Berlin baut ein Stadtschloss, das nur wenige wollen, aber kriegt keinen Flughafen hin, der Arbeitsplätze brächte
Berlin baut ein Stadtschloss, das nur wenige wollen, aber kriegt keinen Flughafen hin, der Arbeitsplätze brächte / picture alliance

Berlin - Piefige Politik in einer Weltstadt

Berlin könnte eine pulsierende Metropole sein, doch die Politik hinkt der Zeit hinterher. Strukturelle Probleme verhindern wirtschaftlichen Erfolg und Innovationen. Die Stadt nutzt ihr kreatives Potenzial nicht

Autoreninfo

Michael Knoll war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagbüro von Joschka Fischer. Aktuell arbeitet er für eine Stiftung.

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Berlin ist keine Welstadt, ihre wirtschaftliche Bedeutung lässt auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert Wiedervereinigung arg zu wünschen übrig. Dass das Geld in Deutschland woanders verdient wird, in der Hansestadt Hamburg etwa, in der Finanzmetropole Frankfurt, in der Medienstadt Köln, in München und sogar Stuttgart, führt bei den meisten Menschen in der Stadt zur Gewissheit, alles richtig zu machen. Wer doppelt so hart arbeitet, hat eben auch nur halb so viel Spaß. Das krasse Gegenteil von Berlin also.

Zu hip für politisches Engagement

Diese konsumistische Haltung bestand jedoch schon zu DDR-Zeiten. Die Menschen, die mit ihren Steuern das anstrengungslose Leben in der Frontstadt Berlin finanzierten, waren immer schon weit weg. Heute finanzieren die solventen Papas und Mamas im Breisgau, in Oberbayern, im Niederrheinischen und sonstwo die Hipsterkultur und den Eigenheim-Spießertraum ihrer Nachkommen.

Die Zugezogenen haben sich breitgemacht und betrachten leicht spöttisch und arrogant das Treiben der Metropole, konsumieren die Angebote des kulturellen Lebens, tragen aber für die Stadtkultur und -politik wenig Neues bei. Warum sich in und für diese Stadt engagieren, die in der Lage ist, ein Stadtschloss zu bauen, das nur wenige wollen, aber keinen Flughafen, auf den die Berliner mit all seinen potenziellen Jobs sehnsüchtig warten? So bleibt diese Stadt und ihre Politik eine Addition von Partikularinteressen, bei der das Gemeinwohl über die Spree geht.

Berliner Parteien hinken der Zeit hinterher

So ist die Berliner Politik auch davon gekennzeichnet, dass die Landesparteien nicht dem Format ihrer Mutterparteien entsprechen – weder intellektuell, noch habituell, schon lange nicht strategisch. Es beschleicht einen das Gefühl, dass die Parteien mental in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stecken geblieben sind. In der Hochphase der Volksparteien zwischen den sechziger und achtziger Jahren konnte das richtige Parteibuch beim beruflichen Aufstieg nutzen. Die Parteien verteilten Fördergelder und Subventionen, schufen Arbeitsplätze im sich aufblähenden Staatsdienst und genossen Privilegien, so dass es materielle Gründe gab, sich einer der großen Parteien anzuschließen. Da diese Möglichkeiten, die eigenen Anhänger finanziell zu bevorteilen, zurückgehen, sind Volksparteien in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend unattraktiv geworden. Nicht jedoch in Berlin. Hier scheinen sie immer noch materielle Umverteilungsmaschinen zu sein. Und weil die Berliner Parteien sich mental immer noch im letzten Jahrhundert befinden, erscheinen sie nirgendwo so piefig wie in der Bundeshauptstadt.

Altlasten und unklare Aufgabenverteilung

Das hat natürlich auch mit den strukturellen Schwierigkeiten zu tun, die die Berliner Landespolitik prägen. Seit 1989 stehen Regierung und Verwaltung unter Dauerstress stehen und sind immer noch damit beschäftigt, die Probleme der neunziger und vor allem der nuller Jahre, wie Haushaltskonsolidierung oder Personalabbau, zu bearbeiten.

Es bestehen Spannungsfelder, die zum einen die typischen Ansprüche einer Metropolen-Governance widerspiegeln, zugleich sehr Berlin-spezifisch sind. Das erste Spannungsfeld ist das schwierige Verhältnis von Zentral- und Bezirksebene in Berlin. Die managementorientierten Verwaltungsreformen haben das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Senat beziehungsweise gesamtstädtischem Interesse und Bezirksverwaltungen beziehungsweise lokaler Selbstständigkeit nicht wirklich auflösen können. Das Ergebnis ist eine Aufgabenverteilung, die nicht auf einem strategischen Gesamtkonzept fußt, sondern unterschiedliche Organisationsprinzipien miteinander kombiniert. Doppelzuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken sind eine Folge davon.

Eine Kultur der alten Männer

Das zweite Spannungsfeld besteht schließlich zwischen dem „Alt-Berliner“ Charakter der institutionalisierten Politik und Verwaltung auf der einen Seite und dem „neuen“, innovativen, meist internationalen Berlin auf der anderen Seite. Wie können sich diejenigen in den etablierten Institutionen der repräsentativen Demokratie und Stadtpolitik engagieren, die an den sprachlichen und kulturellen Hürden scheitern? Auch fehlt den Neu- und Kurzzeitberlinern ein Ankerpunkt im Berliner Politikmilieu.

Die Politik der Bezirke, der Stadt, des Landes ist nicht mehr mit der Gesellschaft vernetzt, die sie repräsentiert. Der Wille nach größerer Beteiligung, nach Formen direkter politischer Partizipation ist da. Doch politische und soziale Innovationen stoßen auf Widerstand, konzeptionelles Denken und Ideen, die jenseits der Parteien entstehen, stören. Im patriarchalischen Duktus wird die Frage gestellt, wer dazu den Auftrag gegeben hat. Eine Kultur der alten Männer wie bei Volkswagen unter Piech und Winterkorn lässt sich auch in Berlin beobachten: hierarchisch, maskulin, dünkelhaft, frei von kreativer Lust und innovativer Renitenz.

Partizipationsmöglichkeiten schaffen

Die politischen Eliten des Landes Berlin müssen sich neu erfinden. Sie müssen vor allem offener für die vielen neuen Menschen in Berlin werden. Die Parteien müssen dezentrale Organisationsformen schaffen, warum geben sie ihre inhaltlichen Fragestellungen nicht an die vielen, klugen Experten der Stadt weiter? Gleichzeitig müssen sie ihre analytisch-strategische Kapazitäten aufbauen und stärken. Wie entwickelt sich die Metropole, ihre Gesellschaften und Gemeinschaften? Was sind die Trends auf Makro- und Mikroebene? Was bedeutet dies für die eigene politische Programmatik? Diese Stadt verändert sich zu schnell, um nach den Einschätzungen aus den neunziger oder gar achtziger Jahren beurteilt werden zu können. In Berlin besteht zu häufig milieuspezifischer intellektueller Reaktionismus, ihn gilt es aufzubrechen. Schließlich müssen die Parteien ihre Vorstellung von Planbarkeit von Politik und Gesellschaft aufgeben und stattdessen die politische Partizipation eines jeden in Berlin Lebenden ermöglichen.

Die Parteien können, dürfen und müssen sich wieder als politische Machtzentren definieren, unterfüttert durch analytische und strategische Kompetenz. Sie müssen ihre Mitglieder und deren Kreativität und Kompetenzen reaktivieren, sie ermutigen, sich einzubringen, das Maul aufzumachen, Konzepte zu entwickeln, sie zur Diskussion stellen. Die Parteimitglieder müssen wieder als politisches Subjekt und nicht Objekt der Parteispitzen begriffen werden. Gleichzeitig müssen sich die Parteien von Selbstbedienungs- und Selbstgenügsamkeitsorganisationen zu Organisationen entwickeln, die für Bürger wieder eine Relevanz besitzen und damit auch eine Anziehungskraft aus sich heraus entwickeln.

Das wird anstrengend für viele in den Spitzen der Parteien. Kein willfähriges Fußvolk, sondern Aktivisten im besten Sinne des Wortes. Politik wird wieder anstrengend, herausfordernd statt langweilig, diskursiv statt kommunikativ, inhaltlich statt formal, neodemokratisch statt altleninistisch. Dann wären die Berliner Parteien auch wieder anschlussfähig an das ungeheure kreative und innovative Potential der Stadt. Unser Land Berlin, unsere Stadt, die einzige Metropole in Deutschland hätte es verdient.

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Christa Wallau | Mo., 29. August 2016 - 12:31

Meines Erachtens krankt Berlin entscheidend daran, daß die Stadt i m m e r nur durch Hilfe von außen (Subventionen) gelebt hat - und das nicht schlecht. Vor der Wiedervereinigung gab es die spezielle Berlin-Förderung und jetzt den Länder-Finanzausgleich.
Wie soll sich nach jahrzehntelangem "faulem"
Leben auf Kosten anderer denn überhaupt
eine Mentalität herausbilden, welche auf
AKTIVITÄT ausgerichtet ist?
Hinzu kommt, daß sich die Altbürger Berlins, welche sich noch mit der Stadt als ganzer identifizierten, längst in die Umgebung verflüchtigt haben, weil sie mit der totalen
Bevölkerungsveränderung der Stadt in den letzten 25 Jahren nicht einverstanden waren. Kurz: Die heutigen Berliner haben keinerlei Gemeinschaftsgefühl, kennen allenfalls eine
gewisse Kiez-Mentalität.
Woher sollen da die Leute kommen, welche
stadtpolitisch anpacken wollen und können?

Christa Wallau | Mo., 29. August 2016 - 18:24

Antwort auf von Bernd Fischer

Ja, Herr Fischer, das hoffe ich.

Leider habe ich nur einen kleinen Einblick in das
Personalgefüge der AfD, und zwar in RLP. Daher weiß ich nicht,
wie kompetent und engagiert die Kandidaten der AfD in Berlin
sind. Wie gesagt, ich kann nur hoffen,daß sie sich mit
neuen Ideen einbringen werden. Allerdings braucht es
dafür eines gemeinsamen Zieles für die ganze Stadt, dessen
Erreichen die vorher zu leistende Arbeit krönen und welches
- parteiübergreifend - die Mehrheit der Berliner Bürger
begeistern könnte.
Und genau hierin sehe ich das Hauptproblem: Wie bekommt man
die Vorstellungen der Bewohner von Zehlendorf, Neukölln, Köpenick
und Kreuzberg noch unter einen Hut???

Michael Fischer | Mo., 29. August 2016 - 15:34

"Meines Erachtens krankt Berlin entscheidend daran, daß die Stadt i m m e r nur durch Hilfe von außen (Subventionen) gelebt hat - und das nicht schlecht." Zitat Christa Wallau

Das ist nicht pauschal von der Hand zu weisen.
Fairnesshalber muss man aber auch zugestehen, dass für die Stadt aber auch immer der Ärger von außen kam, der die Stadt in Schwierigkeiten gebracht hat. Seien es der letzte Kaiser, der Führer oder die Kommunisten, Berlin hatte es als Hauptstadt immer auszubaden, was an Regierenden über die Stadt kam.

Bernd Fischer | Mo., 29. August 2016 - 15:40

Hertie School of Governance (HSG) einspringen und für den richtigen politischen ( willigen ) Nachwuchs in Berlin ( Stadt ) sorgen.

Dann erspart sich die Hertie School of Governance wenigstens die teure Ausbildung von Lobbyisten.

franz wanner | Mo., 29. August 2016 - 15:56

sind die Alternativen.
statt X solle man doch Y und müsste zudem Z sind doch auch nur wieder Erwartungshaltungen, die auf kostenintensive Subventionsumvertreilung oder gar deren Dopplung hinauslaufen.
Einerseits erstickt jeder Verantwortliche in überbordenden Regelkreisen und von "Gerechtigkeit" getriebener Regelierungswut, andererseits wäre der Ruf nach den Leuten, die "staatspolitisch anpacken" auch nur wieder ein Aufruf zur nächsten Regulierungswelle.
Es reichte doch das Bekenntnis der Beteiligten:
Wir leisten uns das, was wir uns leisten können!
Extrawünsche müssen extra bezahlt werden. Und nicht nur anteilig. Nennt man Verantwortung. Äh, nannte man Verantwortung.
Will die jemand haben?

Barbara Kröger | Mo., 29. August 2016 - 16:12

Vielleicht war die Idee, Berlin nach der Wiedervereinigung wieder zur Hauptstadt zu machen, doch nicht so gut, auch nicht für die Stadt Berlin. Berlin hatte keine Zeit, sich als „normale“ Stadt zu entwickeln, war quasi immer im Sonderstatus. NY ist auch nicht US Regierungssitz.

Sie wissen vielleicht, dass "Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein« (Karl Schefflers, `Berlin - Ein Stadtschicksal´ [1910]).
Schon 1910 hatte Scheffler diese Erkenntnis. Sie war wahrhaftig prophetisch, wie es sich bis heute immer wieder überdeutlich gezeigt hat.

Werter Herr Fischer, Sie meinen das ironisch, aber genau das zurückrudern wird absolut nötig sein. Was da im Moment passiert könnte man positiv noch als "Narrenschiff" bezeichnen. Da geben zig Familien ein Vermögen aus um ihre Kinder für die Zukunft zu wappnen, schicken sie in Gymnasien und lassen sie studieren und parallel dazu entwickelt sich eine muslimische Gesellschaft. Bis ihre Kinder reif für einen eigenen Lebensweg sind, ist die "Islamisierung" in Deutschland soweit fortgeschritten, daß sie ihren Lebensweg nicht mehr selbstbestimmt und ohne gesellschaftliche Einschränkungen starten können, dies gilt insbesondere für Mädchen. Inzwischen ist die PC schon so pervers, daß man das Tragen von ganzkörperverhüllenden Gewändern als persönliche Freiheit feiert. Die nächste Generation wird das Beschneiden junger Mädchen als ethische Revolution feiern. Wir schaffen das.

Bernd Fischer | Mi., 31. August 2016 - 19:22

Antwort auf von Walter Wust

ich stimme Ihnen zu.

Meine Antwort war aber auf die Kritik gemünzt die Wahl Berlins als Bundeshaupstadt wäre falsch gewesen.

Ruth Falk | Mo., 29. August 2016 - 23:46

Alles, was da über Berlin gesagt wurde, trifft genauso auf die Bundesregierung zu: viel Gewurschtel, aber keine Planung. Wenns irgendwo noch funktioniert, dann höchstens auf Länderebene, aber "die Parteien können, dürfen, müssen... " ist völliger Unsinn, es sind immer nur wenige engagierte Ministerpräsidenten mit guter Mannschaft, die in ihrem Land was bewirken. Der Bund? Vergisses!

Barbara Kröger | Di., 30. August 2016 - 08:36

Dinge kritisch zu reflektieren, kann doch wohl nicht Schaden, Herr Fischer.
Im Übrigen sollte man sich in Berlin endlich darum bemühen, eine "normale" Stadt zu werden. Diese permanente Sonderrolle, für die andere Bundesländer bezahlen, sollte so nicht weitergehen. In Berlin wird viel spekuliert und Geld ausgegeben, aber wenig tatsächlich erwirtschaftet.

Hallo Herr Fischer, hier geht es aber gerade um Berlin, unsere Hauptstadt. Meine Kritik richtet sich auch gar nicht gegen die Berliner Bevölkerung, sondern gegen bestimmte Strukturen in der Stadt. Da muss sich viel ändern.

bruno leutze | So., 4. September 2016 - 13:03

Werte Redaktion,
meine Kommentare zu dem Artikelverfasser, Herrn Knoll, sowie den Foristen Wallau, Wust und Kröger hat Ihnen wohl inhaltlich nicht geschmeckt. Sie waren bzw. sind weder beleidigend noch unsachlich. Sie beziehen sich vielmehr auf die soziologische Plattheit von "Strukturen", die für die Lage in Berlin verantwortlich sein sollen und insbesondere auf die Frechheit gegenüber den Altberlinern, die noch zu Mauerzeiten mit ihrer Subventionsmentalität sich von fleißigen Westdeutschen aushalten ließen uswusf..
D a s scheint Ihnen aber kein Problem zu sein, mehr noch, Sie teilen womöglich diese Auffassung, sonst hätten Sie meine kurzen Kommentare dazu, die - eingestanden - nicht freundlich verfasst sind, aber die interessierte Dummheit widerspiegeln.
Also nochmals durchlesen und objektiv betrachten...
MfG