Sergio Mattarella
Der italienische Präsident Sergio Mattarella verhinderte Paolo Savona als Wirtschaftsminister / picture alliance

Sergio Mattarella - Der Garant

Italiens Präsident Sergio Mattarella verhinderte Paolo Savona als Wirtschaftsminister und somit die Koalition zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega. Deswegen fordern jetzt viele seinen Rücktritt. Doch das Land sollte froh sein, jemanden wie Mattarella an der Spitze zu haben

Matteo Scotto

Autoreninfo

Matteo Scotto ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutsch-Italienischen Zentrums für Europäische Exzellenz Villa Vigoni.

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„Doch ist immer wieder das Volck die Base worauf das alles steht. Das Ganze machts, nicht das einzelne.“ Diese Zeilen notiert Johann Wolfgang von Goethe nach einem Theaterbesuch in Venedig im September 1786. Diese Erkenntnis hilft gerade in diesen Tagen, um das politische Drama zu verstehen, das Italien momentan durchlebt. Schon damals wären die Zuschauer auf ihre Weise Schauspieler geworden, sagt Goethe, und so sei die Menge vollständig mit der Darbietung verschmolzen. Überrascht sah Goethe, dass die Italiener das Theater nur deswegen besuchten, um sich selbst darin wiederzufinden, um sich in der Fiktion einer Maske oder eines Kostüms zu spiegeln, und letztlich auch, um laut zu rufen, zu applaudieren und über das eigene Leben zu lachen. 

In Italien glauben die Wähler im Zeitalter der omnipräsenten Kommunikation – die bloßes Schauspiel ist –, sie seien alleinige Machtinhaber und zugleich alleinige Richter. Zu Goethes Zeiten versetzten sich die Zuschauer in die Schauspieler hinein, so dass eine ununterscheidbare Einheit entstand, welche dem Theater erst Leben einhauchte. Heute identifizieren sich auf diese Weise die Wähler mit den Gewählten, und das im Zeichen einer Demokratie, in der sie keine Vermittler mehr wollen. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) wird geführt von Luigi di Maio; die Lega von Matteo Salvini: Diese Beiden haben es mit geschickter populistischer Rhetorik geschafft, alle Institutionen der Demokratie in den Köpfen ihrer Wähler zu löschen. Der durchschnittliche Lega- oder M5S-Wähler wiederholt wie ein Mantra: Ich, Bürger, bin der Einzige, der das Recht besitzt zu entscheiden, zu kontrollieren und zu urteilen. 

Kein Präzedenzfall

Diese politische Grundbotschaft des „Movimento“ und der Lega erlebte ihren Höhepunkt am vergangenem Sonntagabend, als Staatspräsident Sergio Mattarella die Nominierung von Paolo Savona als Wirtschafts- und Finanzminister ablehnte. Gemäß Artikel 92 der italienischen Verfassung steht es dem Staatspräsidenten zu, Minister auf Vorschlag des mit der Regierungsbildung beauftragten Ministerpräsidenten zu ernennen. Das Staatsoberhaupt ist nach dem Willen der Väter und Mütter der Italienischen Verfassung mit wichtigen Machtfunktionen betraut. Diese sollen das allgemeine Interesse der Gemeinschaft schützen, inklusive der Interessen von Minderheiten und schlimmstenfalls auch gegen gewählte Volksvertreter.

Mit anderen Worten: Der Staatspräsident ist Garant und Verteidiger der Verfassung und ihrer Prinzipien und muss darauf achten, dass die demokratische Praxis die konstitutionellen Regeln einhält. Als zum Beispiel Silvio Berlusconi 1994 erstmals die Parlamentswahlen gewann, wies der damalige Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro die Nominierung Cesare Previtis zum Justizminister zurück. Previti war Berlusconis Anwalt und hat im Wahlkampf offen Stellung gegen die Staatsanwaltschaft bezogen.

Savonas verfassungswidrige Ideen

Paolo Savona, der Wirtschaftsminister werden sollte, hatte sich zuvor als Wirtschaftsexperte und Industrieminister der Regierung von Carlo Azeglio Ciampi (1993-94) einen Namen gemacht. In seinen Schriften hat er immer wieder Italiens Austritt aus dem Euro befürwortet. Er hat eine Theorie entwickelt, wie die italienische Regierung zur alten Währung zurückkehren könnte. Es ist schwer vorstellbar, dass ein gestandener Mann von 82 Jahren wie er ausgerechnet dann seine Meinung ändert, wenn er vom designierten Ministerpräsidenten mit dem Amt des Wirtschaftsministers betraut wird. 

Der Austritt Italiens aus dem Euro und die Drohung, die Beschränkungen des Spar- und Staatshaushaltes nicht zu mehr zu berücksichtigen, würden mindestens vier Artikel der italienischen Verfassung verletzen. Und zwar die Artikel 11, 47, 81 und 117. Der Artikel 11 verankert die Zugehörigkeit Italiens zur europäischen Staatengemeinschaft und stimmt Einschränkungen der nationalen Souveränität ausdrücklich zu, „sofern sie für eine Rechtsordnung nötig sind, die den Frieden und die Gerechtigkeit unter den Völkern gewährleistet“. Es wirkt surreal, nun eine Amtsenthebung des Staatspräsidenten herbei zu schreien, wie es die Fünf-Sterne-Bewegung tut. Sie beruft sich auf Verfassungsartikel 90, der eine Amtsenthebung des Präsidenten im Falle von Hochverrat oder eines Angriffs auf die Verfassung vorsieht. 

Theater ist Theater, und Politik ist Politik

Denn das Gegenteil hat sich ereignet: Sergio Mattarella hat die Verfassung verteidigt und die Souveränität des italienischen Volkes geschützt. Jenes Volk, das vor genau 70 Jahren explizit einer Verfassung zugestimmt hat, die Italien unauflösbar an den internationalen Kontext bindet. Dieser hat sich dann konkret vor allem in der EU entfaltet. Italien ist eine repräsentative Demokratie, und zum Glück hat das Land eine entsprechende Verfassung. Und zum Glück hat Italien jemanden, der diese Verfassung garantiert und bereit ist, sie gegen Umsturzversuche zu verteidigen.   

In dem ressentimentgeladenen, aufgeheizten Klima, das zurzeit in Italien herrscht, ist es ein Spiel mit dem Feuer, die öffentliche Meinung mit unterkomplexen, falschen, aggressiven Botschaften zu manipulieren. Und das ausgerechnet in einer politischen Kultur, die seit jeher empfänglich für populistische Tendenzen ist. Der heutige Populismus will, dass die Italiener glauben, die direkte Demokratie sei das Allheilmittel ihrer – gerade für die junge Generation ja leider sehr realen – Miseren. Keine Mediation und Repräsentanz mehr, nur noch reine Identität ist geblieben. Aber Theater ist Theater, und Politik ist Politik: Zwei Welten, die in Italien besser ein bisschen weniger vermischt werden sollten. 

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istvan polgar | Di., 29. Mai 2018 - 16:52

Garant?IWF

wolfgang spremberg | Di., 29. Mai 2018 - 16:56

steht in Italien also eine einzelne Person, der Präsident, über dem Willen der gewählten Volksvertreter ? Gibt es in Italien kein Verfassungsgericht das man anrufen kann, wenn die Regierung gegen die Verfassung verstößt ? Besser : in der Zukunft eventuell gegen die Verfassung verstößt ?
Das entscheidet eine einzelne Person ? Der Präsident ?
Ist das demokratisch ?

Robert Flag | Mi., 30. Mai 2018 - 12:40

Antwort auf von wolfgang spremberg

Fazit: Auch in Italien zählt der Wählerwille wenig.

Yvonne Walden | Di., 29. Mai 2018 - 17:01

Auch ein italienischer Staatspräsident darf sich nicht zum Ober-Regierungschef aufschwingen.
Im Gegenteil: Er sollte jedwede Neutralität walten lassen.
Wenn das Staatsvolk eine bestimmte Regierung bzw. Regierungskoalition ans Ruder bringen möchte, ist und bleibt dies Sache der Wählerinnen und Wähler. Eine Bevormundung durch den Staatspräsidenten darf es jedenfalls nicht geben.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 29. Mai 2018 - 17:21

politisch-kulturell sehr hoch stehender Artikel oder kulturell-politisch, er passt jedenfalls ausgezeichnet in die Gedankenwelt des Cicero.
Es ist schon länger her, dass die Christdemokraten verschwanden, jetzt sind die "Sozialdemokraten" dezimiert und es scheint eine politische Kultur, nämlich die der verfassten parlamentarischen Demokratie zu schwinden.
Es bewegt sich oder es wird Theater gespielt, evtl. sogar in der Politik.
Der Staatspräsident hat sich dagegen gestemmt, aber es braucht auch Politiker, die die verfasste Demokratie auch durch die Lösung von Problemen glaubhaft werden lassen.
Irgendwohin müssen doch diese ehemaligen Christdemokraten verschwunden sein.
Die "Sozialdemokraten" wären nun mal meine Wahl.
Was sagt denn Renzi?

Sepp Kneip | Di., 29. Mai 2018 - 17:23

"In seinen Schriften hat er immer wieder Italiens Austritt aus dem Euro befürwortet. Er hat eine Theorie entwickelt, wie die italienische Regierung zur alten Währung zurückkehren könnte."
Hätte Italien das gemacht, würde es jetzt besser da stehen. Savona scheint Realist zu sein. Mattarella sowie das gesamte Euro-Establishment nicht. Italien schlittert, so lange es im Euro ist, sehenden Auges in den Abgrund und reißt ob seiner Größe ganz Euro-Land mit sich. Diese Gefahr wird in der Blindheit der EU-Phantasten nicht gesehen.

Lieber folgt man dem Trtaumtänzer Macron, der mit seinen Vorschlägen aus dem Wolkenkucksheim das europäische Haus erst recht zum Einstürzen bringen wird. Die Architektur, die von den Gründern der europäischen Einigung auf solidem Fundament errichtet wurde, ist durch den Euro, den man als Dach auf einen unfertigern Unterbau setzte, zerstört worden. Dies von Grund auf zu korrigieren, wäre wichtiger als die Flickschusterei mit den Euro-"Rettungs"-Versuchen.

würden die Italiener mit diesem-auch gerne für die ewig besserwisserischen Deutschen-zugeschnittenen Sprichwort jetzt rufen.Kümmert euch um euren eigenen
Dreck.Ich weiß es ist eine Unverschämtheit,das in diesem Europa noch die Ungarn wählen,die Griechen und die Italianos.Was erdreisten Italien,wir Germanen wissen was gut ist.Und wenn wir buckeln und sparen und mit 65 in die Kiste fallen ,dann haben das-gefälligst-alle anderen auch so zu machen.Das Gute ist,sie pfeifen uns einen.Vermutlich machen wir deshalb auch alle so gerne Urlaub dort,wo eben nicht gespart wird,sondern auch gelebt.PS:Ich liebe Italien.

Alfred Kastner | Di., 29. Mai 2018 - 17:30

Italien sollte mit Kritik an anderen Ländern zurückhaltend sein. Während sich Staaten wie Spanien und Griechenland zunehmend „Fleißkärtchen“ verdienen, haben die Italiener ihre haushaltspolitischen Hausaufgaben trotz in den vergangenen Jahren günstiger Rahmenbedingungen nicht erledigt. Die Staatsverschuldung Italiens hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch deutlich erhöht. Von Italien kommend ziehen tiefschwarze Wolken über die EU herein. Es droht ein schweres Unwetter. Würde eine neue Regierung die Ankündigung des Austritts aus der Eurozone umsetzen, war die Eurokrise I lediglich ein winziger Vorgeschmack dessen, was die Mitgliedsstaaten danach erwartet. Italien gehört weltweit zu den Ländern mit der höchsten Staatsverschuldung. Die Luft in der Eurozone ist derzeit zum „Schneiden“. Ich fürchte allerdings, auch nach einem schweren Gewitter würde sie nicht klarer werden. Dafür würden die Aufräumarbeiten aufgrund der verheerenden Schäden sehr lange dauern.

Michael Ludwig | Di., 29. Mai 2018 - 20:49

Antwort auf von Alfred Kastner

10 Jahre hat Italien kaum einen Handschlag gemacht um seine Situation
zu verbessern-Dank Dragi. Wer seine 7 Sinne noch einigermaßen gebrauchen
kann weiß, dass kurz und mittelfristig sich nichts, aber auch gar nichts ändern wird.
Wer Herr Kastner, soll denn bitteschön die Party bezahlen? Fällt da Ihnen spontan
jemand ein? Die Dimension ist nicht mehr finanzierbar. Wer das nicht begreift ist
ein hoffnungsloser Träumer. Weitermachen heißt, die letzten Vermögenswerte die wir hier bei uns noch haben, in den Süden zu überweisen. Reichen die rund 2,5-3 Billionen uneinbringliche Forderungen gegen die EURO-Zone noch nicht. Das der große Knall kommt, weiß jeder, der selbst minimales Wissen in VWL hat. Jetzt würde uns etwa die Hälfte persönlich von unseren Vermögenswerten bleiben, der Rest ist real schon im Süden. Noch ein paar Jahre weiter, wie viel bleibt dann noch auf Ihrem Konto nach der Stunde 0 ?

Reiner Kraa | Di., 29. Mai 2018 - 21:14

Antwort auf von Alfred Kastner

Die kriegen von dem Draghi das, was sie brauchen. Irgendwo müssen dessen monatliche Druckmilliarden ja bleiben. Wenn der aufhörte zu drucken, sähe es dort anders aus.

Michaela Diederichs | Mi., 30. Mai 2018 - 00:34

Antwort auf von Alfred Kastner

Es droht ein schweres Unwetter und irgendwie wartet man auch darauf. Es erinnert ein wenig an die derzeitige Wetterlage: völlig überhitzt, punktuell schwere Unwetter, aber keine Abkühlung in Sicht. Die Luft ist tatsächlich zum Schneiden in jeder Hinsicht - vor allem in der EU. Der große Knall - so scheint mir - ist unabwendbar. Die Kräfte streben gewaltsam und unaufhaltsam auseinander.

Heinrich Jäger | Di., 29. Mai 2018 - 18:04

hat mit der Verhinderung von Savona nur wieder ein bisschen Zeit geschunden wie schon so oft. Aber den Zerfall der EU und des Euro in der jetzigen Form wird er damit nicht aufhalten das ist sicher und alle wissen das.

Robert Müller | Di., 29. Mai 2018 - 18:44

So wie ich das verstehe, moniert der Staatspräsident nicht einen möglichen Euro-Austritt, sondern das dieser im Wahlkampf von den beiden Parteien nicht zum Thema gemacht wurde. Wenn die beiden Parteien das so wollen und die Wähler wählen die beiden daraufhin, dann finde ich das OK. Natürlich ist ein Euro-Austritt Italiens nicht einfach, aber wenn Italien ohne regelmäßige Währungsabwertungen nicht leben kann, dann ist das der richtige Weg. Im übrigen wird jetzt interessant wie die EZB reagieren wird. Weiterhin IT-Staatsanleihen kaufen oder das aussetzen? Bei Griechenland wurde das so gemacht. Mario Draghi hat uns alle da hinein manövriert. Ist im übrigen auch ein Argument gegen Macrons Vorschläge immer mehr Dinge auf EU-Ebene zu zentralisieren. Wenn man das macht und irgendwo leckt es, dann geht die ganze EU unter und nicht nur ein Land. Bei Schiffen baut man deshalb Schotte ein, in der EU baut man hingegen eine neue Titanic.

Walter Meiering | Mi., 30. Mai 2018 - 11:20

Antwort auf von Robert Müller

Ich habe diese Begründung auch schon gehört. Aber ist sie wirklich stichhaltig? Ist es wirklich Aufgabe des Staatsoberhauptes, darüber zu wachen, ob Wahlaussagen der Parteien auch eingehalten werden?

Nach dieser 'Logik' hätte es die 'Große Koalition' in Berlin nie geben dürfen. Herr Steinmeier hätte sich weigern müssen, die SPD-Politiker als Minister zu ernennen, da die Partei vor der Wahl klar bekundet hatte, in keine GroKo mehr zu gehen.

Marc ten Busch | Di., 29. Mai 2018 - 20:14

Berührt der Artikel nicht auch das Thema Volksentscheide? Und wenn ja, warum dann nicht explizit? Möglicherweise bliebe in Italien weniger Raum für Populismus, wenn auch dort Bürger in wesentlichen Dingen mitreden dürften, wie in der Schweiz? Gehört der Autor auch zu den Menschen, die eine repräsentative Demokratie den direkten vorziehen? Jedoch beruht eine solche doch wohl darauf, dass sich die Bürger in einer solchen auch tatsächlich durch diese repräsentiert fühlen? Und wenn nicht, dann wollen sie das durchsetzen, z.B. beim Thema EURO...

Fritz Gessler | Di., 29. Mai 2018 - 20:16

der diktatur von MAFIA & EU-banksters. matarella sollte zurücktreten.
die zukunft italiens gehört bewegungen wie cinque stelle - ob es brüssel oder berlin passr oder nicht.

Dimitri Gales | Di., 29. Mai 2018 - 20:38

Man muss sich fragen, ob die Finanzmärkte und Europa-Brüssel den Wahlausgang entscheiden oder das Volk. Die Tat Mattarellas war antidemokratisch. Erkauft wird sich dadurch nur ein wenig Zeit.
Das sich in Italien zuspitzende Problem ist doch immer dasselbe: das Dogma der Austerität im Rahmen der Eurorettung und zur Beruhigung der Finanzmärkte kann das Land immer weniger verkraften. Der Euro mag eine geeignete Kunstwährung für Deutschland, die Benelux-Staaten und Österreich sein, für Länder südlich der Alpen wohl kaum - er ist eher eine Art "monetäre Zwangsjacke". Und aus der möchten viele Italiener aussteigen, um zu einer Währung zurückzukehren, die ihren wirtschaftlichen Realitäten Rechnung trägt. Aber das passt natürlich nicht den plutokratischen Kräften in Europa.

Dennis Staudmann | Di., 29. Mai 2018 - 20:39

Zitat: "In Italien glauben die Wähler im Zeitalter der omnipräsenten Kommunikation – die bloßes Schauspiel ist –, sie seien alleinige Machtinhaber und zugleich alleinige Richter." Demokratie heisst Volksherrschaft. Das Volk wählt die Regierung und diese Entscheidung des Volkes ist zu akzeptieren. Sollte eine Partei oder ein Mitglied der Regierung sich verfassungswidrig verhalten, kann dagegen vor dem Verfassungsgericht, welches auch in Italien existiert, geklagt werden. Nicht das Volk glaubt alleiniger Machthaber und Richter zu sein, sondern der Präsident Italiens. Sollte in Deutschland eine Partei die Wahlen gewinnen, von der der Bundespräsident findet, sie sei verfassungswidrig, würde das wohl bedeuten, dass er sich weigert, diese nicht zu vereidigen. Allerdings ist kein Bundespräsident politisch neutral, auch wenn er es sein sollte. Was der Autor hier bejubelt, ist nichts weiter als ein Anschlag auf die Demokratie.

Uwe Wagner | Di., 29. Mai 2018 - 21:13

Wenn ich den Artikel 92 der italienischen Verfassung lese steht da: "Der Präsident der Republik ernennt den Präsidenten des Ministerrates und auf dessen Vorschlag die Minister." Von einem Vetorecht ist da keine Rede und der Verweis auf die anderen Artikel begründet meiner Ansicht nach kein Recht einen Minister abzulehnen.

Heinrich Niklaus | Di., 29. Mai 2018 - 21:33

Herrn Scotto ist völlig zuzustimmen! Wo kämen wir denn hin, wenn demokratisch gewählte Politiker mit Obrigkeits-widrigen Ideen, die sie im Wahlkampf zwar angekündigt haben, Politik machen wollen.
Das Prinzip, das Wahlversprechen auch einzuhalten sind, gilt nur in den USA, nicht in Europa. Hier gilt: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“.
Der Oberkommissar Oettinger von der EU hat ebenfalls völlig zu Recht darauf verwiesen, dass nur eine marktkonforme Politik möglich ist. Woher er das weiß? Von der Kanzlerin!
Die Italiener sind wohl von allen guten Geistern verlassen, den heiligen Gral der Eurozone, den heiligen EURO, in Frage zu stellen.
Zur Strafe für die Italiener gibt’s jetzt eine Techno-Regierung unter Führung durch den IWF.

Thomas Diebels | Di., 29. Mai 2018 - 22:15

Äußerung zu Italien sorgt dafür, dass sich immer mehr Bürger von "dieser" EU abwenden !

Wolfgang Raub | Di., 29. Mai 2018 - 23:06

Toll, der Präsident weiß, was gut ist für sein Land. Wahrscheinlich weiß er auch, was die beste Regierung für dieses Land wäre. Vielleicht kommt er demnächst mit einem Zettel in der Hand und sagt, wir brauchen keine Wahlen, ich habe die richtige Regierung schon ausgeguckt. Wäre das soviel anders als seine jetzige Entscheidung für ein Veto? Nur mal so zum Nachprüfen: Ich habe gehört, er dürfe nur Personen ablehnen, die kriminell sind, aber keine politisch unliebsamen Personen - damit hätte er sein Mandat wirklich überschritten.

Jens Winkelmann | Di., 29. Mai 2018 - 23:29

Früher stand ich neutral zum Euro, heute komme ich immer mehr zur Überzeugung das der Euro ein Fehler war. Wie lange kann Herr Mattarella die Populisten von links und rechts noch aufhalten?
Der gut gemeinte Euro spaltet Europa. Die europäischen Länder und ihre Kulturen sind zu unterschiedlich. Länder wie Griechenland und Italien müssen mit eigener Währung für ihre eigene Wirtschaftspolitik gerade stehen. Europäische Zusammenarbeit und Hilfe für bestimmte Projekte sind sinnvoll und wünschenswert. Alles was darüber hinaus geht hetzt die Länder nur gegeneinander auf.

Jürgen Winzig | Mi., 30. Mai 2018 - 00:09

Nun bin ich ja kein italienischer Verfassungsjurist. Nur, wenn ich mir den Artikel 92 Satz 2 dieser Verfassung durchlese (die gibt's auch in unserer Sprache)steht da: " Der Präsident ernennt den Ministerpräsidenten und auf dessen (!) Vorschlag(!) die Minister." Der Präsident kann also eigentlich bestenfalls den Ministerpräsidenten ablehnen, aber keinen Minister.
Wäre nett, wenn der Verfasser uns aufklären würde, auf welcher rechtlichen Grundlage das Handeln des "Garanten der italienischen Verfassung" beruht? Kann ja sein, dass in irgendeinem Verfassungskommentar etwas anderes steht als der Wortlaut der Buchstaben des Artikel 92 hergibt. Falls dies nicht der Fall ist, scheint mir das eher ein coup dètat von oben und aus Brüssel zu sein.....

Markus Michaelis | Mi., 30. Mai 2018 - 02:15

Ich stimme überein, dass direkte Demokratie große Gefahren hat. Unsere Demokratie ist ein System aus Checks&Balances, in denen die direkte Demokratie ein Element ist.

Dem Loblied auf die Verfassung und die EU-Einbindung kann ich aber nicht ganz folgen. Auch eine Verfassung ist nur ein Baustein, sie braucht Interpretation und Anpassung. Ich glaube es ist wichtig zu sehen, dass mehrere Pfeiler unserer Demokratie wanken, wofür der Populismus ein Zeichen, auch ein Beschleuniger, aber nicht die Ursache ist.

Ich glaube auch nicht an die eine Ursache. Eine Gemeinschaft wie eine Nation oder die EU beruht auf sich überlappenden Netzen von verschiedensten Werten und dem Vertrauen, dass diese gelten. Davon ist zuviel in's Wanken geraten. Es gibt jetzt viele mögliche Wege, aber alle gangbaren werden mit alten Ideen, Institutionen etc. zum Teil brechen müssen. Wenn wir uns nur auf den Populismus konzentrieren wird der Bruch nur größer.

Michael Sauer | Mi., 30. Mai 2018 - 03:04

Artikel 92 der italienischen Verfassung in der offiziellen deutschen Fassung für Südtirol lautet fast genau so wie Artikel 64 des Grundgesetzes. Da hat auch noch niemand ein Vetorecht abgeleitet. Auch die Beauftragung mit der Regierungsbildung steht meines Wissens nicht drin. Es handelt sich also um ein verfassungsrechtlich formal nicht abgesichertes Gewohnheitsrecht. Wenn in der Vergangenheit der Präsident einen Minister nicht wollte, wurde gekungelt. Man kannte und mochte sich. Jetzt profilieren die neuen Akteure sich durch genau diese Verweigerung des von ihnen für Mauscheln gehaltenen gegenseitigen Ausgleichs. Der linkskatholik Mattarella hat also wahrscheinlich seinen Zielen einen Bärendienst erwiesen. Wir werden sehen, was die Neuwahlen bringen. Zur Beruhigung ist jedenfalls kein Anlass.

Michael Sauer | Mi., 30. Mai 2018 - 03:22

Immerhin hat Paolo Savona deutlich mehr wirtschaftlichen und finanzpolitischen Sachverstand und weitreichende Erfahrung als unsere Minister Altmeyer und Scholz zusammen. Vielleicht ist er so "gefährlich", weil er mit 82 hemmungslos die Wahrheit oder das was er dafür hält, sagen kann. Inwieweit der Wunsch die Währungsunion zu verlassen gegen Artikel 11 verstößt, der sich um Kriegsvermeidung dreht, erschließt sich mir nicht. Lesen hilft: italienische Verfassung googeln und nachlesen. Gibt's auf deutsch wegen Südtirol. Da sieht man auch, wie oft in den letzten 70 Jahren etwas geändert wurde.

Renate Brunner | Mi., 30. Mai 2018 - 06:19

Vielleicht haben Sie, Herr Scotto mit Ihrer Einschätzung der Lage in Italien recht.
Es scheint mir immer vernünftig zu sein, in solchen
wichtigen und weittragenden politischen Entscheidungen auch andere "Stimmen" zu lesen.
Und es wird ja nie offiziell bekannt, wie weit Brüssel und auch die EZB (in deren Interesse) sich einmischt, ob und und in welchem Ausmaß, wer weiß das schon.....

Mario Cosimo Urgese | Mi., 30. Mai 2018 - 06:23

In Italien wird der Staatspräsident von 1010 Stimmberechtigten gewählt. Diese setzen sich aus 630 Abgeordneten, 322 Senatoren - darunter sieben Senatoren auf Lebenszeit - und 58 Abgeordneten der Regionen zusammen.

Das heißt, dass der Staatspräsident noch wesentlich von der Vorgängerregierung gewählt wurde und damit indirekt Parteigänger dieser Vorgängerregierung ist.

Das macht jeden Regierungswechsel, an dem für die Vorgängerregierung unliebsame Parteien beteiligt sind, schwer bis unmöglich, weil dieser Staatspräsident sich diesen entgegenstellen wird - aus nachvollziehbaren Gründen und wie wir es hier sehen.

Dies war keine objektive Entscheidung, die das Gemeinwohl Italiens im Blick hatte, es war eine Entscheidung, die einen EU- und Eurokritiker verhindern sollte, zum Vorteil der EUrokraten und der Eurozone.

Es würde mich nicht wundern, wenn Leute wie Juncker oder sogar Frau Merkel da interveniert hätten. Na ja, Frau Merkel nicht selber, die lässt ja lieber machen!

Volkmar du Puits | Mi., 30. Mai 2018 - 08:04

"unterkomplex" entlarvt den Schreiber. Nur er und sein Präsident haben die komplexen Antworten.

Ralph Lewenhardt | Mi., 30. Mai 2018 - 09:15

Die EU braucht ein neues, völlig eigenständiges demokratisches Grundgerüst. Die marode Parteiendemokratie in den EU-Ländern ist genau so wenig eine Basis, wie das Parteien-EU-Parlament mit seiner demokratischen Pseudofunktion.

Hendrik Tongers | Mi., 30. Mai 2018 - 09:35

"Matteo Scotto ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutsch-Italienischen Zentrums für Europäische Exzellenz Villa Vigoni."
Zu dem Herren passt ein Zitat des scharfsinnigen Journalisten Henry Louis Mencken (1880-1956) : „Das ganze Ziel praktischer Politik besteht darin, die breite Masse ständig in Verängstigung zu halten – damit sie anschließend lautstark in Sicherheit geführt werden kann – dazu wird ihr mit einer endlosen Serie von Kobolden gedroht, alle eingebildet.“

Christoph Rist | Mi., 30. Mai 2018 - 09:53

Mattarella hat also gegenüber 60 Millionen Italienern bzw. mindestens ggü. der Italienischen Wählerschaft eine Garantenstellung, die den dokumentierten Volkswillen zur Regierungsbildung behindert. Wow! Ich kann aus Art. 92 der italienischen Verfassung nichts dergleichen herauslesen. Neben anderen Kuriositäten wie Senatoren auf Lebenszeit enthält die italienische Verfassung in Art. 89 übrigens eine interessante Formulierung, die den Präsidenten von sämtlicher Verantwortung von seinen Amtshandlungen (ausgenommen Hochverrat und "Anschlag auf die Verfassung") freistellt. Generalamnestie qua Amt. Genial! Da guckt selbst Frau Merkel neidisch drein. Wie dem auch sei - nun kann man sich durchaus fragen, wie es Lega und Movimento tun, ob die Verweigerung der Ministerernennung so ein "Anschlag" ist. Ausschließen kann man das nach dem Sachverhalt nicht. Das müssen die Italiener unter sich ausmachen. Traurig ist, wie unvorbereitet unsere eigenen Spitzenpolitiker sind und die Presse hier berichtet.

Jan Grünfeld | Mi., 30. Mai 2018 - 10:08

Die junge EU-Elite (die Nation ist doch hier ganz egal) zeigt wie sie denkt: der fürsorgliche europäische Superstaat wird durch wenige older statesmen repräsentiert, die vernunftgeleitete Entscheidungen treffen. Die neuen politischen Strömungen in den jeweiligen föderalen Gebieten der EU (Italien, Griechenland)werden als Populismus abgetan. Soll diese EU eigentlich noch irgendwie legitimiert werden? Oder bestimmen die "Märkte" plus "Eliten" aus den europäischen institiutionen, was gut und richtig ist?

Ingrid Dietz | Mi., 30. Mai 2018 - 14:18

Antwort auf von Jan Grünfeld

sollen wohl nur als Verbraucher und Handlanger der Multi-Konzerne benötigt werden !

Es lebe der Lobbyismus - die Politiker tanzen recht häufig nach deren Musik !

Heiner Hummel | Do., 31. Mai 2018 - 08:16

Antwort auf von Jan Grünfeld

Die Bezeichnung Populismus ist ein reines Diffamierungswort, erfunden vom mainstream.Denn niemand bezeichnet sich selbst als Populist. (Gleiches gilt übrigens auch für den Islamismus.Auch da bezeichnet sich keiner als Islamist.Sachgemäßer wäre orthodoxer Islam.). Populistisch ist im Grunde jeder. Da nennt ein CDU-Politiker das Nationalstaatsdenken als Schrebergartenpolitik, da nennt Frau Merkel Afrika so ganz liebevoll "unser Nachbarkontinent", da beginnt ein H.Prantl, SZ, seit Jahrzehnten seine Leitartikel mit Gleichnissen aller Art, was natürlich als "guter Populismus" sich vom Populismus abgrenzt.

Heinrich Niklaus | Mi., 30. Mai 2018 - 11:29

Lieber Matteo Scotto, ein Pyrrhussieg ist ein zu teuer erkaufter Erfolg. Im ursprünglichen Sinne geht der Sieger aus dem Konflikt ähnlich geschwächt hervor wie ein Besiegter und kann auf dem Sieg nicht aufbauen.
Herr Matatrella, die Finanziers dieser Welt und die EU-Euro-Magnaten mögen einen Sieg davongetragen zu haben. Aber der Sieg ist auf Kosten der Demokratie teuer erkauft und er wird nicht tragen.
Die Italiener haben nach einem Jahrzehnt Austeritäts-Politik, ohne Währungsanpassung wie früher mit der Lira, die Schn… voll von dem Spalter EURO. Sie werden um Neuwahlen nicht herumkommen. Und die Euro-Schwätzer, wie Oettinger, werden dazu beitragen, dass Italien sich von den Euro-Fesseln befreit.

Armin Latell | Mi., 30. Mai 2018 - 13:59

Also wird das Wahlergebnis nur anerkannt, wenn das Richtige dabei herausgekommen ist? Wobei in diesem Fall „das Richtige“ von einem einzelnen Menschen bestimmt wird? Demokratie - die Macht geht vom Volke aus? Scheint in Italien nicht so zu sein. Unauflösbarer Kontext? Was soll das? Nichts, was Menschen entscheiden, ist unwiderrufbar oder gar Naturgesetz. Gesetzt den Fall, alle Italiener wollten die EU verlassen und würden entsprechend wählen? Sollte das tatsächlich nicht möglich sein? In unserem Grundgesetz (De) steht, die Grenzen sind zu schützen und zu sichern, da ist es dann in Ordnung, wenn sich niemand daran hält? Alles ist Populismus, was den EU-Jüngern nicht in den Kram passt. Man kann es echt nicht mehr hören. Ja, Herr Scotto, zum Glück gibt es jemanden, den der Wählerwille nicht interessiert. Ist heutzutage scheinbar Standard, in Deutschland ist es ähnlich.

Gerhard Lenz | Mi., 30. Mai 2018 - 14:15

Die italienische Verfassung gibt dem Staatspräsidenten eine Bandbreite von Rechten, und innerhalb dieser hat er eine Entscheidung getroffen - die man respektieren muss. Es gibt keinen allgemeingültigen Katalog von Kriterien, der besagt, wann solches Handeln angezeigt ist, sondern auch einen gewissen Ermessensspielraum.
Richtig ist: Der italienische Präsident wurde nicht vom Volk gewählt, aber die angestrebte Koalitionsregierung eben auch nicht. Ob viele Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung mit der Koalition glücklich sind, darf bezweifelt werden; ein Großteil dürfte politisch eher links stehen.
Gleichwohl kann die rechtsextreme Lega bei Neuwahlen Zuwachs erwarten. Ob dann evtl. der Austritt aus Euro (und EU, was sicher eine Konsequenz wäre) den Italienern nutzt, wird oder würde sich zeigen.
An der kritischen Haltung zur EU ist sicher die Flüchtlingsfrage Schuld, in der Italien weitgehend im Stich gelassen wurde..

Heinrich Niklaus | Mi., 30. Mai 2018 - 16:37

Antwort auf von Gerhard Lenz

mich würde interessieren. Wie Sie darauf kommen, dass die angestrebte Koalitionsregierung zwischen 5-Sterne und Lega nicht vom Volk gewählt wurde.
Auch bitte ich Sie um Belege für die Einstufung der Lega als „rechtsextrem“. Laut Wiki ist sie „eine politische Partei in Italien“. Die Bundeszentrale Politische Bildung stuft die Partei als „rechtspopulistisch“ ein. http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/241034/die-lega-…

Michael Sauer | Mi., 30. Mai 2018 - 22:15

Antwort auf von Gerhard Lenz

Lieber Herr Lenz, bin natürlich kein Verfassungsrechtler, kann aber in den Artikeln 83 bis 92 der italienischen Verfassung keine Vetobefugnisse erkennen. Auch im Grundgesetz wird in Artikel 63 der Vorschlag des Bundespräsidenten erwähnt und bis jetzt kam keiner auf die Idee, das begründete ein Einspruchsrecht.

Andrea Fritz | Mi., 30. Mai 2018 - 15:06

Mattarella hält mit seiner Aktion den Lauf der europäischen Geschichte nicht auf, meiner Einschätzung nach verzögert er den Zerfall der EU lediglich. Der Euro lässt sich auf Dauer nicht halten, je weiter der Knall hinausgeschoben wird, desto einschneidender wird er.