Unterwanderungspläne existieren im Großen wie im Kleinen, etwa beim SPD-Ortsverein Boele-Kabel-Garenfeld im Ruhrpott / Daniel Stolle

Unterwanderung politischer Parteien - „Die wollten uns weghaben“

Politische Parteien tun fast alles, um den Mitgliederverfall zu stoppen. Aufgenommen wird deshalb praktisch jeder. Dabei läuft längst nicht nur die SPD Gefahr, unterwandert zu werden. Die Beispiele häufen sich

Autoreninfo

Christoph Wöhrle ist freier Journalist und lebt in Hamburg.

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Es sind leere Blicke über halb leeren Kaffeetassen. Die Heizung aufgedreht, ein paar Kekse auf dem Tisch, um den herum fünf Genossen sitzen. Es geht um ihren alten Ortsverein Boele-Kabel-Garenfeld. „Wir waren ’ne gute Truppe“, sagt einer. „Die wollten uns gezielt weghaben“, ein anderer. „Weil wir unbequem gewesen sind“, die einzige Frau am Tisch. Die SPD kommt nicht zur Ruhe – auch nicht an der Basis. Zum Beispiel in Hagen. Es gärt schon lange bei den Genossen vor Ort. Die Stadt in Westfalen hat fast 200 000 Einwohner, einen Anschluss ans ICE-Netz der Bahn und den zweithöchsten Migrantenanteil im Ruhrgebiet. In der jüngsten Vergangenheit wurde ein Ortsverein durch eine Flut neuer Eintritte übernommen. Man könnte sagen: wie von Piraten gekapert. Hagen ist überall.

Den Parteien rennen die Mitglieder davon. Seit der Wiedervereinigung leiden sie unter einem stetigen Mitgliederschwund. Die Statistik des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer besagt, dass die SPD in diesem Zeitraum 54 Prozent und die CDU 45 Prozent der Mitglieder verloren. Also gieren alle Parteien nach jedem Neueintritt. Aber wenn die Sache schiefgeht, werden sie die Leute nicht mehr los. Es gibt drei Muster des Phänomens: Mal treten Menschen ein, um ein politisches Lager zu stärken, mal um bestimmte Interessen durchzuboxen, mal um einen Postenklüngel zu veranstalten. Manche Eintritte können eine Partei Stück für Stück ruinieren. Am Ende steht die Unterwanderung. Wie eine feindliche Übernahme funktioniert, bewiesen die neuen Labour-Anhänger in Großbritannien. Vor der Urwahl zum Parteivorsitz im Herbst 2015 traten ungebremst viele Menschen ein. Der Anstieg der zur Abstimmung berechtigten Mitglieder seit der Wahlniederlage im Mai 2015 war erstaunlich: von 200 000 auf fast 450 000.

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Joachim Wittenbecher | Mi., 4. April 2018 - 13:30

Sehr guter Beitrag von Herrn Wöhrle. Solche Zustände können nur entstehen, wenn speziell die Ortsvereine der Parteien schon vor der Unterwanderung einen schleichenden Tod gestorben sind. Verlust an Mitgliedern, Resignation, Stammtischaura - alles durch Politik von oben nach unten. Diese Zustände laden zur feindlichen Übernahme ein. Es ist wichtig, dass ein wachsamer Journalismus diese Zustände an die Öffentlichkeit bringt, damit bekannt ist, wen man wirklich wählt. Direkte Abhilfe können nur die Parteien selbst treffen.

Zur feindlichen Übernahme : Wer möchte diese politischen Fragmente aus grauer Vorzeit übernehmen ? Wenn ich sehe was zu den Versammlungen der Parteien so alles in die örtliche Turnhalle schleicht, dagegen wirken die Teilnehmer einer Kaffeefahrt nahezu jung und dynamisch. Junge oder jüngere Leute Fehlanzeige oder Meinungen gegen die Parteilinie unerwünscht, da hocken sie bald alleine am Katzentisch.
Neue Leute und eventuell neue Parteien braucht das Land und nicht Genossen und die alten Kampflieder, wo man Hand in Hand dahin schreitet - und keine Ahnung hat wohin.

Markus Michaelis | Mi., 4. April 2018 - 13:42

Ich empfinde es so, dass das relativ homogene Deutschland der 90er mit einem allgemeinen guten Willen (der auch ein Ausdruck der relativen Homgenität war) Vergangenheit ist. Es ist nicht wahr, dass alle Menschen nur Individuen sind bzw. es ist nicht sinnvoll das als alleinige Maxime zu sehen. Menschen leben in Interessen- und Solidaritätsgruppen und die sind in Deutschland bunter und gegensätzlicher geworden. Eine zukunftsfähige Gesellschaft sollte sich darauf mehr einstellen.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 4. April 2018 - 14:05

aber ganz im Ernst, die Auseinandersetzungen zwischen Trotzkisten und Leninisten oder Stalinisten könnten doch wohl so etwas wie unterschiedliche Konzepte und Ziele bzw. Formen deren Umsetzung bedingt haben?
Aber des Rätsels Lösung kann doch wohl nicht lauten, dass wir Alten jetzt wieder verstärkt in die Parteien gehen.
Die Lösung muss in inhaltlicher Arbeit liegen und hoffentlich vielen politisch interessierten Jugendlichen.
Wir haben das doch auch gemacht.
Man sollte aber schon auf die Hilferufe regieren und Gespräche führen seitens übergeordneter Stellen. Gesinnungsschnüffelei soll es doch auch nicht werden und ausserdem, was glaubt Ihr, liebe Genossen, was die Eingeladenen machen irgendwann?
Vielleicht gehen sie in Parteien so, wie sie es kennen? Oder sie bilden irgendwann ihre eigenen Parteien.
Ich persönlich wollte jetzt stärker in meine Kirche.

Die werden sie vergeblich suchen. Wer gute Abschlüsse hat wird nicht die Ochsentour durch die Partei machen, ohne eigene Meinung, als Dauer-Klatscher auf Parteitagen, oder bei den "Sängerknaben" der SPD mit ihren 2 Liedern,die Internationale und diesen anderen Song - fällt mir nicht mehr ein.
Schau'n sie sich doch mal den Bundestag an !

Günter Fischer | Do., 5. April 2018 - 09:18

Offen gestanden, wundert mich diese "Eintrittswelle", wenn man mal von Kühnert´s Trommeln absieht.
Die Parteien tun doch alles, um ihre Mitglieder und Wähler zu verprellen.
Beispielhaft aktuell gerade die Islam/Deutschland-Debatte der CDU/CSU oder aber die HARTZ IV - Debatte SPD-intern.

Dabei kann einem Schlacht werden.

Am Meisten jedoch, dass der dumme deutsche Michel sich nicht davon abbringen lässt, immer wieder dieselben zu wählen, die damit lediglich ihren Machterhalt sichern wollen, anstatt ihren Aufgaben nachzugehen, zu denen sie wahlbedingt verpflichtet wären.

Das sage ich nicht als AfD- oder anderer Parteienfreund sondern als SED-gepflegter gelernter DDR-Bürger, der von Parteien gar nix mehr hält, besonders seit ich über 5 Jahre Schweizer Erfahrungen verfüge.

Wir sollten aufhören, über Deutsche als intelligentes Volk zu reden. Das zeigt nicht nur das oben beschriebene Handeln, sondern auch die vielen Geldverschwendungen von BER über Stuttgart 21 bis HH Opernhaus.

Alexander Mazurek | Fr., 6. April 2018 - 00:24

… ändern sich die Dinge. Die "gute alte Tante SPD", die letzte Bastion der Vernunft in deutschen Landen, wurde zum pervers-neoliberalen Instrument der Manipulation der gesellschaftlichen "Wirklichkeit" -in pursuit of happiness and prey- der Herren/Damen/Transgender-Investoren, was für ein tiefer (Ver-)Fall, nicht mehr aufzuhalten. RIP, SPD!

Walter Ranft | Fr., 6. April 2018 - 14:40

Gut zu wissen, wen wir wählen würden, wenn wir "die" wählen täten ...
Und gut zu wissen, worauf wir in Zukunft noch konzentrierter achten müssen: Auf die Akteure hinter den Firmenschildern der Parteien mit den harmlos bekannten Namen ...

Den Artikel bekommen alle meine Freunde.
Ein Aufklärungsgeschenk zur Osterzeit.