
- Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war
Kolumne Grauzone: Wirtschaftlich geht es den Deutschen gut wie lange nicht, dennoch haben die meisten Angst vor der Zukunft. Wer das belächelt, hat die menschliche Psyche nicht verstanden. Die Politik verstärkt die Sorgen noch
Zukunft, die noch nicht vergangen ist, beunruhigt mitunter. Und je mehr Zukunft die Zukunft zu bringen droht, desto unbehaglicher fühlt sich an.
Das erklärt, weshalb in Phasen großer ökonomischer Prosperität viele Menschen ein gewisses Unbehagen überkommt. Denn großer Wohlstand basiert nicht auf Stagnation, sondern auf Dynamik. Je größer also der objektiv gegebene wirtschaftliche Aufschwung, desto größer die Veränderungen und desto pessimistischer blicken viele in die Zukunft.
Und so verwundert es nicht, dass nach einer Umfrage, die der Zukunftsforscher Horst Opaschowski und das Ipsos-Institut zum Jahresende vorgelegt haben, 46 Prozent der Deutschen skeptisch und mit gemischten Gefühlen in die Zukunft schauen. Wer angesichts der guten Wirtschaftsdaten und niedriger Arbeitslosenzahlen darüber lächelt, hat die menschliche Psyche nicht verstanden.
Innere Sicherheit macht Freiheit erst möglich
Doch Zukunftssorgen sind nicht nur diffuse Produkte ökonomischer und sozialer Wandlungsprozesse. Sie haben mitunter auch konkrete und gut begründete Anlässe. So äußersten sich etwa 85 Prozent der in der besagten Studie Befragten skeptisch, dass „unsere Gesellschaft in der Lage sein wird, ein gutes Zusammenleben von Deutschen und Flüchtlingen zu ermöglichen“. 61 Prozent erwarten eine steigende Kriminalität, 49 Prozent mehr Hass und Gewaltbereitschaft.
Integration, Kriminalität, Gewaltbereitschaft – der gemeinsame Nenner dieser drei Begriffe ist die innere Sicherheit. Innere Sicherheit bedeutet Freiheit, also Lebensqualität. Denn nichts schränkt das Leben mehr ein als die Furcht vor Gewalt, die Sorge um Eigentum und Gesundheit oder das Gefühl, ganze Straßenzüge, U-Bahnstationen oder Parks besser zu meiden. Doch die innere Sicherheit ist Aufgabe der Politik. Und so sind die pessimistischen Einschätzungen der Menschen auch eine Misstrauenserklärung an die politisch Verantwortlichen.
Und die kommt nicht von ungefähr. Denn in den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein verhängnisvoller Trend zur Politisierung des Trivialen durchgesetzt – und damit zur Trivialisierung der Politik. Mit Hingabe verwickelt sich die politische Klasse im Namen so genannter „Gesellschaftspolitik“ in Nebensächliches und erweckt so den Eindruck, den Kerngebieten politischen Handelns auszuweichen.
Hinzu kommt, dass die politischen Akteure sich in den vergangenen Jahrzehnten Institutionen, Regeln und Einrichtungen geschaffen haben, die ihr Handeln erschweren. Sie hinterlassen bei den Bürgern den Eindruck, Politik werde woanders gemacht und die gewählten Verantwortlichen seien mehr oder minder machtlos.
Das Fin-de-Siècle-Gefühl
Dass daher immer mehr Deutsche mit einer gewissen Skepsis in die Zukunft schauen, wie auch eine soeben erschienene BAT-Studie belegt, kann da kaum verwundern. Besonders auffallend: Die Menschen glauben nicht einmal an die Zukunft der Zukunft. Nur ein gutes Drittel geht laut BAT davon aus, dass im Jahr 2030 die Menschen mit Optimismus in die Zukunft schauen werden.
Das Ergebnis ist ein umfassendes Fin-de-Siècle-Gefühl, das sich, allem Wohlstand zum Trotz, seit einigen Jahren in Deutschland breitmacht. Die Ursachen dafür liegen selbstverständlich nicht nur in der Politik. In Phasen starker gesellschaftlicher Veränderungen ist früher oder später die Veränderungstoleranz bei den meisten Menschen aufgebraucht. Man sehnt sich nach Kontinuität und dem Althergebrachten. Doch das Althergebrachte ist unwiderruflich verloren und Kontinuität unter den Bedingungen der Moderne nicht herstellbar. Das verunsichert.
Die Politik verstärkt die Ängste noch
Aufgabe der Politik in solchen Zeiten wäre es, Sicherheit herzustellen und zu vermitteln und ansonsten auf die Selbstkorrekturkräfte der Gesellschaft zu vertrauen. Doch genau das Gegenteil geschieht. In der kindischen Annahme, in einer sich rasant verändernden Welt sei es ihre Aufgabe, die Gesellschaft zu modernisieren (was immer das heißen soll), erhöht die Politik den Veränderungsdruck auf die Menschen noch zusätzlich, indem sie sie mittels Gesellschafts-Engineering zwangsbeglückt. Das ist nicht nur paternalistisch, sondern erzeugt zudem den Eindruck, die Politik sei ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr gewachsen oder – schlimmer noch – an ihnen nicht interessiert.
Es ist kann nicht das Ziel von Politik sein, für gute Stimmung zu sorgen. Ein Land ist kein Ferienclub und Politiker nicht seine Animateure. Politik hat vielmehr die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Gesellschaft zu schaffen. Ist das gegeben und fühlen die Menschen sich frei und sicher, stellt Optimismus sich von selbst ein. Umgekehrt bedeutet das: Die düsteren Zukunftsprognosen vieler Deutscher zu Beginn des Jahres 2018 sind ein Armutszeugnis für die politisch Verantwortlichen.