Hände halten die Kippa, die im Mittelpunkt des antisemitischen Angriffs Mitte April in Berlin stand.
Beim Tragen der Kippa oder des Davidsterns gilt: Sicherheit geht vor / picture alliance

Antisemitismus - „Es fällt vielen Leuten schwer, das Wort Jude auszusprechen“

Noch immer werden Juden in Deutschland mit Vorurteilen konfrontiert und teilweise sogar angegriffen. Wie es sich anfühlt als Jüdin in Deutschland aufzuwachsen, erzählt Dalia Grinfeld, die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands

Chiara Thies

Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Dalia Grinfeld ist 23 Jahre alt. Sie ist Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD) und studiert Politikwissenschaften und Jüdische Studien in Heidelberg.

Frau Grinfeld, Sie sind in einen jüdischen Kindergarten, eine jüdische Grundschule und ein jüdisches Gymnasium gegangen. Vor diesen Einrichtungen halten Polizisten Wache. Wie fühlte sich das an?
Ich kannte es nicht anders. Das zeigt, wie drastisch die Situation ist. Für mich war es normal, den Polizisten einen guten Morgen zu wünschen, dass überall Kameras und Metalldetektoren sind. Vor Schulaufführenden gab es immer lange Schlangen, weil man durch die Sicherheitskontrollen musste. Mir ist erst bewusst geworden, dass ich in einer anderen Realität lebe, als mich mal ein nicht-jüdischer Kumpel in der achten Klasse zur Schule begleitet hat. Der wollte einfach mal sehen wie meine Schule so ist und hat dann gefragt: „Wow, ist eure Schule neben einem Gefängnis?“ In dem Sinne leben wir doch – ein bisschen zumindest – in einer Parallelwelt. In Deutschland ist es immer noch nicht normal, jüdisch zu sein. Wir haben immer noch ein besonderes Sicherheitsbedürfnis, was schade ist. Aber als Kind und Jugendliche hat mich das nicht bedrückt. 

Die Schule bietet eine Art Schutzraum. Aber wie haben Menschen außerhalb reagiert, wenn die Sprache auf Ihren Glauben fiel?
Ich bin damit immer sehr offen umgegangen. Natürlich war mein Freundeskreis auch stark jüdisch geprägt, weil ich eben auf einer jüdischen Schule war. In meinem engeren Umfeld waren die Reaktionen positiv, und es gab ein großes Interesse mit vielen Nachfragen. Im Bekanntenkreis oder im Arbeitsumfeld gab es aber schon so diesen neugierigen Blick. In der neunten Klasse hatte ich ein Praktikum im Bundestag gemacht. Da habe ich meinen Davidstern getragen und die Blicke zum ersten Mal besonders gefühlt. Das war gar nicht negativ gemeint. Es fällt vielen Leuten in Deutschland immer noch schwer das Wort „Jude“ auszusprechen. Dann wird rumgedruckst: „Bist du eigentlich, ja ähm, also sag mal, ähm…“ Natürlich steht da eine Geschichte hinter, darum ist ein schwerwiegendes Wort in Deutschland. Aber ich merke schon, dass auch junge Leute sich nicht trauen, das Wort auszusprechen. Manchmal werden dann keine Fragen gestellt und es findet keine Annäherung statt. Da ist oft noch eine Distanz.

Hört sich an, als ob viele die Verbrechen von Adolf Hitler im Hinterkopf haben und gleichzeitig neugierig sind, was diese Religion ausmacht?
Wahrscheinlich so etwas in die Richtung. Viele haben sich auch nicht tiefgründig mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt. Man merkt, dass das dann in solchen Momenten wieder hochkommt und lieber nicht allzu genau nachfragt wird. Aber natürlich kenne ich auch andere Beispiele und habe Freunde, die sehr viel nachgefragt haben. Es gibt beides, nur schwingt oft in diesem Denken „das Andere“ mit. Das ist nicht wie bei Christen, man feiert nicht Weihnachten sondern „das Andere“.

Sie tragen Ihren Davidstern offen. Was lösen Angriffe auf Juden, wie vergangenen Monat in Berlin, bei Ihnen aus? 
Ich weigere mich grundsätzlich, meine jüdische Identität zu verstecken. Sollte jemals die Zeit kommen, in der ich hier nicht sicher leben kann, ist Deutschland leider nicht mehr mein Zuhause. Klar geht Sicherheit trotzdem immer vor. Wenn ich abends alleine unterwegs bin und seltsame Blicke kommen wie in Berlin-Neukölln, drehe ich den Davidstern um. Das ist traurig, und mir geht es damit schlecht, weil ich einen Teil meines Selbst verstecken muss. Im Großen und Ganzen lebe ich mein jüdisches Leben aber relativ offen aus. Zu Pessach habe ich Matze, das typische, ungesäuerte Brot, mit in die Uni gebracht. Es ist wichtig, sich nicht zu verstecken, damit wieder Normalität einziehen kann. 

Sie sind Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Wenn es um die AfD geht, verwenden sie in ihren Posts oft den Hashtag #Afnee. Kommt der von ihnen?
Ja, der kommt von uns.

Wieso?
Wir positionieren uns als junge Juden ganz klar gegen die AfD. Sie sind für uns genauso gefährlich wie für andere Randgruppen. Wir wollen aufzeigen, was die AfD macht und sagt. Zum Beispiel das Zitat von Stephan Brandner, eine typisch syrische Familie bestehe aus „Vater, Mutter und zwei Ziegen“. Natürlich sind das gewählte Abgeordnete, aber wir sind gegen manche ihrer Aussagen. Wir wollen uns von ihnen nicht instrumentalisieren lassen. Als es einen Angriff auf ein jüdisches Denkmal gab, verkündete die AfD hinterher, dass sie mit der jüdischen Gemeinde stehe. Daraus haben wir den Tweet gemacht: „Stellt euch bitte woanders hin.“ Nur weil die AfD in dem Fall für Juden war, heißt das nicht, dass sie nicht gleichzeitig versuchen, andere Minderheiten zu marginalisieren. 

Nun kann Antisemitismus nicht nur von rechts kommen, sondern auch von links. Was halten Sie von der Linken?
Natürlich beobachten wir nicht ausschließlich nur die AfD. Auch bei allen anderen Parteien haben wir im Blick, was da gesagt wird. Wir äußern uns auch bei denen, wenn es nötig wird. Bei der AfD sehen wir allerdings eine Ausnahmestellung. In ihrer Mitte leugnen Menschen den Holocaust und fordern eine 180-Grad-Wendung der Gedenkkultur. Das wird von der gesamten Partei und Fraktion toleriert. Natürlich haben wir diese Probleme auch von links, besonders wenn es um Israel geht. Da äußern wir uns ebenfalls immer, wenn laut der „International Holocaust Rembrandt Alliance“ (IHRA) die Israelkritik aufhört und israelbezogener Antisemitismus beginnt. Wir trennen da nicht nach Parteilinien, es geht uns allein um Prinzipien. 

Auch für diese Fälle gibt es jetzt einen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Ist das gut oder schlecht?
Das ist super! Wir haben das zusammen mit dem Zentralrat der Juden und vielen anderen jüdischen Organisationen zusammen gefordert. Das ist eine wichtige Instanz, die überparteilich arbeiten kann. Bisher gab es hie und da mal kleinere Projekte und Aktionswochen. Jetzt können die endlich zentral koordiniert werden. Man darf sich nicht wundern, wenn das Problem des Antisemitismus bestehen bleibt, wenn es niemanden gibt, der das im Großen angeht. Noch ist das Büro nicht vollständig ausgestattet. Momentan sind sie sogar nur zu zweit. Daran fehlt es gerade noch.

Was sollte die Gesellschaft in ihrem Umgang mit Juden ändern?
Mir ist wichtig, dass wir positive jüdische Akzente setzen können und unsere Identität nicht verstecken müssen. Juden werden immer nur angesprochen zu den Themen Antisemitismus, Holocaust und Israel. Es gibt aber so viel mehr, was jüdisches Leben, Religion und Traditionen ausmacht. Ich wünsche mir, dass in den Medien, der Zivilgesellschaft und der Politik jüdisches Leben nicht nur in Brennpunkten relevant wird. Sondern dass wir die Normalität des jüdischen Lebens zeigen können. Wir sind Teil der Gesellschaft, studieren an den Universitäten und sind in Parteien aktiv. Natürlich haben wir auch unsere Besonderheiten und Wünsche. Jüdisch sein soll nicht mehr merkwürdig sein, das ist mein Traumbild.

„Wie es im wirklichen Leben aussieht, davon habt Ihr doch keine Ahnung“ – diesen Vorwurf hören Politiker immer wieder, aber auch Journalisten. Gerade wenn sie – wie wir in der Cicero-Redaktion – in der Hauptstadt Berlin leben und arbeiten, wirkt das auf viele offenbar so, als seien wir auf einem fernen Planeten unterwegs. Und sie kritisieren, dass wir zwar gern über Menschen sprechen und schreiben, aber kaum mit ihnen reden. Der Vorwurf trifft uns hart, und wir nehmen ihn sehr ernst. Deswegen starten wir auf Cicero Online eine Serie, in der wir genau das tun: Mit Menschen sprechen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, aber mitten im Leben, und dort täglich mit den Folgen dessen zurechtkommen müssen, was in der fernen Politik entschieden wird. Den Auftakt haben wir mit einem Gespräch mit einem Mann gemacht, der illegal in Deutschland lebt. Es folgte eine Unterhaltung mit einer Rentnerin.

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Christa Wallau | Di., 26. Juni 2018 - 09:24

Angesichts des langen Verlaufes der Geschichte der Juden u. des Judentums (beim AT angefangen) verwundert es mich, wie man als junge Jüdin überhaupt in D Normalität erwarten kann, und zwar in dem Sinne, daß man die gleiche Unbefangenheit im Umgang fordert, wie sie hier bei den meisten anderen Völkern oder Religionsgemeinschaften an den Tag gelegt wird.
Die Verquickung von "auserwähltem Volk" und einer durch Geburt erworbenen, nicht missionierenden (elitären) Religion stellt eine Einmaligkeit innerhalb des Weltspektrums dar.
Von der langen Zeit der Diaspora u. der nach fast 2000 Jahren wieder erkämpften staatlichen Selbständigkeit sowie den geschichtlichen Pogromen bis hin zur Schoa ganz zu schweigen.

Ich appelliere deshalb an alle Juden, sich dieser
Besonderheit bitte bewußt zu sein u. ihr Judentum nicht nur trotzig nach außen zu dokumentieren, sondern sich geduldig zu bemühen, ihren Mitmenschen begreiflich zu machen, was es
h e u t e konkret heißt, Jude/eine Jüdin zu sein.

Liebe Frau Wallau, überlegen Sie doch mal.
Die Ägypter hatten auch IHRE Götter, deren auserwähltes Volk sie waren.
Nun wuchs Moses sogar als Ägypter auf?
Ich tippe nur mal, dass die europäischen Götter etwas anders konstruiert waren(sind).
Aber wir sind nicht weniger stolz, auch ganz ohne Götter.
Andererseits überwiegt dann durch das Christentum die Verantwortung, das Staunen, die Einsicht über den Stolz.
Christus hat ganz andere Massstäbe gesetzt und ich bemerke z.B. auch bei Jackie Chan, dass er dem in dem einen Film mit dem Cowboy an seiner Seite Rechnung trägt.
Das Christentum ruft großen Respekt bei anderen Religionen hervor.
Ich finde, dass wir das grunsdätzlich erwidern sollten, ohne jedoch unseren kritischen Geist aufzugeben.

Bernhard K. Kopp | Di., 26. Juni 2018 - 09:44

Egal ob wir auf den Antisemitismus eines Martin Luther, oder auf den sehr offenen politischen Antisemitismus des Kaiserreichs von 1871 - 1918 schauen, der Jude als Feindbild war immer da. Das hat nicht erst mit Hitler begonnen. Auch wenn vieles in der intellektuellen und emotionalen Aufarbeitung in den letzten 50 Jahren relativ gut gelungen ist, es ist nicht gelungen, das Feindbild aus den Köpfen eines Teils der Bevölkerung zu entfernen. Es sollen 10, 15 oder 20% der Bevölkerung sein, die immer noch nicht akzeptiert haben, dass der Jude der ältere Bruder des Christen ist (Papst Johannes XXIII.- 1964) und dass derjenige, der religiöse und kulturelle Eigenheiten, die anders sind als die christlichen Mehrheitskultur, deswegen keine kulturelle oder soziale Bedrohung und kein Feind ist. Man kann das Jüdische auch dafür bewundern, dass es trotz aller Anfeindungen über fast 2000 Jahre überlebt hat.

Robert Müller | Di., 26. Juni 2018 - 09:47

Ich weiß nicht: Was soll mir dieses Interview sagen? Juden werden von rechten und linken Biodeutschen ganz furchtbar gehasst und deshalb werden sie von der Polizei bewacht?

Ich habe mir stattdessen eine kurze Recherche genehmigt, um herauszufinden was das für eine Organisation ist, deren Vorsitzende da interviewt wird. Das sind die "Jusos" des Zentralrats der Juden. Wäre übrigens interessant zu erfahren wie sie die Vielfalt an politischen Positionen innerhalb der Juden abdecken. So weit ich das weiß ist das nämlich noch vielfältiger als das was in den deutschen Parlamenten vertreten ist. Übrigens, die politische Mitte in Israel steht ganz bestimmt nicht da wo Merkel politisch steht. Das ist eher so wie mit den Deutsch-Türken, die in der Türkei National-Fromme wählen, hier aber linke, säkulare Parteien unterstützen. Erinnert sich noch wer daran, dass Israel jüngst afrikanische "Geflüchtete" abschieben wollte? Keine Ahnung wie das ausging.

Wolfgang Tröbner | Di., 26. Juni 2018 - 10:37

die Juden auch in Deutschland wirklich gefährlich sind, nicht mal ansatzweise erwähnt werden. Wie üblich, wird suggeriert, dass die böse AfD der eigentliche Feind der Juden in Deutschland sei. Es lässt sich zwar nicht ausschließen, dass es in der AfD einige Mitglieder mit antisemitischen Einstellungen gibt. Dass aber die AfD insgesamt antisemitisch sein soll, wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Und es ist nach meinem Dafürhalten auch falsch zu behaupten, dass die AfD den Holocaust leugnet. Es bekommt allerdings schon mehr als ein Geschmäckle, wenn dann noch in diesem Kontext die Frage gestellt wird, was Angriffe auf Juden, wie vergangenen Monat in Berlin,auslösen. Warum werden eigentlich nicht Ross und Reiter genannt? Warum fällt es so unsagbar schwer zu sagen, wer genau für diesen Angriff (und weitere) verantwortlich war. Es waren nämlich weder AfD noch die Deutschen. Sondern ein muslimischer Flüchtling.

"Warum werden eigentlich nicht Ross und Reiter genannt?"

Weil das wirklichen Mut erfordern würde. Von dem ich selbst gar nicht behaupten will, dass ich ihn besäße. Aber die Interviewte tut mutig ('laufe immer mit meinem Davidstern rum'), nur um dann zuzugeben, dass sie genau dann der Mut verlässt, wenn er wirklich nötig wird ('Neukölln'). Was denn nun in Neukölln so viel Mut erfordert, wird natürlich nicht gesagt. Stattdessen wird auf der AFD rumgehackt, das kommt immer gut und erfordert Null Courage.

Leo Suchgarewicz | Di., 26. Juni 2018 - 12:29

Natürlich geht die konkrete Gefahr für Juden in Deutschland heute von muslimischen Migranten aus. Aber nicht nur. Palästinensische Organisationen und linke Partner haben in den vergangenen Jahren ein ziemlich dichtes Netz aufgebaut, das antizionistisch / verdeck antisemitische Informationen streut. Für die Mehrheit der Biodeutschen ist das Thema zwar noch immer belastet aber politisch relativ unbedeutend.

Klaus Reichert | Di., 26. Juni 2018 - 13:06

Jüdischen Gemeinden aus verschiedenen Städten meldeten, dass zwischen 60 und 80 Prozent der verbalen und körperlichen Attacken auf der Straße von ganz offensichtlich aus dem muslimischen Spektrum stammenden Männern ausgeführt wurden. Insofern stimme ich denjenigen Forumsteilnehmern zu, die der jungen Dame bescheinigen, hier um den heißen Brei zu reden. Die AfD mag im Hinblick auf Antisemitismus "nicht ganz koscher" sein. Man beachte aber zum Beispiel Alexander Gaulands Bundestagsrede zum Geburtstag Israels und viele ähnliche Äußerungen aus dieser Partei. Die Interviewte sollte sich auch einmal mit den Positionen anderer heutiger Rechtsintellektueller befassen, die oftmals eine dezidiert proisraelische Haltung haben. Alles nur Show? Ich glaube nicht.

Tomas Poth | Di., 26. Juni 2018 - 14:01

dieser Satz, dann aber die Sonderstellung der Juden
- (durch Polizei bewachte jüdische Einrichtungen),
- die ständige Beobachtung (alle im Blick haben) was sie sagen und insistieren bzgl. der Gedenkkultur (erklärbar aus dem Ereignis der Shoa),
- das auserwählte Volk Gottes, mit dem sie einen Vertrag haben laut Thora,
dieses Traumbild nicht merkwürdig sein zu wollen, läßt mich fragen, ob die Dame mal darüber nachgedacht hat, wie die Juden dazu beitragen können nicht so zu erscheinen.
An der Uni Hamburg, anläßlich einer Vorlesung Deutsch-Jüdische Geschichte, sagte mir eine Vertreterin der jüdischen Gemeinde, dass die aus Russland nach Deutschland eingewanderten Spätaussiedler jüdischer Abstammung sich zuerst als Russen denn als Juden sehen. Wie sehen sich Juden mit deutscher Staatsbürgerschaft heute? Sehen sie sich als Deutsche jüdischer Abstammung oder als Juden, das Volk Gottes, mit fremder Staatsbürgerschaft?

Helmut Bachmann | Di., 26. Juni 2018 - 14:04

Wie kann man zu diesem Thema ein Interview führen, ohne über muslimischen Antisemitismus zu reden?
Ungläubiges Staunen, ich bin fassungslos.

Torsten Ulrich | Di., 26. Juni 2018 - 14:46

Leider rief dieser Beitrag bei mir nur Kopfschütteln hervor. Empfehle, als schwuler Atheist, der jungen dreiundzwanzigjährigen Dame das Klavierkonzert Nr.1 G-Moll Op.25 / 3.Satz von Felix Mendelssohn. Das entspannt und macht glücklich.

Heidemarie Heim | Di., 26. Juni 2018 - 17:15

Gerade als an der jüdischen Kultur Interessierte, freute ich mich beim Lesen des Titels auf einen Beitrag, der zu einem lebhaft sachlichen Diskurs anregen würde. Statt dessen werde ich im Großteil des Artikels als AfD-Wählerin in Haftung genommen. Im Lichte des oben Gesagten sind meine Besuche der Synagogen in den von mir bereisten Städten infolgedessen also als rein heuchlerisch zu werten. Wohl ebenso meine Gespräche mit zufällig anwesenden Juden, bei denen dergestalt keinerlei Berührungsängste aufkamen. Auch mit den Sicherheitskräften kam ich immer gut ins Gespräch was ihre heikle Aufgabe betraf. Oft Einheimische, die wenn etwas älter, über tolle Infos über die Entwicklung des jeweiligen Stadtteils und ihrer Bewohner verfügten. Wirklich schade, das diese persönlich wertvollen Eindrücke dadurch eine Minderung erfahren "sollen" weil ich ins Feindbild der jungen Dame oben passe aufgrund schon manifestierter Voreingenommenheit. Wo ist mein
"Normal" geblieben? MfG

Mathias Trostdorf | Mi., 27. Juni 2018 - 13:40

Antwort auf von Heidemarie Heim

Tja, auch moralisch bessere Menschen haben ihre Feindbilder.
Ich kann mich noch an einen Artikel aus dem Berliner Stadtmagazin tip erinnern, müßte schon so Jahre 2010 gewesen sein, in dem ein Interview mit einem Berliner Rabbi oder Oberrabbi(?) war, der damals tatsächlich schon unzensiert sowas sagen durfte wie: Mit Rechten hatte ich bisher noch keine Probleme, aber meine Kinder oder ich werden im Schnitt zweimal die Woche von arabisch aussehenden Leuten beleidigt.
Es wäre mal spannend, die Interviewte zu befragen, warum sie dieses Thema ausläßt. Möglicherweise ist das ein ähnliches Phänomen wie bei den Feminist*lnnen, die nach den Silvesterereignissen von Köln zwar kein Mitleid mit den belästigten Frauen hatten, denen es aber wichtig war, vorm Dom zu bekunden, daß diese Vorfälle keinesfalls von den "Rechten" instrumentalisiert werden dürften.
Ich würde so eine Haltung gern verstehn. Es gelingt mir aber nicht.

In der USA war es lange so, dass Juden und Demokraten politisch zusammen arbeiteten. Ich vermute das dies der historische Hintergrund dieser politischen Ausrichtung ist. Das ist ähnlich wie bei den christlichen Kirchen hierzulande, die ja das selbe politische Profil haben. Als praktischen Grund könnte ich mir vorstellen, dass ein fester politischer Standpunkt nach Außen die potentiellen Konflikte im Inneren reduziert. Auffallend ist nämlich, dass sie sich politisch nicht verorten, also alles von links bis rechts abdecken. Hinzu kommt bei Juden noch die religiöse Ausrichtung, die von liberal über traditionell bis zu orthodox reicht, wobei es da auch wieder mehr oder weniger starke Spannungen in den jeweiligen Lagern gibt. Meiner Meinung nach ist das orthodoxe Lager das interessanteste und auch das unbekannteste. So weit ich das weiß ist wird das durch verschiedene Lehrer geprägt, also man ist Anhänger von Rabi Soundso. Bei den Christen ist das konservative Opus Dei etwas ähnlichiches.