Mann mit Buch
Gilt auch für Pippi Langstrumpf: „Wir mögen Widersprüche nicht, versuchen aber trotzdem ein gutes Gefühl zu haben“ / picture alliance

Politische Korrektheit - Die westliche Burka für den Verstand

Wir drücken uns davor, die Dinge klar auszusprechen. Warum? Weil wir nicht glauben, offensichtliche Widersprüche in unserem Leben auflösen zu können. Doch wer nur politically correct denkt und handelt, verpasst das Leben. Von Matthias Heitmann

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

So erreichen Sie Matthias Heitmann:

Unser modernes Leben gilt als unheimlich komplex. Es sei hyperbeschleunigt, extrem fordernd bis überfordernd und lasse uns kaum noch Zeit und Raum, das zu tun, was wir eigentlich wollten. Aber sind wir in unserem unerschütterlichen Glauben an die eigene Überforderung nicht himmelschreiend ungerecht gegenüber früheren Generationen? Ist es wirklich so, dass das Leben früher übersichtlicher, handhabbarer, sorgloser und besser war? Meine Großmutter hatte zwei Weltkriege, drei Evakuierungen und nicht weniger als fünf Staatsformen in Deutschland erlebt. Demgegenüber wirkt es fast lächerlich, sich alle paar Jahre darüber zu ärgern, die eigene Musiksammlung wegen des rasanten technischen Fortschritts schon wieder auf ein neues technisches Format umrüsten oder das Mobiltelefon mit mehr Speicherkapazität ausrüsten zu müssen.

Kein Zweifel: Das Leben vieler Menschen ist auch heute noch hart. Doch interessanterweise sind es in der Regel gerade nicht diese Leute, die sich öffentlich darüber beklagen. Sie bestreiten einfach ihr Leben, und das klingt schon von der Wortwahl her nicht unbedingt tiefenentspannt. Aber sie lamentieren zumindest nicht so öffentlichkeitswirksam. Dass früher alles besser gewesen sei, hat man „früher“ eher von Menschen gehört, die dieses selbst erlebt haben. Mittlerweile scheint die Sehnsucht nach der Vergangenheit aber auch bei Menschen durchzubrechen, die „früher“ noch gar nicht auf der Welt waren.

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Rob Schuberth | Sa., 21. Juli 2018 - 11:17

m. E. gibt es da noch einen Grund weshalb wir uns mit diesen - offensichtlichen - Widersprüchen nicht befassen.

Wer dazu kommentiert, gar kritisch, wird oft nicht veröffentlicht (hier zum Glück schon).
So bleibt eine Korrektur der Denk- u. Sichtweise bestimmter Medien durch deren Leser einfach aus (weil sie dort aktiv unterdrückt wird).

Kritisch posten geht dann fast nur noch dort wo sie unter Ihresgleichen sind. Nur dort erreichten sie dann die anders Denkenden nicht mehr.
Alternativ schweigt man und ist frustriert.

Danke für den schönen Artikel.

Klaus Funke | So., 22. Juli 2018 - 10:37

Herr Heitmann, Sie schreiben, "unser Leben sei hyperbeschleunigt, extrem fordernd bis überfordernd und lasse uns kaum noch Zeit und Raum, das zu tun, was wir eigentlich wollten. Aber sind wir in unserem unerschütterlichen Glauben an die eigene Überforderung nicht himmelschreiend ungerecht gegenüber früheren Generationen?"
Nichts von dem, was Sie schreiben, trifft auf mich zu. Von wem reden Sie? Vom medienkonformen Menschen? Und deshalb sind auch Ihre Schlussfolgerungen unzutreffend - zumindest für mich und viele meiner Freunde. Sie haben sich da ein Gebäude errichtet, das mag auf Sie und Ihresgleichen zutreffend sein, aber nicht auf die Mehrheit. Ich fühle mich davon keineswegs angesprochen. Pardon. Eine Geisterdebatte? Spiegelfechterei? Oder ein Sonntagsartikel?

Markus Michaelis | So., 22. Juli 2018 - 11:27

Ich stimme voll zu, dass wir Widersprüche zu wenig ernst nehmen, als normal akzeptieren und damit umgehen.

Hier noch zwei Beispiele aus meiner Sicht: Demokratie ist für uns ein Sammelsurium von Prinzipien, die sich bestens harmonisch ergänzen, um zu den nach Fakten und Verstand besten Lösungen zu kommen. Dabei stehen Rechtsstaat, Wahlen, "Volks"wille, Menschenrechte, Gewaltenteilung etc. oft auch in scharfen Widersprüchen zueinander, die austariert werden müssen. Das Ziel der Demokratie ist auch erstmal nicht die "beste" Lösung, sondern eine Kompromissfindung von Interessen.

Ein zweites für mich interessantes Beispiel ist Religion/Christentum. Ich unterstütze das als Idee prinzipiell sehr. Aber es hat in sich immer die Versuchung oder gar Hauptidee, dass es ein absolut richtiges, widerspruchsfreies Leben und Menschsein gäbe. Klappt das nicht, muss es am Bösen liegen, dass man im Mitmenschen verortet. So steckt im Christentum auch oft etwas Abgrund.

Genau das Gegenteil ist richtig.Besonders das Christentum b.z.w. das Evangeliumfordert zur Selbstreflektion auf .Sagt Ihnen das Jesuswort:Was suchst Du den Splitter im Auge Deines Nächsten und bemerkst den Balken im eigenen Auge nicht ,etwas?Mth. 7/3

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 22. Juli 2018 - 11:44

der richtige Stoff, um in Ruhe nachdenken zu können, wenn man den wunderschönen Erzählungen zur Tour de France gelauscht hat oder vorher.
Tour de France ist für mich Urlaub.
Meine Vorsicht steigt mit der für mich sichtbar werdenden Akribie, mit der manche Kreise sich evtl. Mühe geben, Andersdenkenden am Zeuge flicken.
Dass man an einem """Mückenstich""" zugrundegehen kann, durfte ich selbst erfahren.
Leider kann ich nicht mehr flüssig tippen was ich nicht unbedingt auf meinen PC schiebe.
Vor manchem war man früher schon sicher.
Ich kann derzeit in Deutschland nur zu höchster political Correctness raten, vor allem denen, die ohnehin schon höchste Ansprüche an Denken stellen.
Mobben, Worte und Inhalte verdrehen können auch Kleingeister, wahre Political Correctness, wie sie eventuell gerade dieser Artikel zeigt, vielleicht doch nur die Besten?

Hans Jürgen Wienroth | So., 22. Juli 2018 - 13:34

Meine Hochachtung für diese hervorragende Kolumne.
Herr Heitmann ist eine echte Bereicherung für den Cicero.

ingrid Dietz | Mo., 23. Juli 2018 - 07:32

Deutschland erstickt demnächst an seiner "politischen Korrektheit" !

Das dabei das Grundrecht auf Rede- und Meinungsfreiheit ausgehebelt wird, ist als "bedauerlich" und Kollateralschaden anzusehen !

Man darf das so nicht einfach hinnehmen. Jede Diktatur hat ihre eigene Sprachregelung: die linksextreme „Sprachhygiene“ (Polit-Correctness) soll und die Sinne vernebeln! Jede Diktatur entwickelte seine eigene Sprachregelung: das dritte Reich (siehe „LTI – Sprache des dritten Reiches“ von Viktor Klemperer oder „Sprache der Aktuellen Kamera“ von Stefan Heim (AK war Staatsorgan des SED/MfS-Regimes) oder auch das SED-Regime. Heute ist es die „Politische Korrektheit“, die uns das „korrekte“ Denken und Reden vorschreibt. So erziehen die neuen Volkspädagogen den Untergebenen das selbständige Denken ab und pressen sie in ihren engstirnigen Denk-Horizont. Dazu gründete man speziell eine Stiftung zur Kontrolle der „Sprachhygiene“ im Internet, die von einer ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiterin des MfS geführt wird. Das hört und fühlt sich an wie DDR 2.0!
Jeder Diktator weiß, dass man zuerst die Medien in seine Gewalt bringen muss, damit man Macht und Kontrolle behält! Soll das so bleiben?

Uwe Dippel | Mo., 23. Juli 2018 - 15:13

Diese von Herrn heitmann aufgezeigten Widersprüche sind nicht beschränkt auf political correctness. Sie ergeben sich auch von der bekannten Tatsache, dass Reden ist leichter ist als Handeln. Oder dass es sich leicht reden lässt, wenn die Situation (noch) gar nicht da ist.

In unserer Gesellschaft wurde seit dem zweiten Weltkrieg Demokratie verbal hochgehalten, Freiheit der Meinung, u.s.w. Doch kaum werden Probleme akuter, hat man all das schnell vergessen. Und dann heisst es 'ausser für Rechts'. Oder zur Demokratie: Ausser man wählt Orban oder Putin. dann wählt der Wähler falsch, oder die Wahl ist undemokratisch. Oder beides.

Christine Weiske | Di., 24. Juli 2018 - 10:44

Danke für den klugen Artikel. Es tut gut so etwas zu lesen. Dass die Menschen meinen an die Grenzen Ihrer Flexibilität zu stoßen und davor Angst haben, was am Ende der Scheibe Erde wartet, hat wohl damit zu tun, dass die Evolution keine mediale und praktisch reale Globalisierung kennt, nur das, was mich in einem überschaubaren Ausmaß umgibt. Ebenso wie Wachstum ist auch das mentale Fassungsvermögen der Menschen begrenzt - zum Glück...sonst wären wir Gott..oder..?