Boris Palmer
Boris Palmer bedankt sich auf dem Tübinger Marktplatz bei seinen Wählern / dpa

Bürgermeisterwahl in Tübingen - Exklusiv für Xing-Leser: Der Triumph des Boris Palmer

Boris Palmer bleibt Oberbürgermeister von Tübingen. Mit absoluter Mehrheit gewann er als unabhängiger Kandidat die gestrige Wahl. Das ist vor allem eine Schlappe für die Grünen, die Palmer wegen seiner Aussagen zu Flüchtlingen und zur Corona-Politik am liebsten loswerden wollen und dessen Parteimitgliedschaft deshalb derzeit ruht. Palmer gelang es sogar, bisherige Nichtwähler zu mobilisieren.

Porträt Mathias Brodkorb

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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Tübingen hat gewählt, und der alte ist auch der neue Oberbürgermeister. Nur wenig mehr als eine Stunde nach der Schließung der Wahllokale war der Drops gelutscht: Mit 52,4 Prozent wurde Boris Palmer bereits im ersten Wahlgang bestätigt, während seine Gegenkandidaten von den Grünen und der SPD nur auf 22 bzw. 21,4 Prozent kamen.

Insbesondere für die grüne Ortsvorsteherin Ulrike Baumgärtner ist das eine Schlappe, steht ihre Kandidatur doch auch mit dem Versuch in Verbindung, Palmer ganz aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu drängen. Die in Berlin lebende und in Tübingen kaum bekannte Sozialdemokratin Sofie Geisel konnte im Vergleich dazu wenigstens einen Achtungserfolg erzielen.

Was Palmers Gegner damit am Ende unabsichtlich bewirkten, ist dessen politische Stärkung. Er hat selbst unter schwierigen Gesamtumständen bewiesen, dass grüne Politik in Deutschland sogar absolute Mehrheiten erringen kann – wenn sie mit einer starken Persönlichkeit, fachlicher Kompetenz und gesellschaftlicher Kompromissfähigkeit verbunden ist. Unter dieser Voraussetzung sieht der geneigte Wähler offenbar selbst über den einen oder anderen Ausrutscher hinweg.

Und genau darin besteht das eigentlich Fulminante seines Wahlerfolges: Mit einer Wahlbeteiligung von deutlich über 60 Prozent stellt die Stadt Tübingen einen Rekord für das Land Baden-Württemberg auf. Üblich sind sonst eher Werte von unter 50 Prozent.

Palmer hat eine Mehrheit der Stadtgesellschaft auf seiner Seite

Das Ergebnis ist daher am Ende nicht schwer zu verstehen: Palmer gelang es, vor allem im konservativen Lager Unterstützung einzusammeln. Und er hat offenbar jene mobilisieren können, die sonst nicht zur Wahl gehen. Palmer feierte das Ergebnis daher auch als einen Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie. Er freue sich über die Wahlbeteiligung sogar mehr als seinen Wahlsieg, verkündete er gestern Abend vor dem Tübinger Rathaus unter dem Beifall hunderter Anhänger.

 

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Dass das so völlig ernst gemeint war, muss man indes nicht glauben. Die eigentliche, an die Grünen gerichtete Botschaft war eine ganz andere: nämlich die, dass er eine Mehrheit der Stadtgesellschaft auf seiner Seite habe. Jedem überzeugten Demokraten dürfte es schwer fallen, hiergegen etwas zu sagen. Bedanken müsste sich Palmer daher vor allem bei seinen grünen Parteikollegen. Erst deren Angriffe auf ihn dürften die Nichtwähler in dieser Zahl an die Wahlurnen gelockt haben.

Palmer konnte daher ganz selbstbewusst ankündigen, sich in Zukunft bei den Grünen wieder mehr einbringen zu wollen, vermied allerdings jede Form von Provokation. Nicht ganz ohne Grund verwies er in seinem Pressestatement dabei auf die Schrift „Legitimität durch Verfahren“ des deutschen Soziologen Niklas Luhmann. Der habe einst sinngemäß gesagt, dass in einer pluralen Demokratie der Meinungsstreit zwar der Katalysator der kollektiven Meinungsbildung, aber die Abstimmung oder Wahl das Ende des Diskurses darstelle und jenen Legitimität verschaffe, die eine Wahl gewonnen hätten.

Die Tübinger Grünen verbuchen den Wahlsieg bereits als Erfolg für ihre Partei

Das war zwischen den Zeilen eine zwar intellektuell verpuppte, aber deutliche Ansage an seine Gegner, die ihn auf dem Rathausplatz auch nach der Wahl vereinzelt noch ausbuhten. Palmer wird die angezogene rhetorische Handbremse der letzten Monate ab morgen wohl wieder lösen und für ein bisschen mehr Stimmung in Stadt und Republik sorgen. Und seine Gegner können sich bei ihrer Kritik nicht einmal auf die These berufen, die Bürger stünden nicht hinter ihrem Oberbürgermeister.

Während Ulrike Baumgärtner ob des Wahlausganges ihre Zerknirschtheit vor laufenden Kameras kaum verbergen konnte, scheint zumindest Marc Mausch, der Pressesprecher der Tübinger Grünen, den Kurswechsel schon einleiten zu wollen. Noch kurz vor der Wahl stellte er öffentlich in Frage, ob Palmer die Grünen überhaupt noch „repräsentieren“ könne. Schlagartig scheint das nun aber wieder ganz anders zu sein. Dem Schwäbischen Tagblatt jedenfalls sagte er: „Wenn wir das Ergebnis zusammenzählen, liegen wir bei über 74 Prozent für die Grünen.“ Und wenn man mit den Wölfen heult, steht man immer auf der richtigen Seite der Geschichte.

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