Das Sandmännchen streut seinen Sand
„Neues und Anderes“ ist von der Regierung nicht zu erwarten / picture alliance

Neue Regierung - Zeit fürs Sandmännchen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht von „Bewährungsjahren“ für die Demokratie. Hoffnungen, dass nun alles besser wird, sollte man trotzdem nicht hegen. Denn Angst vor der Kontroverse hat in Deutschland Tradition. Von Matthias Heitmann

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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„Jetzt geht’s los!“ Dieser aufmunternde Satz, halb gerufen, halb gesungen, war früher dann zu hören, wenn sich nach Zeiten des Stillstands ein Aufbruch ankündigte, an den sich freudige Hoffnungen auf Veränderung, wenn nicht sogar Verbesserung knüpften. Genau dieser Sinnzusammenhang ist der Grund dafür, warum eben dieser Ruf angesichts des Arbeitsbeginns der neuen Bundesregierung nirgendwo zu hören ist. Zu widerwillig und noch dazu wider den Wählerwillen hatte man sich zum Regieren zusammengerauft, hatte so lange sondiert und alle erdenkbaren inhaltlichen Unebenheiten weggehobelt, als dass man am Ende noch die Kraft hätte haben können, glaubwürdig Zuversicht und Tatendrang auszustrahlen. Höchstwahrscheinlich wird dies die gefühlt längste Regierungsetappe von Angela Merkel.

Bewährung, Bewahrung oder Bewegung?

Bei seiner kurzen Rede zur Ernennung des neuen Kabinetts redete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der Kanzlerin und ihrer Ministerriege ins Gewissen, sprach von „Bewährungsjahren“ für die Demokratie und davon, dass ein „Neuaufguss“ der letzten Legislaturperiode nicht ausreichen werde. Die gewohnt kryptische Eintönigkeit seines Vortrags ließ Tiefgang vermuten, aber was genau meinte er mit „Bewährung“? Werde sich die Demokratie künftig gegenüber ihren Feinden zu bewähren und vor dem endgültigen Untergang zu bewahren haben, oder ist das Urteil über sie bereits gefällt, nur aber zur „Bewährung“ ausgesetzt?

Wie man Steinmeier auch immer verstehen mag: Das Signal, das die Wähler in der letzten Bundestagswahl aussandten, ließ wenig Interpretationsspielraum zu. Sie wollten zwar keine abrupte politische Kehrtwende erzwingen und hatten deswegen die jetzige Regierungskonstellation nicht ihrer rechnerischen Mehrheit beraubt. Aber dennoch war klar, dass „Weiter so“ nicht auf der Agenda steht und damit auch in Deutschland, wenngleich ein wenig schüchtern, aber dennoch gut hörbar das Ende der Ära der Alternativlosigkeit eingeläutet worden sei. Wie sich dieses Ende auch anfühlen kann, hatten zuvor bereits die Briten, die US-Amerikaner, die Niederländer, die Franzosen und auch die Italiener ihren eigenen Eliten vorgeführt. Im Vergleich dazu waren die Deutschen noch sehr zurückhaltend. Dennoch war der Auftrag eindeutig: Es geht nicht um Bewahrung, sondern um Bewegung! Denkt über neue Konstellationen nach! Brecht aus aus der parteipolitischen Erstarrung! 

Die Politik ertränkt sich im Konsens

Tatsächlich gab es seit der Bundestagswahl die wirklich gute Gelegenheit, „neu und anders“ zu arbeiten, wie Steinmeier es formuliert hatte. Die erschöpften Herrschenden wurden an die Debattiertische gezwungen, sie mussten miteinander reden und über neue Modelle und Konstellationen nachdenken – hoffte man. Gelegenheiten zur Erneuerung gab es, jedoch niemanden, der sie ernsthaft ergreifen wollte. Man setzte sich zwar an die Verhandlungstische – aber nicht mit dem Ziel, Politik neu mit Leben zu füllen. Anstatt die aus dem hysterischen deutschen Konsenszwang resultierende Lethargie aufzubrechen und dem Wählerwunsch nach weniger Altem Rechnung zu tragen, lautete die neue Zielsetzung: noch mehr vom Alten! Eine intensivierte Konsenssuche war die Folge und prägte die letzten Monate. Und jeder, der sich diesem Konsensstreben entzog, wurde zum Vaterlandsverräter erklärt. Da ist es an Zynismus kaum zu überbieten, wenn Steinmeier, nachdem die angeblich so quälende „Unklarheit“ der Gewissheit gewichen ist, dass es so weitergeht wie bisher, den neuen Entscheidungsträgern nun den Rat gibt, „neu und anders“ zu arbeiten.

Die empfundene Pflicht zu Konsens und Kompromiss ist in der deutschen politischen Kultur tief verankert. Sie gilt als Naturgesetz sowie als zentrale Lehre aus der eigenen Geschichte. Deren Tragik, so die offizielle Lesart, lag nicht in der brutalen Zerstörung von Freiheit und Demokratie, sondern im Gegenteil im feige und zu lange geduldeten selbstzerstörerischen Übermaß an Freiheit und Demokratie, weshalb beides auf jeden Fall und zu jeder Zeit eng zu begrenzen und die politische Macht der aufgeklärten und geläuterten politischen Klasse zu überantworten sei. Anders formuliert: Wann immer die Menschen, ob verkleidet als Wähler oder Nichtwähler, ihrem Unmut zu stark hörbar Ausdruck verleihen, greift der deutsche Krisenmechanismus und katapultiert den Leitsatz „Wehret den Anfängen“ zurück ins Zentrum des Nationalbewusstseins. Sobald der Ausnahmezustand offiziell ausgerufen ist, gilt dann die Verhinderung des Untergangs als zentrale Daseinsberechtigung. Und dieser Untergang steht in der obrigkeitlichen Sicht auf die Welt sogar bereits dann unmittelbar bevor, wenn es so scheint, als könne keine sofort jede Debatte im Keim erstickende Regierungsmehrheit gefunden werden. 

Diskursphobie statt Demokratie

Das ist der Kern der deutschen Angst- und Panikkultur: Kontroverse, Debatte und Instabilität werden betrachtet wie fahrlässig offenstehende Einfallstore für Chaos, Hass und Krieg. Das Verrammeln dieser Schlupflöcher für unliebsames politisches Denken wird in Deutschland häufig damit begründet, man wolle „Schlimmeres verhindern“. Dabei ist genau dies „das Schlimmere“! Es ging nach der Bundestagswahl nicht darum, wie die Nation sich gegen übermächtige militärische Bedrohungen von außen zu Wehr setzen solle, es ging lediglich um unzufriedene Bürger mit Rede-, Klärungs- und Reformbedarf. Das Land hätte sich nur trauen müssen, mit sich selbst zu debattieren, und zwar nicht in Form geheimer und unterhalb jedes offiziellen Radars fliegender „Sondierungen“ mit dem Ziel der Konsensfindung, sondern als öffentliche Erörterung der politischen Unterschiede und Unvereinbarkeiten verschiedener Standpunkte. Doch das neopaternalistische Herrschaftsverständnis der heutigen Politikergeneration lässt dies nicht zu: Miteinander diskutieren zu wollen würde ja bedeuten, einander ernstnehmen und sich auf die Kraft des eigenen Arguments verlassen zu müssen.

Eine Minderheitsregierung wäre von allen schlechten Optionen, wie das real existierende Politikangebot aufgestellt werden kann, noch die Interessanteste gewesen. Nicht wegen der so an die Regierung kommenden Parteien, sondern aufgrund der allen Parteien auferlegten Notwendigkeit, für die eigenen Standpunkte fortwährend um Mehrheiten zu kämpfen – und nicht nur im Rahmen von Koalitionsverhandlungen vor der eigentlichen Regierungsarbeit. Dies hätte frischen Wind ins stickige politische Berlin befördert und die Politik einem öffentlich sichtbaren Fitnesstest in Sachen Argumentation und Kommunikation unterzogen. Dass man sich dieser Überprüfung angesichts des bedenklichen Diskussionsniveaus lieber nicht stellen mochte, ist davor nachvollziehbar - und untermauert einmal mehr die Notwendigkeit der inhaltlichen Erneuerung. Die ängstlichen Chancenverweigerer haben diesen Offenbarungseid noch einmal abwenden können: Sie tun tatsächlich alles, um jeden Impuls der Erneuerung als gefährlichen Rückschritt zu diffamieren – was natürlich Ewiggestrigen einen politischen Schutzschirm bietet.

Zeit zum Aufstehen

Deutschland hat das politische Fenster wieder fest verschlossen, zieht die Rollläden herunter und gaukelt den Menschen vor, es sei alles wieder in Ordnung und überdies Zeit, ins Bett zu gehen. Während sich in der gesamten westlichen Welt die politische Eiszeit in mehr oder minder heftigen Schüben und Eisbrüchen ihrem Ende nähert, zelebriert die Führung in Berlin die Fortsetzung des politischen Winters, erfreut sich am neu aufgegossenen Tee und streut den Untertanen Schlafsand in die Augen. Angesichts des Wahlergebnisses mag man sich verwundert eben diese Augen reiben. Aber die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt: Der verhaltene und absichtlich ungenaue Schuss vor den Bug hat seine Wirkung verfehlt. Die Sprache muss klarer werden, und damit auch die eigene inhaltliche Orientierung. Inartikuliertes Rumoren, destruktive Wut und antiintellektueller Krawall gleich welcher politischer Ausrichtung reichen nicht aus, um wirklich Veränderungen zu erreichen. Wer darauf setzt, liefert den politischen Entscheidungsträgern lediglich akzeptable Gründe, um die eigene Abschottung gegenüber den Menschen als Rettung der Zivilisation vermitteln zu können.

Und noch eines wurde in den vergangenen Monaten deutlich: Demokratische Erneuerung kann nicht von oben kommen. Sie kann nur als Produkt eines Stimmungs- und Denkwechsels an der Basis entstehen – außerhalb alter Strukturen. In Berlin endet mit dem Auftakt der vierten Amtszeit Angela Merkels die Zeit der offenen Debatte – im Rest der Republik sollte sie nun erst recht beginnen. Es ist Zeit zum Aufstehen.

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Dorothee Sehrt-Irrek | So., 18. März 2018 - 11:24

nicht, habe aber das Gefühl, ihn auch nicht zu teilen, wenn ich ihn ganz verstünde.
Was will der Autor, more fun?
Jedenfalls ist auf dem Bild mein geliebtes Sandmännchen zu sehen, auch wenn dort zumeist Pittiplatsch der Liebe dies nur durch erzieherische Massnahmen des feinen Schnatterinchens wurde.
Als Kind habe ich das geliebt.
War das etwa das Niveau, das man den Erwachsenen in der DDR auferlegte?

den Autor dahingehend, dass jetzt wieder - genau wie in den Zeiten vor dem 1. Weltkrieg und der vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten - die herrschenden politischen Kaste nicht die richtigen Antworten auf die Herausforderungen findet, vor denen Deutschland steht. Der deutsche Michel glaubt an die ihm vorgegaukelte Stabilität der Verhältnisse, lässt sich wie damals einlullen und verschließt die Augen vor den Gefahren für die Zukunft des Landes.

Hans Herzberger | So., 18. März 2018 - 12:02

Wenn der Bundespräsident schon von "Bewährungsjahren für die Demokratie" spricht, dann hätte er schon nicht seine ausgeklüngelte Hinterzimmer -Wahl akzeptieren dürfen. Wäre er ein wirklicher Demokrat, dann hätte er auf einer Minderheitsregierung bestanden anstatt monatelang ein Geklüngel, Geschubse und Eiertanz zu befürworten. Wie schon immer gesagt : " Die Demokratie fault von innen heraus" und daran ist er nicht unschuldig.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 19. März 2018 - 12:05

Antwort auf von Hans Herzberger

von dem ich nun dachte, dass er Bundespräsident würde ( oder aber Schäuble), nicht die nötige Unterstützung von Merkel erhielt.
Die versuchte evtl. auch noch gegen den Willen der Beteiligten, Frau Schavan an Lammert vorbei auf den Vorsitz der KAS zu hieven und da erzählen Sie mir etwas von "seiner Hinterzimmer-Wahl"?
Vielleicht geht die Geschichte anders? Steinmeiers Frau ist evtl. nicht die Gesündeste, jedenfalls brauchte sie die Nierentransplantation von ihrem Mann. Da wird sich ihr Mann gedacht haben, was kann ich ihr noch aufhalsen, damit sie ihr Leben "im Dienst an der Sache beschliesst"?
WOHL NICHT. Ich befürchte aber, dass Steinmeier bereit war, der Bundesrepublik weiter zu dienen.
"Mein Mann hat es nicht so lange bei mir ausgehalten, dass ich es ihm hätte verbieten können":)
Wir leben nicht mehr anno dunnemals, schon seit Theodor Heuss? sagte, er sei mit seiner Frau verheiratet, nicht mit Deutschland.
Bei nur einer Amtsperiode müßte die Versorgung angepasst werden?

Gerhard Hellriegel | So., 18. März 2018 - 12:53

Einfach das Beste zum Thema, das ich dazu gelesen habe - ever. Nur eines: auch ich war zunächst für eine Minderheitsregierung, aus genau den Gründen, die Herr Heitmann anführt. Aber dann kamen mir doch Zweifel: würde dann wirklich im Parlament Überzeugungsarbeit geleistet werden? In aller Öffentlichkeit Argumente, Kontroversen ausgetragen werden? Parlamentarier nach ihrer Überzeugung statt nach Vorgabe entscheiden? Wohl kaum. Denn damit würden sie ja dem Gottseibeiuns AfD Angriffsfläche bieten. Ja, Politik besteht nun mal teilweise auch aus Deals. Und die vor dem Publikum? Aber wenigstens in den Hinterzimmern der Ausschüsse würde (vielleicht) die Diskussion offener werden. Jedenfalls ein zweischneidiges Schwert.

Martin Arndt | So., 18. März 2018 - 13:16

Dem Artikel ist voll u. ganz zuzustimmen. Der Neo-Weihnachtsmann Steinmeier streut wieder einmal den infantilisierten "Objekten" der obrigkeitlichen Fürsorge Sand in die Augen. Die SPD ist zum Totengräber mutiert: Steinmeiers Parteigenosse Gabriel reagierte auf Kritik mit verbaldestruktiver Hass-Sprache ("Pack"), statt, wie es der grossartige US-Jurist Loius Brandeis vor 100!!!Jahren formulierte, auf eine schlechte Rede mit einer besseren zu antworten. Die wenigsten Politiker sind intelligent genug (Ausnahmen: S. Wagenknecht, A. Weigel...), um souverän, mutig u. humorvoll zu reagieren. Deutschland ist immer noch verspätet: Die Auslegungsgeschichte des 1st Amendment in den USA könnte lehren, was freedom of speech bedeutet.

Gerdi Franke | So., 18. März 2018 - 13:32

Nun ja, das trifft zu für unsere etablierten Parteien. Deshalb bauen die ja auch immer stärker ab. Dabei wird der Bürger schon mutiger und orientiert sich immer stärker an Parteien, die seine Interessen vertreten. Der Stimmungs- und Denkwechsels an der Basis ist also schon lange da.

Maja Schneider | So., 18. März 2018 - 14:28

Solange sich der größte Teil der Bevölkerung von Politikern und Medien einlullen lässt, teils aus Desinteresse, teils aus Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit, und der Teil , der die Entwicklung sehr wohl kritisch verfolgt und auch die Konsequenzen erkennt, aus Angst schweigt oder nur hinter vorgehaltener Hand im vertrauten Kreis seine Meinung preisgibt -soweit sind wir in unserem Land leider gekommen - wird sich gar nichts ändern. Wir werden alle die Zeit zum Aufstehen verschlafen, und wenn das böse Erwachen kommt, jammern und zetern, warum denn keiner etwas getan hat. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht ganz auf, dass immer mehr Menschen die kritischen Medien außerhalb der MSM entdecken und das auch entsprechend kommunizieren, so dass vielleicht einmal wieder eine Diskussionskultur ensteht, die sich positiv auf die jetzige Politik ( der Dialog mit der Bevölkerung wird ja seit fast drei Jahren nicht mehr geführt) auswirkt. Das muss allerdings möglichst bald geschehen.

Joachim Wittenbecher | So., 18. März 2018 - 14:58

Guter Kommentar von Herrn Heitmann - leider bleibt hierbei die Rolle von Merkel unterbelichtet. Ich erinnere an das Buch von Höhler, die Patin, 2013. Sie analysiert, dass Merkel Deutschland für Ihre Bedürfnisse umbaut und zwar unter Nutzung der Tarnkappe; zunächst schenkte ich dieser These keinen Glauben. Heute können wir das Ergebnis besichtigen: Es besteht in Deutschland eine neue Großpartei, bestehend aus CDU,SPD und Grünen; zwar sind die 3 Parteien nicht fusioniert, jedoch steht fest, dass Merkel sich aus diesem Reservoir jederzeit eine parlamentarische Mehrheit zusammenbauen kann, egal wie schlecht ihr eigenes CDU-Ergebnis auch ist. Diese Formation deckt ideologisch eine politische Mitte ab, die identisch ist mit der Lesart der Leitmedien und den vermeintlichen Interessen der Wirtschaft. Daher die für viele unerklärliche Reduzierung der Meinungsvielfalt. Daher die Tatsache, dass die Formationsverweigerer, CSU und FDP, in den Leitmedien betont ruppig behandelt werde.

Markus Michaelis | So., 18. März 2018 - 15:00

"Miteinander diskutieren zu wollen würde ja bedeuten, einander ernstnehmen und sich auf die Kraft des eigenen Arguments verlassen zu müssen."

Das gefährliche am Diskutieren in Deutschland ist, dass es einen unserer Grundpfeiler in Frage stellt (ich spitze mal zu). Eigentlich ist ein Grundgedanke der Demokratie, dass "Wir" (ich und meine Gruppe) unsere Interessen gegen "Die" mit ihren Interessen aushandeln. Das ist in D sehr verpönt bzw. wird als sehr gefährlich angesehen. Bei uns ist Demokratie nur der Weg um DIE universell richtige Lösung für Alle zu erreichen. Merkel verkörpert das. Deswegen ist echtes Diskutieren auch gefährlich, weil das verschiedene Ausgänge haben kann, was aber im Widerspruch zu der einen richtigen Lösung für Alle steht.

Der deutsche Konsens hat natürlich, richtig angewendet, viel für sich. Aber im Moment ist er mit Globalisierung und viel mehr Buntheit an Grenzen gelaufen. Davor stehen wir etwas hilflos.

Klaus Dittrich | So., 18. März 2018 - 15:22

Es gibt in Deutschland keine öffentlichen Debatten mehr - zumindest keine, welchen unter diesen Begriff fallen.
Debatten führen heißt begründete Argumente austauschen, der anderen Seite zuhören und eigene Standpunkte überdenken. Dies geschieht im "Studierstübchen"; wissenschaftlichen Kolloqiua, von denen die breite Öffentlichkeit nichts erfährt. Denn diese wird - durch Politik und Medien - in den ideologischen "Klassenkampf" verwickelt. Dazu reichen Schlagzeilen der Medien - der Unterschied zur "Bild" verblasst - oder Tweets, die das moralische Bauchgefühl füttern.
Und um so wichtiger ist, dass man sich zur "richtigen" Seite bekennt. Egal, welches Verhalten real zelebriert wird.

Samuel von Wauwereit | So., 18. März 2018 - 17:38

Unser nicht allzusehr geliebter Nationaldichter und ungeliebter Sohn meiner Heimatstadt has es schon vor 164 Jahren in dem schönen Gedicht: "Erinnerungen aus Krähwinkels Schreckenstagen" beschrieben. Ich zitiere mal nur den letzen Vers: " Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten."

Michael Ludwig | So., 18. März 2018 - 18:17

Hut ab für diesen Kommentar Herr Heitmann!!!!
Genau das ist es. Die jetzigen Strukturen werden sich niemals von selbst erneuern. Das wäre ja Selbstmord.
Die 4 Gewalt muss dies über ihre Macht in die Köpfe tragen.
Geben Sie diesen Artikel vor allem Herrn Schwennicke zum lesen, denn in den letzen
Auftritten (Presseclub,Phönix) war das für mich die größte Enttäuschung-nicht mal ein Hauch vom
Geist des Cicero, nur mit den Wölfen heulen.
So wird das nichts.

Christa Wallau | So., 18. März 2018 - 18:23

Wenn die Menschen in unserer Republik aufstehen und durch
Demonstrationen BEWEGUNG in den politischen Betrieb bringen, dann ist es doch auch nicht gut, lieber Herr Heitmann.
Was wollen Sie eigentlich von den Leuten in D?
Sie dürfen doch nur mit ganz bestimmten, ausgewählten Zielen und Argumenten auf die Straßen gehen, sonst bekommen sie böse Blicke, Kommentare und Beinamen - besonders auch von Journalisten und Fernsehgewaltigen, nicht nur von den entrüsteten Politikern.

Ich gebe zu: Es sind leider nicht allzu viele Deutsche, die laut widersprechen, aber im Verhältnis zur Unverschämtheit der GroKo u. der sie führenden Kanzlerin, jetzt so weiterzumachen wie bisher
(Sämtliche "Neuerungen" sind nur
Aufhübschung der Fassade!) ist
diese Feigheit verständlich.
Ein Lohnabhängiger kann sich eine Meinung, die vom Mainstream abweicht, in D nicht leisten; denn es droht ihm Übles: Ausgrenzung u. Verlust des Arbeitsplatzes.
Schlimme Verhältnisse sind das -
für weitere 4 Jahre!

Guido Schilling | So., 18. März 2018 - 19:37

gehen Tausende auf die Strasse und streiken. Warum gehen nicht endlich Tausende gegen die Merkel-Schlafwagenpolitik auf die Strasse?? Sie macht uns alle ärmer und raubt den Jungen jegliche Perspektive.

Dimitri Gales | So., 18. März 2018 - 20:08

nämlich sie wollen, dass die Regierung sedierend wirkt, Glauben macht, dem Land ginge es in jeder Hinsicht glänzend, man brauche also nichts zu ändern, nur Merkel wählen, dann liefe alles wie bisher grossartig. Viele glauben sogar, Merkel schaffe Arbeitsplätze.
In anderen westlichen Ländern sind die politischen Debatten hitziger , kompromissloser, frecher und reaktiver.
Eine defensive, blasse Person wie Merkel wäre dort nicht vorstellbar.

Christoph Kuhlmann | Mo., 19. März 2018 - 09:53

In den öffentlichen Debatten gibt es die fatale Tendenz zur Moralisierung. Dabei kommt es stark auf den Fokus an, denn Aspekte,die diese öffentliche Debatte nicht thematisiert bleiben unbeachtet. Hierbei kommt es dann zu der amoralischen Konsequenz, dass ausgerechnet die Interessen der Gruppen, die kaum Zugang zu den Medien haben vernachlässigt werden und deren Angehörige die Hauptlast der Kosten der Moralisierung zu tragen haben. In dieser Beziehung unterscheidet sich das Gutmenschentum kaum von anderen bürgerlichen Gruppen. Insofern müsste sich nicht nur die Politik ändern, sondern die gesamte Infrastruktur derDebattenkultur im öffentlichen Raum. Das habermassche Diskursmodell schließt ja den inkompetenten Sprecher um des Konsens willen aus. Die Frage lautet nun, wer definiert die Kompetenz?

Klaus Decker | Mo., 19. März 2018 - 10:59

Ein ausgezeichneter Kommentar, der schonungslos aufzeigt, wie es um Deutschland oder, besser ausge-
drückt, um die deutsche Politik bestellt ist. Allerdings ist eine solche Analyse ein Solitär in der Medienlandschaft. Ob die sogenannte Basis der "Berieselung" durch Medien, Kirchen und gesellschaftlich relevante Organisationen widerstehen kann und zu einem eigenständigen Urteil über unsere "Einheitspolitiker" findet, wage ich allerdings zu bezweifeln. Nur wenn es den Menchen richtig schlecht geht, hat der Gedanke eines Neuanfangs eine Chance - und wer will das schon!

Gisela Fimiani | Mo., 19. März 2018 - 12:06

Zwar kommt ein demokratisches System nicht ohne Parteien aus, jedoch haben sich bei uns die Parteien den Staat längst zur Beute gemacht. "Der Glaube, ein nach dem Proporz gewählter Bundestag oder ein Parlament sei ein besserer Spiegel des Volkes und seiner Wünsche, ist falsch. Er repräsentiert nicht das Volk und seine Meinungen, sondern lediglich den Einfluss der Parteien(und der Propaganda) auf die Bevölkerung am Wahltag." (Karl Popper) Wie sich der Proporz auf die Regierungsbildung und, viel entscheidender, auf die wichtige Möglichkeit, eine Regierung zu entlassen auswirkt, läßt sich derzeit beobachten. Unser Wahlrecht fördert die "kryptische Eintönigkeit",den "Zynismus", die eitle Selbstüberhebung der Parteiführer, die wir nicht loswerden und die, darüberhinaus, dafür sorgen, dass die gewählten Repräsentanten sich moralisch an die Partei gebunden fühlen, deren Repräsentanten sie sind. Das Zweiparteiensystem sorgt eher für Diskurs, Konkurrenz und Eindeutigkeit.

Gisela Fimiani | Mo., 19. März 2018 - 12:28

Noch einmal der hochaktuelle Karl Popper: "Meine Bemerkungen gegen den Proporz bedeuten nicht, dass ich allen Demokratien den Rat erteile, den Proporz aufzugeben. Ich wünsche nur, der Diskussion darüber eine neue Richtung zu geben. Der Gedanke, dass aus der Idee der Demokratie die moralische Überlegenheit des Proporzsystems abgeleitet werden könne und dass die kontinentalen Systeme wegen des Proporzes besser, gerechter oder demokratischer seien las die angelsächsischen Systeme, ist naiv und hält einer etwas eingehenderen Überlegung nicht stand."
Selbstverständlich haben die Parteien das allergrößte Interesse am Erhalt des Proporzes. Der "Stimmungs-und Denkwechsel außerhalb der alten Strukturen" Herr Heitmann, könnte mit einer fundamentalen Überlegung beginnen. Ein solcher Diskurs, würde auch Interessen der "Profiteure" entlarven.

Mathias Trostdorf | Mo., 19. März 2018 - 22:07

Dazu paßt irgendwie, daß die Gundi Gause gerade verkündete, daß die Wahlbeobachter in Rußland grundsätzlich keine Unregelmäßigkeiten ausmachen konnten, aber daß es in Rußland an "politischem Wettbewerb" fehle.
Diesen vermisse ich bei unseren Einheitsparteien in Deutschland leider auch schon seit einer ganzen Weile.