Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert
Der Juso-Chef Kevin Kühnert will die Delegierten überzeugen / picture alliance

SPD-Parteitag - Machtkampf um die 600

Bekommt Deutschland eine Große Koalition oder nicht? Das liegt nun ausgerechnet in der Hand von 600 Delegierten. Warum eigentlich? Wer sind die? Und wie entscheiden sie? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Bevor es überhaupt zu Koalitionsverhandlungen mit der Union kommen kann, muss ein SPD-Parteitag darüber entscheiden. So hatte es der SPD-Vorstand beschlossen. Kurz vor dem Parteitag sind die Lager tief gespalten in Gegner und Befürworter einer Großen Koalition. Aber wer sind diese 600 Delegierten, die über die Zukunft der SPD entscheiden? Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten für Sie zusammengetragen:
 

Was ist der Bundesparteitag?
Den Bundesparteitag beschreibt die SPD als ihr wichtigstes Beschlussgremium. Normalerweise tritt dieser alle zwei Jahre zusammen, um den Parteivorsitzenden zu wählen. Außerordentliche Parteitage finden statt, wenn die Partei vor besonderen Fragen steht: So etwa am Sonntag in Bonn, wenn die SPD sich für oder gegen Groko-Koalitionsverhandlungen entscheidet. 600 Delegierte werden entsandt, hinzu kommen noch 45 Vorstandsmitglieder, die sich vorab allerdings schon für die Große Koalition ausgesprochen haben.

Wieso eigentlich in Bonn?
Viele politische Beobachter halten es nicht für Zufall, dass der wichtige Parteitag in der rheinischen Provinz stattfindet. Da bei Bundesparteitagen immer auch Gäste zugelassen sind, könnten diese die Stimmung vor Ort mit beeinflussen. Der Berliner Landesverband steht traditionell eher links und ist der Parteiführung gegenüber kritischer als etwa der nordrhein-westfälische eingestellt. In Berlin ist es in der Vergangenheit häufig zu hitzigen Debatten gekommen.
 
Wie setzen sich die 600 Delegierten zusammen?
Die 600 Delegierten werden von den Landesverbänden der SPD entsandt. Jedem Landesverband steht dabei eine bestimmte Anzahl von Delegiertenposten zu. Wie der Landesverband seine Delegierten auswählt, steht ihm im Prinzip frei. Einzige Bedingung ist, dass die Delegierten demokratisch gewählt werden und mindestens 40 Prozent der Mitglieder männlich und 40 Prozent weiblich sind. Tatsächlich gestaltet sich die Delegiertenwahl aber in allen Bundesländern recht ähnlich. In NRW beispielsweise nominieren die Ortsverbände ihre Kandidaten für Delegiertenposten. Unterbezirksparteitage wählen dann unter den Nominierten die Delegierten. In Berlin dagegen nominieren die Kreise Kandidaten. Der Landesparteitag wählt dann die Delegierten für den Bundesparteitag.

Wie gut repräsentiert dieses Verfahren die ganze Partei?

Das Verfahren ist in der Partei allerdings umstritten. Die Initiative SPD++ etwa kritisiert, dass die Delegiertenposten oft von denselben Mitgliedern über Jahre hinweg besetzt werden. Darum fordern die Initiatoren, 25 Prozent der Posten an Mitglieder zu vergeben, die noch nie Delegierte waren. Ein weiteres Model: Innerhalb der SPD könnten sich Mitglieder in Themengruppen engagieren. Diese Gruppen könnten dann auch Delegierte entsenden und so die Macht von Kreisvorsitzenden und Unterbezirkschefs beschneiden.

Welcher Landesverband entsendet die meisten Delegierten?
Ein sogenannter Verteilungsschlüssel legt fest, welcher Landesverband wie viele Delegierte entsenden darf. Auf Nachfrage des Cicero hieß es seitens der SPD-Pressestelle, dieser Verteilungsschlüssel sei „leider geheim“. Laut SPD-Statuten aber, richtet sich die Delegiertenzahl nach den Mitgliedern, die ein Landesverband hat.  Tatsächlich entsendet das starke SPD-Bundesland Nordrhein-Westfalen 144 Delegierte. Mecklenburg-Vorpommern hingegen nur fünf. Es mag zwar kurios erscheinen, dass das Saarland mit knapp einer Millionen Einwohner, 24 Delegierte entsendet. Berlin hingegen, mit etwa dreieinhalb Millionen Einwohnern, ebenfalls nur 23 Delegierte. Aber die Anzahl der SPD-Mitglieder ist in beiden Landesverbänden etwa ähnlich hoch.
 
Ist klar, wie die Landesverbände abstimmen werden?
Grundsätzlich kann jeder der 600 Delegierten frei entscheiden, ob er für oder gegen eine Große Koalition stimmt. Einige Landesverbände haben aber vorher intern darüber entschieden, wie sie auf dem Bundesparteitag abstimmen werden. Daraus ergibt sich immerhin ein Stimmungsbild. Die Sachsen-Anhalter etwa haben sich gegen die Groko entschieden, auch wenn das Votum nicht bindend ist. Sachsen-Anhalt ist mit seinen sechs Delegierten ein eher kleiner Landesverband. Auch der Thüringer Landesverband mit sieben Delegierten hatte sich gegen eine Groko positioniert.

Kann die SPD-Führung auf die starken Landesverbände zählen?

Die großen Landesverbände NRW (144 Delegierte), Hessen (72 Delegierte) und Bayern (78 Delegierte) scheinen unberechenbarer zu sein. Sie haben bislang keinen Beschluss für oder gegen eine Groko vorgelegt, auch wenn etwa die bayerische Parteiführung für die Groko ist und auch einen Großteil der bayerischen Delegierten stellt. Eine Tendenz lässt sich bei den drei Landesverbänden nicht wirklich ablesen. Niedersachsen, der nach NRW zweitmächtigste Landesverband, könnte allerdings eher pro Groko abstimmen. Das Land wird seit November unter SPD-Ministerpräsident Stephan Weil selbst von einer Großen Koalition regiert.
 
Welchen Einfluss haben die Jusos und ihr Vorsitzender Kevin Kühnert?
Kevin Kühnert ist klarer Gegner einer erneuten Großen Koalition und selbst Delegierter. Unter den Delegierten sind insgesamt 90 Mitglieder der Jusos. Auch wenn die tendenziell linke Jugendorganisation der Partei eine Groko eher ablehnt, die Juso-Delegierten stimmen ebenfalls frei ab. Bleibt Kühnert nur zu werben – und das tut er: Gerade ist der 28-Jährige auf einer No-Groko-Tour, um in den Landesverbänden gegen die Große Koalition zu argumentieren. Martin Schulz und Andrea Nahles hingegen werben bei den Landesverbänden für ein „Ja“. Dabei gehen die Genossen durchaus auf Konfrontation zueinander: Nahles etwa hatte dem Jusochef vorgeworfen, in Sachsen-Anhalt mit Falschinformationen gegen die Groko Stimmung gemacht zu haben.
 
Wie entscheidet eigentlich die Union?
Ob die Union in Koalitionsverhandlungen eintritt oder nicht, wird nicht mit der Parteibasis diskutiert und ist bereits ausgemachte Sache. In der Union werden solche Fragen in einer Vorstandsklausur beschlossen.

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Gerhard Hellriegel | Fr., 19. Januar 2018 - 11:47

Artikel 38 GG Satz 2: Die Abgeordneten des Bundestages "sind Vertreter des ganzen Volkes,
an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."

Zitat: "Ein Verteilungsschlüssel legt fest, welcher Landesverband wie viele Delegierte entsenden darf. Laut SPD-Statuten richtet sich die Delegiertenzahl nach den Mitgliedern, die ein Landesverband hat."

Er kann also nicht geheim sein. Man muß nur die Anzahl der Mitglieder im Landesverband wissen, sowie deren Delegiertenanzahl. Dann hat man den Schlüssel. Aber die Sozis kennen wohl keinen Dreisatz, das ist für sie wahrscheinlich Zauberei. Hoffen wir mal das sie nicht den Finanzminister stellen.

Johan Odeson | Fr., 19. Januar 2018 - 14:33

Der Bundeskanzler wird mit der Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten des Bundestages gewählt. Wenn man also versucht diese Mehrheit zu erhalten sind doch wohl die Abgeordneten diejenigen, die über eine Koalition zu entscheiden haben um diese Mehrheit zu gewährleisten. Wieso entscheiden 600 Delegierte einer Partei über eine Koalition, entsandt nicht vom Volk, sondern völlig intransparent von einigen Parteimitgliedern? Was hat das noch mit Demokratie zu tun? Deutschland ist dringend renovierungsbedürftig.

Rolf B. Greven | Fr., 19. Januar 2018 - 17:18

Antwort auf von Johan Odeson

Wie demokratisch soll es denn sein, wenn noch nicht einmal die Mitglieder einer Partei bzw. die Delegierten darüber bestimmen dürfen, ob aufgrund eines Sondierungspapiers Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen?
Dass die Abgeordneten ALLER Parteien nicht so frei entscheiden können, wie es das GG vorsieht, ist eine andere Frage. Aber hier wird noch nicht über eine Kanzlerin abgestimmt, sondern darüber, ob Koalitionsverhandlungen sinnvoll sind.

Dr. Martin Jungmann | Fr., 19. Januar 2018 - 15:56

er Verteilungsschlüssel für die Mandate beim Bundesparteitag ist keineswegs geheim, sondern in § 15 des Organisationsstatuts nachzulesen: 600 Mandate für die Basis, daraus je 2 Grundmandate je Bezirk, die übrigen verteilt nach der abgerechneten Mitgliederzahl des Kalenderjahres vor Einberufung des Parteitags. Außerdem sind die Mitglieder des Bundesvorstandes stimmberechtigt.

Kirsch | Fr., 19. Januar 2018 - 17:33

Antwort auf von Dr. Martin Jungmann

Da haben Sie Recht, das steht so in den Statuten. Die Pressestelle sagt uns, der Schlüssel sei geheim.

Horst Schulte | So., 21. Januar 2018 - 16:56

Antwort auf von Kirsch

Sie veröffentlichen diese Aussage der "Pressestelle", weil es Ihnen auch so gut in den Kram passt. Und die Leserbriefe entsprechenden wohl auch den Erwartungen!

Yvonne Walden | Fr., 19. Januar 2018 - 16:43

Interessanterweise stimmen die SPD-Delegierten nicht über das Zustandekommen einer Großen Koalition im Deutschen Bundestag ab, sondern lediglich über den Eintritt von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU.
Deren Ergebnis ist bekanntlich ergebnisoffen.
Deshalb wissen die SPD-Delegierten eigentlich gar nicht, worüber sie in Bonn abzustimmen haben.
Besser wäre es, wenn der SPD-Parteivorstand nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen die Parteibasis über eine Annahme dieses Verhandlungsergebnisses abstimmen ließe.
So entscheidet die SPD-Basis in Bonn für "die Katze im Sack".

Über Legitimität einer Entscheidung durch den Parteitag kann man ja streiten - aber: Auch über das Ergebnis einer evtl. Koalitionsvereinbarung sollen die Mitglieder in einem nächste Schritt abstimmen dürfen.

nicht so laut! sonst merken die das alle noch bevor sie abstimmen - das könnte dem maddin gar nicht schmecken.

Paul Liesner | Fr., 19. Januar 2018 - 17:51

Gerhard Schröder begann seinerzeit damit die politische Heimat der SPD zu vernichten. Die nachkommenden Politiker arbeiten weiter daran, aus einer Arbeiterpartei eine Karrierepartei zu machen, bei der Politik nur noch ein Mittel zum Zweck ist.
Der SPD sind die Argumente und Ziele ausgegangen. Die politischen Felder der SPD wurden von den Linken und der AfD übernommen. Die SPD hat sich selber überflüssig gemacht.

Dr. Lothar Sukstorf | Fr., 19. Januar 2018 - 18:23

Die SPD ficht ihren Kampf an den Thermopylen. In vier Jahren handelt sie sich so dann 10-12% der Wählerstimmen ein.

Torsten Knecht | Fr., 19. Januar 2018 - 19:14

... die GroKo sollte die Ausnahme und nicht die Regel in einer Demokratie sein.

Ganz egal wie das am WE ausgeht. Die SPD als CDU-light Version ist überflüssig. Das wird sich in der nächsten BTW sehr klar zeigen.

paul peters | Fr., 19. Januar 2018 - 20:56

ich habe in der schule noch gelernt, dass sich eine demokratische gesellschaft durch meinungsvielfalt auszeichnet-und jede meinung ihre daseinsberechtigung hat. in den letzten jahren wird mir jedoch immer wieder aufgezeigt, dass eine meinung die richtige zu sein hat. die gegenmeinung wird entweder nicht ernst genommen oder ihr wird keine beachtung geschenkt - als stünde das zu erwartende ergebnis bereits fest. und wenns nicht so kommt, wie man es sich vorgestellt hat, dann wird die sich anders entwickelte realität kollektiv dumpf beschimpft, in frage gestellt und in der folge madig geredet. so war es bei der wahl des us-präsidenten, bei der brexit-abstimmung und nun droht als nächstes scenario die möglicherweise nicht stattfindenden verhandlungen einer neuen groko. warum muss es die groko werden? warum wird den gegnern nicht die gleiche chance eingeräumt-zählt nur das, was am ende bestimmten politikern die macht erhält? welches demokratieverständnis kommt da eigentlich zur geltung?

Bernie Bauer | Fr., 19. Januar 2018 - 21:26

2 x 300 Spartaner - Hoffentlich!
Es ist an der Zeit Martin zu zeigen, wie man kämpft

Reiner Jornitz | Sa., 20. Januar 2018 - 07:44

Martin Schulz muss sich sehr sicher gewesen sein als politisch den Meinungsschwenk betrieben hat. Von Basisdemokratie hat er wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Der Dank von der Basis sei ihm gewiss.Die müssen sich vorkommen wie in einem Kindergarten wo die Basis sich nur noch als Stimmvieh sieht. Da hat sich Martin Schulz zu weit aus dem Fenster gelehnt und seiner Partei einen Bären erwiesen. Das Ganze ist nur noch mit einem Kopfschütteln zu betrachten. UND bei der CDU entscheiden die Vorstände, was für ein demokratisches Selbstverständnis!. Diese Parteien sind abgestumpft, Müde, Träge und realitätsfremd . Der deutsche Souverän wurde betrogen auf der ganzen Linie: Neuwahlen braucht das Land!!!

Rolf Pohl | Sa., 20. Januar 2018 - 16:49

... nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen die Parteibasis über eine Annahme dieses Verhandlungsergebnisses abstimmen ließe."

Das ist korrekt liebe Yvonne. Doch exakt dies ist vorgesehen über die Mitgliederbefragung von mehr als 400.000 SPD Mitgliedern.

Alexander Wildenhoff | So., 21. Januar 2018 - 13:36

Chapeau für die Klarstellung – Frau Walden. Genau das hat mich auch geärgert. Nach dem letzten Abstimmungsergebnis des Parteitags in Karlsruhe, (MEMO: CDU-Delegierte sind mit großer Mehrheit gegen Doppelpass – wie die Mehrheit der Bevölkerung) sagt Frau Merkel „das bindet sie aber nicht“.
Da dachte ich mir: was lassen sich die sog. Volkspartei-Bonzen einfallen, um sowas in Zukunft zu unterbinden? Schulz von der anderen Seite des Verhandlungstisches hat die Lösung: man lässt die Basis über eine fiktive Katze im Sack abstimmen und tut so, als binde man sie ein. Wenn das Ergebnis aber nicht passt, ist man durch gar nichts gebunden.
Das ist nicht mehr „fake news“ – das ist schon fake democracy.

Margret Hauser | So., 21. Januar 2018 - 16:38

Bitte fangt Ihr jetzt nicht auch noch mit dem doofen "die wichtigsten Fragen und Antworten"-Spiel an.
Ansonsten seit Ihr bald genauso wie die anderen (Medien).

Bernhard K. Kopp | Mo., 22. Januar 2018 - 09:37

Viele Kommentatoren fragen, wieso diese Parteienwirtschaft GG-/verfassungskonform sein soll. Die SPD ist eine 20%_Partei, die 100% des Bundestages aufhält, die dem Land und seiner Rolle in der Welt schadet - was sie auch schon vor 4 Jahren getan hat. Wenn die Macht vom Volke ausgeht, dann ist sie bei den gewählten Bundestagsabgeordneten. Sie ist nicht gleichzeitig bei einem Parteivorstand, einem Parteitag oder einer Parteibasis. Dies bräuchte eine verfassungsrechtliche Klärung, die wir aber nicht bekommen, weil sie niemand anstrebt.

ingrid Dietz | Mo., 22. Januar 2018 - 10:32

Kevin KÜhnert hat mich mit seiner sachlichen und unaufgeregten Rede mehr begeistert, als Fr. Nahles mit ihrer Brüll-Rhetorik !