Sturm an der britischen Küste
Stürmische Zeiten für Europa: Beim Brexit geht es auch um die Sicherheit Europas / picture alliance

Artikel 50 - Brexitannia auf stürmischer See

Heute in einem Jahr soll Großbritannien die Europäische Union verlassen. Nun droht bei den Brexit-Verhandlungen ein Streit um das strategisch wichtige Satellitenprojekt Galileo. Auf Kosten der Sicherheit Europas, warnt der britische Brexitminister David Davis im Gespräch mit dem Cicero

Tessa Szyszkowitz

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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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David Davis schüttelt den Kopf, ohne sein Lächeln zu verlieren. Der britische Brexit-Minister wird das noch oft machen während dieses Gesprächs in seinem kargen Büro. „Ich verstehe ja, dass mitten in den Austritts-Verhandlungen viele Mitgliedstaaten betrübt sind“, sagt der grauhaarige Tory-Politiker freundlich. Dann kommt sein Ärger zum Vorschein: „Doch es wäre unklug, die britische Regierung aus jenen Programmen auszugrenzen, in denen wir nach dem Brexit bleiben wollen. Wir möchten nach dem Brexit gute globale Bürger und gute europäische Bürger sein“.

Vor genau einem Jahr hatte die britische Regierung den Artikel 50 der Europäischen Verträge ausgelöst und damit den zweijährigen Austrittsprozess aus der EU begonnen. Am 29. März 2019 um 23 Uhr wird Großbritannien, geht es nach dem Willen der konservativen Regierungschefin Theresa May, nach 44-jähriger Mitgliedschaft aus der Europäischen Union ausscheiden. Nach diesem Osterwochenende beginnt die harte Phase der Verhandlungen. Bis Spätherbst 2018 soll das Abkommen zwischen Großbritannien und der EU über den Austritt und die zukünftigen Beziehungen stehen. Darüber muss dann noch das britische Parlament abstimmen.

Die schwierigste Frage bleibt Nordirland

Deshalb ist eigentlich noch nichts fix. Theresa May hat in mehreren Reden nur klargestellt, dass das Vereinigte Königreich aus der Zollunion und dem Gemeinsamen Markt austreten wird. Die Briten wollen, das war nach Mays Meinung das Signal des Referendums vom 23. Juni 2016, die EU-Freizügigkeit beenden und die Einwanderung einschränken können. Sie möchten außerdem eigene Handelsabkommen mit Drittländern abschließen dürfen. Das bedeutet, dass Großbritannien für die Zukunft nur ein Freihandelsabkommen mit der EU anstreben kann, das die britischen Inseln genau dort ansiedelt, wo sie geografisch liegen: Näher am europäischen Kontinent als Kanada, aber weiter weg als die Schweiz.

Die schwierigste Frage der Brexitverhandlungen ist dabei Nordirland. May hatte zwar im Dezember 2017 in Brüssel zugestimmt, dass ihre Regierung in Nordirland eine offene Grenze garantiert. Dabei geht es weniger um den zollfreien Handel zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland, als den Erhalt des äußerst sensiblen Friedens zwischen Republikanern und Unionisten in Nordirland. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, das sich am 10. April zum zwangisten Mal jährt, ist die Grenze zwischen Norden und Süden offen.

Der Status Quo ist aber eigentlich nur zu erhalten, wenn Nordirland in der Zollunion bleibt, damit es keine Grenzkontrollen mit dem EU-Mitglied Irland im Süden geben muss. Die unionistische, nordirische Partei DUP, die Theresa Mays Tories in Westminster unterstützt, hat aber klargestellt, dass sie keine Sonderregelung für Nordirland akzeptieren wird. Dieser Widerspruch innerhalb der britischen Regierungsspitze konnte bisher nicht aufgelöst werden.

Großbritannien bis 2020 in der EU aber ohne Stimmrecht

„Wir sind mit dem Verlauf der Verhandlungen im Großen und Ganzen recht zufrieden“, sagt dazu David Davis dennoch und lächelt freundlich in die kleine Runde der europäischen Korrespondenten, die er zu sich eingeladen hat. Briten und EU hoffen, dass man bis zum EU-Gipfel im Juni die äußerst heikle nordirische Frage doch noch klären kann. Sonst sind bereits zwei Drittel des Vertragsentwurfes für den Scheidungsvertrag ausgehandelt. Beim März-Gipfel der EU-Chefs in Brüssel hat man sich außerdem darauf geeinigt, dass Großbritannien bis Ende 2020 in einer Übergangsphase praktisch ohne Stimmrechte in der EU bleibt, damit die Geschäftswelt Zeit hat, sich umzustellen.

Wie nahe wollen die Briten aber nach dieser Übergangsphase an den EU-Regeln bleiben? Je näher, desto besser für den Handel mit ihrem wichtigsten Handelspartner, der EU. May und ihre Brexitiere wollen den Finanzplatz der City of London zum Beispiel im neuen Freihandelsabkommen garantiert wissen. Die EU lehnt das als „Rosinen picken“ ab. Im britischen Verhandlungsteam hat man inoffiziell bereits akzeptiert, dass die Briten das „Passport-Recht“ für die EU verlieren werden – das heißt, dass Firmen, die in London angesiedelt sind, nicht mehr in der EU unter EU-Recht operieren können werden. Wie genau die Beziehungen aber aussehen werden, weiß niemand. „Wir brauchen jetzt endlich Klarheit“, fordert etwa Carolyn Fairbairn, Vorsitzende von CBI, der Konföderation der Britischen Industrie.

Streit um das Satelliten-Navigationssystem Galileo

Zum Entsetzen der britischen Verhandler schaltet die EU-Kommission aber auch bei an sich weniger kontroversen Themen auf stur. Das Satelliten-Navigationssystem Galileo zum Beispiel – Europas wichtigstes Technologieprojekt, der Konkurrenz zum amerikanischen GPS-System – steht dem Vereinigten Königreich nach Meinung der EU-Verhandler nach dem Austritt nicht automatisch offen. Brüssel hat London im Januar per Brief darüber informiert, dass die hochsensiblen Informationen ohne Sicherheitsabkommen rechtlich nicht mehr weitergegeben werden können. Galileo soll, wenn alle anderen Navigationssysteme ausfallen, die EU-Staaten auch verteidigungspolitisch schützen. „Es gibt rechtliche Argumente der Kommission, aber praktisch gesehen ist es töricht“, sagt Brexitminister David Davis. Britannien zahlt immerhin zwölf Prozent der Kosten für Galileo. Das Vereinigte Königreich ist in Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten neben Frankreich außerdem der wichtigste Mitgliedsstaat.

Gerade in der Woche, in der Großbritannien von einer breiten Mehrheit der EU-Staaten in der Konfrontation mit Russland unterstützt wurde, findet David Davis es inkonsequent, ausgerechnet die Sicherheitszusammenarbeit in Frage zu stellen: „Wir nehmen unsere Allianzen sehr ernst“, meint er. Es sei unfair, „wenn die Komission argumentiert, wir wären nach dem EU-Austritt kein sicherer Partner mehr. Das hätte Auswirkungen auf unsere Verteidungs-Kapazitäten.“ Es sei ja sogar eine britische Firma, die derzeit bei Galileo für die Datenverschlüssung und die Entschlüsselung sorgt. Galileos Bodenservice wird zudem von Airbus im englischen Portsmouth besorgt. Davis ist aber auch deshalb so verärgert, weil britische Unternehmen auf ihn Druck ausüben. Sie sorgen sich, dass sie künftig bei lukrativen Projekten, die mit Galileo in Verbindung stehen, nicht mehr zum Zug kommen könnten.

Lustdampfer Brexitannia auf stürmischer See

Der 69-jährige David Davis wirkt am Brexit-Jahrestag wie der Chefstewart eines Dampfers, der alle Passagiere bei Laune halten muss. Die Brexitannia läuft zwar zur demokratisch gewünschten Lustfahrt aus dem Hafen der EU aus, gerät dabei aber auf stürmische See. Kapitänin Theresa May hat mit einer permanenten Meuterei von Außenminister Boris Johnson und gleichgesinnten Tory-Hardlinern zu kämpfen. Und dann wäre da noch die Opposition, die droht, die Brexitannia im Herbst gänzlich zu versenken:

Theresa May wurde bereits von den proäeuropäischen Rebellen beider Großparteien im House of Commons dazu gezwungen, den Deal, den sie mit Brüssel bis Spätherbst aushandelt, dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. „Mehr als zwei Drittel der Labour-Wähler wollen lieber in der Zollunion und im Europäischen Binnenmarkt bleiben“, erklärt der proeuropäische Labour-Zentrist Chuka Umunna. Nur ein sanfter Brexit-Deal werde eine Mehrheit im Parlament bekommen. Labour-Chef Jeremy Corbyn ist zwar kein großer Europäer, aber er könnte aus taktischen Gründen seine Partei sogar gegen den harten EU-Deal von May führen. Das hängt von der Dynamik ab, die sich bis dahin entwickelt. Fiele Mays Regierung im Herbst, könnte Corbyn nach Neuwahlen sogar in Downing Street Number 10 einziehen.

Vom Bürofenster des Brexitministers aus hat man einen sehr guten Blick auf das berühmte kleine Haus, in dem die britischen Regierungschefs residieren. Das „Department for the Exit from the European Union“ wurde im Nebenhaus untergebracht. David Davis allerdings sitzt mit dem Rücken zur Aussicht. Der Brexitminister konzentriert sich lieber darauf, die Verhandlungen mit Brüssel Punkt für Punkt abzuarbeiten. „Ich blicke mit Zuversicht auf die nächsten Monate“, sagt, lächelt nochmal und verabschiedet sich in den Osterurlaub.

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Bernd Wollmann | Fr., 30. März 2018 - 00:30

Ohne Merkel gäbe es keinen Brexit ( die Befürworter haben mit ihrer Flüchtlingspolitik geworben). Ohne Merkel hätte die AFD ca. 4% Zustimmung. Ohne Merkel wäre vielen Einheimischen großes Leid erspart worden (die Opfer von Berlin, Freiburg, Kandel, Hamburg...) Ohne Merkel hätten wir jährlich ca. 50 Milliarden mehr für die Bürger dieses Landes. Ohne Merkel...

Ronald Barker | Fr., 30. März 2018 - 09:13

Frau Szyszkowitz
Es liegt offensichtlich ein klassische "lost in translations" Syndrom vor. „Rosinen picken“ ist semantische gesehen ganz anderes als "cheery picking", denn im Englischen ist der Bezug auf die verdorben Kirschen die keiner haben will. Aus britischem Sicht, gibt es eine Menge des Verdorbenen in der EU ( nicht Europa ).

Ich stimme Ihnen zu, Herr Barker !
Kein Land möchte sich auf Dauer der Brüsseler Bürokratie unterwerfen und nach deren Gutdünken Menschen mit abweichenden Lebens-und Verhaltensgewohnheiten bei sich aufnehmen müssen !
Machen wir uns nichts vor : die Briten haben eh' schon eine andere Währung und sie wollen auch nicht an der schon jetzt praktizierten Schuldengemeinschaft in Europa teilhaben. Dabei geht es um mehr als Rosinen oder cheers !

Ralph Lewenhardt | Fr., 30. März 2018 - 11:04

GB will doch nur dem zentralistischen EU-Bürokratenwahn entgehen, bleibt aber treuer NATO-Partner.

Alexander Mazurek | Di., 3. April 2018 - 00:10

… sind der einzige germanische Stamm, der die Überlegenheit der römischen Kultur nie wahr und zur Kenntnis genommen hat. Die Angelsachsen haben die Briten aus Britannien ausgetrieben, die Iren -weil katholisch- verhungern lassen, Völker der Welt ausgebeutet -WASP (white Anglo-Saxon protestants), in pursuit of happiness and prey. Und es ist des unendlichen Verbrechens an der Zivilisation leider noch kein Ende abzusehen …