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Künstler bedanken sich bei Merkel - Wenn eine Inszenierung zur Farce wird

Gestern zog eine Gruppe von Film- und Fernsehleuten zum Kanzleramt und hinterließ einen Brief an dessen Pforte. In diesem brachten sie ihre Verbundenheit mit der Merkelschen Flüchtlingspolitik zum Ausdruck. Unglücklicherweise am selben Tag, an dem die Kanzlerin ihr „Wir schaffen das“ ins Gegenteil verkehrte

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Opportunismus, das ist die Technik, eine Gelegenheit zum eigenen Vorteil zu nutzen: „to catch the opportunity“. Zur Kunstform wird der Opportunismus, wenn es gelingt, diesen eigenen Vorteilsgewinn wie einen Akt der Selbstlosigkeit aussehen zu lassen. In höheren Sphären könnte man bei solchen Konstellationen von Realpolitik mit menschlichem Antlitz sprechen. In früheren Zeiten war das zum Beispiel immer dann der Fall, wenn Bundeskanzler mit einer Entourage aus deutschen Wirtschaftsführern zum Geschäftemachen nach China reisten und dort zur Beruhigung des heimischen Publikums „auch die problematische Menschenrechtslage angesprochen“ haben. Natürlich wussten alle Beteiligten, dass es sich dabei um reine Inszenierungen handelte. Aber Ansprachen dieser Art waren allemal gut fürs Gewissen (und nicht zuletzt auch für künftige Wahlergebnisse).

Weniger kunstvoll, um nicht zu sagen lächerlich, wird der Opportunismus, wenn die Gelegenheit nur noch günstig erscheint, sie es aber in Wahrheit nicht mehr ist. Dann gerät die Inszenierung zur Farce; die entsprechenden Bilder wirken verrutscht, unstimmig, entlarvend. Das sieht in etwa so aus wie der Aufmarsch diverser Kulturschaffender (die ihr Auskommen übrigens fast allesamt aus direkter oder indirekter Alimentierung durch den Staat beziehen) gestern vor dem Kanzleramt. Unter Anführung eines Filmregisseurs und einer Filmproduzentin zog da also eine bunte Truppe von Schaugewerblern an den Sitz der deutschen Regierungschefin, um einem Dienstboten viele rote Rosen sowie einen Brief zu überreichen, den man auch als Ergebenheitsadresse lesen könnte. Künstler huldigen der weisen Lenkerin des Volkes: Im Sozialismus hätte das gewiss ein schönes Wandgemälde abgegeben.

Eine unstimmige und vermasselte Inszenierung
 

Der Brief, den die aus Film- und Fernsehleuten bestehende Delegation an der Kanzleramtspforte hinterließ, ist eine einzige Durchhalteparole für die Großmeisterin der Durchhalteparolen und entbehrt insofern nicht einer gewissen inhaltlichen Redundanz. Man wolle die Kanzlerin „in ihrer Haltung und ihrer Politik, was das große und so kontrovers diskutierte Thema der Flüchtlinge angeht, bestärken“, heißt es da. Es ist natürlich immer schön und vor allem auch günstig, auf der gefühlt richtigen Seite zu stehen und dies seiner eigenen Peer Group (und nicht zuletzt deren Finanziers) zu demonstrieren. Aber der Zeitpunkt dafür hätte nicht schlechter gewählt sein können. Denn er fiel just auf den Tag, an dem Angela Merkel ihr berühmtes „Wir schaffen das!“ ins Gegenteil verkehrte. Übrigens mit einer Inszenierung, die dermaßen vermasselt ist, dass selbst der wohlmeinendste Polittheaterkritiker seine liebe Not damit haben dürfte, darin noch irgendetwas Stimmiges zu erkennen.

„Wir sind beeindruckt von dem, was schon jetzt überall in Dörfern, in großen und kleinen Städten für die Flüchtlinge getan wird. Das ist unser Land. Sie haben uns gezeigt, wozu es fähig ist. Mit einem Satz haben Sie das Bild unseres Landes im Ausland, wie vor unseren eigenen Augen, verändert.“ So formulieren es die Unterzeichner des Kanzlerinnenbriefs, und es wäre gewiss unredlich, jedem einzelnen von ihnen blanken Opportunismus zu unterstellen. Aber im Kern geht es eben schon um die Verschönerung eines Bildes, und zwar des Bildes von „unserem Land“. Flüchtlingskrise als Opportunität zum Imagegewinn – nicht nur in nationalen, sondern auch in privaten Bezügen (berufliche Perspektiven inklusive). Und es geht darum, andere „Bilder“, nämlich solche, wie sie in diesen Tagen an der griechisch-mazedonischen Grenze entstehen, zu verhindern, indem die entsprechenden Schauplätze auf weniger beachtetes Terrain verlagert werden.

Der brutale Opportunismus der Türkei
 

Denn das ist die vorläufige und womöglich dauerhafte Lösung der Flüchtlingsproblematik gemäß Merkel‘scher Politik: Die Türkei übernimmt den unschönen Teil der Arbeit, Europa zahlt – und profitiert davon, dass Erdogans Regime mal eben die Pressefreiheit abschafft. Denn wo es keine freie Presse gibt, da gibt es auch kein Risiko, dass „hässliche Bilder“ drangsalierter, verletzter, womöglich getöteter Flüchtlinge entstehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Erdogans brutaler Opportunismus wird durch den humanitär inszenierten Opportunismus der deutschen Bundeskanzlerin nicht nur ermöglicht, sondern legitimiert.

Ob die Unterzeichner des rosenparfümierten Briefs an Angela Merkel sich dessen bewusst sind, sei dahingestellt. Mit Sicherheit aber haben sie sich nach ihrer rührenden Aktion besser gefühlt. Und irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass es genau darum auch ging.

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