
- Putin will Selenskyj treffen
Da der Kreml weiß, dass weitere Verhandlungen unvermeidlich sind, versucht er, die Initiative zu ergreifen. Moskau hofft auf eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche – allerdings nur zu seinen Bedingungen.
Am frühen Morgen des 11. Mai, als die meisten Russen noch fest schliefen, gab Präsident Wladimir Putin eine lange Erklärung zur Lösung des Ukraine-Konflikts ab. Es spielte keine Rolle, dass keine Russen dabei waren, um sie zu hören – die Rede erschien nicht im Fernsehprogramm, und im regulären Programm wurde sie nie gezeigt –, denn die Zielgruppe war eindeutig der Westen. Diese Ansprache war die erste ihrer Art, welche zu einer so krummen Stunde gehalten wurde, und sie fiel mit dem Ende des Waffenstillstands vom „Siegestag“ zusammen, an dem alle militärischen Operationen in der Ukraine ausgesetzt worden waren.
Der erste Teil der Rede fasste die diplomatische Arbeit zusammen, die Moskau während des Waffenstillstandes geleistet hatte. Putin wies darauf hin, dass der Kreml vom 7. bis zum 10. Mai die Staats- und Regierungschefs Chinas, Venezuelas und Vietnams empfangen und 20 bilaterale Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Asiens, Afrikas, des Nahen Ostens, Europas und Lateinamerikas abgehalten hatte. Er fügte hinzu, die Regierung sei mit der diplomatischen Beteiligung an einem so wichtigen und weithin gefeierten Feiertag zufrieden.
Russland sei bereit, die Ursachen des Konflikts zu beseitigen
Der Rest der Rede war jedoch der Lösung des Konflikts in der Ukraine gewidmet. Sie enthielt die folgenden Bemerkungen:
- Russland habe wiederholt Friedensinitiativen eingebracht, die die Ukraine sabotiert habe.
- Kiew sei auf russische Vorschläge für einen Waffenstillstand überhaupt nicht eingegangen und habe sogar unmittelbar nach der Verkündung des Waffenstillstands am „Siegestag“ einen Großangriff gestartet.
- Russland habe sich nie einem Dialog mit der Ukraine verweigert, und es sei die Ukraine gewesen, die 2022 die Verhandlungen abgebrochen habe.
- Trotzdem habe Moskau Kiew aufgefordert, direkt und ohne Vorbedingungen in Gespräche einzutreten. Der Starttermin wäre der 15. Mai, und die Gespräche würden in Istanbul stattfinden.
- Russland sei bereit, die Ursachen des Konflikts zu beseitigen und einen langfristigen, dauerhaften Frieden zu schaffen.
- Die Entscheidung, zu verhandeln, liege nun bei der Ukraine und ihren Verbündeten.
Putins Rede erfolgte nur wenige Tage, nachdem US-Präsident Donald Trump einen 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstand gefordert und vor möglichen neuen Sanktionen gewarnt hatte, falls das Abkommen gebrochen würde. Sie folgt auch einem Bericht der New York Times, wonach Washington die Lieferung von 125 Langstreckenraketen und 100 Patriot-Luftabwehrraketen an die Ukraine genehmigt hat.
Für den Kreml ist es wichtig, den Dialog mit den USA aufrechtzuerhalten
Unterdessen trafen am 10. Mai der französische Präsident Emmanuel Macron, der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, der britische Premierminister Keir Starmer und der polnische Premierminister Donald Tusk in Kiew zu einem Treffen der sogenannten Koalition der Willigen ein. Der Kreml ist besorgt darüber, dass Europa und die USA einen Vorschlag für einen 30-tägigen Waffenstillstand ausarbeiten, der für Moskau ein Ultimatum zu ungünstigen Bedingungen hätte darstellen können. Der Kreml ist sich darüber im Klaren, dass Moskau, wenn die USA ihre Unterstützung für die Ukraine verstärken und weitere Sanktionen gegen Russland verhängen, die Fortschritte, die es auf dem Schlachtfeld und außerhalb des Schlachtfeldes gemacht hat, verlieren und damit den Krieg ganz und gar verlieren könnte.
Zwar hat Russland einem 30-tägigen Waffenstillstand nicht zugestimmt, weil dies nicht in Moskaus Interesse wäre. Aber da der Kreml weiß, dass Verhandlungen unvermeidlich sind, versucht er, die Initiative zu ergreifen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Für den Kreml ist es wichtig, den Dialog mit den USA aufrechtzuerhalten, und noch wichtiger ist es, Verhandlungen zu günstigeren Bedingungen aufzunehmen – oder, falls die Verhandlungen scheitern, zusätzliche Militäraktionen zu rechtfertigen, indem man Kiews Unnachgiebigkeit demonstriert. Trump hat Putins Rede offenbar gebilligt und die Ukraine aufgefordert, einem Treffen mit Russland am 15. Mai in der Türkei zuzustimmen.
Die Wahl der Türkei war nicht zufällig: Der Kreml ist an einer Wiederbelebung der Istanbuler Gespräche von 2022 interessiert, als Russland auf dem Schlachtfeld im Vorteil war. (Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist mit im Boot.) Damals standen Teile der Regionen Kiew, Tschernihiw, Sumy, Charkow und Nikolajew unter russischer Militärkontrolle, ebenso wie fast ganz Cherson. Russland wusste nicht, dass es aus der Stadt zurückgedrängt werden würde, und glaubte daher, aus einer Position der Stärke heraus verhandeln zu können.
Die Ukraine verlangt ihrerseits, dass Russland einen vollständigen Waffenstillstand erklärt
In den Vereinbarungen von Istanbul wurde die Ukraine aufgefordert, einen neutralen Status anzunehmen. Das bedeutet, dass sie nicht der Nato beitritt, keine ausländischen Truppen auf ihrem Territorium stationiert, keine Atomwaffen entwickelt und keine militärischen Übungen ohne die Zustimmung der Garantieländer durchführt. Im Gegenzug würde Kiew internationale Sicherheitsgarantien erhalten, die der kollektiven Verteidigungsklausel nach Artikel 5 der Nato entsprechen. (Die Krim und die von Russland kontrollierten Teile von Donezk und Luhansk wurden von dieser Bestimmung ausgenommen.) Russland hat deutlich gemacht, dass es nicht zu diesen Bestimmungen zurückkehren will, aber die dahinter stehenden Prinzipien unterstützt. Mit anderen Worten: Der Kreml will nicht bei null anfangen, sondern aus einer Position der Stärke heraus, auch wenn sich die Gegebenheiten vor Ort geändert haben.
Die Ukraine verlangt ihrerseits, dass Russland vom 12. Mai an einen vollständigen, langfristigen und zuverlässigen Waffenstillstand erklärt. Erst danach wird sie zu Verhandlungen bereit sein.
Es gibt Grund zu der Annahme, dass der Kreml pessimistisch ist, dass die Gespräche erfolgreich sein werden, wenn sie überhaupt stattfinden. Auch die europäischen Staats- und Regierungschefs erwarten in den nächsten vier Tagen keine großen Durchbrüche. Macron sagte, Putins Vorschlag für direkte Gespräche mit der Ukraine in Istanbul sei „ein erster Schritt, aber nicht genug“, und merkte an, dass Russland „nach einem Ausweg sucht, aber noch Zeit gewinnen will“. Merz sagte im Grunde das Gleiche. Und sie könnten Recht haben: Moskau hat weitere Militäraktionen nicht ausgeschlossen, aber weitere Militäraktionen würden besser aussehen, wenn die Ukraine verhandlungsunwillig wäre. Tatsächlich wurde der Luftraum über Kapustin Yar, einem Testgelände für Hyperschallraketen, für zivile Flugzeuge geräumt.
Eines ist klar: Russland legt seine Waffen noch nicht nieder, auch wenn es den Anschein hat, dass es sich in diese Richtung bewegt. Moskau wird die Reaktionen Kiews in den kommenden Tagen beobachten, in der Hoffnung, entweder einen Waffenstillstand zu seinen Bedingungen zu schließen oder die Militäraktionen fortzusetzen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Ukraine die notwendige Unterstützung für einen Gegenschlag vorenthalten wird.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
die Zielgruppe war nicht der Westen, sondern ausschließlich die USA und Trump. Putin verachtet die europ. Speichellecker, mit Recht.
die Zielgruppe war nicht der Westen, sondern ausschließlich die USA und Trump. Putin verachtet die europ. Speichellecker, mit Recht.
Es wird eine grandiose Show geben. Sowas lässt sich Uncle Donald nicht entgehen. Also erscheint er in Istanbul. Und weil Trump erscheint, wird auch Putin kommen. Mit dem Trump will er es nicht verderben. Wie groß dann die Ergebnisse sein werden, lässt sich noch nicht sagen. Fakt ist, Putin hat sich erstmal durchgesetzt: Es gibt keine vorherige Waffenruhe. Von daher stehen die drei Nappsülzen Merz, Macron, und Starmer dumm da. Das wollte Putin erreichen. Er lässt sich nun mal nicht vorführen. Das haben die Pfeifen aus Westeuropa immer noch nicht begriffen. Aber da es zunächst einmal eine Great Show ist, darf Trump nicht fehlen. Das wissen alle drei: Trump, Putin und Selensky. Wie gesagt, bei den Ergebnissen muss man abwarten. Putin wird die Krim und die Donezk-Republiken nicht hergeben, und Selensky wird die Kröte schlucken. Dann wird ein Quasi-Waffenstillstand verabredet. Der hält - keine Ahnung. Trump braucht Handlungsfreiheit für China, auch für Nahost. Die Ukraine - ein Nebenkrieg.