Rosen liegen auf dem Holocaust-Mahnmal in Berlin
Der Gedenktag erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 / picture alliance

Holocaust-Gedenktag - Judentum heißt nicht gleich Holocaust

Jedes Jahr am Holocaust-Gedenktag ertönen die Appelle „Gegen das Vergessen“. Was die Deutschen jedoch offenbar längst vergessen haben, ist die deutsch-jüdische Geschichte vor dem Dritten Reich. Stattdessen ist unser Bild von Juden bis heute erschreckend stark von den Nationalsozialisten geprägt. Von Sarah Stricker

Autoreninfo

Die Schriftstellerin Sarah Stricker lebt seit acht Jahren in Tel Aviv. Ihr Debütroman „Fünf Kopeken“ (Eichborn) wurde unter anderem mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet, dem höchst dotierten Preis für ein deutschsprachiges Erstlingswerk, und wird derzeit in mehrere Sprachen übersetzt.

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Wahrscheinlich war ich vier oder fünf, als ich auf die fixe Idee kam, ich sei Jüdin. Ich war mit meiner Großmutter auf dem Friedhof, wo sie wie alle alten Frauen meiner Kindheit einen beträchtlichen Teil ihrer Lebenszeit verbrachte, und ich ging immer gerne mit, weil Friedhof für mich damals noch nicht Tod bedeutete, sondern ein Ort war, an dem es nach Blumen duftete und man im Dreck rumwühlen durfte und vor allem tausend Geschichten hören konnte. Mein Heimatort, ein Dorf in der Pfalz, rund zehn Kilometer von Speyer entfernt, war klein; es gab kaum einen, der hier beerdigt war, von dem meine Großmutter nichts wusste, und während wir das Unkraut vom Grab meines Urgroßvaters zupften, ließ sie sich manchmal erweichen, ein bisschen von den Leuten in den Reihen um ihn herum zu erzählen. Wir waren gerade dabei, die Gießkanne auffüllen zu gehen, als uns eine noch viel ältere Frau entgegen kam, Krückstock in der Hand, geblümtes Kopftuch ums Runzelgesicht: 

„Un wie?“
„Jo, guud.“
„Is des eier Jüngschd? Wie häßd se’n?“
„Des is d’Sarah“, antwortete meine Großmutter.
In meiner Erinnerung biegen sich die Brauen der anderen Frau nach oben, werden die eben noch von hängenden Lidern verdeckten Augen groß, während sie „oh, ein jüdischer Name“ sagt. 

Vielleicht lag es an dem plötzlichen Wechsel ins Hochdeutsche, das bei uns eigentlich dem Förmlichen und Fremden vorbehalten war; vielleicht daran, wie sie mich ansah, ein wenig von der Seite, als versuche sie etwas zu ergründen. Auf jeden Fall war ich davon überzeugt, auf ein Geheimnis gestoßen zu sein. Glaubte ich wirklich, meine Eltern würden mich über meine Identität belügen – und seien noch dazu so blöd, den Schlüssel zur Wahrheit an einer so offensichtlichen Stelle zu verstecken? War es eher ein Spiel, etwas, mit dem ich mich selbst unterhielt, weil die dunklen Geheimnisse im Leben einer Fünfjährigen eben sonst eher spärlich gesät sind? Ich weiß es nicht mehr. Aber irgendetwas blieb, rutschte in eine dieser Gefühlsspalten, zu denen der Verstand keinen Zugang mehr hat, setzte sich an jener Stelle fest, an der das Unterbewusstsein entscheidet, ob wir etwas als angenehm empfinden oder nicht, was uns anzieht, was uns abstößt, was uns weitergehen oder unwillkürlich innehalten lässt.

Kindliche Fragen treffen einen wunden Punkt

Es muss schon ein ganzes Weilchen später gewesen sein, als ich eines Tages die Gedenktafel entdeckte, völlig zufällig, so wild wucherte ein Busch davor. Erst nachdem ich ein paar Zweige abgebrochen hatte, konnte ich die Inschrift erkennen, in der es hieß, dass hier, gleich neben dem Gebäude, in dem mittlerweile die Apotheke untergebracht war, bis November 1938 eine Synagoge gestanden hatte.

Ich war völlig überrascht. Auf den Gedanken, dass auch in meinem Heimatort Juden gelebt hatten, war ich bis dahin nie gekommen – was vielleicht ein bisschen naiv ist. Aber vielleicht hatte ich einfach zu oft gehört, was für ein Skandal es im Dorf gewesen sei, als meine protestantische Großmutter beschlossen hatte, meinen katholischen Großvater zu heiraten, dass enorme Überzeugungsarbeit von Nöten gewesen sei (sprich: schwanger werden), um ihrem Vater die Zustimmung abzuringen… noch eine dritte Glaubensgemeinschaft hatte ich da einfach nicht für möglich gehalten.

Hm, doch, ja, ein paar jüdische Familien hätte es wohl hier gegeben, sagte meine Großmutter, als ich sie beim nächsten Besuch darauf ansprach. 

Ich schob mir ein Stück Apfelpfannkuchen in den Mund, wartete, dass sie weitersprechen würde. Aber meine Großmutter hatte auf einmal keine Zeit mehr zu reden. Stattdessen brauchte sie plötzlich ganz dringend etwas aus der Speisekammer, lief in die Waschküche, zurück in’d Stub – das Fachwerkhaus, das irgendein anderer auf dem Friedhof ruhender Vorfahre erbaut hatte, war 300 Jahre alt und geradezu absurd verwinkelt; mit ein bisschen Mühe konnte man sich darin ziemlich lang verlaufen.

Ja, was sie denn jetzt über diese Familien wisse, versuchte ich es nochmal, als sie irgendwann doch zurückkam.

Die Vergangenheit ruhen lassen

Meine Großmutter nahm meinen leeren Teller und trug ihn zum Waschbecken, wandte mir den Rücken zu, während sie ihn mit dem Schwämmchen bearbeitete, den Hahn aufdrehte.
Na, die seien halt irgendwann abgeholt worden.
Und sonst?
Aber für meine Großmutter gab es kein „sonst“. 
Meine Güte, sagte sie, plötzlich ungewohnt ruppig, das sei eben eine böse Zeit gewesen, was ich denn bitte von ihr hören wolle?

Das Spülwasser tropfte von ihren Händen, während sie den Teller auf die Ablage stelle, ein wenig zu heftig, sodass der Geschirrstapel daneben einen Moment ins Schwanken geriet. 

Man müsse die Vergangenheit endlich mal „ruhe losse“, sagte sie, ohne sich umzudrehen, wem solle das denn was bringen, sie kriege eh schon jedes Mal Albträume, wenn wieder was von diesen ganzen halb verhungerten Menschen im Fernsehen liefe, das sei doch alles schon ewig her, irgendwann müsse auch mal gut sein, sie hätten doch nichts gewusst! 

Ich hörte, wie sich ihre Stimme überschlug, wie sie immer defensiver wurde, sich gegen einen Vorwurf zu verteidigen begann, den ich ihr, die bei Ausbruch des Krieges selbst ein kleines Mädchen gewesen war, gar nicht machen wollte.

Überall Entsetzen und Betroffenheit

Vor allem aber ging es mir in diesem Moment überhaupt nicht um die böse Zeit. Vielmehr entsprang meine Frage ganz simpler Neugierde, wollte ich mir einfach nur wieder ein bisschen was erzählen lassen. Aber die Juden hatten keine Geschichten. Was auch immer einmal davon da gewesen sein mochte, war zusammen mit ihnen verschwunden, war überlagert von der Geschichte der Verschleppung, der Verfolgung, der bestialischen Vernichtungsmaschinerie, die nicht nur diese Leben ausgelöscht hatte, sondern anscheinend auch jegliche Erinnerung daran. Für meine Großmutter war der Tod so präsent, das nichts anderes daneben Platz hatte, dass dort, wo andere eine Biographie hatten, nur noch ein schwarzes Loch klaffte.

Und je älter ich wurde, desto öfter bemerkte ich, dass es offensichtlich ziemlich vielen so ging. Es wäre unehrlich zu behaupten, ich hätte mich wahnsinnig angestrengt, diese Lücke zu füllen. Aber alle paar Jahre, mal in der 9. Klasse, als ich Ephraim Kishon entdeckte, dann wieder zu Beginn des Studiums, als ich fünf Minuten Geige lernen wollte und es schick fand, Yehudi Menuhin zu hören, kam es doch vor, dass ich aus einem plötzlichen Impuls heraus einen Buchladen betrat und nach etwas zum Thema „Judentum“ fragte. Manchmal kippte den Verkäufern betroffen der Kopf auf die Schulter, wenn sie vor dem passenden Regal stehen blieben; manchmal konnten sie gar nicht schnell genug wegkommen. Aber darin stand immer dasselbe: Bücher zum Holocaust. Bücher über Juden im Ghetto. Bücher über Juden im Lager. Bücher über tote Juden. Hie und da auch Bücher über überlebende Juden. Aber selbst die setzten meist erst mit dem Moment an, wenn der erste Stein durch die Scheibe flog, und endeten fast ausnahmslos mit der Befreiung aus dem KZ, als würde das, was darauf folgte, ohnehin keinen interessieren. 

Ich las sie trotzdem, nach und nach, und ich bin froh, dass ich sie gelesen habe, genauso, wie ich froh bin, dass sich bis heute, 70 Jahre nach Auschwitz, immer weiter mit der Schoah beschäftigt wird. Ich bin froh, dass sich auch die Menschen der dritten und zum Teil schon vierten Generation Fragen nach Schuld und Verantwortung stellen. Aber für viele Deutschen scheinen das die einzigen Schlagwörter zu sein, die sie mit Juden verbinden.

Streit um die „Judengasse“

Vor einiger Zeit war ich für eine Lesung in den Westerwald eingeladen. Nach der Veranstaltung ging ich mit dem Buchhändler in den Dönerladen ums Eck. Der kurdische Besitzer setzte sich zu uns, wir redeten über Deutschland, den Islam, irgendwann auch über Israel, wo ich seit acht Jahren lebe – und ja, wäre das irgendein anderer Text, würde ich jetzt behaupten, ich hätte mich einfach bei einer Reise in das Land verliebt, es sei völliger Zufall, dass ich ausgerechnet hier gelandet bin. Aber mal ehrlich, was weiß man denn schon darüber, warum man etwas liebt; ich kann zumindest nicht ausschließen, dass auch der Grundstein dafür von jener alten Frau gelegt wurde – das Gespräch kam also auf Israel, als der Buchhändler mich darauf hinwies, dass wir gerade in der „Judengasse“ säßen. Tatsächlich, erzählte er, habe das Sträßchen erst kürzlich seinen ursprünglichen Namen zurückerhalten, der unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung geändert worden war. 

Viele der Ladeninhaber hatten sich gegen die Initiative einer Rückbenennung gewehrt, waren der Meinung, eine solche Adresse sei geschäftsschädigend. In ihren Augen erinnerte „Judengasse“ nicht an die Jahrhunderte des Zusammenlebens, sondern vielmehr daran, wie jäh diese Zeit geendet hatte, klang nach Schikane, nach Ausgrenzung, nach Rassenhass, löste ein dumpfes Unbehagen aus – bei den einen eher Abwehr, bei den anderen Scham, in jedem Fall aber etwas, mit dem sie nicht bei jedem Gang zum Briefkasten konfrontiert werden wollten. 

Letztlich setzten sich die Befürworter der Initiative durch, erhielt die Gasse nicht nur ihren Namen zurück; zusätzlich wurde ein Lesegarten errichtet, in dessen Mitte heute ein Gedenkstein steht. Bevor ich am folgenden Morgen abreiste, ging ich hin und sah ihn mir an, las die Gravur, in der auch hier wieder drei Vs prangten, „verfolgt, vertrieben, vernichtet“. Ich ging hin, weil es mir wichtig war, und natürlich bin ich froh, dass diese Orte des Erinnerns existieren. Ich bin froh über all die Veranstaltungen, die es auch jetzt wieder rum um den internationalen Holocaustgedenktag gibt, selbst wenn die Apelle deutscher Volksvertreter gegen Antisemitismus ein wenig schal wirken, wenn ein Gericht im selben Land das Werfen eines Molotowcocktails auf eine Synagoge „Israelkritik“ nennt. Trotzdem, ich bin froh, dass sich die Haltung meiner Großmutter nicht durchgesetzt hat, dass wir weiterreden, die Vergangenheit eben nicht ruhen lassen.

Spuren der deutsch-jüdischen Kultur

Aber Vergangenheit geht in Deutschland immer nur von 1933 bis 1945. Das Davor ist heute so wenig Teil der kollektiven Erinnerung, dass Freunde, die mich in Tel Aviv besuchen, immer wieder verwirrt fragen, wie es denn eigentlich komme, dass so viele Straßen deutsche Namen trügen, sich wundern, dass auf jeder israelischen Speisekarte „Schnitzel“ steht, dass das @-Zeichen „Strudel“ heißt und Nickerchen „Shlafshtunde“, die Scheibenwischer im Auto „Wisherim“ und Kann ich mal einen Schluck haben „Efschar Schluck“. Auch ich war überrascht, als ich hier her kam und das erste Mal die Melodie von „Im Frühtau zu Berge“ mit hebräischem Text hörte, darüber, wie spürbar der Einfluss des Deutschen war, vor allem, wie oft es mir passierte, dass mich ältere Menschen freudestrahlend auf Deutsch ansprachen, darunter auch solche, die niemals selbst in Deutschland gelebt hatten. 

Tatsächlich musste ich erst meine Heimat verlassen, um zu lernen, wie sehr sich aschkenase (europäischstämmige) Juden oft mit Deutschland identifizierten, teils, weil ihre Vorfahren Jahrhunderte zuvor von dort gekommen waren (von was nicht zuletzt das aus dem Mittelhochdeutschen entstandene Jiddisch zeugt, das bis zum Zweiten Weltkrieg noch von zehn Millionen Menschen gesprochen wurde), teils, weil die deutsche Kultur bei osteuropäischen Juden ein enormes Ansehen genoss. Tatsächlich musste ich erst weggehen, um zu lernen, dass gar das Wort „Aschkenas“ auf drei mittelalterliche Gemeinden in Deutschland zurückgeht: Worms, Mainz – und Speyer. 

Tatsächlich musste ich erst nach Israel ziehen, bis ich auf die naheliegende Idee kam, mein Dorf einfach mal zu googlen, und zu sehen, dass ziemlich genau zu der Zeit, als meine Familie jenes Fachwerkhaus erbaute, sich auch ein gewisser Jud Ischi dort niederließ. Seit 1722 sind Juden in meinem Heimatort verzeichnet; in manchen Gegenden der früheren römischen Provinz Germania inferior sind sie es bereits seit der Spätantike.

Den Nazis nicht das Judenbild überlassen

Aber im Bewusstsein der meisten Deutschen schnurrt diese 1700-jährige Geschichte auf einen winzigen Abschnitt zusammen, wird fast ausnahmslos vom Ende her gelesen, etwa, wenn das Werk des jüdischen Schriftstellers Heinrich Heine immer wieder auf dasselbe Zitat reduziert wird: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ 

In Wahrheit muss vielen, die über 100 Jahre nach jener Äußerung Heines die tatsächlichen Bücherverbrennungen miterlebten, die Vorstellung, man könne den „semitischen Geist aus dem Volkskörper heraustrennen“, ziemlich naiv erschienen sein; dafür waren die Spuren, die deutschsprachige Juden in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens hinterlassen hatten, viel zu umfangreich: in der Literatur durch Kafka, Zweig, Döblin, Feuchtwanger, Lasker-Schüler oder Tucholsky; in der Wissenschaft durch Einstein, Haber, Freud und Adorno; in der Musik durch Mendelssohn-Bartholdy, Mahler und Weill; in der Politik durch Marx, Lassalle oder Rathenau.

Die Nationalsozialisten wollten nicht nur all das vergessen machen – sie wollten auch die alleinige Herrschaft darüber, wie Juden in Zukunft gesehen würden. Das Tragische ist: Sie waren damit ziemlich erfolgreich, haben es geschafft, dass den meisten von uns, wenn wir an Juden denken, spontan nicht etwa eins der oben genannten Gesichter einfällt, sondern jene Bilder, die das Dritte Reich produziert hat, Bilder von Juden in Bahnwaggons, eingepfercht wie Vieh, Juden auf Pritschen, hinter Zäunen, ausgemergelt, abgemagert, bis zur Entmenschlichung entstellt, Bilder, die dem, wie die Nazis uns Juden zeigen wollten, ziemlich nahe kommen. Allein das sollte Grund genug sein, den Blick ein wenig zu weiten.

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Bernhard K. Kopp | Sa., 27. Januar 2018 - 18:54

Ein Besuch im Jüdischen Museum in Berlin kann helfen, mehr zu wissen und mehr zu verstehen. Aber, auch im Geschichtsunterricht sollte die Bedeutung der Juden in D, und Europa, 90% des Lehrstoffs zum Judentum ausmachen, und der Antisemitismus und der Holocaust nur 10%. Man muss nicht in akribische Details gehen, über Karl den Grossen oder den Dreissigjährigen Krieg lernt man auch nur summarisch, weil sich 1200 Jahre Geschichte nicht anders in ein Schul-Curriculum komprimieren lassen.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 27. Januar 2018 - 19:05

von Frau Sarah Stricker.
Nein, vergessen sind diese Zeiten nicht, nicht die Menschen, aber es ist für mich nicht leicht, zu einer gemeinsamen Zeit immer wieder zurück/zukehren.
Dazu hat mich der Holocaust, besser die Aufarbeitung zu sehr geprägt.
Aber meine Kinder sind unbefangen, Gott sei Dank.
Mein Vater hat aber auch dafür gesorgt, dass ich mit der deutsch-jüdischen Kultur groß wurde.
Und zwar so sehr, dass mir das Jüdische eine entsprechende Schwerpunkt-Region ist.
Für die deutsche Kultur ohne spürbare Abgrenzung, aber eigenständig und selbstbestimmt.
Wenn ich es sagen darf, sind meine großen Vorbilder Heinrich Heine(Bissigkeit in gedanklicher Freiheit), Karl Marx(philosophischer Ökonom) und Else Lasker-Schüler(Sprachprächtige).
Von meiner Seite aus führen wohl alle Wege in die Welt, was aber für Deutschland bleibt sind eben die Wege, die auch zu UNS führten.
RESPECT

wolfgang spremberg | Sa., 27. Januar 2018 - 19:42

waren im Kaiserreich gut integriert und etabliert.
Sie waren oft Kaisertreu und "deutschnational" .
Sie haben, wie nicht jüdische Deutsche, für "Kaiser, Volk und Vaterland" in Kolonialkriegen und in WK1
als Soldaten und Offiziere gekämpft. Viele haben dafür hohe Orden erhalten.
Wenn man sie gelassen hätte, wären sie, wie andere Deutsche auch, im guten wie im schlechten, Bestandteil der deutschen Geschichte geblieben.

Stefan Leikert | Sa., 27. Januar 2018 - 19:50

Ja, sehr gute Idee! Lassen sie uns beginnen mit deutsch-jüdischer Geschichte und jüdisch-deutschen Geschichten - wunderbar und ich glaube extrem reichhaltig! ( Ha, peng! das geht schon nicht: "reich-haltig", alles verseucht. Tja, jetzt bin ich schon in der Rechtfertigungsspirale. Ich schätze, so ein Projekt muss von anderen begonnen werden...)

ingrid Dietz | Sa., 27. Januar 2018 - 20:47

ich bin nicht bereit für die Fehler meiner Großeltern, etc. Buße zu tun und/oder Verantwortung zu übernehmen !
Und ich wehre mich gegen Begriff wie "Generationschuld" !

Peter Rosenstein | Mo., 29. Januar 2018 - 15:25

Antwort auf von ingrid Dietz

Ob Sie wollen oder nicht, wir Deutschen habe eine Kollektivverantwortung, dass ist ja wohl das Mindeste. Und wer spricht eigentlich von Generationenschuld? Niemand. Es gab mal das Konzept der Kollektivschuld, aber da Schuld immer individuell ist, kann es die nicht geben.

... niemand fordert oder verlangt von Ihnen für die Fehler Ihrer Großeltern Buße zu tun oder für sie pauschal oder gar persönlich Verantwortung zu übernehmen.

"ich wehre mich gegen Begriff wie "Generationschuld" !"
Für Sie als Enkel wie z.B. für mich als Kind der sog. "Tätergeneration" gilt dies selbstverständlich und grundsätzlich. Gegen den Begriff selbst können Sie sich jedoch nicht wehren der ist gesetzt und zudem klar definiert.
Dieser Einwand von Ihnen ist daher unverständlich.

Allerdings, insbesondere soweit Sie sich als Deutsche sehen, tragen auch Sie Verantwortung dafür, dass z.B. so etwas wie u.a. der Holocaust, aktuell wie künftig, undenkbar bleibt.

Johannes Luig | Sa., 27. Januar 2018 - 21:42

Ein sehr schöner und kluger Artikel.
Danke

Daniel Warth | So., 28. Januar 2018 - 00:37

Ihr Artikel spricht mir aus der Seele: Ich hatte als Kind Jahrgang 1969 dieselben Fragen, ähnliche Situationen im Blick auf Erklärungsversuche durch Zeitzeugen aus der Verwandt- und Bekanntschaft. Nach der eigenen Sprachlosigkeit über das Entsetzen der Shoa und einer durch Schule und Gesellschaft geprägten, stets gegenwärtigen und aktiv gepflegten Tradition des Erinnerns an die NS-Verbrechen sowie dem schweren Erbe der wichtigen Übernahme von Verantwortung für ein allzeitgültiges Nie-Wieder überwiegt bei mir aber heute zum Glück das persönliche Interesse für jüdische Kultur in Literatur, Film, Musik und Religion vor und nach dem Holocaust, weil ich nur so meine Sprachlosigkeit als Deutscher gegenüber meinen jüdischen Mitbürgern überwinden kann und nur so eine zukunftsorientierte Wieder-belebung unserer gemeinsamen christlich-jüdischen Geschichte in einem fruchtbaren Dialog möglich ist, der auch Chancen für konstruktive politische Ansätze eröffnet.

Reiner Jornitz | So., 28. Januar 2018 - 08:46

wegen 12 Jahren einer negativem Zeitabschnitt unseres Lands 70 Jahre wo 3-4 Generationen groß geworden sind denen auch eine Kollektivschuld aufzubürden, die Identität eines Volkes zu eliminieren. Wo sind die 3 Millionen Tote die bei ihrer Flucht von Schlesien und Ostpreußen umgebracht worden sind! Wollte nicht ein gewisser Herr Morgenthau Deutschland vernichten ? Hat nicht das jüdische Finanzsystem in Amerika nicht über wohl und Wehe von Nationen entschieden . Eine schöne Prosa, aber ihre Großmutter hatte Weitblick

Cecilia Mohn | So., 28. Januar 2018 - 09:11

Danke, Sarah Stricker, für den Artikel. Es ist in der Tat so, seit die Moslems in Europa in Scharen einfallen und ihren Antisemitismus mitbringen, verschwindet das Bewusstsein in der Bevölkerung für die deutsch-jüdische Symbiose der vergangenen Jahrhunderte. Aber vielleicht wurde auch das Augenmerk vorher schon vor allem auf den Holocaust gelegt und nicht das jahrhundertelange Miteinander. Man müsste vielleicht einen Verein oder eine Akademie gründen: Gegen das Vergessen! und diese gemeinsame Geschichte aufarbeiten und publizieren und wieder in das kollektive Gedächtnis der Menschen zurückholen.
Yehudi Menuhin, Mendelssohn Bartholdy, Einstein, Heinrich Heine, Hannah Arendt, Leonard Bernstein, Elias Canetti, Marc Chagall, Sigmund Freud, Erich Fromm, Franz Kafka, Rosa Luxemburg, Karl Marx, Arthur Rubinstein, Max Reinhardt, Steven Spielberg, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Rahel Varnhagen, Lise Meitner, Peter Weiss, Arnold Schönberg, Gustav Mahler, Gregor Gysi u.a.

Dirk Nowotsch | So., 28. Januar 2018 - 10:29

...müssen wir daran arbeiten, beides an die Zeit und den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen! Ich erlaube mir von "Plattitüden" zu sprechen, aber es ist so. Weltweit sühlen sich andere Völker in ihrer Rechtschaffenheit. Als Sinnbild des bösen wird das deutsche Volk herangezogen! Das ist einfach, für heutige Zeiten, zu platt! Unsere Regierung wird nicht müde, um dem deutschen Kapitalismus weltweit voran zu bringen, ein Müllkübel der Schuld nach dem anderen, über unsere Köpfe zu kippen. Der Sinn ist meistens den Weg für üppige Zahlungen an die "Opfer", aus der Staatskasse, zu ebenen, damit diese dann von der Wirtschaft wieder eingesammelt werden. Ich wünsche mir eine Aufarbeitung des Antisemitismus im gesamt europäischen Rahmen und im Kontext zu den Religionen! Außerdem wäre es positiv, viel mehr über das Zusammenleben zu hören, als über das Morden! Weder ich noch meine Eltern haben einen echten Bezug zu der Zeit! Die propagierte "Erbschuld", lehne ich ab!

Karoline Vomich | So., 28. Januar 2018 - 10:56

und er lässt sich nicht nur auf deutsche Juden anwenden, sondern auch auf unsere Beziehungen zu anderen Völkern!

Warum hat sich die deutsche Kultur gerade am Rhein so früh so prächtig entwickelt?

Manfred Steffan | So., 28. Januar 2018 - 11:14

Danke für den Artikel! Bitte den Blick weiten!

Frank Linnhoff | So., 28. Januar 2018 - 12:30

Man sollte nicht vergessen, dass die grosse Mehrheit der deutschen BürgerInnen sich nicht mehr für die Religionszugehörigkeit ihrer Mitbürger interessiert. Dies war noch vor 50 Jahren ganz anders, als Ehen zwischen Katholiken und Protestanten als Mischehen bezeichnet wurden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als dem Rektor der kurz vorher gegründeten Gemeinschaftsschule (d.h. religionsneutralen Schule) von erbosten Katholiken und Protestanten Brandsätze ins Haus geworfen wurden. Dies ist gerade einmal 55 Jahre her. Als ich dies kürzlich meinen erwachsenen Kindern erzählte, machten sie grosse Augen. Katholizismus, Protestantismus und auch Judentum interessieren heute kaum jemanden. In Wahrheit interessiert nur sehr Wenige die systematische Ermordung von Juden, Roma und Sinti, Homosexuellen, politischen Gegnern, geistig Behinderten durch die nationalsozialistische Mörderbande. Nein, die meisten Deutschen asoziieren mit dem Wort Jude nicht den Holocaust, sondern Israel.

Andreas Braun | So., 28. Januar 2018 - 14:40

Einfach klasse - vielen Dank

Anton Leimgruber | So., 28. Januar 2018 - 14:55

Mehr und sehr viel Interessantes zur deutsch-jüdischen Geschichte gibt es in dem empfehlenswerten Buch "Was ist deutsch?" von Dieter Borchmeyer!

Udo Dreisörner | So., 28. Januar 2018 - 15:46

Ich bin 1967 geboren und habe in der Schule 2 Jahre nichts anderes in Geschichte gehabt wie das dritte Reich. Ein sehr einseitiges Bild. Es wurde weder über das Judentum an sich noch darüber gesprochen das im 1. Weltkrieg auch deutsche Juden für das Reich gekämpft haben. Heute ist es in der Schule so das den Kindern eine einseitige Meinung zur Flüchtlingskriese eingeimpft wird. Unsere Schulen und deren Lerninhalte sind echt fragwürdig.

Joachim Wittenbecher | So., 28. Januar 2018 - 17:11

Frau Stricker hat Recht, der Blick auf die deutsch-jüdische Geschichte darf sich nicht ausschließlich auf die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten beschränken. Bei aller Geschichtsaufarbeitung darf die Gesamtsicht nicht verloren gehen. Wir müssen uns wieder die gesamte deutsche Geschichte bewusst machen und die deutsch-jüdische Geschichte ist ein untrennbarer Teil davon. Zu erwähnen ist beispielsweise die Tatsache, dass Frankfurt/M von 1924-1933 einen Oberbürgermeister jüdischer Herkunft hatte, Ludwig Landmann. Unter seiner Leitung wurden u.a. 12 000 Wohnungen in städtischer Regie gebaut, in der Weimarer Republik ganz sicher unter schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen. Auch der Blick auf das Kaiserreich zeigt überraschendes: 1911 erhielt Elsass-Lothringen einen Autonomiestatus mit eigenem Landtag, 1912 wurde die SPD stärkste Partei im Reichstag, mit 34,8 % der Stimmen bei 84,9 % Wahlbeteiligung. Es lohnt sich, weiter neugierig zu sein.

Martin Arndt | So., 28. Januar 2018 - 19:24

Danke für diesen einfühlsamen und nachdenklich stimmenden Bericht. Das Nachkriegsdeutschland hat unter vielen seiner Kanzler (z. B. W. Brandt, H. Kohl) viel an grosser Aufarbeitung der Menschheitskatastrophe geleistet. Es ist sicherlich ein Vakuum in der deutschen Geschichtspolitik, dass die 12 Jahre so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass die grosse Blüte der gegenseitigen Beeinflussung deutscher und jüdischer Kultur vernachlässigt wird. Was wäre Deutschland z. B. ohne Spinoza, H. Heine und S. Freud? Es war, wie es der Biograph des grossen Louis Brandeis, Jacob de Haas, formulierte, ein „blunder“, dass sich das wilhelmische Reich nicht eindeutig durchringen konnte zu einer prozionistischen Politik. In der Gegenwart fragt man sich, was sich hinter der Kritik am Staat Israel durch deutsche Politiker verbirgt. Ist es schlicht Ignoranz und Unkenntnis darüber, welche zivilisatorisch-kulturelle Leistung die jungen Zionisten in der Region vollbracht haben?

Dr. Roland Mock | So., 28. Januar 2018 - 21:32

Die Autorin schreibt, das Bild des Jüdischen sei bis heute durch die Nazis geprägt. Das ist wohl wahr. Leider ist ebenso wahr, daß in Deutschland lebende Juden selbst eine Menge dazu beitragen, daß dieses Bild nicht (endlich) korrigiert wird. Ich denke hier z.B. an Michel Friedman, der sich jahrelang als Richter darüber, wer und welche Äußerung antisemitisch sei und wer bzw. welche nicht, aufschwang. Er bezog seine Legitimation für dieses moralische Hohepriesteramt einzig aus der im Holocaust kulminierenden Verfolgung der Juden, auch seiner eigenen Familie, durch die Nazis. Erst die Aufdeckung des Skandals um Koksfeten mit ukrainischen Prostituierten vermochte, sein diesbezügliches Sendungsbewußtsein zu stoppen. Gottlob konnte solcherart ausschließliche Fokusierung des Jüdischen auf die Rolle von Juden als Opfer unrühmlicher Geschichte meine Bewunderung für jüdische Schriftsteller, Maler und Wissenschaftler nicht verhindern. Es wäre schade und mein Leben kulturell ärmer gewesen.

Das ist das Problem, das ich mit Leuten wie Friedman habe. Bei solchen Leuten habe ich den Eindruck dass die Herkunft die moralische Überlegenheit oder Unterlegenheit bestimmt.

Rolf B. Greven | So., 28. Januar 2018 - 23:27

En kluger Beitrag von Sarah Stricker. Und endlich einmal ein Blick zurück auf das jüdische Leben vor dem Holocaust. Ich erinnere mich gut daran, wie mir meine Mutter in unserem Wohnort als Kind oft Häuser zeigte und mir erklärte, wer dort früher gewohnt und gelebt hatte, bevor die dort lebenden jüdischen Menschen deportiert wurden. Mir blieben diese Menschen dadurch nicht nur als jüdische Opfer in Erinnerung. Ich empfand ihr Schicksal als schrecklich, weil ich sie quasi über Mutters Beschreibung kennen gelernt hatte.

Gedenkstätten sind wichtig und richtig. Eine Reduzierung jüdischer Menschen als Opfer der Nazibarbarei kann alleine kein Mittel gegen Antisemitismus sein.

Lutz Scnelle | Mo., 29. Januar 2018 - 11:31

Vor allem wird der Antisemitismus von der Politik in Bewegung gehalten und nicht von den Deutschen, und der neue Antisemitismus ist aus den arabischen Ländern importiert.
"Wir werden den Finger in der Wunde halten", versprach Gerhard Schröder Wladimir Putin, als die neue Achse Paris - Berlin - Moskau geschmiedet werden sollte.

Josef Garnweitner | Mo., 29. Januar 2018 - 16:53

Antwort auf von Lutz Scnelle

soll man denn die Deutschen fortwährend erpressen können, wenn man nicht weiterhin von Seiten der Politik und der mit ihnen verbandelten Medien die ganze Nation mit Schuldgefühlen überzieht? Natürlich auch die Kinder, die grade geboren werden. 72 Jahre nach Kriegsende.

Mit sachlicher Berichterstattung geht das halt nicht.

Dominik Roth | Mo., 29. Januar 2018 - 12:30

Warum sollte ich bei der Wertschätzung anderer Menschen einbeziehen, an welchen Gott sie glauben?

Wenn sich ethnische Minderheiten positiv in Gesellschaften einbringen wie das Judentum, finde ich das gut. Wenn Minderheiten ihre Andersartigkeit zu sehr nach außen tragen, vielleicht so sehr, dass es eine Dauer-Provokation darstellt, dann muss sich diese Gruppe darüber im Klaren sein, dass dies auf Ablehnung stößt. Da muss man dann mit dem Grundgesetz vereinbare Regeln schaffen, um Grenzen zu ziehen.

Für die unaussprechlichen Nazi-Verbrechen in der Vergangenheit muss m.E. niemand heute Schuld empfinden, sondern man sollte sich bewusst sein, welche Fehler von wem gemacht wurden, dass es dazu kommen konnte, sodass es nie wieder passiert. In sofern finde ich es richtig, dass ich mich in meiner Schulzeit mit dem Thema Holocaust intensiv auseinandersetzen musste. Auch wenn mich das Thema zu der Zeit ziemlich genervt hat...

Stefan Hintz | Mo., 29. Januar 2018 - 12:43

Auch, wenn es an anderer Stelle schon gesagt wurde: Danke für diesen tollen Artikel.

Robert Müller | Mo., 29. Januar 2018 - 14:02

Die "deutsch-jüdische Geschichte" vor der NS-Zeit war meiner Meinung nach nur relativ besser, aber nicht wirklich gut. Interessanter ist da schon die "jüdische Geschichte", so haben z.B. der Zionismus und das Reformjudentum auch Quellen im deutschsprachigen Raum, wobei ich Österreich-Ungarn da mit einschließe.

Eine andere Frage ist die Zeit nach der NS-Zeit. Ich glaube nicht das man da von "deutsch-jüdischer Geschichte" sprechen kann, weil diese Leute mit "deutsch" wenig zu tun hatten. Das ist mit der jüngsten Einwanderungswelle aus Russland nicht anders geworden.

Ich glaube nur die wenigen Jahre zu Beginn der Weimarer Republik können tatsächlich als "deutsch-jüdisch" bezeichnet werden, damals gab es viel "Aufbruch" in eine bessere Zeit. Wahrscheinlich war es das Fossil aus der Kaiserzeit, der fast 90 Jahre alte Reichspräsident Hindenburg, der die neue demokratische Republik letztlich gegen die Wand gefahren hat und damit die deutsch-jüdische Geschichte beendete.

Rainer Stache | Mo., 29. Januar 2018 - 15:25

Immer wieder muss ich (Jahrgang 54) weinen, wenn ich an die Juden denke. Reflexhaft wie bei einer Spielfilmschmonzette. Nicht nur wegen des unermesslichen Leids, dass Deutsche über jüdische Deutsche gebracht haben, was sich heute sowieso fast jeder adäquaten Vorstellung entzieht , sondern auch wegen des Verlustes an guten Menschen den Deutschland dadurch erlitten hat. Vielleicht würde uns das heute helfen, dem Wahnsinn in Führungsmilieu und Regierung zu mindern. Und es schockiert mich umso mehr, dass der schwächliche Widerstand gegen die neue totalitäre Entwicklung so oft auf antijüdische Phrasen zurückgreift und die wahren Feinde damit vom Verdacht freistellt.

Hans Lutz Opperman | Mo., 5. Februar 2018 - 14:52

Antwort auf von Rainer Stache

Sie fehlen uns mit ihrer Kultur, mit ihrem Denken und Wirken - Zerstörte Städte kann man wiede aufbauen, aber Menschen sind unersetzbar - es macht Mut wie sie das Fehlen auf den Punkt gebracht haben. Wann werden wir endlich verstehen, dass die Terrorherrschaft uns gemeint hat, wenn sie die jüdischen Mitbürger drangsalierten, beraubten und töten.

Stolperstein sind kein Ersatz dafür, auch nur ein Sedativum für den erlittenen Schmerz - jede zerstörte Synagoge gehört wieder errichtet, sei es als religiöse Stätte oder als Mahnmahl - die Stelen in Berlin sind nicht genug.

Ernst Laub | Mo., 29. Januar 2018 - 15:59

Einer der sehr deutschen Juden war Ernst Lissauer. Für Stefan Zweig war Lissauer "der preußischste Jude, den er kannte" und "der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte.“ Lissauer war u.a. auch der Verfasser des „Hassgesanges“ „Gott strafe England“. Er verstarb 1937 in Wien…. An ein Exil in England musste er Gott sei Dank noch nicht denken.

Renate Genth | Mo., 29. Januar 2018 - 17:58

Ich finde den Artikel wunderbar. Zunächst bin ich aufgewachsen mit den traurigen Geschichten, wie Freunde auf einmal verschwanden, wie man versucht hat mit dem eigenen Vermögen wenigstens einige zu retten. Dann habe ich den wunderbaren Beitrag von Juden und solchen, die sich da längst abgewandt haben, aber bestimmte Begabungen in sich trugen,entdeckt - und das auch in meiner wissenschaftlichen Arbeit. Die Juden sind Europäer seit dem römischen Reich. Sie haben immer dazugehört. (Schon der Satz ist eigentlich überflüssig, aber eben dem Zeitgeist geschuldet!) Aus Antijudaismus und dem folgenden Antisemitismus wurden in Deutschland und Europa nicht nur furchtbare Verbrechen begangen, sondern Europa und besonders Deutschland wurden bedeutende kulturelle Elemente geraubt. Auch deshalb kann die Kultur heute kollabieren.

Rolf Pohl | Mo., 29. Januar 2018 - 18:42

Das ist erstens korrekt, wird jedoch zweitens, gerade auch seitens Vertretern jüdischer Organisationen, eher wenig kommuniziert. Stattdessen findet für junge Menschen nicht mehr so erfassbar, im Zusammenhang der sehr langen und fruchtbaren, jüdischen Kultur in Deutschland fast immer wie unmittelbar ein Bezug zum millionenfachen Morden an jüdischen Menschen im Einflussgebiet der Nazis bis 1945 statt.
Das ist schade und wird hier von Sarah Stricker zu recht beklagt.
Ein gutes und positives Beispiel für die richtige Betrachtung dieses Themas ist allerdings das Jüdische Museum in Berlln.
Pflege von KZ-Gedenkstätten und Besuche dort sind eine wichtige Sache. Jüdisches Leben und jüdische Kultur zu erfahren eine andere.

Andererseits wird seitens deutscher Stellen, wie z.B. Schulen, viel zu wenig getan um dem hier seit einigen Jahren von aussen zugereistem Antisemitismus und Judenhass strikter zu begegenen.

Reischl Siegfried | Di., 30. Januar 2018 - 10:31

Ich bin Jahrgang 1950 und meine Mutter geb. 1913 hat mir als Kind erzählt. In Untergriesbach/Ndb. gab es 3 Schwestern.Sie verkauften Kleidung und Stoffe.
Sie waren Jüdinnen.Als der Druck der Nazibonzen immer größer wurde verschenkten sie die Waren um ihr Leben zu retten.Man sagte in unserer Zeit folgendes wenn jemand etwas billig oder kostenlos erwerben wollte:beim Frischmann Griasbach = Untergriesbach.Auch die Apothersleute verschwanden ins KZ.Sie können sicher den Obernazi Brüh.... ermitteln.Vom Hörensagen sollen sogar Grundstücke und Häuser "überschrieben" worden sein.
Mein Vater geb. 1913 erzählte mir ca. 1960 er habe einem Juden ein Kalb erkauft.Dieser gab ihm einen Scheck über die Kaufsumme.Am nächsten Tag wollte mein Vater den Scheck bei der Bank einlösen.Er war nicht gedeckt.Hätte mein Vater diesen Juden gemeldet - er wäre im KZ Dachau gelandet.Weil Mutter und Vater gläubige Christen waren taten sie es nicht.Gutsein und Bösesein das ist hier die Frage....
Siegfried Reischl

Hans Lutz Opperman | Mo., 5. Februar 2018 - 09:30

Mir spricht die Autorin aus dem Kopf - sie schildert treffend wie nachhaltig die räuberische Schergen des Diktators bis in unsereZeit hinein unser Bild von unserer jüdischen Geschichte prägen und wie es zu einer Abspaltung dieses Anteils innerhalb der deutschen Zivilgesellschaft gekommen ist - Die Nazis waren gründlich und die Nachgeborenen können den zerrissenen roten Faden zwischen all dem Blut nicht mehr wiederfinden, es sei denn sie sehen genau hin und werden sich ihrer eigenen jüdischen Anteile bewusst!

Dabei ist die jüdische Kultur in hohem Maße Teil unserer identitätsstiftend deutschen Kultur. Was wären wir ohne Moses Mendelsohn, was ohne Buber u. Rosenzweig,

Die Nazis haben ein Teil von uns zerstört und das kann man jeden Tag fühlen, so man will.

Meine jüdischen Wurzel wurden mir an der Esskultur meiner nicht jüdischen Großmutter vermittelt, die wie selbstverständlich für ihren Mann kosher kochte.

Der Autorin sei Dank für diesen Beitrag - Spread this words .....

Hermann Kunze | Mo., 5. Februar 2018 - 11:42

Der Beitrag trifft den Kern der Sache: den von der vorherrschenden "Bewältigungs"-Ideologie ausgegrenzten historischen, kulturellen Kontext der Vernichtung der Juden durch Deutsche. Nicht Nazis. Nicht "Barbaren". Sondern Vorkämpfer "deutscher Kultur". Die "NS/KZ/SS"-Magie, d. "Holocaust", d. "Shoah": ahistorisch, sachfremd, sakralisierend. Man lese Soldatenbriefe. Nicht als "Nazis" sind deutsche Männer in den "dreckigen" und "verlausten" Osten gezogen, sondern als Vorkämpfer "deutschen Menschentums", deutscher "Kultur", deutscher "Reinheit", deutscher "Sittlichkeit" - und vor allem: deutschen "Idealismus" gegenüber der "jüdischen Verkommenheit" u. dem "jüd. Materialismus" - zentrales Merkmal dt. Geschichte im 19. u. frühen 20. Jahrhundert. Dringend zu empfehlen der Klassiker: Raul Hilberg, Die Vernichtung der europ. Juden (engl. 1961, dt. zuletzt 1999) - genau das ist der treffende, wenn auch sperrige Begriff. Hilbergs Fazit: die Großreinigung war ein gesamt-deutsches "Erlebnis".