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Politiker in den Medien - Die Kunst des Nichtssagens

Wer unverbindlich bleibt, gewinnt. In der verschwatzten Republik bestrafen Journalisten ausgerechnet das ehrliche Wort

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Ja, wer in Deutschland professionell Politik machen will, muss wissen, wie das Spiel läuft. Zumal dann, wenn er in der Berliner Arena zum Kanzlerkampf antritt.

Ja, wer in diesen Zeiten einen Kanzlerkandidaten berät, muss die Minen vorausahnen, sie rechtzeitig aufspüren und entschärfen. Spätestens dann, wenn er Presseinterviews glättet, schönt und abzeichnet.
Ja, wer in den Medien als Kanzlerkandidat auf das Talent der taffen Formulierung setzt, muss aufpassen wie ein Schießhund. Zumindest dann, wenn die Gefahr besteht, dass er selbstverliebt der eigenen Brillanz anheimfällt.

Es gibt viele Spielregeln in der Szene zwischen Borchardt, Einstein Unter den Linden, Adnan und Paris Bar. Peer Steinbrück hätte sie kennen können, sollen, müssen. Doch er redete gleich zu Beginn seiner Kandidaten-Karriere drauflos wie – ja, wie eigentlich?

Wie ein Mensch, der sagt, was er denkt.

Aber geht das denn? In Berlin geht das so: Die Journalisten Christiane Hoffmann, Eckart Lohse und Markus Wehner interviewen für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung den Kanzlerkandidaten der SPD. Sie thematisieren die geringen Gehälter der Politiker im Gegensatz zu den bonusfetten Bezügen in der Wirtschaft. Die Frage an Peer Steinbrück lautet: „Verdient die Kanzlerin zu wenig?“
Eine schlichte, eine klare, eine direkte Frage – sollte man meinen. Die Aufforderung zu einer schlichten, einer klaren, einer direkten Antwort – sollte man meinen.
Peer Steinbrück ging auch genau so darauf ein – schlicht, klar, direkt: „Eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler verdient in Deutschland zu wenig – gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss, und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.“

Peer Steinbrück sagte, was er denkt. Zur Zufriedenheit der drei Journalisten – sollte man meinen.

Weit gefehlt! In derselben Ausgabe der FAS wird dem Interviewpartner die eingeforderte Aussage sogleich mit voller Wucht um die Ohren gehauen: „Kanzler-Bezüge: Steinbrück und das liebe Geld“, lautet der vorwurfsvolle Titel auf Seite eins. Und der Autor des Aufmachers, Majid Sattar, gibt sich verzweifelt: „Warum will ihm nichts gelingen?“

Ja, warum wohl ist Peer Steinbrück auch dieses Interview misslungen? Oder, andersherum gefragt: Wie hätte es ihm denn gelingen können? Ganz einfach: durch ­Nichtbeantworten, ­respektive Falschbeantworten der FAS-Frage. Beispielsweise so: „Reden wir doch lieber über die Löhne von Krankenschwestern.“ Oder auch: „Ich habe andere Sorgen, als mir über das Gehalt von Angela Merkel Gedanken zu machen.“

Richtig, so hätte Peer Steinbrück antworten können – und damit verhindern, dass das Blatt, das ihn eingeladen hatte, Rede und Antwort zu stehen, den Kandidaten hinterher mit deutschlandweiter Wirkung zur Schnecke macht. Denn der Berliner Journalistenschwarm verbreitete die miefige Meldung vom geldgeilen Sozialdemokraten mit zunehmender Zuspitzung im ganzen Land: „Peer will mehr“, lautete die schäbigste Schlagzeile.

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Auch als Steinbrück während eines launig gehaltenen Salongesprächs im Berliner Ensemble lachend zur Kenntnis gab, keinen Pinot Grigio unter fünf Euro die Flasche zu trinken, war das eine amüsante Aussage, die er – unehrlicherweise – besser unterlassen hätte, wurde sie ihm doch anderntags von der schurigelnden Journaille im Mund herumgedreht. Aus dem schlagfertig-fröhlichen Causeur machte sie den arroganten Luxus-Sozi – Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht!

Ja, so läuft das Berliner Spiel: Fallenstellen wird zum medialen Sport, ehrliche Sätze werden zum publizistischen Straftatbestand. Interviewte Politiker müssten von den Journalisten vor der Einvernahme die Belehrung empfangen: „Alles, was Sie jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden.“

Rainer Brüderle durchleidet den Schauprozess der Schreibtisch-Savonarolas, weil er, altväterlicher Herrenwitzler, eine Journalistin im Bar-Halbdunkel auf ihre Oberweite ansprach. Ein allgemeiner Aufschrei in der Medienszene war die Folge: Sexismus – endlich wieder eine neue Sau, die durchs Dorf getrieben werden durfte!

Christian Wulff stürzte über einen Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, mit dem er sich beim vermeintlichen Freund über die Berichterstattung in dessen Blatt beschwerte. Die Publikation der emotional-zornigen Mitteilung machte aus dem Bundespräsidenten einen Dorftrottel – aus dem stillos-illoyalen Wulff-Spezi Diekmann hingegen einen Helden.

Doch, doch, der Berliner Journalistenschwarm ist kraft Amtes angewiesen auf Politiker, die reden. Und das Lamento ist groß, weil die Politiker immer weniger sagen, immer mehr um den heißen Brei herumreden, sich immer häufiger ins Ungefähre hinwegschwadronieren.

Dieselben Journalisten aber amüsieren sich köstlich über Politiker, die sich ihnen gegenüber „ungeschickt“ verhalten, „es einfach nicht können“, was so viel bedeutet wie: das Nichtssagen nicht beherrschen.

Darum ist Angela Merkel Kult: Sie sagt nichts. Und wenn sie trotzdem etwas sagt, sagt sie erst recht nichts. Das ist die politische Kunst, die bei der Medienmeute höchsten Respekt genießt: mediale Staatskunst.

Angela Merkel hat diese Kunst des Schweigens und des nichtssagenden Redens zweimal in ihrem Leben gelernt. Zuerst in der DDR, allwo freimütiges Reden die Existenz bedrohte. Und dann in der BRD, allwo freimütiges Reden die politische Karriere kosten kann.

Schweigen ist der Goldstandard im Mitteilungsmilieu der Metropole.

Dabei ist die Republik verschwatzt wie kaum eine andere Demokratie. Eine Talkrunde jagt die nächste. Doch wird da geredet im Sinne von: redlich Relevantes gesagt? Wehe dem, der so etwas wagen würde! Die Quizmaster der politischen Schwatzbuden, von Jauch bis Plasberg, wären augenblicklich derangiert, weil intellektuell überfordert, deshalb auch ungehalten. Derlei Frevel kann sich ein Politiker nur bei Strafe erlauben, denn das Personal der medialen Demokratie hat sich gefälligst an die Spielregeln zu halten: unverbindlich sein, geschickt sein, taktisch sein, schlau sein – nicht man selbst sein.
Letzeres vor allem: Nicht man selbst sein! Steinbrück nicht Peer Steinbrück, Merkel nicht Angela Merkel, Brüderle nicht Rainer Brüderle, Wulff nicht Christian Wulff et cetera.

Wie wär’s, wenn sich die politische Prominenz für ein Jahr der erniedrigenden Zurschaustellung unter der Zuchtrute der Journalisten verweigern würde? Durch Schweigen, wo immer ein Journalist die Fragen stellt?

Es wäre: das Schweigen der Lämmer! 

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