Interpretationen, die durch Menschen getragen werden. Deutschland ist dabei sich sehr zu ändern und wenn etwas sicher ist, dann dass man nicht sicher sein kann wohin das geht. Da ist es doch sehr passend sich auf sich und die kleine Welt zu konzentrieren und dann später mal zu schauen, wie das zu einer Gesellschaft passt, die sich irgendwann in der Zukunft mal wieder finden wird.

Dr. Dirk reitz | Mo., 3. September 2018 - 08:27

zu Ovid und dessen philosophie liesse sich gewiss noch manches beitragen, indes: er sollte richtig in der langfassung zitiert werden - nicht "potero", sondern "... postero" (dem folgenden) muss es heissen ...

Dr. Dirk reitz | Mo., 3. September 2018 - 08:28

nicht Ovid, Horaz war gemeint - mea culpa

Renate Brunner | Mo., 3. September 2018 - 11:47

Die letzten Jahre habe ich mich intensiv mit außen- und innenpolitischen, auch mit ökonomischen Themen befasst, habe doch einiges gelernt, auch verstanden, selbstverständlich auch Kritisches gelesen, darüber nachgedacht. Es hat mein Innenleben fast zermürbt, zu viele Probleme, ZU viele Ausweglosigkeiten, die an Überforderung grenzen. Da ich nicht mehr zu Jüngsten gehöre,
jetzt ist (fast) Schluss damit. Überfliege die Titel des Mainstream, lese noch ein paar kritische Magazine und Blogs. Jetzt widme ich intellektuell mit alter Geschichte, Kunstgeschichte, Musik und Freundschaften, Natur, versuche alles "links" (ist nicht politisch) gemeint liegen zu lassen, was meinem seelischen Gleichgewicht schadet.
Seither geht es mir besser. Ich versuche den Tag zu nutzen, das Leben ist begrenzt, das ist einem
mit 30 oder 40 Jahren meistens nicht bewusst.
Carpe diem hat nichts mit Egoismus oder Egozentrik zu tun, sondern soll helfen, den
Blick auf das Wesentliche zu lenken.