
- Das deutschfeindlichste Land Europas
Die Schweizer müssten eigentlich glücklich sein: Ihr Land hat eine Arbeitslosenquote, die kaum der Rede wert ist. Das Land ist sauber, sicher und ordentlich strukturiert. Doch es hat sich eine erstaunliche Grundhysterie eingeschlichen, gepaart mit einer irrationalen Ablehung der Deutschen im Land. Eine persönliche Abrechnung
Beispielsweise Tom. Das wäre so jemand, wie man sich möglicherweise einen Schweizer vorstellen würde. Ein Bär von einem Mann, gemütlich, ruhig, immer einen hintergründigen Scherz parat. Einer, der sich in seinem Land wohl fühlt, weil er weiß, dass er in einem priveligierten Land lebt.
Und der weiß, dass das Risiko, dass sich daran etwas ändert, ziemlich überschaubar ist. Die Schweiz hat eine Arbeitslosenquote, die kaum der Rede wert ist. Das Land ist so sauber und so ordentlich strukturiert, dass man als Deutscher über den eigenen Ruf, wir Deutschen seien genau und ordnungsliebend, ernsthaft noch mal nachdenkt.
In Zürich erlebt man den vermutlich bestorganisierten öffentlichen Nahverkehr dieses Planeten und alles in allem hat man den Eindruck, man könnte hier auch mitten in der Nacht durch die finstersten Ecken der Stadt (die es gar nicht gibt) spazieren, ohne auch nur im Ansatz von irgendwas bedroht zu sein. In den Wäldern rundum gibt es Brunnen mit Trinkwasserqualität. Und ein echter Schweizer hat vermutlich noch nie darüber nachgedacht, ob es gefährlich sein könnte, zum Schwimmen in irgendeinen der gefühlt tausend Seen zu springen. Natürlich ist es das nicht, außer man kann nicht schwimmen (obwohl selbst für solche Fälle wahrscheinlich ein präziser Notfallplan existieren würde).
Schweizer könnten also glücklich sein, müsste man meinen. Glücklicher als alle anderen. Tom, dieser Gemütsmensch, gehört allerdings eher zu den Ausnahmen. In der Schweiz hat sich eine erstaunliche Grundhysterie eingeschlichen. Ein merkwürdiger Missmut, ein Gefühl, dass es mit dem beschaulichen und überaus angenehmen Leben demnächst zu Ende geht.
Vor allem dann, wenn es um Ausländer im Allgemeinen und Deutsche im Besonderen geht. Die SVP-Nationalrätin Natalie Rickli beispielsweise hat jetzt (mal wieder) gesagt, was vermutlich leider viele denken: Einzelne Deutsche würden sie ja nicht stören, aber diese Masse an Deutschen, das sei zu viel (den Satz muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen).
Rickli legte auch Zahlen nach: 276.000 Deutsche leben aktuell in der Schweiz, rechne man das umgekehrt um, dann sei das in etwa so, als würden sich 2,7 Millionen Schweizer in Deutschland aufhalten. Was ein vermutlich ungewollt schöner Vergleich ist: Wäre dem so, dann würde der Anteil der Schweizer in Deutschland bei nicht mal vier Prozent liegen. Was umgekehrt genauso gilt: Nicht mal vier Prozent der Gesamteinwohner in der Schweiz sind Deutsche.
Woraus Frau Rickli die Befürchtung schließt, sie werde künftig nur noch von Deutschen bedient, behandelt oder belehrt. Eine Außenseitermeinung? Keineswegs, immerhin stimmen 36 Prozent der Schweizer dieser Auffassung zu.
Rational? Nein, das ist es nicht. Die Deutschenphobie bei vielen Schweizern rührt aus irgendwelchen merkwürdigen Reflexen her, keiner meiner Schweizer Freunde konnte ihn mir bisher wirklich erklären. In Zürich wird ein hochrangiger Mitarbeiter im öffentlichen Dienst entlassen, ein Deutscher? Im Onlineforum des „Tagesanzeigers“ häufen sich die Stimmen, die krakeelen: recht so.
Ein Deutscher? Können wir das nicht selbst? Im selben Forum macht man sich zudem intensiv Gedanken darüber, dass Deutschland derzeit Facharbeiter aus dem Ausland anwirbt. Die Sorge ist allerdings nicht, dass sich Deutschland verheben könnte. Stattdessen grassiert die (absurde) Vermutung, es kämen jetzt so viele Billiglöhner aus dem Ausland nach Deutschland, dass die Einheimischen wiederum massenweise auswandern müssten.
Und wohin sonst als in die Schweiz? Dass im Übrigen ein absurdes Titelbild wie das der „Weltwoche“, das einen Roma-Jungen mit vorgehaltener Pistole zeigt, in der Schweiz für vergleichsweise wenig Aufregung sorgt, belegt durchaus, wie sehr die Ressentiments gegen alles Nicht-Schweizerische verankert sind.
Über der Schweizer Lust an der Isolation
Das Bild, das einem Deutschen in Zürich regelmäßig begegnet, es ist grotesk. „Preise wie in Deutschland“, werben dort Geschäfte, die auf ihre Sonderangebote aufmerksam machen. „Zum Zahnarzt nach Deutschland“, steht als Werbung auf den Zürcher Trambahnen. Deutschland ist demnach ein Land kurz vor der Verelendung, dem nichts anderes einfällt, als sich an der Schweiz zu bereichern.
Dementsprechend schwierig ist das Leben als Deutscher dort: Nein, es hängt nicht an jeder Bar ein Schild mit dem Aufkleber „Deutsche unerwünscht”. Aber man spürt es, an den vielen Kleinigkeiten des Alltags; daran, dass das Lächeln einer Verkäuferin schlagartig schmäler wird, wenn sie bemerkt, es mit einem Deutschen zu tun zu haben.
An den vielen großen und kleinen Sticheleien in den Medien, an einer merkwürdigen Mixtur aus glatter Ablehnung, Verschlossenheit und, ja, auch das, einem eigenartigen Komplex dem Nachbarn im „großen Kanton“ gegenüber.
2009 sagten 57 Prozent der Schweizer „Ja“ zum Minarettverbot; 2010 befürworteten 53 Prozent die Ausschaffung krimineller Ausländer. Völkerrechtlich durchaus problematisch, dennoch demokratisch legitimiert, basierend auf einem Lebensgefühl, dass stark auf dieser Kategorie „Man wird doch noch sagen dürfen, dass...“ gründet. Es ist also nicht so, dass es in der Schweiz eine spezielle Antipathie gegenüber einem ganz bestimmten Volk gibt.
Was man in der Schweiz vornehm Neutralität nennt, kommt in der Wahrnehmung eher als eine Vorliebe zur Isolierung daher. Trotzdem ist das Verhältnis zu Deutschen dort von erstaunlichen Ängsten geprägt. Von der Angst, vom nördlichen Nachbarn überrannt und übernommen zu werden, von der Angst, die eigene Identität zu verlieren.
Liest man viele Schweizer Medien oder Foren, spricht man mit Schweizern, entsteht der Eindruck, als seien die Begehrlichkeiten in Deutschland groß, sich die Schweiz einzuverleiben. Setzt man dagegen in Relation, wie wenig in Deutschland über die Schweiz geschrieben und gesprochen wird, dann wird erst klar, wie grotesk diese Idee ist.
Über Deutsche und Schweizer wird in Deutschland so gut wie nie gesprochen, wenn nicht gerade ein 16-jähriger Schweizer eine Castingshow gewinnt. In der Schweiz ist das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland ein Dauerthema und der überaus harmlose 16-Jährige in der überaus harmlosen Castingshow wird nicht selten mit einem Gefühl der Genugtuung begleitet: Ein Schweizer als deutscher Superstar, was für ein Coup! Umgekehrt würde es in Deutschland kaum jemanden interessieren, wenn ein Deutscher Schweizer Superstar würde.
Und so gerät man als Deutscher in der Schweiz in einer dauerabsurde Situation. Das Gefühl, man müsste sich für seine Anwesenheit entschuldigen, zieht sich durch den Alltag, obwohl man selbstverständlich eine ordentliche Aufenthaltsgenehmigung hat und noch viel selbstverständlicher den eidgenössischen Sozialkassen nicht zur Last fällt.
Man überlegt sich nahezu jeden Satz, den man sagt und überprüft auch alle anderen Handlungen des täglichen Lebens dahingehend, ob sie nicht als typisch deutsch und damit natürlich negativ ausgelegt werden.
So weit von Europa entfernt wie in der Schweiz habe ich mich jedenfalls schon lange nicht mehr gefühlt.
Unser Autor lebt seit Mai 2010 in Zürich. Ende dieses Jahres wird er wieder nach Deutschland zurückziehen.