Erdogan hält eine Rede in Ankara
Präsident am Scheideweg: Recep Tayyip Erdogan / picture alliance

Kommunalwahlen in der Türkei - Die Scheinsieger

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei hat die AKP eine herbe Niederlage erlitten. Die Wähler haben die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan allerdings mehr für dessen Wirtschaftspolitik als für dessen diktatorisches Regime abgestraft. Ein Triumph für die Opposition?

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Cem Sey, 54, ist ein freier Journalist, der für deutsch- und türkischsprachige Medien arbeitet. Für Medien wie Cumhuriyet, CNN Türk, Deutsche Welle und BBC war er als Korrespondent tätig.

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„Der Anfang vom Ende!“, so betitelten westliche Medien ihre Berichte über die kommunalen Wahlergebnisse der Türkei am Montag. Alles Wunschdenken. Denn wir reden von Kommunalwahlen, und gewählt wurden tausende neue Bürgermeister und Dorfvorsteher – aber nicht die türkische Regierung. Die Regierung in Ankara ist weiterhin fest in den Händen der Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung, der AKP. Und die hält der alleinherrschende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan fest in seinen Händen.

Dennoch hat diese Wahl seismische Erschütterungen produziert. Erdogans AKP  hat die Bürgermeisterämter nicht nur in Istanbul und Ankara, sondern in nahezu allen Großstädten verloren. Damit werden oppositionelle Politiker und Bürgermeister der Republikanischen Volkspartei (CHP) an den Hähnen drehen, mit denen die AKP seit 2002 ihre Klientel durch ein wahrhaft byzantinisches Geflecht mit Geld und Aufträgen versorgte. Ohne Zugriff auf diese Mittel wird Erdogan es schwer haben, seine Reihen beisammen zu halten. Er muss nun sogar befürchten, dass sein Korruptions-Geflecht für jeden sichtbar ans Tageslicht kommt.

Herbe Verluste für Erdogan

Zudem hat die AKP Stimmen verloren. Auf dem Papier steht die AKP zwar nicht schlechter da, aber das verdankt sie nur ihrem Bündnis mit der faschistischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP). In vielen Provinzen verzichteten beide Parteien auf eigene Kandidaturen zugunsten der jeweils anderen Partei. Zählt man die Stimmen beider Parteien zusammen, kommen sie landesweit auf ca. 52 Prozent. Ein Ergebnis, das die AKP in ihren Hochzeiten ganz alleine erzielte.

Auch in den kurdischen Landesteilen verlor die AKP. Die links-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) eroberte dort die Rathäuser zurück, aus denen sie Erdogan vor einigen Jahren durch fragwürdige Erlasse hinausgedrängt hatte. Die Verhaftung von tausenden Politikern und Aktivisten der HDP, die massive Beschneidung ihrer politischen Tätigkeit und sogar die Kriminalisierung der HDP hat also nichts genutzt. Eine schwere Niederlage für den Autokraten Erdogan.

Gefährliche Stille

Dennoch ist die Stimmung im Land nach der Wahl ungewöhnlich ruhig. Die Opposition lebt ihre Siegesfreude nicht aus, die Herrschenden sind verdächtig ruhig. Die Nerven sind gespannt. Viele AKP-Mitglieder sind nämlich nicht bereit, die Niederlage hinzunehmen. Gewohnt an „korrigierte“ Wahlergebnisse, verlangen sie Nachzählungen und spekulieren unverhohlen über ausländische Einmischung. Einmal mehr beschuldigen den im US-amerikanischen Exil lebenden „Feind“, den Geistlichen Fethullah Gülen, einen Wahlbetrug orchestriert zu haben.

Erdogan selbst und seine Regierungsmannschaft geben sich unterdessen verdächtig milde. Gefährlich. Denn es ist einfach nicht seine Art. Gleich nach der Wahl kündigte Erdogan Veränderungen an, ohne zu sagen, was er er genau meint. Zwar gab er an, dass seine Partei den Grund der Niederlagen bei sich selbst suchen müsse, „die Mängel finden und korrigieren“ werde. Was das bedeutet, weiß wahrscheinlich noch nicht einmal er selbst.

Zurückhaltung von der Opposition

Zunächst versuchte er, der zu erwartenden Demoralisierung in den eigenen Reihen entgegenzusteuern. Die Unterstützung für seine Partei sei immerhin größer als die für die Opposition, beschwichtigte Erdogan. Er wies zudem darauf hin, dass es bis zu den nächsten Wahlen auch noch viereinhalb Jahre Zeit gebe und er sich an der Macht befindet.

Tatsächlich werden die Ergebnisse der Wahl sogar von oppositionellen Politikern und Kommentatoren anders bewertet als im Ausland. Erdogan habe ein Vertrauensvotum bekommen, sagte Mehmet Ali Yilmaz, einer der von der AKP entmachteten ehemaligen Mediengrößen. Das kommunale Wahlergebnis sei nur ein Warnschuss der Bevölkerung, kommentiert der konservative Kommentator Taha Akyol. Auch er gehört zu den geschassten Journalisten, weil er Erdogan einst kritisierte. Selbst der Gewinner der Wahl in der Metropole Istanbul, Ekrem Imamoglu, betont, dass es lediglich eine Kommunalwahl gewesen sei.

Wahlpleite trotz aggressiver Propaganda

In der Tat wurden diese Kommunalwahlen nur deshalb so gehypt, weil Erdogan und seine Regierung sie selbst zu einem Vertrauensvotum aufgebauscht hatten. Nachdem die Türkei im vergangenen Sommer in eine tiefe Wirtschaftskrise geschlittert war – verursacht unter anderem durch verantwortungslose Wahlkampfausgaben, abenteuerliche finanzpolitische Statements Erdogans und ideologisierte Wirtschaftspolitik – , sollten die Wähler an den Rathausurnen nun zeigen, dass sie weiterhin hinter Erdogan stehen.

Erdogan und sein Koalitionspartner Devlet Bahceli, Chef der faschistischen MHP, führten dazu einen aggressiven Wahlkampf. Sie behaupteten, es gehe ums Ganze und „das nationale Überleben“. Kurdenfeindliche Propaganda, Kriminalisierung der politischen Opposition und offene Drohungen gegen oppositionelle Kandidaten waren an der Tagesordnung.

AKP-Kandidaten der unteren Ebenen, die diese Propaganda in die Fläche trugen, gingen noch weiter. Erdogan pfiff sie nicht zurück. Der AKP-Kandidat Ali Murat Alatepe, der Bürgermeister von Esentepe, eines Stadtteils von Istanbul, behauptete beispielsweise, Jerusalem, Mekka und der Islam gingen verloren, wenn er die Wahl verliere. Er verlor. Aber die Propaganda richtet großen Schaden an. Die Türken sind selten so nationalistisch und westfeindlich gewesen wie heute.

Präsident am Scheideweg

Und dennoch: Die Wähler in den Städten gaben diesmal ihre Stimme der Opposition. Nicht weil sie diese besser finden. Sondern, weil sie die Geduld verlieren. Die Verteuerungsrate bei den Lebensmitteln lag im letzten Jahr bei 50 Prozent. Mietkosten explodieren. Firmen gehen pleite. Die Arbeitslosigkeit nimmt rasant zu.

Was das Ausland mit Schrecken kritisiert, nämlich die Abschaffung des Rechtsstaates, die Gleichschaltung der Medien oder die ultranationalistischen Ausbrüche Erdogans, sind einem Großteil der Bevölkerung hingegen eher egal. So gesehen,  machen die Wahlsiege der CHP-Kommunalpolitiker für die Zukunft des Landes nicht viel Hoffnung. Erdogan hat nun zwei Möglichkeiten. Entweder kehrt er zurück zu demokratischen Verhältnissen, oder er setzt seinen bisherigen Weg fort und verschärft dabei seinen Ton. Berücksichtigt man, dass er nur mit Hilfe von Devlet Bahcelis Faschisten an der Macht bleiben kann, ist die zweite Option wahrscheinlicher.

Er hat immer noch einen Hebel in der Hand, um die verlorenen Rathäuser so unter Druck zu setzen, dass die Oppositionsführer der CHP am Ende als Verlierer dastehen werden. In nahezu weiser Voraussicht hatte er nämlich in den letzten Monaten bereits die Spielregeln kommunaler Verwaltungen und ihrer Finanzierung reformiert. Ohne seine Zustimmung fließt keine Lira, und die von der AKP geplünderten Rathäuser sind hoch verschuldet.

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Bölükbasi Canavar | Do., 4. April 2019 - 07:19

Servus an alle mitarbeiter zuerst ich will nur ganz kurz zu dem ganze schreiben von hr.cem er soll zuerst die wahrheit schreiben und sich nicht so freuen es sind nur kommunalwahlen gewesen ich möchte auch vom die westlichen staten eine erklärung zwischen demokratie und diktatur haben dann reden wir weiter schönen tag bis dahin