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(dpa, picture alliance) Wolfgang Bosbach sorgt sich um Europas Außengrenzen

CDU - "Italien handelt in Notwehr gegen die Tunesier"

In den vergangenen Tagen hat die kleine Insel Lampedusa im Süden Italiens einen nie dagewesenen Flüchtlingsansturm verzweifelter Tunesier erlebt. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach spricht im Interview über die Konsequenzen für Deutschland und die Probleme der Küstenstaaten Griechenland und Italien.

Herr Bosbach, auf Lampedusa richtet man sich nach dem Ansturm auf neue Flüchtlingsmassen ein. Was muss Deutschland jetzt tun?
Dieser Flüchtlingsstrom ist kein trilaterales Problem zwischen Deutschland, Italien oder Tunesien. Wir haben ein europäisches Problem, denn wir müssen davon ausgehen, dass viele Flüchtlinge den Wunsch haben, in weitere Länder Europas auszuzuwandern. Das Wichtigste ist jetzt, die tunesische Regierung dazu zu bringen, diese Flüchtlingswelle zu stoppen. In der Vergangenheit konnten Flüchtlingsströme etwa durch Abkommen zwischen Italien und Libyen verringert werden.

Ist Deutschland nicht in der Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen?
Wir sollten unbedingt am Abkommen von Dublin festhalten. Danach ist jenes Land für die Durchführung des Anerkennungsverfahrens und für die Aufnahme der Flüchtlinge zuständig, in dem die Flüchtlinge ankommen. Wenn es zu einem Verteilungsverfahren innerhalb der europäischen Union käme, wäre das die Abschaffung des Dubliner Abkommens.

Hans Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, erwägt Sanktionen für jene Staaten, die die Flüchtlinge weiterreisen lassen.
Was heißt Sanktionen? Es ist Sache der Europäischen Union, die Einhaltung internationaler Vereinbarungen auch durchzusetzen. Wir haben schon das Problem mit Griechenland, wo Mindeststandards für die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen und für die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht gegeben sind. Deswegen können wir die Asylsuchenden nach Griechenland nicht zurückschieben. Wenn wir nun das Abkommen von Dublin faktisch suspendieren, indem wir die Flüchtlinge verteilen, lässt natürlich der Druck auf Griechenland und Italien, für eine sichere EU-Außengrenze zu sorgen, rapide nach. Dann könnte man dort an Land gehen und würde mit dem Hinweis versehen: „Dort geht’s nach Mitteleuropa.“

War dieser Ansturm auf Lampedusa vorhersehbar?
Das wird es immer wieder geben. Wir haben es erlebt mit den Fluchtrouten aus der Subsahara über Marokko auf die kanarischen Inseln, nach Spanien und damit auch Mitteleuropa. Dann mit Libyen oder der griechisch-türkischen Grenze und nun mit Lampedusa, wo die Zahlen deutlich höher sind als 2009 beim damaligen Höhepunkt der Flüchtlingswelle.

Überraschend ist die Entwicklung nur insofern, als dass man ja glauben könnte, die Menschen hätten gerade wegen der revolutionären Zeiten auch in Tunesien Hoffnung auf eine gute Zukunft ihres Landes. Offensichtlich ist genau das nicht der Fall. Da ist man offensichtlich in Tunesien skeptischer als in Deutschland.

Müsste es nicht ein einheitliches Asylrecht für die europäischen Länder geben?
Zunächst gibt es ja die Genfer Menschenrechtskonvention, die soweit ich weiß, alle Länder in der Europäischen Union unterschrieben haben. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen während des Asylverfahrens sind dann zwei verschiedene Dinge. Beides ist für die Flüchtlinge von überragender Bedeutung. Natürlich wäre es wünschenswert, das Asylrecht und die sozialen Bedingungen des Asylverfahrens zu harmonisieren. Ich halte das aber im Moment nicht für durchsetzbar.

Italien wird wohl seine strikte Abschiebepolitik weiter verfolgen und die meisten Tunesier nach drei bis vier Monaten wieder in ihr Heimatland abschieben.
Das ist ein Akt der Notwehr von Italien. Anders als Italien und Griechenland, die mit ihren Tausenden Kilometern Küstengrenze ein objektives Problem haben, haben wir unproblematische Grenzen. Auch wenn kein Land Europas mehr Nachbarn als wir hat, nämlich neun. Italien und Griechenland können von der Europäischen Union durch Frontex Hilfe erbitten.

Das war aber bisher nicht der Fall. Wieso eigentlich?
Eine gute Frage. Vielleicht glaubt man in Italien, dass mit Tunesien ein Abkommen wie mit Libyen geschlossen werden kann.

Muss man eigentlich kein mulmiges Gefühl dabei haben, einen Muammar al-Gaddafi oder damals Zine el-Abidine Ben Ali zum Helfershelfer für seine Politik zu machen?
Wenn wir alle von der Liste streichen würden, die totalitäre oder autoritäre Regime vertreten, dann wäre das eine sehr kleine Liste von Leuten, mit denen man noch international Verhandlungen führen könnte. Milliarden Menschen leben ja leider nicht in Ländern, die Demokratien nach westlichem Vorbild sind. Manchmal muss man auch mit solchen Regimen Verhandlungen führen, um Probleme zu lösen.

Herr Bosbach, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Marie Preuß

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