Teufel oder Messias: Benjamin Netanjahu
Teufel oder Messias: Benjamin Netanjahu / picture alliance

Wahlen in Israel - Bist du für oder gegen Bibi?

In Israel waren am vergangenen Dienstag Parlamentswahlen. Dabei ging es vor allem darum, ob Premier Benjamin Netanjahu an der Macht bleibt. Vorerst scheint er nun gescheitert, in Wahrheit aber ist für ihn noch nicht alles verloren. Das sind die Aussichten

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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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„Nur Bibi“ oder „alles, außer Bibi“: So lauten die häufigsten Antworten von Israelis auf die Frage, welche Regierung sie sich wünschen. „Bibi“ nennen sie hier Benjamin Netanjahu, den streitbaren Rekord-Premier. Die Parlamentswahl am vergangenen Dienstag beschrieben viele Analysten als Referendum über ihn, und sofern das zutrifft, ist er gescheitert: Nachdem fast alle Stimmen ausgezählt sind, hat seine Likud-Partei nur 31 Sitze erreicht – zwei weniger als die Blau-Weiß-Partei seines Herausforderers Benny Gantz und drei weniger als bei den Wahlen im April. Diese Zahlen allein müssten nicht das Aus für Netanjahu bedeuten, gelänge ihm die Bildung einer regierungsfähigen Koalition. Doch auch hier sprechen die Zahlen gegen ihn: Der Block aus rechten und religiösen Parteien, die ihn unterstützen, verfehlt die nötige Mehrheit von mindestens 61 Sitzen.

Allerdings erreicht auch das gegnerische Mitte-Links Lager keine Mehrheit, selbst wenn man großzügigerweise die arabischen Parteien mitzählt, deren Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung in jeder Konstellation gegen null tendiert. Gut fünf Monate nach der letzten Wahl stecken die israelischen Parteien erneut in einer Pattsituation, aus der es allenfalls unbequeme Auswege gibt. 

Die erste Jahreshälfte war turbulent

Nach der Wahl im April hatte Staatspräsident Reuven Rivlin Netanjahu den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Doch dann widersetzte sich Avigdor Lieberman, Vorsitzender der säkular-nationalistischen Partei „Israel Beitenu“ und bis dahin Koalitionspartner Netanjahus, den Forderungen der ultraorthodoxen Parteien und ließ so die Verhandlungen platzen – woraufhin Netanjahu das Parlament zur Selbstauflösung bewegte, um zu verhindern, dass sein Rivale Gantz zum Zuge kommt.

Sein Kalkül ist nicht aufgegangen. Lieberman konnte mit seiner Kampagne gegen die Macht der Orthodoxen die Sitzanzahl seiner Partei von fünf auf acht erhöhen. Auch die arabischen Parteien, die sich vor der Wahl zur „Gemeinsamen Liste“ zusammengeschlossen hatten, gewannen Stimmen hinzu und ziehen mit 13 Sitzen als drittgrößte Partei in die Knesset ein, Israels Parlament. Im April war die Wahlbeteilung der arabischen Bürger auf ein historisches Tief von 49 Prozent gesunken, diesmal lag sie bei 60 Prozent; offenbar hatte die Vereinigung der vier arabischen Parteien, die im April in Zweierbündnissen angetreten waren, die Motivation ihrer Wähler gehoben.

Wie geht es nun weiter? Denkbar sind drei Optionen:

1) Eine Regierung der nationalen Einheit aus Likud, Blau-Weiß und kleineren Parteien. 

Benny Gantz und Avigdor Lieberman warben im Wahlkampf für eine solche große Koalition. Seit gestern hat diese Option einen prominenten Fürsprecher mehr: Netanjahu. Doch Gantz hat ein Bündnis mit dem Noch-Premier, dem eine Anklage wegen Korruption und Untreue droht, vielfach ausgeschlossen. Manche Analysten spekulieren darauf, dass parteiinterne Rivalen, ermutigt vom schwachen Wahlergebnis des Likuds, einen Coup gegen Netanjahu wagen und damit den Weg zu einer Einheitsregierung bahnen könnten. Doch dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Stattdessen will sich Netanjahu nun selbst an die Spitze einer Einheitsregierung stellen. „Die Menschen erwarten von uns beiden, Verantwortung zu zeigen und zu kooperieren“, sagte er über sich und Gantz in einer Videoansprache. Doch der Umworbene zeigt sich bisher kühl. Gantz strebe eine liberale Einheitsregierung unter seiner Führung an, heißt es aus seiner Partei. Ein denkbarer Kompromiss wäre eine Rotationsregelung, bei der beide jeweils zwei Jahre regieren. Doch dafür müsste Gantz sein Versprechen aufgeben, nicht mit Netanjahu zu koalieren – und damit einen großen Teil seiner Glaubwürdigkeit.

2) Neuwahlen

Offiziell will sie niemand: Vertreter sämtlicher Parteien beschwören, alles zu tun, um eine dritte Wahlrunde zu verhindern. Doch öffentliche Beteuerungen sind in der israelischen Politik, ähnlich wie andernorts, weniger wert als ein Fafalelsandwich. Berichte über eine Besprechung Netanjahus mit seinen Verbündeten vermitteln den Eindruck, dass der Noch-Premier eine weitere Wahl durchaus in Betracht zieht. Dazu müsste die Knesset nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen erneut ihre eigene Auflösung beschließen. Für das Land wäre das ein Desaster: Leiden würden Demokratiebegeisterung, die Handlungsfähigkeit der Regierung und die Staatskasse. Doch wenn es um sein politisches Überleben geht, hat Netanjahu noch nie Hemmungen  gehabt. 

3) Überraschende Allianzbildung

Anders als in Deutschland, wo dieselben Parteien jahrzehntelang die politische Landschaft dominieren, sind Bündnisse und Allianzen in Israel ständig im Fluss: Vor jeder Wahl werden Parteien neu gegründet, spalten sich auf und verschmelzen in neuen Bündnissen. Blau-Weiß etwa, nun die größte Partei, existiert erst seit Anfang dieses Jahres. Dass sich im Zuge der Koalitionsverhandlungen ein Bündnis ergibt, das niemand für möglich gehalten hätte, ist daher nicht auszuschließen. Eine Möglichkeit wäre, dass Netanjahu Lieberman mit einem extrem verlockenden Angebot erneut auf seine Seite zieht; eine andere, dass Lieberman und die arabischen Parteien sich auf wundersame Weise einigen können, gemeinsam einer Koalition unter Gantz' Führung beizutreten. Beides hat Lieberman vehement ausgeschlossen, und tatsächlich besteht aus seiner Sicht kein Grund zum Kompromiss: Dank des starken Abschneidens seiner Partei kann er es sich leisten, auf die von ihm beworbene Einheitsregierung zu bestehen. Dennoch wäre es töricht, in Israels unberechenbarer Politik Überraschungen gänzlich auszuschließen.

In der kommenden Woche wird Staatspräsident Reuven Rivlin mit Vertretern aller Parteien Gespräche führen, um zu ermitteln, welcher Kandidat die besten Aussichten hat, eine Koalition zu bilden. Erst danach wird sich zeigen, welches Lager der israelischen Wähler recht behält: „Nur Bibi" oder „alles außer Bibi".

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Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 21. September 2019 - 12:51

Interessant fand ich hingegen die Beschreibung israelischen Politikgebarens.
Die werden in Israel schon einen guten Weg finden.

das halte ich genauso liebe Frau Sehrt.Irrek. Die Menschen dort werden schon wissen, wen sie zu wählen haben und wen nicht. Von außen da hinein zu reden, mit gefährlichem Halbwissen ist auch nicht mein Ding.