Ort des Gebets und eines nationalen Traumas: die Große Moschee in Mekka / picture alliance

Doku „Mekka 1979 – Urknall des Terrors?“ - Das saudische Trauma

Saudi-Arabien öffnet sich, bleibt aber einer der repressivsten Staaten im Mittleren Osten. Ein Dokumentarfilm zeigt, worauf diese Herrschaft zurückgeht: auf die blutige Besetzung der Großen Moschee in Mekka im Jahr 1979. Liegt hier auch der Ursprung für den Terror und die Konflikte in der Region?

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das Jahr 1979 war eines der prägendsten für die Entwicklung des Mittleren Ostens. Insbesondere drei Ereignisse sollten die Zukunft dieser Region maßgeblich bestimmen. Vieles, was damals passierte, wirkt bis heute fort. Am 1. Februar 1979 war Ajatollah Chomeini nach 15 Jahren im Exil in den Iran zurückgekehrt. Zwei Monate später rief er dort die Islamische Republik aus. Im Dezember desselben Jahres begann die sowjetische Invasion Afghanistans, welche im Laufe der folgenden Dekade entscheidend zum späteren Zusammenbruch der kommunistischen Weltmacht führen sollte. Eine weitere dramatische Begebenheit von ungeheurer Tragweite nahm am 20. November 1979 ihren Anfang, wenngleich sie im historischen Bewusstsein der meisten Menschen im Westen weit weniger präsent ist als die iranische Revolution und Moskaus Afghanistan-Abenteuer: Rund 500 militante Islamisten besetzen die Große Moschee von Mekka in Saudi-Arabien.

Geiseldrama über zwei Wochen

In den frühen Morgenstunden dieses Tages stürmten Hunderte schwer bewaffnete Männer unter der Führung eines gewissen Dschuhaiman Ibn Seif al-Uteibi ins Innere einer der heiligsten Stätten des Islam und nahmen tausende Pilger als Geiseln. Die Aktion richtete sich frontal gegen das saudische Königshaus und dessen Anspruch, Hüter des Glaubens zu sein. Erst nach zwei Wochen konnte die Moschee von den Terroristen wieder befreit werden, etwa 1000 Menschen starben. Die genaue Zahl der Todesopfer liegt bis heute im Dunkeln. War schon der Einsatz bewaffneter saudischer Soldaten am Ort des islamischen Zentralheiligtums ein Politikum sondergleichen, so musste der Einsatz französischer Spezialkräfte in Mekka von den Gläubigen als besonders demütigend empfunden werden. Die Franzosen räucherten die Besatzer, die sich zuletzt in den Kellergeschossen der Moschee verschanzt hatten, mit Tränengas aus. Insgesamt zwei Wochen hatte das ganze Drama gedauert.

Wettlauf der Frömmigkeit

„Mekka 1979 – Urknall des Terrors?“ lautet der Titel eines Dokumentarfilms, der am heutigen Dienstag (21. August) um 22.10 Uhr auf Arte ausgestrahlt und am 27. August um 22.45 Uhr im Ersten wiederholt wird. Das Werk ist unbedingt sehenswert, weil es die Vorgeschichte und die enormen Nachwirkungen der Moscheebesetzung von Mekka beleuchtet und etliche Zeitzeugen zu Wort kommen lässt, darunter den damaligen saudischen Geheimdienstchef Turki ibn Faisal. Auch bis dahin unveröffentlichte Originalaufnahmen des Geschehens vom Herbst 1979 hat der Filmemacher und Autor Dirk van den Berg verwenden können. Dass er in Saudi-Arabien überhaupt zu diesem für das Königreich traumatischen Ereignis recherchieren konnte, grenzt nur auf den ersten Blick an ein Wunder. Tatsächlich ist es der Öffnungspolitik des neuen saudischen Machthabers Mohammed bin Salman geschuldet, der offenbar eine Aufarbeitung der jüngsten Geschichte für geboten hält. Dass Dirk van den Berg trotz zunächst widriger Umstände über Jahre hinweg am Thema blieb, sollte sich letztlich also auszahlen.
 
Nach der Besetzung der Großen Moschee war Saudi-Arabien jedenfalls ein anderes Land: Die bis dahin geltende relative Freizügigkeit wurde radikal eingeschränkt. Es begann gewissermaßen ein Wettlauf der zumindest vordergründigen Frömmigkeit mit dem schiitischen Iran. Das saudische Königshaus hatte damals die fundamentalistischen Umtriebe im eigenen Land dramatisch unterschätzt und musste seinen Herrschaftsanspruch mit deutlicher Repression untermauern. Wer die seit einigen Jahren wieder gefährlich zunehmende Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien verstehen will, wird die Ursachen dafür auch im Jahr 1979 finden. Ob es sich damals tatsächlich um den „Urknall des Terrors“ handelt, darauf gibt der Film zwar keine Antwort. Trotzdem ist „Mekka 1979“ ein überaus erhellendes Dokumentarwerk, wie es sie im Fernsehen leider viel zu selten zu sehen gibt.

„Mekka 1979 – Urknall des Terrors?“ ist am Dienstag (21. August) um 22.10 Uhr auf Arte zu sehen und wird am 27. August um 22.45 Uhr im Ersten wiederholt.

 

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Ralph Lewenhardt | Di., 21. August 2018 - 11:53

Uns so erkennen wir den aussichtslosen scheinheiligen EU-Irrwitz, mit rosaroter politischer Wolkendiplomatie, Frieden in Nahost fördern zu wollen und dabei natürlich auch noch Geschäfte machen zu wollen. Sei es mit Rüstungsexporten oder Ölimporten.

Reinhold Schramm | Di., 21. August 2018 - 12:19

Mit Saudi-Arabien etabliert sich zudem eine dritte Atommacht in Nahost. Geplant sind im Islamischen Staat 16. Atomkraftwerke. Die voraussichtlichen Kosten liegen offiziell bei rund 80. Milliarden USD. Ein wichtiger Partner beim Nuklearprogramm des Islamischen Staats ist die Volksrepublik China. Für die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit wurden bereits vor Jahren zwischen Saudi-Arabien und der Volksrepublik China staatliche Kooperationsabkommen in Riad unterzeichnet. Saudi-Arabien hat vor diesem Hintergrund weitere Kooperationsvereinbarungen zur Nutzung der Kernenergie mit Argentinien, Frankreich, Russland und Südkorea geschlossen.

Bernd Muhlack | Di., 21. August 2018 - 12:31

Zu diesem Thema gibt es ein hervorragendes Buch von Yaroslaw Trofimov: Anschlag auf Mekka

Blessing Verlag 2008 - ISBN 978-3-89667-335-0

… [und übrigens hat auch jegliche Lektüre von Scholl-Latour noch niemandem geschadet, nicht wahr?] ---

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 21. August 2018 - 13:43

denn dann dürfte Saudi-Arabien nur die AUCH säkularen Kräfte in der Region stützen, die Mächtigen und evtl. nicht Erdogan, die syrischen Rebellen, evtl. Ahmadi... , den IS oder evtl. die Muslimbrüder in Ägypten etc.
Wenn religiöse Fundamentalisten an die Macht kommen, war es das evtl. auch mit dem saudischen Königshaus.
Okay, die Kemalisten mögen Mohammed nicht besonders, aber gab es Versuche von deren Seite, das saudische Königshaus zu stürzen?
Vielleicht also doch auf die falschen Pferde gesetzt?
Die Kemalisten müßten evtl. ihren Frieden mit Mohammed machen
und die Saudis stärker auf säkulare Macht achten und Tschüss Erdogan...?

Saudi Arabien ist nach der Türkei und neben Iran der wichtigste Akteuer im Nahen Osten. Israel ist trotz der engen Zusammenarbeit mit Saudi Arabien in der arabischen Welt außenpolitisch isoliert. Warum sollte eine Dynastie, deren Legetimation religiös ist, zersetzende Säkularisten unterstützen? Welche Weltfremdheit...
1. Nicht Saudi Arabien, sondern Katar unterstützt die Türkei.
2. Nicht Saudi Arabien, sondern saudi-arabische Untertanen, darunter auch Anhänger der weiten Königsfamilie wie Unternehmer unterstützten den IS.
3. Ahmadi? Meinen Sie die Angehörigen der Ahmadiyya? Das ist eine islamische Sekte, aber wie alle Sekten, so werden sie wegen unüberbrückbare Unterschiede von der Mehrheitsreligion nicht anerkannt. Sie sind aus muslimischer Sicht Schirk. Dies zurecht, denn nach dem Koran ist Mohammed der letzte Prophet.
4. Saudi Arabien ist ein Feind der Muslimbrüder. Ihr Republikanismus ist dynastiegefährdend. SA half die ägyptische Junta mit Milliarden.
5. Irrtümer...

Holger Stockinger | Mi., 22. August 2018 - 01:10

Der ISLAM sei sanft und friedlich, hingegen ich "voller Hass" versicherte mir eine Ex-Freundin als sofortige "Flüchtlingsbetreuerin" 2015.

Mentale Verschrobenheit ist keine medizinisch-psychologische Diagnose.

"Realitätsverkennung" hingegen ein wundersames Phänomen!

Die "sanfte" Islamisierung des Globel-Dorfes "Welt" steht aber ziemlich deutlich in allen Ausgaben des KORAN ...

Ist das jetzt der kleine Bruder von der jüdischen Weltverschwörung? Im Christentum gibt es den Missionsauftrag und die Christen erfüllten dies so gut, dass heute Amerika nicht mehr wie Amerika, sondern wie Europa, Afrika und einen nicht erkennbaren Rest aussieht. In Afrika zerstörten sie hunderte Religionen. Und der Islam? Der ist toleranter als es die KIrche je war. Die koptische Kirche unter Herrschaft des Papstes? Wäre vernichtet worden. Die griechische Kirche? Gottlob wurde Griechenland von Türken erobert und die griechisch-orthodoxe Kirche konnte sich erhalten. Die Heidnische Welt? Haben auch die Christen zerstört. Sie sind nicht voller Hass, vertreten nur krude Ansichten.

Jacqueline Gafner | Mi., 22. August 2018 - 04:33

den zu sehen sich lohnt. Interessant ist nicht zuletzt auch die Rolle, die Frankreich dabei (offiziell nicht) gespielt hat. Ajatollah Chomeini ist im Februar 1979 nicht von irgendwo her aus dem Exil in den Iran zurückgekehrt, sondern aus Frankreich. Und was die Franzosen im Spätherbst desselben Jahres bewogen hat, dem saudischen Königshaus aktiv beizuspringen, wüsste man auch gerne. Jedenfalls haben sowohl die iranische Revolution wie das saudische Trauma massgeblich dazu beigetragen, den islamischen Fundamentalismus zu stärken und zu exportieren, mit bekannten Folgen weit über die Nahen Osten hinaus.

wolfgang spremberg | Mi., 22. August 2018 - 08:34

Die Wahabiten sind eine fundamentalistische islamische "Reformbewegeung" die auf Muhamad ibn Abdul Wahab zurückgeht ( verstorben 1791) und den Islam "reinigen", das heißt zu seiner ursprünglichen Form zurückführen wollte. Die Sauds sind eine alte arabische Fürstenfamilie die in mehreren Anläufen versucht hat im Bündniss mit den Wahabiten an die Macht zu gelangen. Den Wahabiten ist z.B. die Heiligenverehrung im Schiitischen Islam ein Gräuel. Diese Geschichte geht also wesentlich weiter zurück und ist grundsätzlicher.